BDZV-Kongress: Günther H. Oettinger

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„Ihr Geschäftsmodell ist in Gefahr!“

Was: Rede, Zeitungskongress
Wer: Günther H. Oettinger
EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft
Wann: 26.09.2016, 15:03 Uhr
Wo: Berlin, bcc


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(wörtliches Transkript, Hörverständnisfehler vorbehalten)

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Lieber Herr Präsident Dr. Döpfner, verehrter Herr Präsident Heinen, der Ehrenpräsident. (unverständlich) aus Luxemburg, lieber Herr Wolff, Verlegerinnen und Verleger, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich bringe Ihnen die Grüße der Europäischen Kommission und meines Präsidenten Jean-Claude Juncker. Und ich bin sehr gerne hier. Verlage und Verleger von Zeitungen, Zeitschriften, von Büchern, Fachbuch, von Wissenschaftsbüchern, von Produkten, die informieren, zuvor recherchieren und danach kommentieren, werden in unserer Gesellschaft gebraucht. Es mag ja nach dem Zweiten Weltkrieg so gewesen sein, dass damals die Lizenz von Briten und Amerikanern eine Zeitung herauszugeben, das Recht zum Gelddrucken gewesen war. Aber heute sehe ich die wirtschaftliche und kulturelle Lage genauso wie sie von Herrn Döpfner beschrieben worden ist.

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Ihr Geschäftsmodell ist in Gefahr. Wir leben in einer digitalen Revolution und der entscheidende Faktor ist, dass die digitalen Technologien eine Wanderung begonnen haben durch alle Sektoren von Wirtschaft und Gesellschaft hindurch. Der Filmsektor ist digitalisiert. Der Mediensektor wird gerade digitalisiert. Der Bankensektor, der Versicherungssektor, der Mobilitätssektor der gleiche Fall. Wir gehen von 80-90 % aller Arbeitsplätze, Produkte, Produktionsformen und Dienstleistungen, die digitalisiert werden in diesen Jahren aus. Und deswegen ist vermutlich die Veränderung, in der Sie seit wenigen Jahren und heute und in den nächsten Jahren stehen stärker als jede Veränderung, die in den letzten 60, 70 Jahren Ihren Sektor, Ihre Arbeitsplätze, Ihre Produkte und auch Ihre Perspektive betraf. Industrie 4.0 greift eigentlich zu kurz.

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Vielleicht ist der Begriff ähnlich wie Energiewende, Kindergarten und german angst – ein Weltbegriff. Aber es geht um Wirtschaft, um Gesellschaft 4.0. Es geht um Buchhandel 4.0. Es geht um Information 4.0. Es geht um Zeitung 4.0. Jetzt kann man die Frage stellen, braucht es überhaupt noch eines Verlags? Oder ist nicht der Blog zwischen Journalist und Leser und User ausreichend, ist nicht selfpublishing die Zukunft? Ist der Buchverlag noch notwendig? Ich meine, dass Blog und selfpublishing sich entfalten darf, aber, sie ergänzt und nicht sie ersetzt. Und deswegen die erste Frage ist: welchen Wert haben Sie in einer Demokratie mit Meinungsfreiheit, einer Bildungsgesellschaft, einer Gesellschaft, wo es um Information für Wahlen, für Berufsentscheidung und für den inneren Frieden geht? Und ich glaube, trotz Blog und trotz selfpublishing, Sie sind notwendig. Der Verleger, der Qualitätsjournalismus garantiert, Ausgewogenheit, Vielfalt erreichen will, der Arbeitsplätze schafft und erhält und damit in die Zukunft durch Auszubildende und durch Aufstiegsmöglichkeiten in Redaktionen, in Zukunft investiert, wird auch in Zukunft notwendig sein. Das heißt, die erste Frage beantworte ich klar: wir brauchen in der Europäischen Union, in Deutschland, auf nationaler, auf regionaler und lokaler Ebene weiter den Verleger für Zeitschriften, für Fachbücher, für Magazine, für Zeitungen.

