Wer: Tabea Rößner, Sprecherin für Medien der Bundestagsfraktion Bündnis’90/Die Grünen
Was: Skype-Interview über ihre Kritik am MDR-Rundfunkrat
Wann: rec.: 11.12.2015; veröffentlicht: 12.12.2015, ab 18:22 Uhr im radioeins-Medienmagazin und in einer gekürzten Fassung im rbb Inforadio, 13.12.2015, 10:44, 15:24 Uhr
Vgl.:
* Die Macht der Politik in den Gremien, Medientreffpunkt Mitteldeutschland 2014
(…)
02:15
Tabea Rößner: Naja, Verfassungsfeind ist vielleicht ein bisschen zu stark in der Formulierung, aber wir sehen mit dem neuen MDR-Rundfunkrat, dass die Staatsferne dort nicht so eingehalten wurde wie vom Bundesverfassungsgericht vorgegeben. Wir haben ein Gremium mit 43 Mitgliedern, 15 Mitglieder sind dem Staat zuzurechnen oder dieser Staatssphäre und damit würde dieser Rundfunkrat den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht entsprechen.
02:45
Jörg Wagner: Aber wenn ich das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahre 2014 richtig in Erinnerung habe, ging es ausschließlich um das Zweite Deutsche Fernsehen. Das war eine Normenkontrollklage direkt, sage ich mal, auf den Fall ZDF gemünzt …
03:00
Tabea Rößner: Nein, das war ein Grundsatzurteil. Es ist am ZDF-Staatsvertrag geurteilt worden, also es gab eine Verfassungsklage wegen des ZDF-Staatsvertrags aufgrund der Causa Brender, aber es ist ein Grundsatzurteil und aufgrund dessen haben viele Länder oder die meisten Länder sogar ihre Rundfunkgesetze oder Staatsverträge überprüft auf die Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht gemacht hat. Und daraufhin gab es auch verschiedene Änderungen: zum Beispiel der SWR-Staatsvertrag wurde verändert, das WDR-Gesetz wird im Moment novelliert, der BR hat das Gesetz … das BR-Gesetz wurde geändert. Das heißt also, es gab viel Veränderung aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts, nur beim MDR nicht. Und das halte ich für sehr problematisch, da gerade der MDR immer wieder aufgefallen ist oder der Rundfunkrat, dass dort versucht wurde, von Staatsseite Einfluss zu nehmen.
04:07
Jörg Wagner: Offenbar haben die Selbstreinigungskräfte beim Mitteldeutschen Rundfunk versagt, weil der MDR-Rundfunkrat sehr wohl das ZDF-Urteil an sich selbst überprüfen wollte. Haben Sie denn eine Erklärung, warum es nicht über diese Absicht hinaus ging?
04:21
Tabea Rößner: Naja, das natürlich immer schwierig, wenn drei Länder sich einigen müssen, ein neues Gesetz oder einen neuen Vertrag auf den Weg zu bringen. Dieser Vertrag ist ja von 1991. Und wenn drei Länder, die auch politisch auch sehr unterschiedlich aufgestellt sind, sich einigen müssen, ist das in der Tat nicht so ganz einfach. Wir haben eine sehr dominante Staatskanzlei in Dresden, also die Sächsische Staatskanzlei hat immer sehr stark versucht, die Geschicke des MDR auch mit zu gestalten und zu beeinflussen, sind sie auch schon mal mit gescheitert. Jetzt haben wir eine rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen. Die haben natürlich auch andere Interessen. Dann ist Rundfunkpolitik natürlich immer auch ein Stück weit Standortpolitik, wie viel Arbeitsplätze werden in den jeweiligen Ländern beispielsweise vorgehalten für den MDR oder die daran hängenden Töchtergesellschaften. Also, das ist eine schwierige Gemengelage. Nichtsdestotrotz sind die Länder in der Pflicht und theoretisch könnte es auch eine Verfassungsklage gegeben, weil die Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts eben nicht eingehalten sind.
05:34
Jörg Wagner: Nun trifft es irgendwie wahrscheinlich dann doch auch noch parallel zufällig zeitgleich, dass der MDR-Rundfunkratsvorsitzende, der frisch gewählte am 8. Dezember, auch noch in Kritik gerät, weil er erst 14 Monate, sagen wir mal “politikfrei” ist und man ihm jetzt eine gewisse Nähe zur Staatskanzlei im Sachsen unterstellt. Bleibt jetzt die Kritik das einzige Mittel, um dort möglicherweise eine Veränderung herbeizuführen? Sie sagten zwar schon, es läuft auf eine Klage hinaus, aber beim ZDF war es ja genau das, dass eine Klage zu stellen, nicht jedem vorbehalten ist. Dazu gibt es in der Juristerei tatsächlich nur “Klageberechtigte”. Wer wäre denn das in diesem Fall?
