OBS-Studie: „Wir sind das Publikum!“

Fritz Wolff | Foto: © Jörg Wagner

„Das geht nie wieder weg!“

Wer: Fritz Wolf, Fernsehkritiker und langjährig Mitglied in Grimmepreis-Jurys
Was: Interview zur Studie der Otto-Brenner-Stiftung: „Wir sind das Publikum!“
Wann: rec.: 17.11.2015/20:10 Uhr; veröffentlicht: 21.11.2015, im radioeins-Medienmagazin und in einer gekürzten Fassung im rbb Inforadio, 22.11.2015, 10:44, 15:24 Uhr


(wörtliches Transkript, Hörverständnisfehler vorbehalten)

00:00
Fritz Wolf: Mein Name ist Fritz Wolf, ich bin Medienkritiker seit vielen Jahren und arbeite sowohl aktuell publizistisch und dann eben dann immer wieder auch mal an kleineren Studien. In diesem Fall ist es die dritte für die Otto-Brenner-Stiftung und die Idee hinter dieser Studie jetzt, war die Beobachtung, die ich nicht allein habe, sondern die schon viele Leute mit mir teilen, dass es zwischen dem Journalisten und den Lesern, Hörern oder Zuschauen, zwischen den Medien und dem Publikum ein doch ziemlich gestörtes Verhältnis gibt in den letzten Jahren, das gewachsen ist. Mit der Politikverdrossenheit ist auch die Medienverdrossenheit gewachsen. Das ist meine Beobachtung und eben auch nicht nur meine und die Frage dieser Studie war, mal dem nachzugehen, woher kommen diese Irritationen, woher kommt die Beziehungskrise und gibt es Wege, wie man sich künftig wieder besser vertragen kann?

00:55
Jörg Wagner: Nun haben die Zeitschriftenverleger auf ihrem Kongress dem publishers’ summit vor 14 Tagen Professor Renate Köcher zu Gast gehabt vom Institut für Demoskopie Allensbach und die sagte, erstaunlicherweise ist aber das Grundvertrauen, nach ihren Umfragen, der Bevölkerung in die Medien ziemlich hoch. Es gibt nur eine Irritation, dass es immer mal dann doch Ausreißer gibt in den Medien, aber im Grunde genommen vertraut die deutsche Bevölkerung den Medien. Wie ist Ihr Befund?

01:25
Fritz Wolf: Also, mein Befund ist etwas anders. Ich glaube nicht, dass die Rede von der Lügenpresse bloß eine vorübergehende Zeiterscheinung oder der Ausdruck bloß einer Minderheit ist. Ich glaube, das Denken darüber, dass die Medien auf irgendeine Art und Weise verschwörerisch von oben gelenkt, bestimmt, diktiert werden, das ist weiter verbreitet. Ich glaube, das reicht bis in die Mitte der Gesellschaft rein. Dann ist es auch oft unterschiedlich je nach Themen. Wenn ich zum Beispiel denke an die Berichterstattung über den Germanwings-Absturz, über die schnellen Urteile, die schnellen Erklärungen. Da war, glaube ich, der Unmut über die Berichterstattung, auch über die Frage, wenn die Journalisten dann sofort in die Schulen gegangen sind, sofort versuchten haben an die Kindern ran zukommen, da ist der Unmut, glaube ich, in der Gesellschaft sehr weit verbreitet. Also, es ist ein sehr gemischtes Gefühl, also mir ist das Bild von Frau Köcher, erscheint mir zu positiv zu sein.

02:17
Jörg Wagner: Wie ist Ihre wichtigste Erkenntnis, Ihre wichtigste These der Studie?