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Die zweite Frage ist, wie wird die Technik, wie man lesen, hören, sehen kann in Zukunft aussehen? Und da gebe ich auch hier Herrn Dr. Döpfner recht. Die Zeitung aus Papier stagniert und der Wachstumsmarkt wird online sein. Nun haben wir in den letzten Monaten gründlich geprüft, wo kann die Europäische Union dabei eine Aufgabe wahrnehmen? Und ich sage das bewusst in Berlin, weil Berlin vielleicht heute europaskeptischer ist, als es Bonn vor Jahren und Jahrzehnten gewesen war. Brauchen wir mehr Europa oder brauchen wir weniger Europa? Ich behaupte, wir brauchen nicht mehr Europa per se. Wir sollten Sektor für Sektor, Aufgabe für Aufgabe prüfen und dann entscheiden, was die richtige Ebene für Gesetzgebung, Regulierung, Finanzierung, für die Aufgabenwahrnehmung ist. Und da komme ich zum Ergebnis: Außenpolitik, Verteidigungspolitik, Sicherheitspolitik, Nachbarschaftspolitik, Entwicklungspolitik, Vermeidung der Flüchtlinge des Jahres 2025 kann kein Mitgliedsstaat für sich allein. Nur wenn Europa mit einer Stimme gegenüber Syrien, Irak, Ägypten, Libyen, nur mit einer Strategie gegenüber Erdoğan, Putin und sogar den Amerikanern spricht, haben wir Autorität. Deswegen will ich unsere größte europäische Volkswirtschaft und ihre Vertreter in Wirtschafts- und Medienpolitik bitten, gehen wir gemeinsam den Weg, dass mehr Europa uns im äußeren, in der Nachbarschaft für die Aufgaben außerhalb der EU stärker machen kann und 28 fragmentierte Silos nicht die Zukunft sind.

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Zweitens: wir haben einen Binnenmarkt. Unser Binnenmarkt ohne Protektion, ohne Zölle, ohne Abschottung ist ein Glück für den Export-Standard, der Deutschland ist. Sie können in Rüsselsheim, in Köln, in Sindelfingen, in Dingolfing, Ingolstadt, Wolfsburg Autos herstellen, die werden einmal geprüft und zugelassen und dann bauartgleich nach ganz Europa exportiert, nein transportiert in den gemeinsamen Binnenmarkt. Und so wie wir einen Binnenmarkt für Waren und Güter haben, für Autos und Maschinen haben, für Bankdienstleistungen haben, wir haben noch keinen digitalen Binnenmarkt. Die Fragmentierung in 28 Silos ist ein großer Nachteil für den Startup von Berlin, aber auf auch für jeden anderen, der mit 28 Datenschutzregeln umgehen muss und der im Grunde genommen die USA mit ihrem Binnenmarkt für 330 Millionen Menschen als großen Vorteil sehen kann. Wir streben den digitalen Binnenmarkt an, haben die Vision einer Digital-Union: einmal eine europäische Datenschutz-Grundverordnung, einmal cyber security europäisch standardisiert. Die fünfte Generation vom Mobilfunk grenzüberschreitend ausgerollt. Robotik, Sensorik, Photonik, Aktorik, Mikroelectronics, Nano Electronics, Quantum Technology, europäische Forschungsprojekte für die kein Mitgliedsstaat und keine Unternehmung allein finanzstark genug ist, um gegenüber Südkorea, China, den USA zu bestehen.

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Und auch bei Ihnen wollen wir einen europäischen Binnenmarkt – denn nur der wird ein entscheidender Beitrag für fairen Wettbewerb, für ein Level Playing Field sein. Bei Industrie 4.0 kommt ein Industriesektor, die Kreativ-Wirtschaft oftmals zu kurz. Wir haben eine vielfältige, europäische, kreative Industrie. Mit unserer europäischen Vielfalt und Idee ist verbunden: Gesang und Film, Musik, das Thema Literatur und das Thema der Tagesinformation, der Zeitung. Eine Vielfalt, die gerade in Deutschland durch Sie in allen Regionen geprägt wird und die für Vergangenheit, Geschichte, für Gegenwart und hoffentlich auch für Perspektive einer Informations- und Bildungsgesellschaft und damit für die stabile Demokratie, für unsere Kinder und Enkelkinder bestehen kann.

