Mathias Müller von Blumencron: Matthias Müller von Blumencron, Chefredakteur Digitale Produkte, FAZ
Jörg Wagner: Anfang Juni noch in Bilbao bei newsgeist, jetzt hier in Berlin bei den Zahlungsverlegern. Gibt’s eine Erkenntnis, die Sie mitgebracht haben für die Zeitungsverleger aus diesen Gesprächen mit Google?
Mathias Müller von Blumencron: Mit Google ist es wirklich eine interessante Sache geworden. Genauso ehrlich gesagt, wie mit Facebook. Während wir vor drei, vier Jahren wirklich Probleme hatten, an diese Organisation überhaupt heranzukommen und uns fragten, wer hat eigentlich was überhaupt dort zu sagen, ist es mittlerweile so, dass wir sehr eng an die Organisation herangekommen sind, dass wir tatsächlich sehr interessante Gespräche führen und ich glaube, dass beide und auch andere Plattformen wirklich es ernst meinen damit, dass ihnen die Publisher und dass ihnen die Verleger, dass ihnen verlegerische Produkte wichtig sind. So. Warum ist den Organisationen das wichtig, warum ist den Plattformen Journalismus, Redaktion wichtig? Weil sie ganz klar anhand ihrer Nutzungsstatistiken und an der Nutzungsgewohnheit ihrer Leser festgestellt haben, wie wertvoll das ist, was wir produzieren und wie hoch das Interesse der Nutzer an qualitätshaltigen journalistischen Inhalten ist.
01:16
Jörg Wagner: … Weil sie es auch selber nicht können.
Mathias Müller von Blumencron: Sie könnten es. Wenn sie wollten, könnten sie eine New York Times kaufen, können sie Springer kaufen, könnten sie die Verlage dieser Welt kaufen. Sie tun es aber nicht, weil ihnen dieses Geschäft zu kompliziert ist, zu diffizil ist und sie natürlich auch wahnsinnig angreifbar machen würde, weil wir als Redaktion natürlich politische Meinung haben, Haltung entwickeln und diese Haltung erzeugt durchaus Kontroversen und in dieses Terrain wollen sich die Plattformen nicht bewegen. Man sieht wie Facebook unter Druck gekommen ist nur, weil möglicherweise Mitarbeiter an der einen oder anderen Stelle mit einer gewissen Schlagseite ein Produkt kuratiert haben, was noch nicht einmal hundertprozentig feststeht, aber es gab einen globalen Aufschrei. Also, in dieses Terrain – ich glaube, das war auch für Facebook noch einmal so ein Erweckungssignal – in dieses Terrain werden Sie selbst sobald nicht gehen. Trotzdem sind das ja gewaltige mediale Plattformen. Sie sind einfach Aufmerksamkeit-Konkurrenz für uns auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite sind sie ein ganz wichtiges Verteilungsvehikel für uns. Wir kommen an Leser heran, an Millionen von Lesern, die wir auf den klassischen Kanälen des Webs und der mobilen Welt sonst nicht erreichen würden. Also wir sind auf sie angewiesen. Sie sind auf uns angewiesen. Muss ich deshalb eine Liebesbeziehung mit Google oder Facebook pflegen? Nein, bestimmt nicht.
02:43
Jörg Wagner: Das nicht, aber die Gefahr, die ich jetzt einmal ins metaphorische übersetze, ist, dass Facebook, Google Schwarze Löcher sind, die unwahrscheinlich viel Energie ansaugen, wie bei schwarzen Löchern ja üblich, so dass sie das, was sie angesaugt haben nicht mehr loslassen, dass man darin verschwindet, dass also auch die FAZ möglicherweise darin verschwindet als ein News-Anbieter auf einem Marktplatz der Aufmerksamkeiten und dann auch bloß wieder konkurrieren muss zu Nachbarseiten usw. und die eigentliche Zeitungsmarke, die eigentliche Homepage ist dann von geringerer Bedeutung.
