Parallelwelten und Medienkompetenz

Thomas Krüger | Foto: © Jörg Wagner
Thomas Krüger | Foto: © Jörg Wagner

Wer: Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks und Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung
Was: Interview über mediale Paralellwelten und Medienkompetenz
Wann: rec.: 26.07.2016, 14:55 Uhr, veröffentlicht in Ausschnitten: Hintergrund, DLF, 29.07.2016, 18:40 Uhr und in gekürzter Fassung: im Medienmagazin vom rbb Inforadio 31.07.2016, 10:44/15:24 Uhr




(wörtliches Transkript)

00:00
Thomas Krüger: Ja, Thomas Krüger, ich bin Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks und Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung.

00:06
Jörg Wagner: Gibt es wissenschaftlich relevante Erkenntnisse, wie sich Kinder und Jugendliche ein mediales Bild von der Welt machen?

00:16
Thomas Krüger: Also, es gibt schon eine Reihe von empirischen Erkenntnissen vor allem dergestalt, dass Kinder qualitativ befragt werden, was bestimmte Ereignisse über die mediale Vermittlung mit ihnen machen. Und es ist mit Händen zu greifen, dass da eine ganze Reihe von Traumatisierungserfahrung tatsächlich stattfinden. Und auflösbar sind die Sachen nur, in dem man als Eltern, als Lehrer mit den Kindern über diese Ereignisse spricht, d. h. Einordnungssicherheiten schafft. Und das kriegen Kinder sozusagen als Angebot sehr wohl mit und gut auf die Reihe. Ansonsten versuchen sie Ereignisse, wenn sie kein Gesprächsangebot haben, selber zu verarbeiten. Und das ist sehr schwer auf einen Nenner zu bringen: das passiert wie überall und mit allen Dingen, bei dem einen Kind so, bei dem andern völlig anders.

01:02
Jörg Wagner: Noch einmal zurück zu der Art und Weise, wie sich Kinder und Jugendliche die Medienwelt erschließen oder die Welt medial erschließen. Welche bevorzugten Informationsräume nutzen Kinder und Jugendliche? Gibt es darüber gesicherte Erkenntnisse?

01:14
Thomas Krüger: Also, Kinder sind überall da, wo Medien neue Formen anbieten. Was man insgesamt sagen kann, ist dass Kinder stärker tendieren zu audiovisuellen Angeboten. Also Kognition, Erkenntnisse, die man gewinnt, passieren nicht mehr wie in der Gutenberg-Galaxis textbasiert oder in klassischen Erklärungmodellen, sondern es ist viel stärker bildgetrieben, es sind bildgetriebene Erkenntnisprozesse, was Vor- und Nachteile hat. Und Kinder, die sozusagen jetzt zu Medien greifen, Medien nutzen, versuchen natürlich die Medien für sich zu nutzen, die diese audiovisuellen Erkenntnisse und Lernprozesse unterstützen und auch Unterhaltung bieten dabei. Deshalb sind sie sehr intensiv auf allen Videoplattform unterwegs, auch selbst als Akteure. Sie nutzen sowas wie Snapchat, für schnelle Kommunikation whatsapp. Eigentlich sind sie immer einen Medienschritt weiter, als wir, die wir uns sozusagen die neuen Medien quasi als Erwachsene aneignen. Also, wenn wir einmal begriffen haben, wie Facebook funktioniert, dann bleiben wir den nächsten fünf Jahren bei Facebook, währenddessen die Kinder nach einem halben Jahr whatsapp für sich entdeckt haben und natürlich sozusagen jedes Medium danach abklopfen, was ihnen am meisten etwas bringt und taugt. Snapchat ist eine reine spielerische, kreative Geschichte, also, was man sozusagen, wie man unter Freunden, was man früher auf dem Spielplatz gemacht hat, sich ein bisschen ärgern, stänkern, kann kleine Wettbewerbe, Kreationen, die über snapchat laufen, Fotos, die man sich gegenseitig schickt, die dann sofort wieder gelöscht werden. Das ist eigentlich auch so ein intermediäres Kommunikationsangebot, was Kinder natürlich für ihren Spaß, für ihre Vorlieben sofort nutzen. Man muss einfach sagen, dass Kinder in Sachen Medien immer uptodate sind, sich jede neue Sache sofort anschauen, ausprobieren, unterwegs sind und was es uns so schwerer macht, eigentlich in Sachen Medienkompetenz, uns immer schon Schritt voraus sind. Und das ist für die Elterngeneration deshalb so schwierig, weil damit ihre Erziehungskompetenzen und auch ihre Autoritäten immer im Rückstand sind. D. h. sozusagen, man muss sich alles das, wo Kinder schon unterwegs sind, erst erarbeiten, um seine Orientierungskraft überhaupt erst zurückzugewinnen und deshalb ist sozusagen dieses, diese ganze Auseinandersetzung mit Medien in der Schule und auch im Elternhaus so kompliziert und schwierig. Wenn Sie einen, meistens Jungen in ihrer Familie zuhause haben, werden Sie mit dem Thema Gaming früher oder später zu tun bekommen und die sind in Sachen Gaming so aufgestellt, dass sie alle Debatten, die in der Öffentlichkeit stattfinden, von Jugendschutzdebatten über die Inkriminierung von so genannten Killerspielen durch Politiker alles sofort untereinander abgleichen, miteinander reflektieren und zum Ergebnis kommen, die haben sowieso keine Ahnung. Meistens stimmt das auch.

