Juliane Leopold: facebook ist Betriebssystem für digitales Leben

Juliane Leopold | (Foto: © Jörg Wagner)
Juliane Leopold | (Foto: © Jörg FM Wagner)

Wer: Juliane Leopold, Freie Journalistin und Digitalberaterin u. a. tagesschau.de
Was: Interview über facebook, Google und die Rolle der konventionellen Medien
Wann: rec.: 15.06.2016, 15:06 Uhr;
veröffentlicht in verschiedenen Schnittfassungen: 18.06.2016, 18:37 Uhr im radioeins-Medienmagazin und im rbb Inforadio 19.06.2016, 10:44/15:24 Uhr
Wo: Berlin, Hotel TITANIC Chaussee Berlin, Chaussee Str. 30, 10115 Berlin
am Rande des Kongresses „ZeitungDigital“ von BDZV und WAN-IFRA




(wörtliches Transkript, Hörverständnisfehler vorbehalten)

00:00
Juliane Leopold: Ja, mein Name ist Juliane Leopold. Ich bin freie Journalistin und Beraterin in digitalen Fragen für Verlage oder auch für Webseiten, die journalistische Inhalte anbieten. Ich habe die Social-Media-Strategie unter anderem der Zeit aufgebaut und für Zeit online gearbeitet, auch für die Neue Züricher Zeitung. Dann habe ich Buzz Feed nach Deutschland gebracht, gegründet und seit einem halben Jahr bin ich frei unterwegs.

00:27
Jörg Wagner: Und Sie beraten seit kurzer Zeit auch die tagesschau, also tagesschau.de. Also, die waren ja immer weit vorn, haben die überhaupt Beratungsbedarf?

00:35
Juliane Leopold: Das ist eine sehr gute Frage, denn kurz nachdem ich kam oder es sozusagen verlautet wurde, dass ich kam, kam auch der GIF-Kanal für die tagesschau oder für tagesschau.de. Insofern überholen sie da mich fast schon im Innovationsbereich, aber natürlich bin ich gerne bereit, da mit meiner Expertise zur Verfügung zu stehen und es geht um bestimmte Fragen, die jetzt nicht unbedingt was mit einem animierten GIF zu tun haben, sondern eben eher strategischer Natur sind und ich hoffe, dass ich da helfen kann, ja.

01:09
Jörg Wagner: Es gibt bei der tagesschau so einen Raum, der nennt sich “Hexenküche”. Ich weiß nicht, ob Sie den schon gesehen haben. Da wird tatsächlich ausprobiert, wie könnte die tagesschau von morgen aussehen. Was ist das Hauptproblem gegenwärtig?

01:20
Juliane Leopold: Es geht in erster Linie darum, eine Strategie zu finden, die vielen, vielen tollen qualitativ hochwertigen Inhalte, die die tagesschau produziert im Bewegtbildbereich in das soziale Netz zu bringen und zu distribuieren. Und wir wissen, dass die tagesschau auf facebook sehr erfolgreich ist. Es ist die am stärksten wachsende Nachrichtenmarke dort momentan. Das ist wunderbar, denn facebook, wissen wir, ist ein sehr großer Player in diesem Bereich, aber natürlich gibt es auch andere neue Player, wie Snapchat, auch immer noch YouTube als einen wichtigen Kanal, auf dem gerade die junge Generation ganz zielgerichtet Informationen sucht. Sie benutzen es fast wie eine Suchmaschine in sich. Und es gilt sicherlich darüber nachzudenken, wie auch auf diesen Plattformen die tagesschau relevant sein kann.

02:03
Jörg Wagner: Trial-and-error-mäßig? Oder gibt es da schon ja Entwicklungen, die man voraussehen kann, wo man sagt, wenn man da nicht ist, dann kriegt man die Vierzehnjährigen nicht mehr? Ungeachtet der Tatsache, dass bei Snapchat sich ja alles selbst verstört nach einer gewissen Zeit.

02:16
Juliane Leopold: Wir nennen das ja “ephemere Kommunikation” habe ich gelernt in meiner Recherche: Also, das ist ein bisschen, klingt ein bisschen positiver als sich “selbst zerstörend”. Ich denke, wenn Sie für eine Marke wie tagesschau.de aktiv sind, ist das trial-and-error-Prinzip ein bisschen schwierig. Also, ich erinnere mal an die Diskussion um die App vor ein paar Jahren. Wenn die App selbst auch noch Murks gewesen wäre, sage ich jetzt mal provokativ, dann wäre das Problem in der Diskussion noch viel, viel größer gewesen, als es ohnehin war, auch berechtigt war. Es ist ja klar, es gibt da unterschiedliche Interessen, die da eine Rolle spielen auf dem deutschen Medienmarkt. Insofern wird es trial-and-error geben, vielleicht nicht immer unter der klaren Kennzeichnung, dass man das jetzt macht und für immer machen wird, sondern es wird vieles im Experimentstadium sein, in der so genannten Hexenküche dann auch verbleiben und das, wovon wir glauben, dass es sich eignet und vor allen Dingen auch im regulären Redaktionsbetrieb umgesetzt werden kann, das wird dann auch das Licht der Öffentlichkeit erblicken.

