00:05
Paul Kirchhof: Also, mein Name ist Paul Kirchhof. Ich bin Senior-Professor der Universität Heidelberg mit dem Schwerpunkt Staatsrecht und Steuerrecht. Und ich bin ehemaliger Verfassungsrichter.
00:17
Jörg Wagner: Nun haben Sie einen Auftrag bekommen von der ARD, etwas zu prüfen, wo man denken könnte, dass die ARD selber genug hochkarätige Juristen hat, um diese Lage einschätzen zu können, aber mir wurde gerade versichert, dass ist ein so hochkomplexes Thema und es gibt so viele unterschiedliche Rechtsauffassungen dazu, mich würde interessieren, wie Sie sich diesem Problem genähert haben, weil Transparenz ist ja offenbar nicht gleich Transparenz.
00:40
Paul Kirchhof: Es ist in der Tat ein besonders anspruchsvolles Thema. Einerseits ist Transparenz das Lebensprinzip des Rundfunks, wie auch der Presse. Man möchte das, was hier geschieht, in diesem Staat, in dieser Wirtschaft, in dieser Kultur sichtbar machen für die Öffentlichkeit und man wollte Urteilskraft organisieren, Kritikfähigkeit organisieren. Andererseits ist man jetzt als Transparenzmittler auch Gegenstand des Transparenzanspruchs geworden. Also man möchte gerne, dass man vieles mehr an die Öffentlichkeit gibt als bisher. Und das ist eine verfassungsrechtliche Frage. Einmal entspricht es dem Rundfunkauftrag. Der Rundfunkauftrag ist ganz wesentlich geprägt von der Idee der Freiheit für diejenigen, die Rundfunk machen oder die Presse machen. Und da ist eines der wesentlichen Inhalte dieser Freiheit, dass derjenige, der einen Text macht, der eine Sendung macht, darüber entscheidet, wann ist diese Publikationsreife? Muss ich mich noch verbessern, kann ich es noch etwas eleganter, etwas interessanter machen? Das entscheidet nicht derjenige, der draußen steht und sagt, ich möchte etwas wissen, sondern das entscheidet derjenige, der in seiner Person, mit seinem Namen verantwortlich ist, für das, was er tut. Und diese Balance, es sind zwei sehr grundsätzliche Prinzipien, einerseits auch die Öffentlichkeit der Kontrolle des Rundfunks, andererseits aber die unverzichtbare Eigenverantwortlichkeit des Rundfunks für das, was er tut:
Er kann nicht eigenverantwortlich sein, wenn er fremdbestimmt ist. Dieses auszubalancieren und dann auszubalancieren für einen Rundfunk, der öffentlich-rechtlich durch Beitrag finanziert ist, also der nicht an den Markt geht und sieht sich bestätigt, weil jemand die Zeitung kauft, sondern der weiß, ich liefere mein Angebot an eine unbestimmte Öffentlichkeit – das kann ich gar nicht kontrollieren, soll ich auch nicht kontrollieren – und also muss ich ein Finanzierungsinstrument haben, dass dieser unbestimmten Öffentlichkeit entspricht. Das ist der Beitrag. Daraus ergeben sich natürlich besondere Transparenzverpflichtungen, wie auch bei der Verwendung beim Staat der Steuererträge. Da wird dann über die Verwendung im Parlament entschieden im Haushalt. So gibt’s hier auch Transparenzverpflichtungen und die sind gegenwärtig in besonderer Weise ausgeformt. Der Rundfunk ist dem Landesgesetzgeber jeweils verantwortlich, auch in seinen Finanzen und darüber wird öffentlich berichtet, jedenfalls mit den allgemeinen Zahlen. Er wird in der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit streng von dem jeweiligen Rechnungshof geprüft, dass da nicht Verschwendung stattfindet oder Torheiten. Er hat die Einmaligkeit. Er muss seinen Finanzbedarf prognostisch selber definieren und einer KEF, einer unabhängigen Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten darlegen und diese überzeugen. Und die machen dann dem Gesetzgeber eine Empfehlung und er ist intern, auch durch Mitentscheidung, nicht nur durch Kontrolle durch den Rundfunkrat, durch den Verwaltungsrat gebunden.