04:27
Jörg Wagner: Nun kann ich mich erinnern, dass es immer schon ein Abgrenzen von Jugendlichen gab, dass man sich eigene Kommunikationsräume als Jugendlicher oder als Kind geschaffen hat. In den sechziger Jahren war das das Aufkommen des transportablen Radios, dass man sich dann ja auch aus dem Elternhaus wegbewegen konnte. Inwieweit spielen denn aber – und das war ja auch immer auch das Anliegen auch von Jugendlichen früher – Erwachsen sein zu wollen und dann eben doch auf erwachsene Medien zurückzugreifen, in wieweit spielt denn die Welt der – ich sage mal erwachsende Medien – für Kinder und Jugendliche heute überhaupt noch eine Rolle? Auch um sich aufzuladen in der Bedeutung als jemand, der ja nicht mehr Kind und Jugendlicher sein will, sondern ja auch dazugehören will zu den Erwachsenen?

05:10
Thomas Krüger: Ja, das ist vielleicht die entscheidende Medienrevolution, die zur Zeit stattfindet, dass eigentlich die Medien die Erwachsene nutzen, komplett an Attraktivität verloren haben für Kinder. Schauen Sie sich an: die Tageszeitung als wichtiges Medium, der Hörfunk, das Fernsehen – das sind für Kinder heute alles alte Medien. Das sind nicht Medien, die Geschwindigkeiten aufnehmen, die nicht die Individualisierung bei den Medien-Rezeptionen aufgreifen … das sind sozusagen … alles das, was neue Medien und neue Kanäle eigentlich leisten, leisten die alten Medien nur indirekt oder nur mit viel zusätzlicher Mühe und sie sind immer Kopie und nie Original. Und das ist … das macht es sehr schwierig, weil wir sozusagen in unseren Lebensverbünden, in den Familien nicht mehr dieselben Medien konsumieren und die Nachrichten, die transportiert werden über die unterschiedlichen Medienkanäle auch eine unterschiedliche Konnotation und unterschiedliche Assoziationsräume schaffen. Wenn ich stärker bildbasiert wahrnehme, dann ist es was anderes, als wenn ich Nachrichten oder Kommentare oder Meinungstücke und Reportagen in einer Zeitung lese. D. h. die Bilder erzielen letztendlich eine andere Wirkung und haben auch einen Nachrichtenwert, aber ich rede nicht mehr über dasselbe und das macht es so schwer heute, wenn Eltern mit ihren Kindern, wenn Lehrer mit ihren Schülern reden, weil dieser Generationsbruch, der da ist, der spiegelt sich heute in also zwischen den alten klassischen Medien und den neuen Medienangeboten dramatisch wieder und führt auch zu einem, wenn man so will, zu einem strukturellen Missverständnis zwischen den Generationen. Und das sozusagen zu begreifen als Eltern und nicht zwingend festzuhalten an den alten Medien, sondern sich mit den neuen Medien wirklich zu beschäftigen, halte ich für das Gebot der Stunde. Eigentlich geht es nicht darum, Kinder medienkompetent zu machen, sondern es geht darum die Erwachsenenwelt medienkompetent zu machen.

