„Journalismus in Zeiten der Trumps“
Was: Eröffnungsrede zum Deutschen Reporterpreis 2016 vom Reporter-Forum
Wer: Cordt Schnibben, Journalist, „Der Spiegel“, Mitgründer Reporter-Forum, Leitungsmitglied
Wo: Berlin, Meistersaal, Köthener Straße 38
Wann: 05.12.2016, 19:43 Uhr
(wörtliches Transkript)
00:08
‚Nichts ist so aufregend, wie die Zeit, in der man lebt‘, haben wir eben gelesen von Egon Erwin Kisch. Und nun muss man leider sagen, dass wir ein … ich möchte es … schizophrenes Jahr hinter uns haben. Als Mensch hat mich, wie viele von Euch, dieses Jahr verwirrt und erschrocken: AfD, Brexit, Trump et cetera, als Journalist natürlich elektrisiert. Es gibt viel zu erklären. Es gibt viel einzuordnen. Jede Woche passiert irgendetwas Neues. Und unser Job ist es, das dann irgendwie in das, was wir wissen von der Welt einzuordnen und zunehmend stellt sich die Frage: können wir das? Und können wir das eigentlich noch so, dass uns die Leute und die Leser und die Zuschauer folgen?
00:53
Bei mir ist es inzwischen so, dass die Verwirrung als Mensch überwiegt. Sie ist stärker als die Kraft der journalistischen Einordnung. Wenn ich mal meine inzwischen fast sechs Jahrzehnte zurück betrachte, dann teilt sich das eigentlich in zwei Phasen. Die erste Hälfte, das ging bis zur Jahrtausendwende, wo ich gelebt habe mit dem Gefühl: Time Is On My Side. Es fing in den sechziger Jahren an und endete dann irgendwann mit Rot-Grün. Und dann begann eigentlich das: Es-kann-nicht-sein-Zeitalter. Bis dahin bewegte sich die Geschichte eigentlich fast linear, das heißt, in dem man die Vergangenheit immer irgendwie so hochgerechnete, konnte man sagen, wie es weitergeht. Nun aber sind wir in irgendwie anderen Termini und in einem anderen Modus. Es kann nicht sein, dass zwei Flugzeuge in zwei Wolkenkratzer in New York fliegen. Es kann nicht sein, dass die eine Weltmacht Massenvernichtungsmittel erfindet, um einen Krieg vom Zaun zu brechen. Es kann nicht sein, dass die andere Weltmacht mal eben in die Krim einmarschiert. Es kann auch nicht sein, dass die Briten mal eben good bye zu Europa sagen. Und es kann natürlich überhaupt nicht sein, dass die Amerikaner einen Irren zum Präsidenten wählen. Das kann alles nicht sein, aber es ist so.
02:23
Als Mensch bekommt man weiche Knie. Als Journalist Kopfschmerzen. Man könnte dann anfangen, Antworten in der Minibar zu suchen. Aber um das zu verhindern, habe ich mich gestern hingesetzt, um Thesen zu formulieren. Thesen sind immer gut, wenn man ratlos ist. Darüber habe ich geschrieben: “Journalismus in Zeiten der Trumps”.
02:47
1. Trump, Brexit und AfD – so schreiben jetzt viele – sei die Folge einer Politik und eines Journalismus, der die Sorgen besorgter Bürger nicht ernst nehme. Welche Sorgen sind da gemeint? Die Sorgen der einen oder die Sorgen der anderen? Die Sorgen der Bürger, die sich um zu viel Flüchtlinge im Land sorgen? Oder die Sorgen derjenigen, die sich um Anschläge auf Flüchtlingsheime sorgen und Trump fürchten? Sind es die Sorgen das Monatseinkommen mit einem Zweitjob aufbessern zu müssen? Oder ist es die diffuse Angst vor Globalisierung, Digitalisierung und allem Fremden? Was machen wir, wenn die Sorgen der einen die Hoffnungen der anderen sind? Mehr Empathie macht jeden Text besser. Also nehmen wir alle Sorgen ernst. Allerdings verstärkt es die Ängste, wenn wir nicht mehr sind als das Sprachrohr von Ängsten und von Angst.