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Die kreative Wirtschaft hat Menschen, die arbeiten darin: der Komponist, der Drehbuchautor, der Buchautor, der Filmregisseur, die Schauspielerin, der Schauspieler, die Musiker und die Sänger, die Journalisten, die recherchieren, informieren, kommentieren und auch die Verlage gehören dazu. Im analogen Bereich ist es klar. Wer etwas gekauft hat, etwas erworben hat, etwas erarbeitet hat, dem gehört es. Paragraph 929 BGB. Eigentum berechtigt, verpflichtet auch, aber berechtigt es zu nutzen, es zu verkaufen, es zu vermieten, aber die Eigentumslage ist klar. Piraterie ist nicht erlaubt. Download kostenfrei, ohne dass der, der (es) erarbeitet hat, etwas vergütet bekommt, kann nicht die Zukunft sein. Und wenn wir es ernst meinen mit der Kreativwirtschaft von morgen, dann muss dort, wo kreativ gearbeitet wird, etwas ankommen. In dieser Wertschöpfungskette ist derzeit eine Schieflage sich verstärkend erkennbar. Am Ende der Pipeline: der Pirat, Download kostenfrei und Advertising, Werbeeinnahmen durch Onlineplattformen, die inhaltlich nicht arbeiten, aber immer mehr von dem verdienen, was an Werbung um Information und kreative Produkte herum möglich ist. Und wenn am Ende der Pipeline nichts erbracht wird, kommt am Anfang nichts an. Dann werden wir auch in 50 Jahren noch auf Helene Fischer und Udo Jürgens angewiesen sein. Nicht schlecht. Aber wer auch Sänger und Sängerinnen und Schauspieler und Regisseure und Drehbuchautoren und Journalisten und Verleger von morgen will, muss erreichen, dass diese Lücke geschlossen wird: value gap, dass eine faire Vergütung stattfinden kann: fair remuneration. Und dafür brauchen Sie eine Rechtsposition. Die haben Sie derzeit, Sie als Verleger noch nicht. Wer Tonträgerhersteller ist, wer Filme produziert, wer Rundfunk veranstaltet, wer also in einer vergleichbaren Position, wie Sie ist, hat diese Rechtsposition. Und sie zu schaffen durch Art. 11 unseres Copyright-Pakets ist unsere jetzige Überlegung der Europäischen Kommission. Ich habe dazu meine Kolleginnen und Kollegen, was nicht leicht, einfach war überzeugt. Ich danke Ihnen für die Mitwirkung durch Verbände in den Mitgliedsstaaten, die im Gespräch gewesen sind. Wir haben jetzt einen Gesetzgebungsvorschlag vor wenigen Wochen erarbeitet, ‘Copyright-Paket’ genannt, indem es zum einen für die Kreativwirtschaft um die Schließung des value gap geht und für die Verlage um ein publishers right.

(Beifall)
… eine eigenständige Rechtsposition, die nicht in Euro und Cent Ihnen schon Einnahmen garantiert, aber die Sie auf Augenhöhe bringt. Auf Augenhöhe bringt und die Onlineplattformen an den Verhandlungstisch bringt und zwingt, damit man faire Vergütungsregeln finden kann, gegebenenfalls vor Gericht sie einklagen kann und daraus eine Perspektive in der Online-Welt für Ihre Verlage und damit für Ihre Arbeitsplätze in Verwaltung und Redaktion entstehen kann. Soweit so gut.

