Gastbeitrag von Kai Ludwig im Mai 2014
Vom 15. bis 18.05.1964 sendete der Rundfunk der DDR ein Sonderprogramm zum „Deutschlandtreffen der Jugend“ in Berlin. Die große Resonanz auf diese Sendungen mündete in das Nachmittagsmagazin „Jugendstudio DT64“, das vom 29.06.1964 an regelmäßig im Berliner Rundfunk lief. Zwischen 1981 und 1987 wurde daraus schließlich ein ganztägiges fünftes Programm aufgebaut.
Der somit bevorstehende 50. Geburtstag führte zu erneutem Interesse am Thema DT64. Allerdings scheint es sich dabei in größerem Maße um jene Spielart der Ostalgie zu handeln, die sich bereits 2013 in umfangreichen Beiträgen über die Serie von Konzerten äußerte, die 1988 in Berlin-Weißensee stattfand. In diesem Zusammenhang bemerkt ein Fernsehprofi zu vor kurzem ausgestrahlten Sendungen über die Jugendkultur in der DDR: „Die gezeigten Filmschnipsel sind allesamt weitestgehend bekannt.“
Ins Auge fällt dabei einmal mehr, wie DT64 als alleinstehendes Phänomen gesehen wird, ohne den Gesamtkontext des Rundfunks in der Berliner Nalepastraße zu betrachten. Besonders interessant ist dann der Umgang mit der Umbenennung von DT64 in MDR Sputnik (entgegen anderen Darstellungen handelte es sich um eine solche, vollzogen zum 01.05.1993). Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, wie Details der Geschichte des Rundfunks der DDR auch in Bezug auf die heutige Medienlandschaft interessanter sind, als es im ersten Moment scheinen könnte.
Weitgehend ignoriert werden bei alldem die Änderungen, die bereits vom Herbst 1990 an im Programm von DT64 vorgenommen wurden. Sie äußerten sich im Verschwinden erheblicher Teile des Wortprogramms und im September 1991 dann auch einer deutlichen Änderung der Musikfarbe.
Was dabei offensichtlich verdrängt wird ist der Umstand, wie hier bereits jene Entwicklungen begannen, die nach der Übernahme des Programms durch den Mitteldeutschen Rundfunk schließlich in deutliche Kritik des bisherigen Publikums mündeten. Charakteristisch dafür ist eine zufällige Runde, die sich Ende 1993 am Rande einer Produktion des Deutschlandsenders Kultur in das still daliegende Studio K13 zurückzog und dort „wir interessieren den Sender nicht mehr“ konstatierte.
Auffällig ist überdies, wie wenig im Vorfeld des anstehenden Geburtstags von den Mitarbeitern des „alten“ DT64 die Rede ist. Dem Vernehmen nach wollen diese das Jubiläum durchaus begehen – ohne die Öffentlichkeit, in den verbliebenen Räumen des Funkhauses Nalepastraße.
Es würde dabei auch abseits der Realitäten liegen, Formulierungen wie „unvergessen“ zu verwenden. Dies zeigt beispielhaft der Fall zweier Moderatoren der ersten Stunde, Karl-Heinz „Kalle“ Neumann und Gretel Ortner. Der Tod von Kalle Neumann vor rund einem Jahrzehnt blieb unbekannt, bis Veteranen des Berliner Rundfunks gezielt befragt wurden. Gretel Ortner schließlich ist selbst aus dem Gesichtsfeld dieses harten Kerns spurlos verschwunden.
Öffentlich gewürdigt wird der bevorstehende 50. Geburtstag von DT64 mit einer dreitägigen Veranstaltung im Berliner Kino Babylon. In diesem Rahmen gibt es Konzerte sowie sich teilweise wiederholende Vorführungen von Filmen und Archivmaterial. Hinzu kommen einzelne Diskussionsrunden mit Gästen aus dem Kreis jener Personen, die überhaupt noch an dieses Thema erinnert werden wollen (was eher die Ausnahme als die Regel zu sein scheint).
Auch über den Veranstaltungsort hinaus wirksam wird dieses Festival mit einem Sonderprogramm vom 08.05.2014, 06:00 Uhr, bis zur Nacht zum 11.05.2014, 02:00 Uhr. Terrestrisch zu hören sein wird dieses Programm allerdings nur am ersten Tag ab 19:00 Uhr, und zwar im Rahmen des Sendeplatzes von Pi-Radio im Sammelkanal „88vier“ der Medienanstalt Berlin-Brandenburg.