03:56
2. (Keine Angst, die anderen Thesen werden kürzer.) Die Angst der Deutschen vor den 0,9 % Juden im Lande ließ viele Deutsche in den dreißiger Jahren vor einer jüdischen Weltverschwörung zittern und den rechten Arm heben. Die Aufgabe von Journalisten in Zeiten großer Ängste kann es auch sein, so haben wir aus der Geschichte gelernt, den Leuten die Angst zu nehmen.
04:25
3. Wir brauchen mehr Korrektness. Nicht weniger. Korrektness definiert den humanitären Konsens einer Gesellschaft. Niemand wählt Trump oder die AfD, weil er Neger nicht Neger nennen darf oder Frauen nicht zwischen die Beine fassen sollte. Korrektness definiert die Frontlinie im kulturellen Kampf zwischen den Errungenschaften des menschlichen Miteinanders und dem Versuch, zurückzufallen in die Zeiten der Diskriminierung, der Ungleichheit, des Rassismus, des Chauvinismus. Die Grenze des Sagbaren zu verteidigen, das ist nicht Diktatur des Mainstream. Das ist der selbstbewusste Meinungskampf in jeder Demokratie. Zu sagen: das ist nicht korrekt – ist ein Zeichen von Humanität und kein Zeichen von Dogmatismus.
05:24
4. Wer als Journalist oder Politiker die Werte der Mitmenschlichkeit verteidigt, ist weder ein arroganter Gutmensch noch ein moralischer Imperialist. Er möchte in einer Gesellschaft leben, in der sich Arschlöcher als Arschlöcher fühlen sollen. Und es hoffentlich immer weniger trübe Tassen gibt. When they go low, we go high. Das ist nicht überheblich. Das ist wunderbar. Und wenn es Michelle Obama sagt, ist es auch noch cool.
05:53
5. Der größte Fehler in der Auseinandersetzung mit Populismus ist journalistischer Populismus. Ist die Anbiederung an den Mann von der Straße und die Frau von der Straße. Proletkult führt nicht zu mehr Demokratie, sondern zur Diktatur der Bohlens, Katzenbergers und Geissens. (Ja, kannst gern Husten)
06:18
6. Wir sollten aufhören unsere Demokratie in Demokratie und Populismus zu unterteilen. Jeder Populist nutzt die Demokratie, so wie jeder Demokrat auch Populist ist.
06:33
7. Über Parteien und den politischen Betrieb zu schreiben wird wichtiger. Pauschale Politikerschelte, Brüssel-Bashing und Eliten-Hass sind zu wenig. Politischer Journalismus muss sich die Mühe machen komplexe Zusammenhänge durchschaubar zu machen.
06:50
8. 40 % der Deutschen glauben, wir sind alle von der Regierung gesteuert. Wer weiß, wie man darüber schreibt, was nicht ist. Bitte nachher bei mir melden.
07:06
9. Deutschland ist nicht USA, aber vielleicht sollten auch deutsche Journalisten stärker über das Schreiben, was abseits der Städte gedacht und gemacht wird. Unser Vorteil: wir haben noch Lokalzeitungen.
07:21
10. Schluss mit der hochnäsigen Verachtung der sozialen Medien. Ein Journalist, der Facebook, Twitter und Co. nicht nutzt als Recherchetool, als Marketingkanal, als Kommunikationsplattform ist im falschen Beruf. Soziale Medien bieten die Chance, die Leser zu erreichen, die unsere Medien hochnäsig verachten.
07:46
11. Macht es Jan Fleischhauer nach und tummelt Euch mit einem Fake-Profil in den Facebook-Hohlräumen der Salon-Hetzer. Jede Expedition in die Parallelgesellschaft der Nicht-Leser hilft ein besserer Journalist zu werden.
08:07
12. Hören wir auf, jeden Furz aus den sozialen Medien zu einem Sturm auf unseren Online-Seiten, in unseren Zeitungen, in unseren Sendungen zu machen. Jeder Tweet von Trump hatte sein verstärkendes Echo in den klassischen Medien. Jede Lüge wurde kolportiert, bevor sie diskutiert wurde.
08:27
13. (Kommen nicht mehr viele) wir brauchen neue journalistische Formate, die in den sozialen Medien wie Fakt-Checker funktionieren. Das Problem: vielen Lesern ist leider ihre Wut wichtiger als die Wahrheit.
08:46
14. Wir sollten transparenter arbeiten. Leser müssen teilhaben können an dem, was wir für Wahrheit halten. Sie brauchen ein Verständnis von unserem Bemühen um Recherche, Handwerk, Unabhängigkeit.