02:21
Fritz Wolf: Eigentlich habe ich gar keine wichtige These. Eigentlich ist es eine, sozusagen ein Querschnitt zu der Frage, wie es dazu kommen konnte. Ein wichtiger Ansatzpunkt oder sagen wir mal der wichtigste Ansatzpunkt ist der: das Publikum hat mit den neuen Medien – und ich sage jetzt das Publikum immer unter Anführungszeichen, weil es gibt das Publikum eigentlich nicht – also das “Publikum” hat mit den neuen Medien plötzlich neue Möglichkeiten sich auszudrücken. Der Stammtisch kann digital werden und der Stammtisch hat plötzlich große Verbreitungswege. Und die wichtigste Erkenntnis, die ich bei der Beschäftigung mit diesem Thema habe: das geht nie wieder weg.

03:00
Jörg Wagner: Sind Sie da bei Ihren Untersuchungen auf etwas Verschwörungstheoretisches gekommen, also gibt es tatsächlich so etwas wie einen Gleichklang der Presse?

03:10
Fritz Wolf: Also, auf etwas Verschwörungstheoretisches bin ich nicht gekommen. Einen gewissen Gleichklang, einen gewissen schmaler werdenden Mainstream, den, glaube ich, gibt es schon. Der ist deutlich zu beobachten. Ich sehe da auch eine deutliche Koinzidenz zu einem gewissen Gleichklang in der großen Politik, die keine Opposition mehr hat. Und ich sehe, dass die Medien da auf diesem Weg sehr stark weitergehen.

03:32
Jörg Wagner: Nun, das interessante an Ihrer Studie ist, dass Sie nicht nur eine Bestandsaufnahme machen und eine Analyse anbieten, sondern auch, dass Sie auch Lösungsvorschläge machen. Nennen Sie so zwei, drei wichtige Sachen aus dieser Erkenntnis der Studie “Wir sind das Publikum” – das klingt ja so ein bisschen wie: “Wir sind das Volk!” Was kann man machen, um sozusagen aus dieser ganzen Vertrauenskrise vielleicht herauszukommen?

03:54
Fritz Wolf: Also, der Titel sollte natürlich auch so klingen. Die Lösungsvorschläge … da bin ich, glaube ich, sogar eher schüchtern vorgegangen und eher sehr vorsichtig vorgegangen. Sie richten sich zum Teil an die Sender und an die Journalisten. Auch das ist keine Erkenntnis von mir. Da ist aber festzustellen, dass es tatsächlich eigentlich viel schlechtere Verbindungen zum Publikum gibt, als man so denkt. Die gibt es zwar in Form der Quote. Die gibt es in Form von Verkaufszahlen. Die gibt es aber sehr viel weniger zu dem Publikum als Bürger, als politisch handelnder Citoyen, wenn man so will. Da gibt es sehr viel weniger und da finde ich, können die Sender sehr viel tun. Die Journalisten müssen da auch ihre Arbeit mehr offenlegen. Das ganze Gerede von der Lügenpresse wird nur widerlegbar sein, wenn man genauer weiß und kennenlernt wie Journalisten arbeiten, unter welchen Bedingungen, auch mit welchen Begrenzungen, mit welchen Ideen. Das ist die eine Seite …

04:48
Jörg Wagner: Also mehr Transparenz sozusagen und auch mehr Medienkritik fördern?

04:52
Fritz Wolf: Mehr Transparenz. Mehr Medienkritik. Und ein Punkt, den ich gar nicht groß Fortführen kann, ist das, dass ich gesucht habe nach Mechanismen, die sich vielleicht auf die Medien übertragen können, sich mal damit zu beschäftigen, es gibt auf der Ebene der Stadtplanung, auf der Ebene der kommunalen Politik, auf der Ebene der kommunalen Finanzpolitik durchaus heute viele Möglichkeiten, Bürger mit einzubeziehen und ich finde da könnten die Medien was davon lernen und drittens, ich finde, wir dürfen uns nicht davon abschrecken lassen, dass das Internet und die vielen Trolle im Internet jetzt die hässliche Seite zeigen. Ich finde, man sollte auf das demokratische Potenzial achten und sich nicht davon abbringen lassen, dass in diesen technischen Möglichkeiten auch, ja demokratische Potenz drinnen steckt, die zu entwickeln wäre gegen die Verächter der Medien.

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