Dietmar Köster: Mein Name ist Dietmar Köster. Ich bin Mitglied des Europäischen Parlaments für die S&D-Gruppe und Mitglied im Rechtsausschuss, stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Kultur und Bildung. Und in beiden Ausschüssen haben wir uns gerade mit der Frage des Europäischen Urheberrechtes im digitalen Zeitalter beschäftigt.
Jörg Wagner: Was ist eigentlich aus Ihrer Perspektive als Europapolitiker das Hauptproblem im Urheberrecht gegenwärtig? – Wir feiern jetzt 50 Jahre Urheberrecht in Deutschland. – Und welche Lösungsvorschläge haben Sie, um dieses von Ihnen analysierte Hauptproblem einzukreisen?
Dietmar Köster: Der einfache Grund, warum wir uns damit beschäftigen müssen, besteht darin: die InfoSoc-Richtlinie, die bisherige rechtliche Grundlage aus 2001 stammt aus einer Zeit, wo es noch kein Facebook, kein Google gab und das Internet hat eine so grundlegende Veränderung im Nutzerverhalten bei geistigen Werken geführt, dass wir die Situation haben, dass auf der einen Seite viele Nutzer Urheberrechtsbestimmungen oft unbewusst verletzen und auf der anderen Seite viele Künstler, Kulturschaffende keine Vergütung erhalten. Aufgrund dieser Situation müssen wir zu einer Änderung kommen. Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass es viele rechtliche Unklarheiten gibt. Der Europäische Gerichtshof, nationale Gerichte sind immer mehr gefordert und wir können es nicht den Gerichten überlassen, die Gestaltung des Urheberrechtes in digitalen Zeitalter zu überlassen. Da ist die Politik gefordert und deswegen müssen wir im Europaparlament hier Vorschläge machen, wie wir dies auf den Weg bringen können. Unser Vorschlag ist vor allen Dingen, in den Blick zu nehmen, dass diejenigen, die bisher drohen, die Verlierer zu werden in einer digitalisierten Welt, nämlich die Kreativen, die Kulturschaffenden … sie sind eigentlich diejenigen, die es zu schützen gilt. Urheberrecht ist ja auch ein Stück weit ein Schutzrecht für die Kulturschaffenden und wir wissen, empirisch belegt, dass zum Beispiel die Gruppe der Autorinnen und Autoren über erheblich weniger geringere Einkommen verfügen, als es in der analogen Zeit war und vor Google und Facebook und andere und von daher ist es eine entscheidende Aufgabe, wenn wir vor allem Kultur stärken wollen in Europa, dann brauchen wir Dinge, die wir auf den Weg bringen müssen, wo das Urheberrecht eine Möglichkeit ist, dass die Einkommen stärker umverteilt werden zu Gunsten der Kulturschaffenden. Und wenn wir uns die ganze Wertschöpfungskette angucken, sind es vor allen Dingen – ja ich würde sagen – es sind keine Kommunikationsunternehmen mehr, wie Google und Co., sondern es sind große Werbeagenturen geworden, die darüber ihre Einnahmen generieren. Und diese riesigen Einnahmen, die hier generiert werden, müssen ein Stück weit auf diejenigen umverteilt werden, die bisher am wenigsten von dem Kuchen abbekommen. Wir brauchen, wenn man so will, wirtschaftliche Vernunft, soziale Verteilungsgerechtigkeit auch in diesem Bereich. Und dafür müssen wir uns engagieren. Und ich stehe als Sozialdemokrat auch natürlich dafür, dass das ganze zustimmungsfrei und vergütungspflichtig ist, d.h. wir wollen nicht, dass die User vor allem zur Kasse gebeten werden. Hier müssen wir im Sinne von Demokratie auch ein freien Zugang zu den Informationen ermöglichen. Ich halte auch nichts davon, User zu kriminalisieren. Wir brauchen auch keine Überwachungsinstrumente, um Plattformen zu überprüfen, was immer die Gefahr in sich birgt, dass auch der Einzelne in seinen Persönlichkeitsrechten, in seinen Privatrechten begrenzt wird. Keine verstärkte Überwachung. Das darf auch nicht sein. Und deswegen müssen wir gucken, wie wir eine Umverteilung hinkriegen, Stärken des Urheberrechtes und dass wir die großen Plattformen stärker daran beteiligen müssen.
Jörg Wagner: Sie haben hier auf der Zukunfts-Urheberrechtskonferenz einen Vorschlag präsentiert, der sehr, auf große Zustimmung gestoßen ist, nämlich eine öffentlich-rechtliche Plattform zu installieren, die – ich sage mal – ein Gegengewicht zu den kommerziellen Plattformen im Internet darstellen soll. Ist das jetzt nur mal so eine Idee aus dem Bauch heraus oder gibt es dafür auch tatsächlich praktische Möglichkeiten, es zu tun?