„88vier“ läuft auf UKW nur in Mono, was ironischerweise wieder an einen Aspekt von DT64 erinnert, nämlich das Problem fehlender Übertragungsleitungen, durch das auch noch 1986 in Teilen der DDR nur in Mono gesendet werden konnte. Speziell dort, wo BRD-Sender problemlos in Stereo zu empfangen waren, wirkte das zu diesem Zeitpunkt nur noch peinlich. Entsprechend übte das Staatliche Komitee für Rundfunk anscheinend massiven Druck auf die Deutsche Post aus, um eine durchgängige Stereoverbreitung von DT64 durchzusetzen.
Wer gerne eine Zeitreise unternehmen möchte – ich habe alles, was ich noch von DT64 finden konnte, archiviert und online für jedermann zu Verfügung gestellt. Auch eine 9-Stündige Aufnahme vom letzten Tag von DT64 mit Wechsel zu Sputnik. Seinerzeit mit einem HiFi-Videorekorder vom Sat-Signal mitgeschnitten. Viel Spaß!
https://www.mixcloud.com/Radiomuseum/
Was mich ärgert ist, dass ich nichts getan habe zur Rettung dieses Senders. Etwas taurig stimmte mich, dass ab Januar 1992 die Stimmen von Silke Hasselmann, Dörte Caspari, Ev Schmidt, Lutz Bertram nicht mehr zu hören waren. Schade ist, dass man nicht in seine eigene Vergangenheit reisen kann, würde mir manches gern noch einmal anhören (Top 2000 D, Hitkaravane.) Ich dachte das Funkhaus in der Nalepasraße wäre komplett abgerissen. Bedauerlich ist für mich noch, dass DT64 nicht ins 21. Jahrhundert „hinüber gerettet“ werden konnte.
Natürlich war ich nochmal die Nalepastraße abgeschritten, nachdem – um es nun doch noch so auszusprechen – die Wahrscheinlichkeit, daß es der letzte Besuch dort war, nicht allzu gering ist. Wer das Funkhaus noch nicht kennt, dem kann man eine Besichtigung der noch intakten Blöcke A und B (ist im Rahmen von Führungen möglich) natürlich sehr empfehlen; dort hat sich seit 1991 nur wenig verändert, es finden sich also auch die vielen kleinen Spuren für den authentischen Eindruck. Wer das alles aber schon kennt, sollte es lieber dabei bewenden lassen.
Es gibt einige Fachleute, denen beim Thema Block E das Messer in der Tasche aufgeht, weil sie wissen, mit welchen Behelfen sich Produktionsfirmen heute in der Regel herumschlagen, weil sie sich properen Akustikbau beim besten Willen nicht leisten können. Ich bin mir übrigens sicher, 1993 am Eingang von Block E das Firmenschild eben einer Produktionsfirma gesehen zu haben. Daß sie wenige Monate später dort dann rausgeschmissen wurde, darf man wohl unterstellen.
Was Originalunterlagen u.dgl. betrifft, habe ich eine Empfehlung, und zwar durchaus dringend, bevor das Zeug am Ende doch noch untergeht: http://dokufunk.org
Und wer sich mit Rundfunkgeschichte beschäftigt, möge auch mal einen Blick auf diesen Vorgang werfen, bei dem nicht jeder damit einverstanden ist, ihn einfach insgesamt in den Skat zu drücken. Vielleicht gibt es ja sinnvolle Ideen dazu?
http://www.radioeins.de/programm/sendungen/medienmagazin/radio_news/beitraege/2014/wilsdruff.html
(Es gab mal Rätselraten um diese Frage: Es war in der Tat der gesamte linke Seitenflügel des Hygienemuseums, in dem sich das Dresdner Funkhaus befand. Und natürlich sind, soweit bekannt, dort alle Spuren gewissenhaft getilgt worden.)