12:24
Dieses Level Playing Field hat mit Ihrem Recht der Verleger zu tun. Es geht um einiges mehr. Der Google-Fall, die Google-Fälle wurden erwähnt, das Thema Steuerrecht und Steuerehrlichkeit, weswegen der Apple-Fall von Dublin durch die Kommission vorangebracht so wichtig ist. Uns geht es um einen fairen Wettbewerb zwischen Europäern und zwischen Europäern und Nichteuropäern. Onlineplattformen wie YouTube, wie Google, wie Amazon, wie Facebook sind bei uns erlaubt, erwünscht, ihre Dienste werden geschätzt. Aber wer im europäischen Markt Daten erhebt und Dienste leisten will, muss unsere Spielregeln beachten, sofern es europäische Spielregeln gibt.

(Beifall)

13:16
Hier der europäische digitale Binnenmarkt und hier einmal die europäische Datenschutzgrundverordnung, einmal digitales, modernes europäisches Urheberrecht – sind zwei Seiten einer Medaille. Nochmals: wer bei uns digitale Dienste anbieten will, Download ermöglichen will, Werbeeinnahmen bekommen will, ist dazu bei uns gerne gesehen. Wenn er unsere Spielregeln akzeptiert und deswegen schaffen wir ein europäisches Copyright nicht gegen YouTube, sondern für alle, die bei uns tätig sind. Und wir glauben, dass die Marktmacht Europas, EU 28 mit 510 Millionen Menschen, die Schweiz, der West-Balkan, Norwegen, Island, Liechtenstein, Ukrainer assoziiert noch für lange Jahre groß genug ist, dass niemand, keine Onlineplattform aus den USA oder aus Asien auf diesen Markt verzichten will. Wer aber diesen Markt braucht und anstrebt, muss die Regeln kennen und beachten, die bei uns in diesen Jahren geschaffen werden und für Europäer und Nichteuropäer richtig und wichtig sind. Es wird gefragt, ja warum macht Europa die Wagenburg? Stimmt doch nicht. Wir machen Regeln entlang unserer Kultur. In Deutschland werden in Dingolfing und München, in Sindelfingen und in Ingolstadt schnelle Autos gebaut. Wir akzeptieren und wir sind im Export in die USA sehr stark, dass dort ein Tempolimit gilt. Das ist deren Kultur. Freie Fahrt für freie Bürger wäre uns vielleicht lieber, aber wir akzeptieren, dass schnelle, sichere Autos dort in einen Markt gehen, wo das Tempolimit vielleicht markterschwerend wirkt. Und trotzdem ist die Autorität für die Gesetzgebung in D.C. sowie für die europäische Technik-(unverständlich) die Gesetzgebung in Brüssel, Luxemburg und Strasbourg stattfinden muss. Ich finde, eine faire, partnerschaftliche, transatlantische, Veranstaltung.

15:18
Dann wird gesagt: 20 Jahre sind viel zu lang. Wir haben dies gründlich überlegt, weil im deutschen Leistungsschutzrecht nur ein Jahr stand und steht. Wir glauben aber, dass eine Zeitung einen Tageswert, eine Tagesaktualität hat. (Das) wurde mit dem T Shirt gerade eben für Nachmittag schon hinterfragt. Aber Ihr Archiv, d.h. die Recherche des Jahres 1999, des Jahres 2010, des Jahres 2016 bleibt wichtig auf den Weg ins nächste Jahrzehnt. Deswegen wollen wir, dass für Ihre Mitarbeiter, für Ihre Redaktion, für Ihre Journalisten die Arbeit über den Tag hinaus werthaltig bleibt, nicht nur eine Eintagesfliege ist, sondern 20 Jahre im Archiv Ihre Recherche, Ihre Daten und Fakten, Ihnen zustehen. Eigentum verfällt nicht um Mitternacht. Eigentum für 20 Jahre scheint mir eine gerechtfertigte Zeitspanne entlang der Bedeutung von Zeitgeschichte und Archiven digitaler Art dafür zu sein.