Dietmar Köster: An der Debatte stört mich zum Teil, dass wir uns beklagen über Netflix, die eben Möglichkeiten, die der Markt eröffnet einfach und die digitale Welt einfach nutzen. Und das Beklagen reicht nicht. Ich glaube, wir müssen gucken, inwieweit wir die großen Monopole hier auch gesetzgeberisch im öffentlichen Interesse stärker kontrollieren können und parallel muss man sich Gedanken darüber machen, inwieweit es auch größere demokratische Beteiligungsmöglichkeiten gibt. Und da ist der Gedanke, hier öffentlich-rechtlicher Plattformen zu schaffen, meinetwegen arte plus BBC versuchen hier eine Plattform für den europäischen Film zu entwickeln als Pendant zu Netflix, dann wäre das für mich etwas, worüber wir nachdenken müssen und ich glaube auch, dass der alleinige Gedanke, dass die Zukunft des Urheberrechtes vor allem über den Markt gesteuert werden muss, zu kurz greift. Wir brauchen Marktprozesse. Aber wir brauchen auch ein Gegengewicht. Und den Monopolen können wir ein Stück weit auch dann entgegenwirken, wenn wir auch hier einen öffentlich-rechtlichen Sektor schaffen. Und diesen Gedanken müssen wir innerlich nochmal weiter aus- oder unterfüttern und dann eben gucken, wie solche öffentlich-rechtliche Institution funktionieren kann. Das muss es nicht unbedingt die Institution ZDF oder ARD ein. Da gibt es sicherlich auch das eine oder andere zu diskutieren, aber die entscheidende Frage ist, wie wir eine öffentlich-rechtliche Grundlage schaffen, wo vor allen Dingen auch zivilgesellschaftliche Organisationen und Bürgerinnen und Bürger größere Einflussmöglichkeiten haben. Für mich ist das auch ein Stück weit Stärkung von Urheberrechten, aber auch ein Stück weit der Versuch, diese ganze digitalisierte Welt zu demokratisieren. Und da können öffentlich-rechtliche ein wichtiges alternatives Element sein.
Jörg Wagner: “Öffentlich-rechtlich” ist ja nicht sozusagen ein Alleinstellungsmerkmal von Rundfunkanstalten. Wir wissen ja auch Sparkassen haben einen öffentlich-rechtlichen Status. Aber es stellt immer wieder die Frage der Finanzierung. Gibt es da von Ihnen auch schon eine Idee, wie man das möglicherweise dann auch kommerziell abfedern kann?
Dietmar Köster: Letztlich muss man auch die Frage der Finanzierung klären, aber ich glaube, wir müssen erstmal das programmatisch noch weiter entwickeln und müssen dann eine Bereitschaft in der Politik und auch in der Zivilgesellschaft finden. Das ist ein richtiges Instrument. Wenn man einen politischen Willen hat, so etwas auf den Weg zu bringen, dann bin ich auch der festen Überzeugung, dass es Finanzierungsmöglichkeiten gibt. Also, es kann nicht sein, dass die großen Monopole wie Google und Facebook sich Steueroasen aussuchen und hier ja ein Großteil der Gelder, die der öffentlichen Hand eigentlich zustehen würden, entzogen werden. Das heißt, die Sicherung einer demokratischen und auch Urheber- und Kulturschaffenden schützenden Herangehensweise bedeutet auch, dass wir über Finanzpolitik, über Steuerpolitik diskutieren müssen, um auch die Einnahmen-Seiten des Staates zu verbessern, wodurch dann eben auch neuere Möglichkeiten existieren, solches auch finanziell zu unterstützen. Wir wissen zum Beispiel jedes Jahr entgehen den europäischen Ländern Steuern in Höhe von 1.000 Milliarden Euro durch Steuerhinterziehung, durch Steueroasen. Das muss verhindert werden. Das muss gestoppt werden. Und ich glaube, dass man auch neue Gestaltungsmöglichkeiten hat und dass ist eine klassische europäische Aufgabe, die wir angehen müssen.
Jörg Wagner: Werfen Sie jetzt nur mal so einen Stein ins Wasser und gucken, wie sich so die Wellen verbreiten? Oder haben Sie da auch schon den Rückhalt Ihrer Kollegen oder sogar vielleicht auch Parteigegnern im Europaparlament?
Dietmar Köster: Das müssen wir erste einmal in die politische Debatte einführen. Da gibt es noch keine Beschlusslage drüber und …
Jörg Wagner: Aber so atmosphärisch? Meinen Sie, dass das mehrheitsfähig ist, was Sie da sagen? Oder ist das noch ein harter Kampf und Sie nutzen die Öffentlichkeit, um auch solchen Vortrag vielleicht konsensfähig zu machen?
Dietmar Köster: Ich wollte jetzt erst einmal diesen Gedanken in die öffentliche Debatte einspielen. Ich wollte prüfen, welche Resonanz er findet. Hier auf dieser Fachtagung hat er positive Resonanz gefunden. Jetzt muss ich versuchen, das eben in andere politische Diskussionszusammenhänge in meiner eigenen Partei und auch in den parlamentarischen Beratungsprozess einzubringen. Wir müssen aber auch hier innerlich das entsprechend noch ausfüllen und dann freue ich mich auf diese Debatte. Und letztlich wird es dann darauf auch ankommen, dazu Stimmung zu erzeugen, Akzeptanz zu erzeugen. Und ich glaube, dass es in der Öffentlichkeit eine zunehmende Sensibilität gibt, was die Gestaltung der digitalen Welt betrifft und da können öffentlich-rechtliche Einrichtungen eine positive Rolle spielen und diesen Gedanken möchte ich jetzt weiter nach vorne entwickeln.