07:18
Jörg Wagner: Was machen whatsapp, Snapchat, Periscope in Krisensituationen mit Kindern und Jugendlichen, wenn sie ungefiltert auch, Situation miterleben, die – ich behaupte mal – vielleicht von Erwachsenen leichter weggesteckt werden können?

07:34
Thomas Krüger: Das ist in der Tat so, dass Kinder in diesen neuen Medien voll unterwegs sind und die Wucht der Bilder sie natürlich erreicht und natürlich Verstörung, Traumatisierung usw. auslösen. Das, was wir als Erwachsene in einer Nachrichtenwelt, die sozusagen auf jahrzehntelange Erfahrung zurückblickt, die Einordnungswissen nachsichzieht, haben, haben Kinder eben nicht. Sie sind klein. Sie haben noch nicht so viel Erfahrung gesammelt und brutale Bildwelten, also auch die, die in Echtzeit passieren und die real auf die Kinder einströmen, führen zu großer Verunsicherung, zu Ängsten, zu Traumatisierung sogar und das schwierige ist eben, dass Kindern einen Ansprechpartner in diesen Situationen fehlt, weil viele diese neuen Medien und diese Bildwelten eben nicht oder nur indirekt wahrnehmen. Und das ist eben sozusagen die große Herausforderung. Wenn solche Ereignisse passieren, müssen eigentlich Lehrer, Eltern, alle, die als Multiplikatoren ja eine Orientierungskraft haben und diese auch einsetzen sollten, eben auf Kinder zu gehen, mit Ihnen über das Rezipierte, das Gesehene, das Erlebte zu reden, um tatsächlich sowas wie Einordnungsunterstützung oder Orientierungsunterstützung zu geben und damit auch Ängste zu nehmen. Also, wir haben das immer wieder diskutiert bei dem Einsturz der Twintowers. Das wird ja dann in den Nachrichten in Endlosschleifen wiederholt. Du siehst ist pro Stunde die Flugzeuge x mal in die Türme rasen und das sozusagen zu verarbeiten, ist ganz schwierig für Kinder und da brauchen sie eben tatsächlich Diskurs, Angebote, face-to-face-Kommunikation. Und wenn man sie mit Medien allein lässt, dann denke ich, unterlässt man auch das, was man eigentlich als Aufgabe an Eltern und Lehrern hat vorsätzlich. Und das darf nicht sein. Deshalb müssen wir uns als erwachsene Generation mit diesen neuen Medien, mit diesen Bildwelten beschäftigen und eben das Gespräch suchen, Angebote unterbreiten, reflektieren. Wir werden nie mit Verbotspädagogik zum Ziel kommen. Das wird einfach nicht klappen. Zum Glück auch sind diese Zeiten vorbei. Aber was Kinder erwarten und nicht immer artikulieren, ist, dass sie das Gespräch, den Dialog, die Reflexion über das, was sie erleben suchen. Selbst wenn sie es nicht zugeben, sie brauchen das und alle Erkenntnisse, die wir aus solchen qualitativen Befragungen haben, deuten eigentlich in diese Richtung. Und das ist eigentlich überhaupt nicht mehr umstritten in der Medienwirkungsforschung. Was sozusagen umstritten ist, ist wie Medien direkt ja auf Handeln von Kindern Einfluss haben. Und da streiten sich die Geister bis heute. Ich gehöre da eher zu denjenigen, die auf keinen Fall Pauschalurteile fällen, weil wir wissen von Kindern, für die ja Medienwirkung in tatsächlich Handeln … also verändertes Handeln induziert. Wir wissen aber auch von Kindern, die sehr wohl wissen, das Medienwelten und Realität ihre Unterschiede haben und dass es sozusagen zur Souveränität des eigenen Handelns gehört, diese beiden Welten voneinander zu abstrahieren.

