„Das Internet ist nicht die Zukunft des Radios“
Wer: Dr. Willi Steul, Intendant Deutschladradio
Was: Neujahrsgespräch über das Deutschlandradio und DABplus
Wann: veröffentlicht in einer 8-Minutenfassung am 03.01.2015, 18:36-18:44 Uhr im radioeins-Medienmagazin und in einer 4-Minutenfassung im rbb Inforadio vom 04.01.2015, 10:44/15:44/23:45/01:45/03:45 Uhr
Wo: Berlin
0:11
Dr. Willi Steul: Wir haben das beste Jahr unserer Geschichte. Die gehobenen Programme werden gehört von 6,1 Million Menschen pro Tag und wir haben davon ein volles Drittel: 2,1 Million mit steigender Akzeptanz und deshalb sage ich mit einem gewissen Stolz, aber mit Stolz auf die Kollegen, die das Programm ja machen jeden Tag, wir haben das beste Jahr, 2014, das beste Jahr unserer Geschichte und außerdem haben wir im März unseren 20. Geburtstag gefeiert und das war eine schöne Fete.
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1:58
Jörg Wagner: Der 20. Geburtstag war aber dennoch überschattet von einer, in der öffentlichen Wahrnehmung, dann doch Kritik an Ihnen.
Dr. Willi Steul: … und zwar Kritik an mir persönlich. Der war überschattet dadurch, dass ein Kollege, mittlerweile wissen das alle, der gesundheitlich belastet war, hat mir persönlich vorgeworfen Gebührenverschwendung in Millionenhöhe. Das ist natürlich ein Vorwurf, der öffentlich ist und der in allen Zeitungen stand. Das hat sich herausgestellt, dass es völlig haltlos ist. Bedauerlicherweise, aber so ist die Medienwelt und damit lebt man, wurde nur in den Fachmedien festgestellt, dass der Vorwurf haltlos ist. Damit muss man leben. Damit verbunden hat sich natürlich auch eine Aufregung, das war in der Presse, das wurde überall berichtet. Veränderungen sind immer mühsam und wir – ich will nicht so tun, als sei ich besonders stolz darauf, weil das ist einfach auch meine Pflicht, das ist eben halt der Job – wir gehen in die nächste Gebührenperiode im Wechsel 2016/2017 mit ausreichenden Finanzen. Die Voraussetzung war dafür – und das mache ich seit fünfeinhalb Jahren jetzt – ein restriktiver Kurs, der mit Umbaumaßnahmen, mit Veränderungen der Abläufe, mit Modernisierungen im Haus zu tun hat. Damit belästigen sie de facto jeden Menschen. Der Erfolg ist, dass wir wirtschaftlich gesund sind und unsere Zukunft damit sichern. Und damit muss man dann leben, dass das auch Unruhe oder Missverständnisse oder … aber damit muss man leben. Das ist die Pflicht eines Intendanten und damit können, damit muss man umgehen können und damit muss man leben können.
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6:47
Dr. Willi Steul: Das Internet ist nicht die Zukunft des Radios, weil es nämlich auch zu hohe Kosten verursacht, sowohl bei Ihnen, beim Nutzer, denn Sie müssen jedes Mal dafür bezahlen – als auch bei uns, beim Sender. Die Sendezeit reicht nicht und es ist auch mein Hobby DAB plus, ich könnte jetzt jedes Argument für DAB argumentieren und ich könnte Ihnen auch jedes Argument dagegen entkräften. Aber das lassen wir jetzt.
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8:05
Dr. Willi Steul: Das Internet ist so eine faszinierende Maschine. Wir ordnen dem Internet, wenn wir nicht uns systematisch mit dem Ding befassen, eigentlich im Grunde genommen alles zu, was möglich ist. Das entscheidende Argument, warum das Internet nicht der Verbreitungsweg für Broadcast, also Massenverbreitung sein kann, ist, es ist eine eins-zu-eins-Verbindung zwischen dem Hörer und dem Sender. Das ruft Kosten auf bei dem Hörer. Und es ruft Kosten auf bei dem Sender. Und ich verstehe die Argumentation von Internetbetreibern, denn das ist ihr Geschäftsmodell. Es gibt eine nicht, bisher nicht widerlegte Studie der Technischen Universität in München, dass der Betrieb von dem heutigen Radio in Deutschland über Internet die vierzigfachen Kosten aufrufen würde. Und das ist ein schlagendes Argument.