03:20
Jörg Wagner: Das ist alles so vage formuliert, dass ich mich gar nicht weiter traue nachzufragen. Aber wir sind ja nicht umsonst hier beim Zeitungskongress, Zeitungskongress, der sich mehr digital ausrichtet. Als man Sie anfragte, warum hat man Sie eigentlich angefragt, weil, es besteht doch so, Sie deuteten es an mit der App, ja dann doch eher so etwas wie eine ja mehr juristische Beziehung zwischen tagesschau und den Zeitungsverlegern?

03:44
Juliane Leopold: Ja, ich komme ja auch nicht aus dem klassischen Zeitungsgeschäft. Also, ich bin immer Onlinerin gewesen. Ich habe mal angefangen, einfach Dinge ins Internet zu schreiben, sage ich jetzt mal flapsig. Und darüber kamen irgendwann die Verlage, weil sie gemerkt haben, das wird für uns wichtiger. Und im Grunde sind wir immer noch in der gleichen Situation. Es gibt einen großen Medienbereich, der guckt auf das, was da passiert im Netz und staunen und sagt: wir brauchen Experten, die uns helfen da klar zu kommen. Und wie gesagt, bei tagesschau.de gibt es diese Experten schon. Und diese Expertinnen sind es ehrlich gesagt vor allem, die machen einen hervorragenden Job. Ein bisschen um konkreter zu sprechen, ist es natürlich schon so, dennoch sind sie in einer Situation, wo auf der einen Seite die Homepage steht als Monolith. Die Homepage wird diskutiert und Plätze werden diskutiert. Und ich kann Ihnen nicht sagen, wie oft ich in Verlagen stand und Journalisten haben sich die Zähne daran ausgebissen, ob nun ihr Stück der Aufmacher wird oder nicht. Und das ist dann Wissen, was ich mitbringe, dass ich sagen kann, die Homepage wird zunehmend irrelevant. Also, sechs von zehn Leuten sehen deine Homepage nicht einmal mehr. Die kommen über einen Deeplink auf die Seite, sehen vielleicht den Artikel dort oder den Inhalt oder das Video dort und dann gehen sie wieder. Und damit umzugehen, also mit einem System von Inhalten, das nicht mehr im eigenen Universum spielt, sondern eben auf verschiedenen Plattformen spielt und trotzdem konsistent qualitativ hochwertige Inhalte anzubieten und auch die Marke, was auch immer das ist, konstant gut und im Bewusstsein zu halten, das ist es eine riesen Herausforderung. Und ich bin da nicht die Alchimistin, die jetzt den Zaubertrank bringt, aber ich bin, glaube ich, jemand, der sich zumindest auch Medienverhalten da sehr annähert und bereit ist, nach Antworten zu suchen.

05:26
Jörg Wagner: Seltsamerweise, das was Sie sagen, kommt mir sehr vertraut vor, weil es eigentlich auch schon längere Zeit diskutiert wird. Der große Staubsauger ist facebook. Instant aricle gibt es ja auch schon eine ganze Weile. Da hat sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung erst gesperrt, jetzt machen sie doch so ein bisschen halb mit. Das ist ja alles gut. Das kann man machen, dass man auch vorsichtig ist und die Gefahren sucht. Und eine Gefahr ist möglicherweise, dass man atomatisiert wird und dort dann nicht mehr als Marke tatsächlich stattfindet. Aber Sie haben ja interessante Aspekte zum Umgang mit facebook genannt. Also, wie sieht es aus mit der Verweildauer? Und andere Frage noch: ist facebook vielleicht kurz vor der Implosion und andere Plattformen werden interessanter werden? Wie beraten Sie?

06:05
Juliane Leopold: Ich denke, wenn Sie mir diese Frage vor drei Jahren gestellt hätten, hätte ich gesagt, das ist der Fall. Wir haben damals einen starken Abfall auch gerade in der jungen Nutzerschaft gesehen und auch eine Stagnation in der Verweildauer. Das hat sich komplett geändert. facebook hat sich sehr geschickt verhalten. Mit der Akquise von Instagram und von whatsapp hat das Unternehmen dafür gesorgt, einfach weiter frisch zu bleiben und sie haben natürlich das Selbstverständnis komplett geändert. Also, es ist wirklich weg von dem sozialen Netzwerk hin zu eigentlich der Plattform fürs Leben. Auf facebook findet alles statt. Es findet das Nachrichtenverhalten statt, es findet auch social commerce statt oder die Kommunikation mit den Freunden. facebook hat ein valides Interesse daran, niemand mehr von der Plattform herunterzulassen, sage ich jetzt mal.

06:50
Jörg Wagner: Also als Betriebssystem fürs Leben.