11:04
Jörg Wagner: Aber, Sie haben auch gesagt, dass Kinder meist oder Jugendliche einen Schritt den Erwachsenen voraus sind. Inwieweit haben Sie denn Erkenntnisse darüber, dass vielleicht auch Kinder, Jugendliche Erwachsenen helfen können, diese mediale Welt zu verarbeiten, die sich ja dann durch Social-Media-Elemente seltsamerweise dann auch wieder finden dann auch in herkömmlichen Medien. Also, man sieht dann ja auch Originalaufnahmen aus dem Netz. Und wie weit sind auch Kinder und Jugendliche in der Lage sozusagen Fälschungen zu erkennen oder auch zu sagen, das ist ja, ich sag mal, gar nicht so grausam, weil ich ja durch meine Killerspiele eine gewisse Immunität habe. Während Du, Papa vielleicht das zum ersten Mal siehst, aber wir ballern uns ja täglich ab.

11:45
Thomas Krüger: Ja, das ist eine sehr spannende Geschichte. Nehmen wir einmal ein ganz einfaches Beispiel. Es gab sozusagen vor einigen Jahren eine heftige Diskussion über die sogenannten Skripted-Reality-Formate im Fernsehen, also d. h. sozusagen, es wird eine Serie vorgespielt, die so tut, als wenn das sozusagen alles ja …alles improvisiert mit Laien usw. ist, aber alles, jeder Dialog ist auf jedes Komma ist durchgeschrieben, gescripted und das wurde sozusagen von den Jugendschützern als gefährliches Format an die Wand gemalt. Man hat dann irgendwann die Kinder oder die Jugendlichen befragt, ob sie das denn durchschauen dieses Format und auch die … die Art und Weise, wie diese Sendungen gemacht sind und die übergroße Anzahl hat das komplett durchschaut und decodiert. Und deshalb dürfen wir uns nichts vormachen. Also viele dieser Medienformate werden von den allermeisten, allerdings nicht von allen Kindern und Jugendlichen durchschaut. Und Unterstützungsleistungen und Reflexionshilfen sind natürlich besonders da angebracht und angezeigt, wo Kinder eben nicht souverän mit diesen Angeboten umgehen, wo sie tatsächlich irritiert, traumatisiert oder auch verstört auf solche Angebote reagieren. Für uns als erwachsene Generation gehört es dazu, eben diese neuen Formate und die Diskussion darüber aufmerksam zu begleiten und eben nicht in Alarmstimmung zu verfallen, sondern tatsächlich das Gespräch, den Austausch zu suchen und selber erstmal zu begreifen, was geht da eigentlich ab bei diesem oder jenem Format. Und wenn man sich die politischen oder … oder auch die sozialwissenschaftlichen Diskussionen, die von den einen oder anderen Akteuren, die dann immer wieder interviewt werden zu Computerspielefragen usw. anschaut, hat man den systematischen Eindruck, dass es da eigentlich nur um Warnungsrhetorik, um Alarmismus geht, aber nie wirklich begriffen wird, was in diesen Medien stattfindet, also im Grunde genommen ist sozusagen ein Shooterspiel, das sagt die Forschung ganz breit heute … das ist so wie früher Einkriege spielen. Und sozusagen ein … ein Effekt, der von einem Shooter auf eigenes Handeln feststellbar ist, ist nur in sehr wenigen Fällen als Verstärkereffekt, also nur als Verstärkereffekt einer Grunddisposition, die sowieso da ist, festzustellen. Und das aber nicht bei allen. Die meisten können das komplett voneinander trennen, reflektieren das auch. Sie diskutieren das vor allem mit ihren gleichaltrigen Leuten in den jeweiligen peer groups, aber eben nicht mit den Eltern und Erwachsenen, weil die verstehen ja sowieso nichts. Das ist immer sozusagen der Punkt, auf den man in dem Zusammenhang wieder stößt. Und das finde ich eigentlich relativ dramatisch, weil wenn wir uns angucken, wie Bildung heute stattfindet, das Wissen von einer Generation in die nächste weitergegeben wird und das eigentlich ein Rüstzeug fürs Leben ist, sozusagen stößt man immer wieder auf diese Leerstelle und dieses Defizit der Medienbildung. Medienbildung ist nicht strukturiertes Unterrichtsfach. Es sollte eigentlich querfeldbeet reflektiert werden von Lehrern. Aber in Deutschland kannst Du heute Lehrer werden, ohne dich auch nur ein einziges Mal mit dem Medienthema zu beschäftigen. Und ich finde, das geht gar nicht. Also, man kann ja, wenn man in die Landschaft guckt, feststellen, dass sehr viele Bemühungen von Landesmedienanstalten zum Beispiel in Sachen Medienkompetenz ergriffen worden sind. Es gibt Medienkompetenzzentren. Es gibt Bildungsserver usw. Aber was auffällig ist, ist, dass diese Sachen immer ja quasi outgesourced werden, d.h. sie werden sozusagen organisiert als Angebote und ich kann als Lehrer im Zweifel trotzdem so tun, als wenn es die Sachen nicht gibt. Das heißt, meine Routinen, das von mir Erprobte und Erlernte einsetzen, ohne dass ich mich auch nur einmal mit diesem Thema beschäftige, weil das machen ja diese Medienkompetenzzentren. Und das ist sozusagen ein kapitaler Irrtum. Man muss die Personen, die vor den Schülern stehen im Unterricht, die müssen sozusagen durch diese Schule durch und sich mit diesen Medienbildungsfragen beschäftigen, um überhaupt ja Ansprechpartner, ansprechfähig für Kinder und Jugendliche zu sein. Und das Gebot der Stunde ist eben die Kurrikula der pädagogischen Ausbildungsberufe so zu verändern, dass es verpflichtende Leistungsnachweise für Lehrer gibt. Kein Biologielehrer, kein Deutschlehrer, kein Englischlehrer darf die Ausbildung … darf auf die Schüler losgelassen werden, wenn er sich nicht mit diesen Medienfragen ausführlich beschäftigt hat. Also, da bin ich auch als Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks dezidiert der Meinung, ein Lehrer darf die Universität nicht verlassen, wenn er nicht verbindliche Leistungsnachweise in Medienbildungsfragen, medienpädagogischen Fragen erbracht hat und dieses auch dokumentiert ist. Ohne solche Leistungsnachweise darf man einfach die Leute nicht in die Schulen, auf die Kinder loslassen.

