[0:00] Jörg Wagner: Und ich bin jetzt verbunden mit dem Chefredakteur des Mitteldeutschen Rundfunks, Stefan Raue. Sie wurden am Donnerstag vom Hörfunkrat des Deutschlandradios zum neuen Intendanten des Deutschlandradios gewählt. Die besten Glückwünsche für diese neue Herausforderung!
Stefan Raue: Ja, ganz herzlichen Dank.
[0:14] Jörg Wagner: Vielleicht zur Chronologie, Herr Raue, zu der gehört, dass der jetzige Amtsinhaber, Willi Steul vorfristig aus dem Amt scheidet und eigentlich schon die Intendanten-Zimmerschlüssel längst hätte übergeben wollen. Wie wurden Sie denn gefunden?
[0:28] Stefan Raue: Ja, zum Finden gehört ja erst einmal ein Suchen. Und ich nehme mal an, man hat … die Findungskommission, die Verwaltungsräte haben sich in der Szene umgeschaut, haben sich umgehört, haben herumgefragt, haben viele Menschen angesprochen.
Und zu den vielen Menschen, die angesprochen worden sind, ob sie sich denn sowas vorstellen könnten, gehörte auch ich. Mich haben mehrere Vertreter des Verwaltungsrats in der Findungskommission angesprochen, ob ich daran Interesse hätte und ob ich mir das vorstellen könnte. Und ich gestehe es, dass ich ohne langes Zögern ja gesagt hab’.
[1:00] Jörg Wagner: Also, es war keine aktive Bewerbung von Ihnen, sondern Sie waren echt überrascht?
[1:05] Stefan Raue: Ja, nach ‘nem … doch jahrzehntelangen Berufsleben ist man selten überrascht, aber ich war positiv überrascht. Das ist schon richtig.
[1:15] Jörg Wagner: … weil es gab ja im Vorfeld auch Spekulationen darum, wie die Kandidaten gefunden werden. Die eine Spekulation war auch, dass man eine bestimmte politische Farbenlehre einhalten wolle. CDU- und SPD-Ansprüche wurden als möglich diskutiert. Lassen Sie sich denn parteipolitisch verorten?
[1:32] Stefan Raue: Ich bin immer politischer Journalist gewesen. Ich bin 1986 Journalist geworden. Ich bin ein politischer Mensch. Ich hab’ in meinem Leben mich auch für demokratische Parteien engagiert. Das war in meiner frühen Jugend: die Jungen Union, die Schülerunion und die CDU und ich bin beim Rücktritt von Helmut Schmidt SPD-Mitglied geworden, habe in einem Ortsverein Bielefeld-Großdornberg in der Juso AG für Zebrastreifen und Ampelanlagen gesorgt und bin 1986, als ich Journalist wurde, in den passiven Zustand dann gewechselt und habe gesagt, das verträgt sich nicht mit meinem journalistischen Job, aktiv Politik zu machen. Aber ich bin ein hochpolitischer Mensch. Und ich mache auch keinen Hehl daraus, dass ich meine politischen Überzeugungen habe, aber meiner Arbeit hat man das bisher nicht angemerkt, zumindest habe ich das bisher nicht wahrgenommen.
[2:23] Jörg Wagner: Womit wollten Sie denn dann den Hörfunkrat überzeugen? Ich nehme mal an mit Inhalten. Was wissen Sie letztenendes, was von Ihrer Rede bei Ihrem Bewerbungsgespräch tatsächlich dann auch überzeugt hat?
[2:35] Stefan Raue: Der Hörfunkrat war sehr neugierig, wissbegierig, was mein Führungsstil angeht.
Da hatte man sich schon rumgehört und hatte gefragt, was ist das für einer? Ist das einer, der eher autoritär führt? Ist das einer, der kooperativ führt? Bin nun ein Vertreter der kooperativen Schule. Ich versuche Führungskräfte und Mitarbeiter, Mitarbeiterinnen frühzeitig einzubeziehen in wichtige Entscheidungen, bin sehr neugierig auch auf die Perspektiven und Einschätzungen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Ich glaube, dass die ganzen Entwicklungsprozesse dadurch wesentlich besser werden, vielfältiger, interessanter, spannender und man hat sehr viel Wert drauf gelegt, was ich für Vorstellungen hab’, was die digitale Zukunft angeht und was ich mit dem klassischen Radio natürlich vorhabe.