06:17
Tabea Rößner: Naja, vorab möchte ich vielleicht nochmal eins sagen, der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht stark unter Druck und es ist deshalb umso wichtiger, dass er Glaubwürdigkeit ausstrahlt. Und auch die MDR-Intendantin hatte darauf verwiesen, dass es wichtig ist, glaubwürdig zu sein und insbesondere, wenn Sie jetzt den Vorsitz der ARD-Anstalten hat, ist es natürlich umso wichtiger, dass der MDR eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Gremienzusammensetzung hat, um auch diese Glaubwürdigkeit für die ganze ARD auszustrahlen. Klageberechtigt sind natürlich in der Regel Landesregierungen. Es gibt Verfassungsklagen oder abstrakte Normenkontrollklagen, die auch aus den Parlamenten kommen können. In der Regel sind da aber die Quoren so hoch, dass das unrealistisch ist. Die Frage ist, ob beispielsweise Bürgerinnen und Bürger selber eine Verfassungsbeschwerde einreichen können, weil sie aufgrund der mangelnden Staatsferne sich vielleicht nicht objektiv genug informiert fühlen. Das ist aber ein sehr beschwerlicher Weg und ich glaube, dass es eher nicht zu einer Klage kommen wird und deshalb ist es umso wichtiger, dass die Länder sich da jetzt einigen und einen neuen Staatsvertrag auf den Weg bringen.
07:37
Jörg Wagner: Da sind Sie ja sehr optimistisch, dass sich Länder einfach so einigen?
Tabea Rößner: Naja, ich komme natürlich auch aus der Politik und hoffe, dass es auch politische Kräfte in diesen Ländern gibt, die das einsehen, dass es notwendig ist, Maßgaben von Verfassungsgerichten und zwar vom höchsten bundesdeutschen Gericht umzusetzen. Das ist die Aufgabe und deshalb ist es notwendig, dass sich die Länder da zusammensetzen. Und die Parlamente sind dazu da, um diese auch einzufordern. Ich hoffe, dass es diese politischen Kräfte gibt, dass es den Widerstand gibt. Aber vielleicht muss auch von außen der Druck noch erhöht werden.
Jörg Wagner: … meint zumindest Tabea Rößner. Sie ist die medienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis ‘90/Die Grünen. Vielen Dank.
(wörtliches Transkript)
(Screenshot: Jörg Wagner)
@Schorschel Es war keine Kritik an dem Interview. Es ist gut wenn viel über die ÖR und die Politik dahinter berichtet wird. Schön wäre es gewesen wenn im Interview auf die Widersprüche hingewiesen worden wäre oder nachgefragt worden wäre wie denn so was zukünftig verhindert werden soll.
@Patrick S Wir sind gar nicht so weit auseinander in der Bewertung. Meine Rolle ist es, Öffentlichkeit herzustellen. Dass dabei Widersprüche sichtbar werden, ist, glaube, ich sogar ganz gut. Verschweigen oder Gleichgültigkeit wäre der falsche Weg. Da ich nicht der Sprecher von Frau Rößner oder ein Vertrauter bin, will ich auch über ihre Motive, Kritik zu üben, nicht spekulieren. Mein Ansatz ist seit Jahren, dass diejenigen, die Geld für ARD/ZDF zahlen, einen Anspruch haben, zu erfahren, in welchem Problemumfeld die Produkte entstehen, die sie hören und sehen, in der Hoffnung, dass Analyse, Transparenz, Reflexion diese Welt auch ein bisschen besser macht.