03:13
Mathias Müller von Blumencron: Ja. Unsere Homepage, unsere eigenen Präsenzen verlieren ein Stück an Bedeutung und unsere Aufgabe ist es für uns selber, deutlich oder stärker unsere eigene Markenidentität aus den Artikeln, aus unseren Werken zu gewinnen bzw. unsere Werke so zu transportieren, dass dem Leser deutlicher klar ist, wer der Absender ist. Das ist eine ganz große Herausforderung in dieser Distributionskultur, wo nicht ganze, komplexe Werke wie früher eben Tageszeitungen, Magazine usw. verteilt werden, sondern einzelne Artikel, Flugschriften, die dann in einer timeline einlaufen, wo sie neben Marketing-Werken, neben Ausbrüchen und Jubelschreien von irgendwelchen Freunden und Bekannten stehen usw. und da sind wir dann auch. Es macht trotzdem keinen Sinn, in Angst zu erstarren und zu sagen: um Gottes willen, was kann hier alles passieren. Diese Entwicklung ist so. Wir können sie auch nicht aufhalten, sondern die Macht der Distributionsvehikel, der Plattformen ist riesig. Sie sind wahnsinnig attraktiv bei den Lesern. Man kann das den Lesern nicht wieder wegnehmen, den Nutzern nicht wegnehmen. Man kann Facebook den Nutzern nicht entziehen. Worauf wir achten können, und das ist von der politischen Seite her, dass wir mehr Transparenz bekommen, wie wird eigentlich Journalismus, wie wird eigentlich Redaktion, wie werden eigentlich redaktionelle Produkte gewichtet. Algorithmisch. Wir werden es nicht verlangen können von Google, den Schlüsselalgorithmus zu veröffentlichen. Das wäre wie Coca-Cola zur Freigabe der Formel zu zwingen. Dennoch möchte ich mehr Transparenz haben, als wir es jetzt haben. Und es gibt ja entsprechende Initiativen auch im europäischen Parlament, in diese Richtung zu gehen.
05:01
Jörg Wagner: Das haben Sie aber letzten Endes nicht in der Hand. Was Sie in der Hand haben, ist ihren Journalismus, jetzt sprich den FAZ-Journalismus so unverwechselbar zu machen, dass man ihn auch in dieser Atomisierung, in dieser zerteilten Welt erkennt. Also, dass Journalisten zum Beispiel wieder erkennbar werden als FAZ-Journalisten. So wie früher Radiostationen beim Einschalten erkennbar waren: ah das ist jetzt zum Beispiel RIAS Berlin oder das ist der SFB oder das ist ein DDR-Radio seinerzeit, früher. Da wurden Sprecher gecastet, Journalist en gecastet, die genau in dieses Konzept passten. Und ist das eine Überlegung bei Ihnen, die journalistische Persönlichkeit weiter zu stärken?
05:35
Mathias Müller von Blumencron: Die journalistische Persönlichkeit spielt mit Sicherheit eine Rolle, eine stärkere Rolle als früher. Eine journalistische Persönlichkeit kommt ja nicht aus der Luft oder auch gerade es geht hier überwiegend um schriftliche Produkte. Auch da ist es schwieriger eine Persönlichkeit zu entwickeln, als vor der Kamera. Unser Mittel ist die Exzellenz und die Qualität der Berichterstattung. Und damit müssen wir herausragen. Das ist unsere Marke und das ist unser Markenzeichen: eine besonders akkurate Berichterstattung, die durch besondere Unabhängigkeit gekennzeichnet ist und eine davon getrennte, deutlich gekennzeichnete scharfe Kommentierung. Kluge, scharfe Kommentierung.
06:14
Jörg Wagner: Die Kollegen von der Bild-Zeitung versuchen es ja, indem sie ihre Rauhbeinigkeit, die sie ja in den Schlagzeilen schon dokumentieren, dass auch jetzt zu transportieren über zum Beispiel auch Facebook mit Livesendungen, also eigentlich nicht das ursprüngliche Printgeschäft. Ist das tatsächlich so, dass auch Sie darüber nachdenken müssen Fernsehsendungen bei Facebook zu machen?
Mathias Müller von Blumencron: Nein. Nachdenken müssen, tun wir schon gar nicht. Sondern wenn wir nachdenken, dann tun wir das, weil wir es wollen. Und …
Jörg Wagner: Wollen Sie?
Mathias Müller von Blumencron: Und in der Tat gucken wir uns alle Möglichkeiten an, die uns die digitale Veränderung vor die Füße kugelt und gucken: macht das Sinn für uns oder nicht? Können wir dadurch dem Leser etwas besser darstellen, als sie es bisher können? Und das kann auch sein, dass das eine Live Berichterstattung von vor Ort ist. Wir haben hervorragende Videos von den Krisenregionen dieser Welt bekommen, weil wir unsere Fotografen mehr und mehr dazu bringen mit Video zu arbeiten, also nicht nur Bilder abzuliefern, sondern auch Videos abzuliefern. Das ist eine durchaus positive Entwicklung und Wandlung, die dem Leser zugute kommt. Und so versuchen wir auch an anderen Enden zu gucken, was für den Leser und für uns sinnvoll ist. Was wir bestimmt nicht machen werden, ist irgendetwas zu kopieren. Also wir werden nicht ein zweites Fernsehen machen. Fernsehen ist Fernsehen. Und wir machen – und das ist das faszinierende an dieser ganzen Welt – wir machen was Neues, was es bisher noch nicht gab.