(Beifall)

16:31
Wir erleben in diesen Tagen, dass die Debatte über das Thema Dateneigentum, generell digitales Eigentum erst begonnen hat. Der Deutsche Juristentag hat sich einen Tag damit beschäftigt. Zum Beispiel ist Facebook wirklich unentgeltlich oder muss man, wenn man nicht in Euro und Cent und Dollar bezahlt, schon mit Daten bezahlt von einem entgeltlichen Vertragsverhältnis ausgehen, das für die Datenrückgabe und für Haftungsfragen ganz andere Folgerungen hat, als es für eine unentgeltliche, also (eine) Art geschenksmäßige Leistung ist? Wir stehen erst am Anfang. Und wir brauchen am Ende ein digitales bürgerliches Recht. Ich bin davon überzeugt, wir brauchen ein digitales BGB. Ein digitales Schuld- und Sachenrecht, aber bitte am besten auf europäischer Ebene. Wir legen dazu vor Jahresende mit unserer Kommunikation der Data Economy, Free Flow of Data entscheidende Fragen und erste Überlegungen für eine europäische eigentumsrechtliche Regelung für Daten aus Sensoren, aber auch von Menschen im Speicher Ihnen allen vor.

(Beifall)

Wir brauchen mehr Europa in der digitalen Welt. Die digitale Union kann die Antwort auf die Herausforderungen für Ihren Sektor und für die Kreativwirtschaft insgesamt sein.

17:56
Meine Damen und Herren, jetzt brauche ich Sie! die Reaktion in der Kommission war, nachdem wir hart gearbeitet haben gut. Jetzt geht’s ins Parlament und (in den) Rat. Wir schlagen vor, Parlament und Rat verabschieden. Das sind die beiden Kammern. Das ist der europäische Bundestag und eurpäische Bundesrat. Mir fällt auf, dass in Deutschland die Arbeitsweise von Bundestag und Bundesrat aus dem effeff von allen beherrscht wird. Mir fällt auch auf, dass kaum einer in Deutschland weiß, wie man im europäischen Bundestag und europäischen Rat arbeitet. Meine Bitte ist, kommen Sie und blicken Sie nach Brüssel. Meine Bitte ist, reden Sie mit Ihren Kollegen und Kolleginnen im europäischen Verband. Wir brauchen Mehrheiten im Parlament. Wir brauchen Mehrheiten im Rat. Ich brauche Frau Grütters. Ich brauche Herrn Maas. Ich brauche die Kanzlerin. Ich brauche Abgeordnete im Parlament, in dem es auch Beraten gibt. Übrigens Stichwort ‘Beraten’. Wir haben da eine ganz eigenartige Hochzeit. Die beraten die, (die) kostenlos an alles herankommen wollen, verbünden sich mit den Großkapitalisten von Silicon Valley, wollen deren Gewinnmaximierung garantieren, damit im Grunde genommen dazwischen nichts mehr ist. Eine eigenartige Veranstaltung. Und wir glauben, dass Piraterie nicht geht, dass Inhalte für jeden zugänglich sind, aber Vergütung auf der Wertschöpfungskette die Regel, die Pflicht sein muss.

19:30
Ein bisschen Sorge mache ich mir – bei allem was an Redaktionsstatut und Freiheit besteht – über die Reaktionen. In den Tageszeitungen Print war sie positiv. Besten Dank auch für Ihre Stellungnahme, die war klar. Aber in vielen Ihrer Häuser haben Sie Offline- und Online-Redaktionen. Und bei den Onlinern war die Reaktion relativ negativ. Nicht Zensur ist gefragt, aber Überzeugung, Argumente. Und nicht allein hier, wie es (durch) Herrn Döpfner überzeugend geschah. Wenn Sie nicht als Geschäftsführer und Geschäftsführerinnen, als Verlegerinnen und Verleger in den nächsten Wochen kämpfen vor Ort, regional und lokal, dann haben Sie ein Zeitfenster für Ihre ökonomische und damit kulturell-demokratische Zukunft versäumt. Nicht die Erbschaftssteuer-Meldung, die publishers right, das Verlegerrecht, ist für Sie viel viel wichtiger. Solange aber nur die Erbschaftssteuer bei allen eine Horror-Vorstellung ist und morgens um sieben beim Duschen im Mittelpunkt steht und das Thema publishers right scheinbar Berlin, Herrn Wolff, Herrn Döpfner überlassen wird, werden wir in der Fläche zu wenige sein.