Ich sehe es jetzt erst… da bist Du nochmal den ganzen weiten Weg nach Schweineöde gelaufen? Wir haben uns dann zur Pizza nach Friedrichshain zurückgezogen, aber nochmal Milchbar wäre natürlich besser gewesen. Nachdem mein Recorder dort schon vorher Bodenkontakt gesucht hatte…
Die Fähre in der Gartenkolonie hinter dem Funkhaus dürfte an jenem Tage wegen Eisganges sowieso eingestellt gewesen sein – ist auch nicht mehr die originale von 1973, sondern seit letztem Jahr ein lächerliches, arschlahmes Solarschiff, das bei Eisgang sofort versagt und auch eindrucksvoll zeigt, was heute als wichtig angesehen wird: mehr Schein als Sein. Wo früher auf winzigstem Raum ein hölzernes Steuerrad und wenige Hebel die Bedienung ermöglichten, thronen heute mehrere Monitore und Bedienteile, die aussehen wie aus einer alten Science-Fiction-Serie. Erinnert mich an die ganzen tollen neuen (und nach jeder Modernisierung erneut als „volldigital“ gepriesenen) „Studio“-Glaskästen der heute angesagten Radioprogramme, aus denen inhaltlich und akustisch nur Sondermüll rauskommt.
In Schweineöde hättste dann auch gleich mal bei der einstigen Akustikplanerin der Nalepastraße vorbeischauen können. Die Dame lebt noch und ist hellwach und fit, sie hat in den frühen 50ern die legendären Säle und Studios gerechnet und den Bau überwacht, Anfang der 60er dann Block E. Sie hat das Ende des Gebäudes nun also noch miterleben können – und ich bekam die Bauzeichnungen (jeder Raum separat auf eigenem Fundament, die Wände zu den Nachbarräumen mit Hohlraum und Glaswolle drin), die Fotos aus den ersten Tagen sowie alle Akustikmessungen des Block E. Habe einiges bis zu DIN A1 einscannen lassen, teurer Spaß. Ein kleinwenig lagert jetzt hier bei Frau Heller: http://zeitreisen.cre-aktiv.com/gestern/momentaufnahmen/mitte-der-60er/index.html
Der Abriss von Block E paßt für mich ganz gut, so traurig es auch ist, einen der akustisch und logistisch besten Studiokomplexe der Welt verschwinden zu sehen: es ist ein guter Zeitpunkt, das Thema Radio wirklich weitgehend abzuschließen und soweit möglich nicht mehr emotional zu begleiten. Auch von Radio Eins habe ich mich bereits längst verabschiedet – der klebrig-rotzige Optimod-Sound, der seit Sommer 2011 auch auf den digitalen Wegen verbreitet wird und die Moderatorenstimmen soweit entstellt, daß man Mühe hat, sie den Personen zuzuordnen, sagt doch deutlich, für wen auch dieses Programm angeboten wird, wer es „konsumieren“ soll: ich nicht. Das deckt sich auch über weite Strecken mit dem Inhalt des Programms. Was ich stichprobenartig noch zu Gehör bekam, was fast durchgängig Ausschaltgrund.
„Und damit empfehlen wir uns der Abdeckergesellschaft!“
(Lutz Bertram, 21.12.1991)
Eigentlich hatte das keinen weiteren Anspruch als den einer Einführung in das Thema, nach der von mir vermuteten Frage „wovon reden die da gerade alle“. Der Versuch einer tieferen Beleuchtung steht noch aus.
Ja, 1991 war die Formatierung schon wahrnehmbar, war für so manches schon kein Platz mehr. Formatradio ist eben immer nur dann schlecht, wenn es sich nicht mit dem eigenen Musikgeschmack deckt.
„Hithammer“: Das war ja so ziemlich der letzte Rest des alten DT64, in Form des Versuches, noch eine Nachfolgesendung des „Hitglobus“ mit zumindest ähnlichem Konzept, aber eben ohne „am Mikrofon: Lutz Bertram“ zu installieren. Vielleicht das treffendste Beispiel überhaupt für den Hergang des Vorgangs.
Und es gibt etwas, das mich momentan einigermaßen erstaunt: Die merkwürdige Aggressivität, die das Wort „Umbenennung“ ausgelöst hat und die ihr Ventil in einer Bildunterschrift bei Spiegel Online fand. Ich meine schon, ein gewisses Gespür für Befindlichkeiten zu haben. Aber an der Stelle kann (und will) ich nicht mehr folgen.
Über „Rockradio B“ wiederum gab es seinerzeit einen sehr guten Fernsehbeitrag. Ich erinnere mich an Szenen völlig konsternierter Macher, denen gerade eröffnet wurde, daß sie sich mit Radio 4U anzufreunden haben. Weiß leider keinen Titel mehr; nur noch, daß das mit größter Wahrscheinlichkeit im ORB-Fernsehen lief, wohl als eigenständige Sendung. In eben jenem ORB-Fernsehen, bei dem ich wenig später hätte in den Colormat treten können, als nach gefühlt jeder zweiten Sendung dieses zähnefletschende F angehüpft kam. Didel, didel, dideldidit.