17:10
Jörg Wagner: Nun haben Sie ja mit der Bundeszentrale für politische Bildung auch ein Instrumentarium, um … ja auszugleichen durch Angebote. Inwieweit machen Sie das? Was haben Sie da möglicherweise auch an Ressourcen?

17:23
Thomas Krüger: Also, wir haben in den letzten Jahren sehr viel in diesem Bereich unternommen. Es gibt Plattformen, die wir zielgerichtet für ältere Multiplikatoren entwickelt haben. Die Seite kinofenster.de ist ein filmschulisches Angebot, wo jeweils ein aktuell in den Kinos laufender Film mit pädagogischem Material vorgestellt wird, so dass man dazu auch was im Unterricht machen kann. Wir haben eine eigene Seite über Computerspielespiele spielbar.de, die sich sowohl an User als auch an Eltern, als auch an Lehrer richtet und entsprechende Angebote unterbreitet. Wir überlegen zur Zeit, wie wir Infrastruktur im Medienbildungsbereich insgesamt schaffen können. Aber der entscheidende Punkt ist, was machen wir denn mit den Kindern und Jugendlichen? Und da ist sozusagen das Stichwort “Partizipation” das erste Gebot. Wir haben zum Beispiel im Bereich der Rechtsextremismusprävention mit sogenannten Peers zusammengearbeitet, die YouTube-Videos hergestellt haben. Diese Aktion ist sehr stark kommuniziert worden. Die Beteiligung findet also sozusagen auf zwei Ebenen statt; einmal, indem man kommentiert, diskutiert in den Kommentarkanälen der YouTuber, die ja für einen selber die großen Stars sind. Und unser Projekt war im Grunde genommen … also wir würden sozusagen … als Erwachsenengeneration würden wir sagen … das sind cover versions zu einem bekannten Rapperhits gewesen. Der ist von Blumio, einem Düsseldorfer Rapper komponiert und getextet worden. “Hey Mr. Nazi” heißt der Song und andere bekannte YouTuber wie “albertoson”, wie “die Außenseiter” wie “LeFloyd” haben eben ihre Varianten dazu ins Netz gestellt und dann diskutieren die unterschiedlichen Anhänger und communities über das Thema Rechtsextremismus, über Vorurteile, wie man mit Vorurteilen umgeht und das sind sehr lebendigen Diskussionen. In der zweiten Ebene des Projektes wurde die Community aufgerufen, selber eine cover version herzustellen. Und es haben sich Hunderte von Leuten beteiligt. Und es gab natürlich … es ist als contest ausgelobt worden. Man konnte dann eben sozusagen als Gewinner, von einer Jury gekrönter Sieger eines solchen … einer solchen cover version eben diese YouTube-Leute selber kennen lernen, mit denen reden usw., sich austauschen. Und in der dritten Phase des Projekts sind wir dann offline gegangen, nämlich auf Rock Festivals, wo wir dieses Projekt vorgestellt und rückgespielt haben. Und Sie glauben … Sie glauben es nicht, die Leute kannten das Ding. Die waren alle da unterwegs. Auf den Seiten hat’s gebrummt innerhalb von dreieinhalb Wochen viereinhalb Millionen Abrufe und Downloads, innerhalb von dreieinhalb … in der kalten Jahreszeit und die Kampagne hat sich weiter entwickelt und weitere reproduziert und das verrückte an der Geschichte ist, dass sozusagen in