Das heißt, er gibt einen Teil der Rundfunkverantwortung an ein Gremium, wo die Menschen ehrenamtlich tätig sind, also nicht erfahrene und geschulte Journalisten, sondern ehrenamtlich tätige, die sich um den Rundfunk kümmern und das ist, glaube ich, ein Grad der Intensität der Transparenz gegenüber den Gremien, der selten ist. Also, ich wüsste keine Institution in Deutschland, die so intensiv in dieser Weise wegen ihrer Finanzierung kontrolliert wird. Und das alles zusammen zufügen und da auch die Kultur des Maßes wirken zu lassen … das Verfassungsgericht hat gesagt, jetzt allein für die Gremeintransparenz im ZDF-Urteil, was nur ein Urteil ist für die Rundfunkgremien, nicht für die Publikumsöffentlichkeit, es muss ein Ausgleich geschaffen werden einerseits zwischen der öffentlichen Kontrolle und andererseits für die Funktionsfähigkeit der Gremien. Also, wenn ich jetzt im Rundfunkrat eine zukünftige Sendung diskutieren würde, das gibt’s zwei Alternativen und der Rundfunk ringt darum, welche Alternative er senden will und dann würde das bereits öffentlich über den Verwaltungsrat, weil der öffentlich tagt, dann wäre natürlich die Entscheidungsfreiheit weg gegeben. Dann wäre es ja bereits bekannt. Ich kann die Sendung so machen. Ich kann sie anders machen. Also, ich glaube, die Frage ist sehr anspruchsvoll. Sie ist in wesentlichen Teilen sehr neu.
05:07
Ein ganz wichtiges Beispiel ist, nach heutiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterliegt der öffentlich-rechtliche Rundfunk dem Wettbewerbs- und Kartellrecht. Nach der Verfassungskonzeption ist er gerade ein Unternehmen, dass nicht auf Erwerbswirtschaft angelegt ist. Also, das ist sozusagen die Gewinnmaximierung im Wettbewerb um den Kunden soll gerade für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der andere Gesetzmäßigkeiten hat, damit eine andere Rundfunkfreiheit hat als etwa der sonstige Presse- und sonstige Medienmarkt nicht gelten. Und jetzt sagt aber der BGH: es gilt das Medienrecht. Und dann darf ich den Preis für einen Gesprächspartner im Sport nicht nennen, vorher nicht nennen und nachher nicht nennen, weil ja der Preis die Ungewissheit sein soll, die durch das Marktgeschehen dann beantwortet wird. Wenn ich von vornherein sage meinem Konkurrenten, hört mal her: ich habe den Preis 100 – das sind dann Absprachen, die kartellrechtswidrig … also auch Informationen können den freien Markt nicht nur vereinbaren, auch Informationen können den freien Markt beeinflussen, dann ist das problematisch.
06:08
Jörg Wagner: Aber wenn ich Sie ganz kurz unterbrechen darf, private Anbieter, kommerzielle Anbieter geben ja zumindest im Nachhinein Auskunft, wenn sie z. B. eine Aktiengesellschaft sind, was denn möglicherweise das eine oder andere Spiel gekostet hat. Warum kann die ARD das nicht?
06:22
Paul Kirchhof: Ja, also die geben … die müssen teilweise, wenn sie eine Aktiengesellschaft sind, oder teilweise … wir haben ja auch Sender, die in Großbritannien sitzen, die haben da teilweise, was die Finanzen angeht, nur was die Finanzen angeht, harschere Publikationsverpflichtungen. Das sind unterschiedliche Kulturen, je nachdem, ob das ein Unternehmen ist, das erwerbswirtschaftlich ist, das sich daran misst, habe ich am Ende ein Jahresgewinn erzielt oder ob man weiß, ich habe durch den Beitrag ein bestimmtes Budget, das kann ich auch nicht steigern und dann muss ich mich eben in diesem Budget bewegen. Also, da gelten andere Gesetzmäßigkeiten. Aber wir haben ja jetzt eine Rechtssprechung, die man kritisieren kann, dass auch die Information über die konkret gezahlten Honorare im Nachhinein nicht zulässig sind, weil sie eine Information sind über den nächsten Wettbewerb … also, wenn ich wieder einen Moderator im Sport gewinnen will, ich weiß, ich habe da 100 gezahlt, dann ist ziemlich sicher, dass ich jetzt nicht 200 bieten will. Also, da ist eine Wettbewerbssensibilität, die richtig ist für den normalen Wettbewerb, die unser erachtens für den Rundfunk ganz verkehrt ist.
