Jörg Wagner: 2013 warst Du „Mensch des Jahres“ und hast im Medienmagazin erzählt, wie Du mit Deinem Smartphone und U-Stream als citizen journalist alternativ berichtet hast von Demonstrationen. Der Grund war damals, weil bulgarische Medien nicht oder selektiv berichtet haben. Wie ist die Situation nun vier Jahre später?
Ivo Bozhkov: Nun, vier Jahre später ist es quasi immer noch das gleiche, was ich über die Situation denke. Das Problem ist, dass es im Moment keine großen Ereignisse, wie Proteste gibt. Aber die Informationen in den Haupt-Medien werden immer noch im großen Stil manipuliert. Im Jahr 2013 wurde die Anzahl der Menschen, die in dieser Zeit gegen die Entscheidungen der Regierung protestierten, manipuliert. Heute gibt es keine großen Proteste gegen die Regierung, aber die Medien spielen immer noch die gleiche manipulative Rolle bei der Darstellung der Informationen, die die Öffentlichkeit zu sehen bekommen soll. Im Jahr 2013 waren es sehr wenige Leute, die protestieren. Heute wird die Regierungsarbeit in Bulgarien schöngefärbt.
Jörg Wagner: 2013 war Bulgarien auf Platz 87, 2017 ist der Platz auf der Pressefreiheitsliste von Reporter ohne Grenzen 109. Ivo, Du kennst ja auch andere Länder. Warum ist Bulgarien das schlechteste Land?
Ivo Bozhkov: Wegen der Medien-Manipulation. Natürlich haben wir in Bulgarien Redefreiheit. Ich kann sagen, was ich will und es gibt kein Problem damit. Man wird nicht groß verklagt. Das Problem ist: Die wichtigen Neuigkeiten zur Korruption erscheinen nicht, wenn sie in den großen Medien erscheinen sollten. Das zeigt, dass es ein großes Problem in den Printmedien gibt. Die Inhaber der Zeitungen manipulieren die Sichtweise in ihrem Sinne. Daher gibt es keine Meinungsvielfalt. Das ist eines der Hauptprobleme. Wir haben zwar Meinugnsfreiheit im Internet. Dort können Sie alles sehen, aber Sie können nicht sicher sein, ob es wahr ist oder nicht. Die großen Medienkanäle sind zwar genau dafür da, das zu checken, aber sie filtern und nehmen nicht alles in Betracht, was in dem Land geschieht, das jedoch berücksichtigt werden sollte, wenn man möchte, dass dieses Land weniger korrupt sein sollte und besser regiert.
Jörg Wagner: Du hast Deine eigene Fernsehshow. Was erzählst Du da?
Ivo Bozhkov: Meine Mission ist den Menschen zu zeigen, die nicht im Internet sind, was in den Nachrichten geschieht, die in den großen Nachrichtenkanälen nicht gezeigt werden. Ich lade Leute ein, die an politischen und kulturellen Neuigkeiten interssiert sind und an Dingen, die ich für das Leben der Bulgaren sehr wichtig halte. Also das sind Themen, die im Internet, auf Facebook und auf den sozialen Medien sehr beliebt sind, aber sie tauchen nicht sehr oft in den großen Nachrichtenkanälen auf. Ich versuche den Menschen, die nicht im Netz sind, zu zeigen was im Netz passiert, wie der Puls des Internets schlägt.
Jörg Wagner: Der Fernsehsender BNT hat eine Fernsehserie produziert mit dem Titel „Die vierte Macht“. Wie glaubwürdig ist das?
Ivo Bozhkov: Es ist zu 100 Prozent die Realität in Bulgarien, die sehr traurig ist. Denn wenn man so eine Show sieht, wenn man die Verbindungen zwischen Politik, Wirtschaft und Medien sieht und wenn man die Art und Weise sieht, wie die drei Gewalten, die eigentlich getrennt sind, miteinander kungeln, dann ist es wirklich traurig. Auch in meinem Gemeinderat kann man das sehen, wie die Leute untereinander verbunden sind, wie die Leute miteinander reagieren und das ist nicht gut. Ich meine auch mich selbst damit. Ich bin an der gleichen Stelle, weil ich meine eigene TV-Show habe. Und ich bin zugleich in der Politik. Ich versuche auch die Leute zu beeinflussen, weil ich in den Medien laut ausspreche, was ich denke, was richtig ist. Ich verteufle jedoch nicht meine politischen oder medialen Auftritte. Es passiert so in vielen Ländern Europas und auch in Bulgarien. Ich weise nur daraufhin, dass da etwas nicht stimmt und das man mal über neue Gesetze, Regeln nachdeneken sollte. Ich habe kein Problem mit Leuten, die meine Meinung nicht teilen. Aber ich denke, dass wir alle die gleichen Regeln haben sollten – was in Bulgarien nicht der Fall ist.