Schwärmen Sie aus und reden Sie über die Ausgewogenheit, das Level Playing Field, das für Ihre Verlage und Ihre Arbeit von morgen unentbehrlich ist, wenn Sie nicht überrollt werden von dem, was von den Onlineplattformen und deren Kapitalkraft und Datenübermacht längst besteht!

(Beifall)

21:06
Meine Damen und Herren, ich bin dankbar, dass das Thema Schule und damit Informationsverhalten von Kindern und Jugendlichen bei Ihnen heute eine Rolle spielt. Wir müssen uns kritisch fragen, ob denn in unserer gelebten Demokratie, unserer Gesellschaft, die aus mündigen Bürgern bestehen muss in der Bildung, Erziehung und Informationsvermittlung alles zum Besten steht. Große Sorge mache ich mir, dass die Freiheit der Presse in einigen europäischen Ländern hinterfragt wird: Ungarn, Polen, Griechenland seien genannt. Große Sorgen mache ich mir, dass für viele Menschen in der Welt das tägliche Medium überhaupt nicht mehr die Regel ist. Und ein Wahlkampf, wie er in den USA stattfindet, der wäre so in Deutschland noch nicht möglich. Gott sei Dank. Aber er zeigt die Veränderung, nein den Verfall von Bildung und Information in der Breite und Mitte der Bevölkerung. Eine Entwicklung, dass 5 % der Bevölkerung optimal informiert sind, auch viel zahlen dafür und dass 50 % mäßig bis saumäßig informiert sind und der Rest gar nicht mehr, kann nicht die Zukunft für Demokratie, für Pluralismus, für Globalisierung, für Marktwirtschaft sein. Dann würden Potentaten, dann würden Populisten und Nationalisten (ein) leichtes Spiel haben. Der Populist hat einfache Fragen und stupide Antworten. Und die Differenziertheit und Komplexität unserer Gesellschaft geht nur dann gut, wenn die Menschen sich Zeit nehmen und Angebote haben: in der Schule, im Elternhaus, in der Arbeitswelt – Medien und Information auf einem guten, demokratischen und vielfältige Niveau. Sich darum Sorgen zu machen, ist entlang der Entwicklung auch bei uns, aber primär außerhalb dringend notwendig.

23:06
Meine Damen und Herren, das europäische Projekt ist erstmals in Lebensgefahr. Auch hier brauche ich Sie. In Lebensgefahr, weil viele Mitgliedsstaaten nicht mehr ausreichend wettbewerbsfähig sind. Weil einige über ihre öffentlichen Verhältnisse gelebt haben. Und die Einsparung unpopulär ist. Europa wächst seit (dem) Jahrtausendwechsel im Schnitt um 1,1 %. Die USA wachsen seitdem um 2,2 % im Schnitt. Wo steht denn geschrieben, dass die USA, eine reife Volkswirtschaft, kleiner als wir, doppelt so schnell langjährig wächst, wie wir: die Europäische Union. Wir haben Länder in Rezession, Länder in Stagnation. Und wenn Wachstum, dann eher bei 1 % als bei 3 %. Und auch Deutschland lebt nicht mehr auf dem Pfad der Wettbewerbsfähigkeit. Wir haben als kranker Mann vor 13 Jahren reformiert. Agiert, reagiert und reformiert. Agenda Politik. Heute Mütterrente, Rente mit 63, Betreuungsgeld. Heute kein Fracking, keine Stromkabel, die man sieht, Kernkraft abgeschaltet, Kohle längst auf dem Abgesang. Wir glauben, wenn wir zwei weitere Strom-Steckdosen im Schlafzimmer installieren, erhöht (das) die Versorgungssicherheit. Wir lehnen Industrielärm und Zumutung ab und wollen im Grunde genommen, dass im Romantiktal Deutschland jeder nach einem langen Studium direkt in die Frührente gehen kann. Ein Romantiktal, das so auf Dauer gegen Asien und die USA nicht bestehen kann. Wir brauchen einen Ruck durch unsere Gesellschaft. Der Zeitgeist weht derzeit in Richtung, die völlig verfehlt ist.

