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„Wir hätten einen Tag früher einsteigen müssen.“

Daniel Bouhs - Peter Huth
Medienjournalist Daniel Bouhs, B.Z.-Chefredakteur Peter Huth im radioeins-Studio


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Wer:
* Peter Huth, Chefredakteur B.Z., Stellvertreter des Chefredakteurs BILD
* Daniel Bouhs, Medienjournalist
* Jörg Wagner, Medienjournalist
Was: Studiogespräch
Wann: 09.01.2016, 18:25 Uhr im radioeins-Medienmagazin und in einer gekürzten Fassung im rbb Inforadio vom 10.01.2016, 10:44/15:24 Uhr
Wo: Potsdam, rbb Radiohaus, radioeins-Sendestudio

Auch neun Tage nach massenhaften sexuellen Übergriffen in Tateinheit mit Diebstählen und anderen Delikten in der Silvesternacht in Köln sind die Tathergänge immer noch diffus. Es gibt sich widersprechende Zeugenaussagen und Darstellungen der Polizei. Wie recherchiert und informiert man in dieser Lage als Medienvertreter?
Die B.Z. Berlin hatte am 06.01.2016 mit zwei verschiedenen Aufmacherseiten in einer Zeitung für Aufmerksamkeit gesorgt. Zum einen sieht man die Lage nach der Information, die frei im Internet verfügbar ist: „Angriff der Sex-Horden“. Zum anderen nach journalistischer Recherche: „Die Nacht der Schande – Das sind die Fakten“.

Doppelter B.Z.-Titel am 06.01.2016
Doppelter B.Z.-Titel am 06.01.2016

01:07
Jörg Wagner: Wie ist dieses Titelbild oder diese beiden Titelbilder entstanden?

01:11
Peter Huth: Naja also, wir haben uns überlegt, was ist neben den schrecklichen Vorfällen von Köln das Thema. Und an dem Tag war es schon so, dass die Debatte schwer in die Richtung lief, dass die Nachrichtenführerschafft übernommen worden ist von – man kann es durchaus so sagen – hetzerischen Seiten. Das heißt, da sind Kommentare veröffentlicht worden, da ist sehr, sehr schnell eine Faktenlage konstruiert worden oder rekonstruiert worden, die überhaupt gar nicht der Wirklichkeit entsprach bzw. die zu dem Zeitpunkt von nichts untermauert wurde, was die Polizei oder die Behörden gesagt haben. Mittlerweile wissen wir natürlich, dass die Behörden auch nicht die ganze Wahrheit gesagt haben. Tatsache ist, dass spätestens an diesem Tag sich der Eindruck bei den Internet-Lesern, weil sich diese Dinge ja auch über die sozialen Medien relativ schnell verbreitet haben, der Eindruck erweckt haben muss, dass tatsächlich da eine Gruppe von tausend Asylanten zielgerichtet Jagd auf Frauen gemacht haben. Das ist nicht der Fall. Das ist auch nach allen Ermittlungen heute nicht der Fall. Es hat Übergriffe gegeben. Es hat massive Übergriffe gegeben. Es ist sicherlich ein Verbrechen einer neuen Dimension, das muss ich ganz klar sagen, aber das, was da in einem Teil des Internets, der nicht professioneller Journalismus ist, sondern kommentierender oder vielleicht auch ganz klar institutionalisiert rechtspopulistische Inhalte hat, nach oben gespült ist, das mussten wir irgendwie auffangen …

02:26
Jörg Wagner: … aber nach sechs Tagen. Also auch die B.Z., wie das ZDF und auch andere Medien waren sehr zögerlich, über diese Vorgänge zunächst zu berichten und haben damit dann, glaube ich, auch den schnellen sozialen Medien, die unreflektiert einfach Informationen und Desinformation miteinander vermixen ja auch ein bisschen Vorschub geleistet.

Peter Huth
Peter Huth

02:44
Peter Huth: Also, ich habe das gerade schon zu dem Kollegen Bouhs gesagt, das ist tatsächlich … also ich kann nur für die B.Z. sprechen. Und ich muss sagen, wir haben tatsächlich das Thema einen Tag zu spät aufgegriffen. Woran lag das? Das lag daran, dass die Informationen, die tatsächlich kamen noch relativ spärlich waren. Die Kölner Polizei hat in ihrer Lagebeobachtung erstmal gesagt: ‘Nee, da ist überhaupt gar nichts passiert. Das war eine ganz normale Silvesternacht.’ Am nächsten Tag hieß es: ‘es gab da am Hauptbahnhof was, da sind viele Leute zusammengekommen’. Aber die wahre Dimension wurde dann erst in den Tagen darauf so wirklich klar. Natürlich auch durch das Internet bzw. durch die sozialen Medien. Nur das waren halt in erster Linie ungeprüfte Fakten und die sind auch sofort dann dementsprechend, sage ich mal, in einer bestimmten Art benutzt worden und zwar in einer rassistischen bis ausländerfeindlichen und sicherlich islamophoben Art und Weise.

03:31
Jörg Wagner: Daniel Bouhs

Daniel Bouhs: Aber dieser eine Tag Verzögerung sozusagen, von dem Sie eben gesprochen haben bei Ihnen, sicher auch bei anderen, war das jetzt Ihr Fehler? Haben da Nachrichtenagenturen als Transporteure vom Regionalen ins Überregionale versagt? Haben zu wenig Menschen in den journalistischen Einheiten ins Netz geguckt? Woran lag’s denn?

03:51
Peter Huth: Ja, vielleicht ist das tatsächlich so gewesen, dass durch die Wochen … das ist wirklich keine Sternstunde des B.Z.-Journalismus gewesen. Das kann ich auch ganz klar zugeben. Wir hätten einen Tag früher einsteigen müssen. Woran hat das gelegen? Aus verschiedenen Gründen. Sicherlich hat es, wie Sie es gesagt haben, einen Transfer-Fehler gegeben auf dem Weg von den lokalen Medien, also der Express und der Kölner Stadtanzeiger, auch der WDR haben ja direkt praktisch darüber berichtet in den ersten Tagen und das ist irgendwie nicht bei uns angekommen. Also, das tut mir auch sehr leid. Das finde ich sehr schade, weil der Effekt war, dass halt andere die Nachrichtenhoheit übernommen haben in dieser ganzen Angelegenheit. Und um das aufzufangen und um diese Sache einmal die Fakten und auf der anderen Seite, was daraus gemacht worden ist, um das noch einmal aufzufangen, haben wir uns eben entschieden, diese beiden Titelseiten zu machen.

(…) Auszug

(wörtliches Transkript)

(© Fotos: Jörg Wagner; Titelseiten-Faksimile: B.Z.)


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