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9:17
Dr. Willi Steul: Ich habe vor drei Jahren in einem Kontakt mit der BBC diesen – was wir dann genannt haben den so genannten „Eurochip“ – wir haben das jetzt genannt „Smart Radio“, weil der Euro vielleicht ein bisschen in Kritik geraten ist – das ist ein Chip, der in alle mobilen Geräte, in die iPhones usw. eingebaut wird. Den gibt es in der Herstellung. Der kostet in der Anschaffung ungefähr zwei Euro. Würde man den einbauen in diese Geräte, dann könnten Sie terrestrisch DAB und UKW empfangen über diesen Chip und es ginge nicht auf ihre Flatrate und auf Ihre Internetverbindung. Samsung z. B. baut diesen Chip für ganz Asien ein, baut ihn auch ein für Europa. Nur da es in Europa keine Verständigung darauf gibt zwischen den Europäern und auch den Regulierungsbehörden verzichten sie jetzt mittlerweile darauf, weil dann brauchen sie ihn nicht anzubieten. Das ganze ist eine Entwicklung, die Zeit braucht. Es braucht auch eine Bewusstseinsmachung in der Bundesrepublik. Ein ganz, ganz wesentlicher Schritt ist die Entscheidung der ARD, dass sie dieses DAB zur Zukunftstechnologie erklärt. Die ARD, der öffentlich-rechtliche Rundfunk – Deutschlandradio ist ja nur ein kleiner Partner dabei – hat 50 % des Marktes in Deutschland und diese Erklärung der ARD, dass dies die Technologie der Zukunft ist mit einer Aufforderung an die Politik, dass sie dies auch setzt und dass sie die Parameter dafür entwickelt, wann könnte man Umsteigen von … Aussteigen von UKW auf DAB, das ist eine ganz entscheidende Entscheidung. Und deshalb, ich formuliere das gerne salopp: die Kuh fliegt. Die Entwicklung zu DAB ist unumkehrbar.
(Auszug, wörtliches Transkript)
(© Foto: Jörg Wagner)
Überall im Bereich Rundfunk und Fernsehen muss gespart werden, in Deutschland und im Ausland.
Teilweise ist das mit sehr scherzhaften Einschnitten für alle Betroffenen verbunden.
Nur beim D-Radio, geleitet von Herrn Dr. Steul, hat man den Eindruck, dass Geld eine unter-
geordnete Rolle spielt. Man ist auf allen Kanälen präsent, kann aber nicht genug bekommen.
DAB+ ist jetzt nach misslungener Digitalisierung der Mittelwelle das nächste Ziel, die technische
Reichweite zu erhöhen. Jedes noch so zweifelhafte Gutachten ist willkommen, um auf Biegen und Brechen diese Rundfunksystem durchzusetzen. Wenn DAB für die Hörer so vorteilhaft ist, wie Herr Dr. Steul behauptet, warum sind nach 15 Jahren erst ca. 5 Millionen DAB-Empfänger im Markt und werden in Rostock im August 2014 mehrere UKW-Sender vom NDR mit einer Spitzenleistung bis zu 170 kW neu in Betrieb genommen ?
Ich erinnere mich an das Medienmagazin von der Funkausstellung 2011, in dem der DAB-Projektleiter Prof. Reimers den Erfolg des Neustartes als DAB+ daran festmachte, dass 2015 wenigstens 15 Millionen DAB-Geräte im Einsatz sein müssen. Damit sehe ich die Gefahr, das D-Radio mit seiner wieder einseitigen Ausrichtung einen Haufen Geld verpulvert, was mich als Beitragszahler erheblich ärgert.
Finde es schon seltsam, wie man(n) sich so auf DAB+ versteifen kann und das Internet pauschal abbügelt. Immerhin sind viele Menschen in Deutschland seit über 10 Jahren bereit, viel Geld für Flatrates auszugeben, ob zuhause oder mobil; selbst das Fernsehen mit seinen großen Datenmengen wird immer öfter gestreamt und nicht mehr linear konsumiert. Außerdem wird hier suggeriert, dass im ländlichen Bereich DAB+ verbreitet sei, aber Internet nicht, diese Aussage ist schlichtweg falsch! Aufs Dorf hat es selbst DVB-T bis heute nicht geschafft von DAB+ ganz zu schweigen.
In vielen Cafés weltweit gibt es mittlerweile kostenloses Internet, auf Bahnhöfen, in Zügen, in Bussen selbst im Flugzeug. Zu sagen, dass das Internet keine Zukunftstechnologie fürs Radio sei, ist nicht nur wirklichkeitsfremd sondern erschreckend rückständig. aber solange die Rundfunkbeiträge fließen kann man ja so tun, als gäbe es die Welt da draußen nicht …
Wenn die Mißmanagement-Vorwürfe nach 1:58 – wie hier wieder vom Intendanten kaum geschmackvoll und nah an der Grenze zur persönlichen Diffamierung suggeriert wird – nur einem kranken Hirn eines einzelnen entsprangen, fragt man sich natürlich, warum dann intern beim Deutschlandfunk so viele Arbeitsgruppen, Reform-Teams, Krisensitzungen etc. zur Verbesserung der Kommunikationskultur erforderlich waren. Und was es gebracht hat.