24:46
Europa war einmal der die Welt prägende Kontinent. Noch haben wir 7 % der Weltbevölkerung. Noch sind wir für ein Viertel des weltweiten Bruttosozialprodukts verantwortlich. Noch sind wir der einzige Kontinent, der bei aller Vielfalt kooperiert. Noch schauen viele Bürger der Welt mit Respekt auf unsere Kultur. Aber wir sollten vermeiden, dass Europa das Museum der Zukunft für die Welt von morgen wird. Wir sollten Innovationstreiber bleiben. Wettbewerbsfähig bleiben wie wir sind. Und werden, wo wir es nicht mehr sind. Wir sollten uns mehr zumuten. Wir sollten über die Rente mit 70 sprechen. Weiterbildung ist dafür notwendig. Aber der Lebensweg kann nicht in 30 Jahre Ruhestand führen. Und ich will, dass Sie die Medien parteiübergreifend und objektiv hierfür eine treibende Kraft sind. Raus aus dem deutschen Romantiktal! Hinein in harten Gegenwind, auf dem Weg zu mehr Anerkennung im globalen Wettbewerb. Bei allem Respekt vor meiner Kanzlerin, vor unserer Kanzlerin, Frank(-Walter) Steinmeier, vor Herrn Schäuble, vor Herrn Gabriel … deren Autorität in der Welt hat viel mit ihrem Intellekt, Fleiß, ihrer Erfahrung, ihrem Können zu tun. Aber nicht nur. Dass die Kanzlerin, dass Herr Steinmeier, Schäuble, Gabriel in der Welt so angesehen sind, wie sie es sind, hat entscheidend mit der ökonomischen Stärke, mit der Innovationskraft, mit dem Engineering, mit der wirtschaftlichen Potenz Deutschlands, die hinter ihr stehen zu tun. Unsere Autorität in der Welt, ist nicht durch Waffen geprägt. Gott sei Dank. Unsere Autorität hängt von (der) Überlegenheit der Wirtschaft im Wettbewerb ab. Unsere Exportstärke ist dafür der Ausdruck Nummer eins. Den zu verspielen, hieße Autorität insgesamt zu verspielen. Den zu erhalten, heißt im Frieden stark zu bleiben und die Welt von morgen ein bisschen im europäischen Team zu ordnen und nicht allein amerikanisch, asiatisch in die Zukunft für Kinder und Enkelkinder zu gehen.

27:08
Ich finde, die Welt von morgen darf nicht von Europa dominiert werden, aber Europa muss mehr als das Sandwich zwischen Washington D.C. und Peking in 20, 30, 40 Jahren sein. Darum geht es. Da geht es um kluge Regeln der Politik. Da geht es um Mut der Menschen. Da geht es um Unternehmertum. Da geht es um gute Bildung und bei all dem spielen Sie eine Schlüsselfunktion als Arbeitgeber, aber auch als Meinungsbildner für die Generation von morgen. Ich wünsche Ihnen auf diesem Wege weiter viel Erfolg und sage gerne zu, dass bei mir drei Papierzeitungen, solange ich lebe und nicht dement bin zu meiner täglichen Nahrung, neben einem Glas Wein und neben Brot und Butter gehört. Besten Dank.

(Beifall)


(Foto + Video: © Jörg Wagner)







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