07:27
Nehmen wir mal an, da ist jetzt ein Wissenschaftler, der hat etwas ganz großes erfunden, sitzt auf dem ganz hohen Ross, ist ganz teuer. Da sagen die Privaten, nee also das ist mir zu teuer. Dafür gebe ich kein Geld aus. Aber der öffentlich-rechtliche Rundfunk sagt, also diese epochemachende Erfindung verändert unser Leben und darauf will ich meine Hörer und Leser vorbereiten und deswgen bin ich bereit, da dieses Superhonorar zu bezahlen, ist das ein Verhalten, das dem Rundfunkauftrag entspricht. Das ist nicht zu beanstanden, obwohl es wirtschaftlich nicht sonderlich sparsam ist, aber es ist eben ein anderer Auftrag. Dann sagt er: gut, ich biete dafür zwei Krimis aus der Retorte, die kommen nochmal, dann spare ich 100 und diese 100 nehme ich noch, um diese Einmaligkeit der Sendung zu finanzieren. Das soll möglich sein. Dafür ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk abgabenfinanziert. Und nicht marktfinanziert.
08:21
Jörg Wagner: Prof. Kirchhof, Sie sind eigentlich im Prinzip mit Ihrem Beitragsmodell Schuld, dass aus meiner empirischen Beobachtung es mittlerweile ein anderes öffentliches Interesse gibt am öffentlich-rechtlichen Rundfunk, weil Sie die gerätebezogene Rundfunkgebühr für nicht mehr zeitgemäß gehalten haben und gesagt haben, jede Wohnung soll jetzt bezahlen und damit entsteht sozusagen eine Entkoppelung von dem eigentlichen Nutzungsverhalten. Also, man sagt: hier eine Wohnung. Da ein Beitrag. Und egal, ob Ihr hört oder nicht, egal, ob ihr ein Gerät zum Empfang bereit haltet oder nicht, Ihr müsst zahlen. Und daraus entsteht aus meiner Beobachtung ein besonders starkes Interesse an einer Transparenz für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Also, ich gebe Ihnen mal jetzt den Ball wieder zurück und sage, Sie sind im Prinzip mit daran schuld, dass das Interesse am öffentlichen-rechtlichen Rundfunk so groß ist. Und jetzt kommt es ja. Die öffentlich-rechtliche Konstruktion beinhaltet ja schon das Wort “öffentlich” und “rechtlich”. Gibt es nicht per Gesetz, per Recht tatsächlich so etwas wie eine Transparenzpflicht, die gar nicht umstritten ist?
09:26
Paul Kirchhof: Also zunächst einmal … Wenn man etwas Neues macht, wächst das Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere wenn die Öffentlichkeit als Zahler beteiligt ist. Das war zu erwarten und ich füge sogar hinzu, das ist gut so. Und wir mussten uns vom Rundfunkbeitrag distanzieren, weil ja dieses Gesetz nur noch eine fiktive Welt war. Das hat in jedem Haushalt ein Fernseher beobachtet und ein Radio. In Wirklichkeit waren viele Geräte da, also wie gesagt vom Radiowecker bis hin zum Autoradio und von den vielen Instrumenten der digitalen Welt, die die Menschen alle heute in der Hosentasche tragen. Also, wenn man den alten … die alte Gerätegebühr bezahlt hätte, hätte ein Haushalt zehn, zwöf, 15mal eine Gebühr bezahlen müssen. Das wäre absurd gewesen. Das wäre auch überproportional gewesen. Also, wir mussten uns von diesem System lösen. Und jetzt konnten wir nur typisierend zugreifen. Also, manche sagen ja, macht’s doch mit der Steuer. Aber die Steuer muss in den Landeshaushalt und dann wäre der Rundfunk abhängig geworden von den Landesparlamenten. Das sollte ja gerade vermieden werden, sollte staatsfrei sein. Also, müssen wir ein rundfunkeigenes System und das geht nur in diesem Massengeschäft, ich glaube, von 42 Millionen Betroffenen etwa, das ist eine ungeheure Zahl, ein Massengeschäft wie wir es selten haben, dann mussten wir dann eine typisierende Abgabe nach vermutetem Leistungsempfang organisieren. Und das ist der Beitrag, wie wir ihn in etwa haben.