keiner Regionalzeitung, überregionalen Zeitungen, in keinem Hörfunkangebot, in keinem Fernsehangebot ist überhaupt zur Kenntnis genommen worden, dass es so eine Aktion gab. Also heute würde man, wenn die Regierung eine Initiative ergreift, eine Kampagne gegen Vorurteile gegen Rechtsextremismus macht, würde man in jeder Tageszeitung was lesen darüber, wie diese Kampagne vorgestellt worden ist, welche Teile sie hat usw. Diese Sache haben wir halt nur im Netz laufen lassen. Es ist tatsächlich kein einziger Bericht darüber erschien. Und das ist … das zeigt sozusagen, wie sie segregiert mittlerweile Medien voneinander laufen. Wie segregiert Medien-Welten zueinanderstehen. Das heißt, man nimmt gar nicht gegenseitig wahr, wo man unterwegs ist. Ich glaube, das ist sozusagen die große Herausforderung, mit der wir uns beschäftigen müssen. Wir haben zum Thema Islamismus auch ein solches YouTube-Format entwickelt und haben da als erste peer auf eine beauty-Bloggerin zurück gegriffen, weil wir uns überlegt haben … ja, wenn wir bei jungen Muslimas ansetzen, kriegen wir vielleicht zu subkutan die Auseinandersetzung mit der Religion Islam anders angetriggert und in die Szene eingespielt, als wenn wir sozusagen mit der Tür ins Haus fallen. Sondern wir haben uns ganz stark auf … auf peers konzentriert, die eine eigene Glaubwürdigkeit haben. Und Hatice Schmidt, die ist mit einem Deutschen verheiratet, die ist 21 Jahre, eine bekannte beauty-Bloggerin hat eben Begriffe des Islam erklärt. In Erklärvideos und Dialogvideos. Und das hat dann sozusagen durchs Netz seinen … seinen Lauf genommen und natürlich kamen auch die Salafisten. Und natürlich kamen auch streng gläubige Muslime, die widersprochen haben, die gesagt haben, das ist in Wirklichkeit ganz anders gemeint. Aber wir haben zum erstmal überhaupt eine kontroverse Diskussion hingekriegt, wie sie in der Öffentlichkeit so gar nicht stattfindet, sondern da hast Du immer nur den Islam und das zweite Bild, was dazu erscheint, ist der Terrorist sozusagen, aber diese ganze Bandbreite, die vielen Spielarten des Islam, der Religion des Islam und auch seine … seine gesellschaftstiftenden Funktionen, die kommen eigentlich sozusagen eher nicht vor in der öffentlichen Debatte, aber in diesem Netz-Projekt hat das gut geklappt und es ist nicht kontroverslos abgegangen, aber es ist eben auch innerhalb relativ kurzer Zeit … gab es über 600.000 Seitenabrufe von diesen Videos und Lehrer, die davon erfahren haben, haben händeringend darum gebeten, dann Arbeitsmaterial noch zu zu bekommen und das ist sozusagen dann unsere Strategie aus solchen Projekten die Übersetzung in pädagogische Formate hinzu bekommen. Also Sie sehen, wir sind in diesem Feld unterwegs. Wir sind selber Anfänger müssen viel ausprobieren. Aber ohne Partnerschaften, ohne Lernpartnerschaft mit denjenigen, die man erreichen will, geht gar nichts. Also man muss sich sozusagen auf diese Medienwelten voll einlassen und man muss die Kompetenzen der Leute aufnehmen und ernst nehmen.