Jörg Wagner: Es gibt Studien, dass die Menschen in Bulgarien mehrheitlich nicht den Medien vertrauen. Wo gibt es Deiner Meinung nach bei der Pressefreiheit in Bulgarien Defizite?
Ivo Bozhkov: Sie vertrauen den Medien nicht, wie ich schon sagte, wegen der manipulativen Eingriffe. Man weiß nie, ob es eine echte Nachricht ist oder ob sich zwei Wirtschaftslobbisten über die Medien bekriegen – das ist sehr traurig. Natürlich ist das ein Phänomen, das es überall auf der Welt und auch in Europa gibt. Aber hier ist es besonders sehr traurig, weil es hier keine Gerechtigleit gibt. Wenn irgendein Großereignis Europa erschüttert, so gibt es in den übrigen europäischen Ländern eine Strafverfolgung. Es gibt Rechtsstaatlichkeit. In Bulgarien haben wir null verurteilte Politiker für Korruption oder für Macht-Macht Missbrauch. Das ist meiner Meinung nach nicht akzeptabel. Und wir sollten darüber reden, weil wir ein zivilisiertes Land sind. Wir sollten unsere Probleme lösen, indem wir laut über sie diskutieren, indem wir kämpfen, um sie zu verändern und dabei so menschlich wie möglich zu sein. Denn was ich in Bulgarien sehe, ist, dass oft unsere Gegner verteufelt werden. Nochmal, denn das ist wirklich eine echte Gefahr für unsere Gesellschaft, wenn wir in den Medien über die Probleme hinweg gehen. Wir sollten zusammenhalten. Der Europäische Traum ist doch: dass man Probleme gemeinsam überwinden kann. Das Problem ist, dass die Gesellschaft in Bulgarien nicht glaubt, dass sie die Probleme lösen kann, indem man sie offen diskutiert. Hier denkt man, man kann sowieso nichts tun. Was ich will, dass die Leute glauben, dass das nicht stimmt.
Jörg Wagner: Ist nach Deiner Meinung nach das Ranking von Reporter ohne Grenzen gerecht, seriös?
Ivo Bozhkov: Ich denke, es ist seriös genug, um es ernst zunehmen, denn natürlich haben wir Redefreiheit, aber das ist nicht alles, denn die Art und Weise, wie man die Information kontrolliert, ist so wichtig wie die Redefreiheit. Die Art, wie die wichtigsten Nachrichtenkanäle kontrolliert werden, ist auch Teil der Redefreiheit.
Jörg Wagner: In vier Jahren, wenn wir uns vielleicht wiedersehen – bist Du dann der Präsident von Bulgarien?
Ivo Bozhkov: Ich? Vielleicht nicht in vier Jahren, aber in neun Jahren vielleicht wird es der Fall sein.
Jörg Wagner: Ist dann möglicherweise Bulgarien auf Platz eins, wenn Du Präsident bist?
Ivo Bozhkov: Ich glaube nicht, denn der Weg ist sehr lang, um das zu überwinden. Und ich glaube an Kritik. Ich meine, das ist eine Sache, an die ich wirklich glaube. Ich meine, ich bin nicht perfekt, niemand ist perfekt. Jeder trifft falsche Entscheidungen. Aber wir müssen als Gesellschaft auf falsche Entscheidungen reagieren, die Menschen müssen ihr Verhalten verändern. Ich weiß, dass ich mich durch Kritik verbessern kann. Wir müssen die umstände für kostruktive Kiritk verbessern, indem wir die Probleme nicht verbergen, sondern sie akzeptieren und sie überwinden. Und ich denke, das ist die Gesellschaft, auf die wir zielen sollten und daran glaube ich.