Vielleicht interessiert auch noch die Geschichte hinter dem Foto hier: Nachdem andere nach der Besichtigung des Abbruchobjekts schnell nach Friedrichshain flüchten wollten, blieb ich und wählte ich für die ausstehende warme Hauptmahlzeit selbstverständlich die Milchbar in Block A, absichtlich auf den Einbruch der Dunkelheit wartend. Und die Kollegin Pförtnerin, die meinte, die Straßenbahn fahre jetzt nur noch aller zwanzig Minuten, brachte mich dann endgültig auf die Idee, noch einmal andersherum das zu tun, was ich 1993 getan hatte, als ich einen Stadtplan hatte, der zwar die Nalepastraße verzeichnete, nur nicht das Objekt, zu dem ich mich begeben wollte und von dem ich dann fand, daß es gerade am anderen Ende als dem steht, von dem ich kam.
Was soll ich sagen: Es war kalt (sonst hätte ich mich womöglich sinnloserweise nochmal nach Adlershof begeben; wie die Kollegin Pförtnerin es schon formulierte: „das kann man ja nun ganz vergessen“), und das Licht von oben aus dem Turm grüßte dann noch ein letztes Mal, als ich über die Spreebrücke lief …
Und gut, daß wir darüber gesprochen haben, denn soeben habe ich endlich mal den letzten Fetzen Wandbezug aus K6 aus dem Rucksack genommen. In diesem Sinne.
Lieber Kai, erst einmal vielen Dank für diesen Beitrag, der das Thema durchaus einmal etwas breiter bzw. tiefer beleuchtet. Zugegebenermaßen muss ich mich mit der Darlegung, dass „bereits [im Herbst 1990] jene Entwicklungen begannen, die nach der Übernahme des Programms durch den Mitteldeutschen Rundfunk schließlich in deutliche Kritik des bisherigen Publikums mündeten“ – in meinem Verständnis bedeutet das übersetzt eine journalistische bzw. publizistische Verflachung – erst noch anfreunden, auch wenn sie vermutlich sachlich und faktisch komplett belastbar ist.
Das Jahr 1991 habe ich, was DT64 angeht, eigentlich für mich so in Erinnerung, dass der Sender immer besser wurde (was immer das jetzt heißen mag…). Der eigentliche Bruch war daher nach meiner Einschätzung der 1.1.1992, als ein (Groß)teil der DT64-Mannschaft das Schiff verließ und Hände ringend weiterhin ein Vollprogramm realisiert werden musste („HitHammer“ oder „Treuhändl“ sind für mich Beispiele für eher weniger Gelungenes). Nicht die einzige, aber bekannteste Abgang-Quelle, ist sicherlich Rockradio B, zu dem – nach meiner Einschätzung – die Kreativsten und sicherlich auch journalistisch nicht die Schlechtesten gingen. DT64 wirkte, trotz aller Bemühungen, auf mich ab dem 1.1.1992 wie ein fast „blutleeres Wesen“, durch die Kämpfe und dann auch teilweise internen Auseinandersetzungen bis zur Erschöpfung getrieben, plötzlich doch noch da, aber kraftlos.
„Rockradio B“ war aus meiner Sicht zudem der geniale Schachzug der ORB-Oberen (Hörfunkdirektor Hirschfeld war ja bekanntermaßen eher ein Radio-4-U-Anhänger), die Philosophie eines alternativen Jugendkulturradios ad absurdum zu führen: zum einen schwächte die o.g. Abwerbung kreativer Leute DT64 entscheidend, zum anderen war durchaus absehbar, dass die ehemaligen DT64-Aktivisten die „Verräterkeule“ schwingen würden. „Rockradio B“ war demnach ein Rohrkrepierer, nur gegründet, um sich als ORB medienpolitisch ggü. dem SFB sowie dem MDR zu positionieren, um dann, nach einer Schamfrist, doch Radio 4U auf die Frequenzkette zu holen (was prima funktionierte). An eine Re-Fusion DT64/Rockradio B, was vom rein journalistischen Profil naheliegend gewesen wäre, war 1992/1993 nun überhaupt nicht zu denken.