23:24
Jörg Wagner: Wer ist eigentlich genau in der Pflicht, wenn es darum geht, also auch diese Parallelwelten zu überwinden? Also d. h. einerseits Erwachsene in den Diskurs mit Jugendlichen zu zwingen, sage ich mal, dass sie eben schneller angeschlossen sind an die mediale Entwicklung, andererseits auch Kinder und Jugendliche vielleicht zu interessieren für das, was wir herkömmliche Medien nennen, denn irgendwann, das zeigt ja auch die Erfahrung, wenn man dann vielleicht Kinder kriegt und zu Hause bleibt und den Fernseher entdeckt, dann ist es auch vielleicht ganz gut, wenn man schon ein bisschen vororientiert ist.

23:55
Thomas Krüger: Ja, also ich glaube, in der Pflicht sind zu allererst diejenigen, die ständig mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Und das sind zwei Gruppen: zum einen die Eltern und zum andern die Lehrer. Und das Riesendilemma ist, dass du heute Lehrer werden kannst in Deutschland, ohne dich auch nur einmal verpflichtend mit den Medien und Medienkompetenz-Fragen zu beschäftigen. Das heißt also in den Kurrikula der Ausbildung von Lehrern kommt nicht zwingend Leistungsnachweise in medienpädagogischen Fragen vor. Und das muss sich ändern, damit Lehrer überhaupt wieder in der Lage sind von Medien zu verstehen, die sie selber gar nicht nutzen. Und dasselbe trifft eigentlich auf die Eltern zu. Die Eltern, die Autorität haben, die ihren Kindern Orientierung geben, Perspektive geben, die ihn ein wichtiger Ratgeber sind, die müssen auch sich mit den Medien ihrer Kinder, die ihre Kinder nutzen deshalb beschäftigen, um überhaupt noch satisfaktionsfähig zu sein, um überhaupt ernst genommen zu werden von Kindern. Kinder nutzen sozusagen immer die Medien, die am neuesten sind, die am spannendsten sind, womit man was ausprobieren kann. Kinder tendieren dazu, Medien auch interaktiv zu nutzen, d.h. also etwas mit ihnen anzustellen. Und währenddessen wir eigentlich mit Medien aufgewachsen sind, die eher passive Rezeption von Tageszeitung bis hin zum Fernsehen bedeuten. Heute ist es so, dass sich diese Medienwelten voneinander absetzen, unterscheiden. Medienwelten existieren nebeneinander her ohne, dass man irgendetwas wahrnimmt. Wir haben selber in unserer Arbeit in der Bundeszentrale genügend Erfahrungen damit gesammelt. Und unterm Strich muss man einfach sagen, braucht es für die Kinder Ansprechpartner. Und diese Ansprechpartner müssen sich mit den neuen Medien beschäftigen. Um es auf den Punkt zu bringen: nicht Kinder brauchen Medienkompetenzausbildung, sondern Eltern und Lehrer brauchen Medienkompetenz-Ausbildung, damit sie überhaupt ihre klassischen Funktionen wie Orientierung geben, Wissen vermitteln, einsetzen können.

26:06
Jörg Wagner: Das hieße, die Kultusministerien sind dafür verantwortlich? Oder wen könnte man da gezielt sozusagen auch in die Pflicht nehmen?

26:14
Thomas Krüger: Die Kultusministerien bzw. die KMK muss sich Gedanken machen, wie man in den Ausbildungsgängen der pädagogischen Berufe zwingend medienpädagogische Leistungsnachweise einbaut. Das ist eigentlich Gebot der Stunde und diese Aufgabe liegt eigentlich schon lange auf dem Tisch. Passiert ist bisher eben nur da etwas, wenn ein Bundesland gesagt haben: wir … wir wollen dort mehr tun als bisher. Aber es gibt keine flächendeckenden, verbindlichen Verabredungen der Länder in diese Richtung. Und deshalb finde ich, muss da was passieren.








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