[3:20] Jörg Wagner: Ja und da haben Sie in Ihrem ersten Interview beim Deutschlandfunk gesagt, dass Sie die User oder die Hörer bekommen wollen, die mit RTL sozialisiert wurden. Schließt sich das nicht aus wie Feuer und Wasser?
[3:35] Stefan Raue: Nein, das ist … habe ich auch lange geglaubt. Das will ich schon zugeben. Ich meine damit die Generation, die erwachsen wurde oder jugendlich war als RTL, Sat.1 in das Privatradio, in das Privatfernsehen auf den Markt kamen, die damit aufgewachsen sind, die gesehen haben, dass auch die Privaten Nachrichten anbieten, auch Informationen anbieten, dass die in manchen Dingen sehr viel schneller, sehr viel frecher, sehr viel aggressiver sind, als wir öffentlich-rechtlichen und denen man nicht mehr mit der Gründungsgeschichte des öffentlich-rechtlichen nach dem Krieg kommen kann. Die glauben, dass es einen guten Grund dafür gibt, dass es öffentlich-rechtliche gibt, die sehen die Schwerpunkte dort bei Politik und Kultur, aber alles andere können die Privaten wesentlich besser und diese Generation oder diese Generationen ja inzwischen schon, die muss man anders ansprechen, als die Älteren und auch als die ganz jungen, die gar nicht mehr so sehr zu dieser Generation RTL gehören, die ganz andere Interessen haben. Also, ich sage mal 29- bis 59jährige, das ist eine schwierige Generation. Das sehen wir beim Fernsehen in den Einschaltquoten, dass da wir unterdurchschnittlich abschneiden. Und … aber das sind auch Beitragszahler. Und das sind ganz interessante Menschen. Das sind überhaupt nicht Menschen, die nur irgendwelche Dschungelcamps gucken wollen. Die orientieren sich in der Welt genauso wie unsereins öffentlich-rechtlich, aber ich glaube, dass wir denen spezielle Angebote machen müssen und dass wir auch denen zeigen müssen, dass wir sie als Beitragszahler und als “Kunden” ernst nehmen.
[5:07] Jörg Wagner: Aber liegt der Erfolg des Deutschlandradios nicht genau darin, dass er nicht den Ästhetikmustern des kommerziellen Funks folgt, sondern konservativ beim Deutschlandfunk geblieben ist, beim Deutschlandfunk Kultur eher moderat, aber eigenständig experimentiert und bei Nova total neue Wege als Radio geht?
[5:07] Stefan Raue: Ja, ich finde das, diesen Kurs auch völlig richtig. Ich bin auch nicht als jemand angetreten, der das in irgendeiner Weise abqualifiziert, was bisher gemacht worden ist. Ich bin danach gefragt worden, wie das weiterentwickelt werden kann. Und darauf habe ich geantwortet, dass wir stärker auf diese Generation gucken müssen. Das betrifft nicht nur Deutschlandradio, das betrifft alle. Und ich bin auch sehr dagegen praktisch mit der Wurst nach dem Speck zuwerfen. Also, ich bin sehr dagegen auch das Profil von Deutschlandradio mit seinen Angeboten zu verwässern. Aber vielleicht hat ja diese Generation andere Themen. Vielleicht sind für die andere Themen wichtig. Vielleicht sind … ist für die manchmal auch eine andere Ansprache wichtig. Vielleicht sind wir manchmal zu – und damit meine ich nicht das Deutschlandradio speziell – sind wir Medien, wir politischen Redakteure oder Kultur-Redakteure zu … vielleicht abgehoben. Vielleicht haben wir uns dem offiziellen Jargon zu sehr angepasst. Vielleicht müssen wir dort etwas direkter, etwas nahbarer sein in vielen Fällen. Also, ich glaube, da gibt’s ‘ne breite Palette an Veränderungsmöglichkeiten. Es geht nicht darum, sich anzupassen. Dann wird man sowieso nicht akzeptiert. Das sind ja keine Menschen, die nur wollen, dass man im Prinzip RTL oder Sat.1 oder wen auch immer kopiert. Nein, die wollen schon einen eigenständig öffentlich-rechtlichen, aber wir müssen denen stärker signalisieren, dass wir ihre Themen und ihre Art, Medien zu beurteilen auch ernst nehmen.