Wenn Sie jetzt bei der Kurtaxe … Sie gehen in einen schönen Ort, dann müssen Sie eine Kurtaxe …, ob Sie die schönen Gerätschaften und den Swimmingpool benutzen oder nicht, Sie müssen bezahlen, weil man es ihnen angeboten hat, weil Sie es jederzeit nutzen können. Oder Sie sind Mitglied einer Kammer, der Architektenkammer, der Ärztekammer, der Steuerberaterkammer. Sie neben die Fortbildung von denen niemals an, weil Sie das nicht interessiert. Aber Sie müssen als Berufsangehöriger den Beitrag zahlen, weil man es Ihnen spezifisch anbietet oder der Anliegerbeitrag. Es gibt viele Beispiele in unserem Recht. Ich meine, das ist die richtige Rechtsfigur, die sagt, jeder wird typischerweise mal Rundfunk und Fernsehen in Anspruch nehmen. Der eine intensiv, der andere ganz selten. Das wollen wir auch nicht differenzieren, das könnten wir auch in der Masse gar nicht, aber ich unterstelle jetzt einen Sachverhalt und das ist die Wohnung. Also wir werden weniger jetzt Fernsehen im Auto, das ist sehr unwahrscheinlich, vielleicht die Kinder, die hinten drinsitzen, aber nicht der Fahrer. Und deswegen sagen wir, wir nehmen jetzt einen Tatbestand, wo man typischerweise das Rundfunkangebot annimmt und das ist die Wohnung. Ich glaube, einen besseren Tatbestand gibt es nicht.
Man soll dann, das muss ich auch betonen, die sozialen Ausnahmen generös handhaben, also wenn einer blind ist, wenn einer nicht hören kann, wenn einer… ich hatte einen Fall, der ist oben auf der Alm und da ist ein Funkloch, also dann muss der Rundfunk auch ein bisschen generös sein und [sagen], natürlich da besteuern wir nicht. Und wir werden auch keinen in Beugehaft nehmen, um diese Forderung durchzusetzen. Also, da müssen mal Augenmaß bewahren. Das muss der Rundfunk noch ein bisschen trainieren. Also, sage ich dazu. Aber, wenn dieses Problem gelöst ist, dann weiß jeder, wenn ich eine Leistung empfange, muss ich dafür bezahlen. Hier bezahle ich halt typisiert. Und das ist die Einfachheit des Verfahrens und das ist die Freiheit … und Finanzunabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
12:54
Jörg Wagner: Aber eben mit der Nebenwirkung, dass sich die Menschen jetzt direkter verantwortlich fühlen für das, was sie da bezahlen und auch mehr Öffentlichkeit einfordern. Und möglicherweise gefühlt mehr Öffentlichkeit wollen, als das Recht es überhaupt gestattet. Wie kommt man aus dieser Bredouille heraus, dass natürlich Menschen sagen, ich will schon wissen, was Mehmet Scholl verdient, wenn der da jeden Abend, zugegebenermaßen vielleicht auch nicht nach meinem Geschmack Spiele einschätzt.
13:23
Paul Kirchhof: Also, ich glaube dieses Interesse der Öffentlichkeit ist berechtigt. Nach meiner Auffassung geht es mehr dahin, … gut man möchte gern wissen, was verdient der Scholl, was verdient der Intendant, aber das ist so ein Neugierdewissen. Im Kern geht es darum, macht Ihr mir auch ein gutes Programm? Also im Kern, das ist ja heute auch angeklungen, geht es darum: Jetzt seid mal offener in der Debatte: unterrichtet Ihr mich richtig? Unterhaltet Ihr mich richtig? Ist Eure Bereitschaft die Urteilsfähigkeit bei jungen und älter werdenden Menschen zu organisieren und zu festigen, ist das ausgeprägt genug und da würde ich sagen recht so. Und da scheint ja – das war gestern und heute ganz deutlich spürbar – die Offenheit der Rundfunkanstalten und ihre Repräsentanten, die wir gestern und heute erlebt haben doch stark und im Wachsen. Das finde ich, ist ein ganz großer Erfolg. Wenn Sie das ein bisschen auch der Beitragsfinanzierung und damit auch ein bisschen mir zurechnen, dann sage ich Danke (lachend).