09:02
15. Wir müssen den mühsamen Kampf aufnehmen um die Qualifizierung der veröffentlichten Meinung im Netz. Nie war die veröffentlichte Meinung in Deutschland vielfältiger. Neben der vierten Gewalt hat sich eine fünfte Gewalt etabliert. Aber nie war die veröffentlichte Meinung unqualifizierter. Wir brauchen im Netz so etwas wie eine Journalistenschule für Nichtjournalisten. Wir arbeiten dran. Nächstes Jahr mehr.
09:34
16. Wer gut recherchierten und glaubwürdigen Journalismus will, muss dafür zahlen. Punkt. Punkt. Ausrufezeichen.
09:45
17. Wer zahlt, ist unser King, unsere Hoffnung, unsere Zukunft. Jeder Leser, dem wir zuhören, ist ein Bollwerk gegen die Trumps dieser Welt. Enttäuschen wir sie nicht.
10:02
Das waren 17 Thesen gegen die Trumps dieser Welt bzw. für den Journalismus in den Zeiten Trumps. Jede gute Tat, vor allem jeder gute Text ist ein Bollwerk gegen die Trumps. Jeder nominierte hier im Saal ist ein Bollwerk. Und darum möchte ich die, die nominiert sind für den Journalistenpreis kurz bitten, sich mal zu erheben, damit eure Nachbarn sehen, mit wem sie es zu tun haben.
(Beifall)
Genießt den kurzen Sieg. Gleich kommt die Stunde der Enttäuschung.
(Heiterkeit)
11:07
In diesem monströsen Es-kann-nicht-sein-Zeitalter erleben wir in den letzten Wochen ein Es-kann-überhaupt-nicht-sein-Schauspiel gegen das die Wahl Trumps lächerlich ist. Es kann nicht sein, dass eine Supermacht fortlaufend und gezielt Krankenhäuser bombardiert, ohne dass ein Sturm der Entrüstung über die Erde fegt. Die Ohnmacht ist zu überwinden, hat Norbert Röttgen letzte Woche im Bundestag gesagt, beginnt damit, dass wir unsere Ohnmacht benennen. Unsere Ohnmacht zu benennen, das gilt nicht nur für Politiker, das gilt auch für uns Journalisten.
11:51
Es gibt noch einen Journalisten, der aus Aleppo berichtet. Ihn wollen wir zukünftig in seiner Arbeit unterstützen, vor allem finanziell. Dazu später mehr. Und wir haben Aeham Ahmad zu uns gebeten, den Mann am Klavier. Er wird uns zusammen mit Jörg Thadeusz durch den Abend begleiten. Wer ist Aeham Ahmad? Nur ein Pianist? Nein auch ein Bollwerk.
Bitte schauen Sie. Ich wünsche Ihnen und Euch einen unterhaltsamen inspirierenden und auch hoffentlich schönen Abend. Dankeschön.
(Beifall)
(Fotos+Video: Jörg Wagner; Foto: „Hadi Abdullah“ Reporterforum)
sry: … Herausforderungen an Journaille, Staat & Gesellschaft [weg:Journalisten] stehen.
„Was denken Sie?“
Ich denke, daß C.Schnibben schon gute bis sehr gute, vlt. z.T. gar herausragende, Reportagen bis hin zur Buchform verfasst hat, die mir immer wieder dienlich sind, aber an der deutlich übergeordneten Aufgabe einer Richtungsweisung für „den Journalismus“ scheitert.
Die Fotos erzeugen das Gefühl überwärmter Weihnachtsfeiern, an denen ich gottlob nicht mehr teilnehmen muß, – und die von daher eher als Anti-Icon gegen die tatsächlichen Herausforderungen an Journaille, Staat & Gesellschaft Journalisten stehen.
Zuletzt wurde der Widerspruch zw. ausgezeichneter Reportage und fehlender Deutungskompetenz beim Chef-Süffisanten Joffe deutlich, der für eine gute bis sehr gute USA-Reportage in der ZEIT zeichnete, aber in seinen nachfolgenden Zeitgeist-Krümeln zur US-Wahl von dem mit Händen zu greifenden Widerspruch zwischen dem Reportierten einerseits und dem Clintonschen Angebot andererseits keinerlei Notiz nahm.