[6:49] Jörg Wagner: Vielleicht liegt ja die Zukunft des Radios auch im Bild. Sie sind ja trimedialer Chefredakteur beim Mitteldeutsche Rundfunk. Vielleicht war das ja auch der entscheidende Punkt.
[6:59] Stefan Raue: Ich bin da auch nach gefragt worden. Und ich hab’ da auch ganz ehrlich gesagt … ist jetzt nicht der letzte Stand meiner Erkenntnis, aber mein jetziger Stand ist, dass die Bebilderung von Hörfunkangeboten außerordentlich komplex ist und ich sie eher skeptisch beurteile. Es sieht mit Verlaub immer ein bisschen wie Fernsehen für Arme aus. Die Bildsprache im Internet hat eine ganz andere Dramaturgie. Wir verwenden auch eigentlich kaum noch ureigene Fernsehbeiträge für die Nutzung im Online-Angebot. Da helfen auch die klassischen Fernsehangebote nicht. Ich halte sehr viel davon, die Schwerpunkte oder die Schnittmengen zwischen Hörfunk und Online-Angeboten stärker zu beobachten. Die Schnittmengen sind nämlich: Schnelligkeit, die Möglichkeit des Begleitmediums und die Interaktion. Vor allem das letztere hat ja Fernsehen relativ wenig. Das hat ja immer was sehr künstliches, sehr gestelltes. Fernsehen ist viel zu schwerfällig für Beteiligungsformate und für Interaktion. Und in diesem Bereich, glaube ich, sind die großen Chancen für einen Hörfunk-Anbieter im Online-Bereich mit ‘nem sehr selbstbewussten Engagement in den sozialen Netzwerken, bei Portalen, in Chatforen. Wir müssen Angebote machen. Wir müssen das pflegen und betreiben. Man kann nicht davon ausgehen, dass man nur die Marke ins Schaufenster hängt und dann kommen die Menschen schon angelaufen. Nein, man muss seine Fans sich auch erarbeiten. Das zeigt dann sehr, sehr gute Erfolge.
[8:23] Jörg Wagner: Für mich ist Visual Radio gar nicht so sehr das arme Fernsehen, sondern das ehrlichere Fernsehen, weil weniger inszeniert und dass deswegen auch die Nähe zum Nutzer stärker ist. Aber, wenn Sie jetzt tatsächlich mal in die Glaskugel gucken, wohin wollen Sie mit dem Deutschlandradio? Denn es ist eigentlich sehr gut aufgestellt.
[8:44] Stefan Raue: Ja, zweifellos. Zweifellos. Und ich habe überhaupt keine Sekunde daran Zweifel gelassen in allen Gesprächen, in allen Vorstellungen, die ich dort zu absolvieren hatte. Nein das ist ein ganz tolles Radio, was dort angeboten wird. Man kann da mit großem Stolz den ganzen Tag durchhören und hört immer wieder neue Aspekte, neue Zugänge.
Nein das ist … ich habe überhaupt keinen … keinen Ansatz, dort irgendwie die Dinge völlig auf den Kopf zu stellen. Mein Interesse ist es, in den nächsten fünf Jahren dieses Radio mit seinen Angeboten weiter zu entwickeln und meine Ideen dort einzubringen. Ich hoffe, dass ich die Diskussionen, die im Haus ohne hingeführt werden, bereichern kann mit meinen Erfahrungen, multimedialen Erfahrungen, meinen Erfahrungen mit der digitalen Welt, meine Erfahrung aber auch in der Diskussion mit den Nutzern und mit den Menschen in den Regionen. Also, ich glaube, dass ich in der Diskussion dort schon etwas dazu bringen kann. Aber ich habe nicht die Idee dort, die Dinge praktisch völlig umzuwälzen. Nein, das ist ein ganz tolles Radio, mit ganz tollen Angeboten.
[9:53] Jörg Wagner: … meint der designierte Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue, noch Chefredakteur beim Mitteldeutschen Rundfunk. Ja, dann viel Energie und Glück für Ihre Aufgabe.
Stefan Raue: Gerne. Vielen Dank.