Juliane Leopold: Das ist das Betriebssystem für das digitale Leben geworden. Das ist so. Neue Daten zu den Verweildauern sagen, dass der durchschnittliche facebook-Nutzer 50 Minuten am Tag quer über alle Anwendungen verbringt auf facebook. Also facebook, whatsapp und Instagram. Nachrichtenseiten, da sind es 5 Minuten auf den Homepages. Es gibt eine dramatische, dramatische Verschiebung der Machtverhältnisse. Das ist einfach so. Und das nicht zu sehen, ist naiv. Und auch zu glauben, dass facebook da Interesse an einer gleichberechtigten Partnerschaft hat, ist, glaube ich, ein bisschen naiv. facebook wird alles dafür tun am Ende, um ehrlich gesagt auch die outgesourcte Nachrichtenproduktion wieder ins Haus zu holen, weil sie dann einfach kontrollierbarer ist. Und ein Beispiel dafür ist … gut das ist jetzt nicht direkt facebook, was eine Rolle spielt, aber der Fall Gawka, der Fall Peter Thiel – ein Milliardär aus dem Silicon Valley, der viele Technologieunternehmen unterstützt unter anderem facebook und jetzt indirekt dafür sorgt, dass Gawka, ein sehr wichtiger und sehr großer … Blog kann man gar nicht mehr sagen, sondern Publisher in den USA pleite gegangen ist, Bankrott gegangen ist. Das ist schon beunruhigend. Also, wenn wir ein System sehen, wo die Verlage nicht mehr nur abhängig sind von facebook, um die Leute darüber zu holen, sondern am Ende abhängig in der Existenz sind vom Daumen rauf und vom Daumen runter, vom Silicon Valley und von StartUps, dann ist das ein Problem, denke ich, weil es die freie Presse berührt.

08:28
Jörg Wagner: Inwieweit spielt Google in diesem Betriebssystem eine Rolle? Als Konkurrent oder setzen die sich sozusagen mit ihren Zusatzdiensten so parallel als Beiboot neben facebook?

08:38
Juliane Leopold: Ich denke, das ist, ehrlich gesagt … das Korrektiv, was facebook hat momentan, ist Google. Weil es der letzte, zweite große Player ist referral traffic auf die Seiten der freien Presse und der freien Verlage und ich möchte da auch meinerseits nicht naiv erscheinen, natürlich sind auch Verlage immer schon abhängig gewesen von kommerziellen Interessen und auch ihren Werbekunden sozusagen auch pflichtenschuldig gewesen. Das ist ja völlig klar. Aber die große Konzentration, diese Abhängigkeit auf letztlich zwei große Player, nämlich auf Google und facebook, die sehe ich schon als Problem.

09:19
Jörg Wagner: Und dazwischen die öffentlich-rechtlichen und die Verlage, die die falsche Tür bewachen, wie jahrelang gesagt wurde. Möglicherweise wird das jetzt noch klarer? Ist das tatsächlich so, dass Fernsehen zum Beispiel, um ganz konkret zu sein, die tagesschau ein Auslaufmodell ist? Weil die Zahlen sprechen ja immer eigentlich doch dagegen. Jahrelang steigt die Fernsehnutzung, aber alle sagen die Jugend guckt nicht mehr fern. Vielleicht wenn die Jugend dann Kinder kriegt, dann werden sie spießig und gucken wieder klassisch fern.

09:51
Juliane Leopold: Ich denke, was eine größere Rolle spielt, ist das, was wir heute ein paarmal gehört haben, das ist das Thema Marke und Vertrauen und da sagen uns Befragungen über Jahre hinweg stabil, dass tagesschau die Nachrichtenmarke ist, mit dem größten Vertrauen. Und das wird für alle anderen schwierig nachzuziehen in den jungen Zielgruppen. Also, selbst wenn es die Jungen nicht gucken, sie wissen, es gibt es. Und wenn ich wissen will, was in der Welt passiert ist und das seriös wissen will, dann gehe ich halt auf tagesschau.de oder ich gucke sie mir eben an 20:00 Uhr und ich denke, dass wenn es sich ändert, wird es lange dauern bis es sich ändert. Und ich kann nur bestätigen, also ich denke, die Verlage haben da sehr viel Zeit damit verloren, diese, ich sage mal provokativ, Schattenboxkämpfe zu führen aus den achtziger Jahren, wo es dann hieß, vielleicht auch noch die privaten Rundfunkanbieter mit als Player am Tisch zu haben und alle zusammen dann gegen die öffentlich-rechtlichen. Und wie gesagt, ich kann nur sagen von jedem Werbedollar, der 2016 ausgegeben wird, gehen 85 cent, 85 cent an facebook und Google im digitalen Werbebereich. Man kann auch so schön sagen, der Drops ist gelutscht eigentlich, ja? Wenn dein Erlösmodell die Werbung ist, dann sind es nicht mehr die öffentlich-rechtlichen, mit denen du dich auseinandersetzen musst, es sind facebook und Google.








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