@Schorschel Man darf es ja kritisieren… Aber wenn die eigene Partei das gleiche macht und auch nicht anders machen will dann kann man das kritisieren und es auch für scheinheilig finden. Wo hat denn Frau Rößner die Grüne Politik beim ZDF Fernsehrat oder bei den Rundfunkräten kritisiert wo Grüne „Parteisoldaten“ drin sitzen und die gleiche Politik machen wie die anderen Parteien. Die CDU für was zu kritisieren was ihre eigene Partei auch macht ist für mich scheinheilig. (Besonders wenn sie die „Nominierung Steffen Flaths aufs Schärfste“ Kritisieren wie auf ihrer Seite zu lesen ist)
Ich finde man kann die staatsferene der ÖR eben nicht daran festmachen ob es jetzt 35% oder 30% Politiker drin sitzen. Das ist für mich etwas lächerlich besonders wenn man sich ansieht wie es in der Praxis läuft. Natürlich muss man das Bundesverfassungsgerichtsurteil umsetzen. Aber daraus eine Frage der Staatsferne heraus zu stilisieren ist etwas lächerlich. (besonders wenn es um zwei oder drei Sitze unterschied geht) Als würde die Einflussnahme die ja kritisiert wird aufhören wenn es jetzt 12 Sitze von Parteien/Staat besetzt sind anstatt 15 (von 43)
Formal ist auch die Berufung des CDU Mannes als Vorstandes des Rundfunkrates nicht zu beanstanden… Genauso wie vieles bei den ÖR und bei den Rundfunkräten. Wie gesagt das sind nur Beispiele das eben ALLE Parteien sich nicht um die Staatsferne kümmern. Es ging ja bei dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes auch um einen KULTURWECHSEL… der wird aber NICHT umgesetzt. Auch nicht von den Grünen wie man bei der Intendanten Wahl wieder sah.
Wenn es Frau Rößner wirklich um einen staatsfernen ÖR Rundfunk ginge dann müsste sie für Reformen an der Struktur bemühen und nicht einfach die gegnerischen Parteien kritisieren. Für mich ist das einfach unglaubwürdig.
@ Patrick S Vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich denke, dass eine Politikerin den Einfluss der Politik auf Gremien kritisieren darf, ohne gleich als scheinheilig zu gelten. Sonst wäre ja grundsätzlich parteiinterne Kritik nicht glaubwürdig. Unabhängig von der Parteizugehörigkeit. Frau Rößner hatte ja offenbar ihre eigene Partei bei der Ursache für ein Nichtzustandenkommen eines neuen MDR-Rundfunkrates mit eingeschlossen (ab 4:21). Man hätte sich sicher wünschen können, dass sie stärke Worte findet. Aber selbst Ihnen scheint es egal, ob der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts eingehalten wird, da sie die 35% für marginal halten. Es geht hier schon um das Prinzip. Es gibt Länder, die konnten sich einigen. Beim ZDF sind es einige mehr. Dass sie jetzt noch einen Intendanten gewählt haben, fand ich auch etwas irritierend, aber formal war es in Ordnung. Zumindest die Erklärung des ZDF-Fernsehratschefs ist wohl juristisch nicht zu beanstanden: http://bit.ly/1Q4o1P8
Ich hatte meine Kritik zu Frau Rößner auch schon auf ihrer Seite geschrieben aber dort wird scheinbar nichts freigeschaltet.
Also ich finde die Kritik von Frau Rößner scheinheilig. Die Grünen machen die gleiche Politik wie die anderen Parteien bei den ÖR. Jetzt die CDU dafür zu kritisieren ist einfach den politischen Gegner zu attackieren und hat mit einem staatsfernen ÖR wenig zu tun. .
Die Grünen schicken genauso „Parteisoldaten“ in die Gremien. Da sitzen dann auch Bundesvorsitzende und Landesvorsitzende der Grünen drin. Genauso haben die Grünen bei der Intendantenwiederwahlwahl beim ZDF mitgemacht. Der ZDF Intendant hat noch einen Vertrag bis 2017 aber er wurde jetzt im Jahr 2015 wiedergewählt (auch mit den Grünen) Dies wurde vom „verfassungswidrigen“ Fernsehrat noch schnell gemacht. Der neu zusammengesetzte Fernsehrat nächstes Jahr muss dann bis 2022 mit den Intendanten leben der von dem verfassungswidrigen Fernsehrat noch schnell wiedergewählt wurde.
Generell machen die Grünen bei der Hinterzimmerpolitik der Intendantenwahlen und Staatsverträge mit. Genauso wollen die Grünen ja auch nicht ändern wie die Strukturen der Rundfunkräte und die der ÖR sind. Deshalb ist es auch scheinheilig jetzt sich so darüber aufzuregen. Ob es jetzt offiziell 35% oder 30% Politiker in den Rundfunkräten sitzen macht nicht viel aus. Die Strukturen sind einfach falsch und die Grünen wollen das auch nicht ändern.
Es sagt ja schon viel aus wenn von den Interessen der verschiedenen Länder mit den verschiedenen Regierungen gesprochen wird. Da ist für Frau Rößner ja schon die Normalität… genauso wie für die anderen Parteien. Das zeigt das es keine Staatsferne gibt und nicht das noch 35% Politiker sind und nicht 30%.