Matthias Deiß – 50 Jahre Kontraste

Matthias Deiß vor einem Foto gemeinsam mit Jürgen Engert | Foto: © Jörg Wagner

Was: Interview zu „50 Jahre Kontraste
Wer: Matthias Deiß, Kontraste-Redaktionsleiter
Wo: Berlin, rbb-Fernsehzentrum, Masurenallee
Wann: rec.: 17.01.2018, 11:45 Uhr; veröffentlicht am 20.01.2018, 18:10 Uhr im radioeins-Medienmagazin (rbb) in einer 7:04-Fassung

Vgl.:
* Umfrage und Festgästen, 19.01.2018
* Laudatio „50 Jahre Kontraste“ von Prof. Monika Grütters
* Politikmagazine repolitisieren? – Kritik an einer Studie | Interview mit Reinhard Borgmann
* Diskussion „Wie politisch sind die Politik-Magazine (noch)?“
* Medienpolitische Tagung der Otto-Brenner-Stiftung
* Statement von Jürgen Engert, 23.07.2015



(wörtliches Transkript, Verstehfehler vorbehalten)

[0:00] Matthias Deiß: Hallo, ich bin Matthias Deiß, seit 02.01.2018 der neue Redaktionsleiter von Kontraste. Ich bin seit gut zehn Jahren beim rbb tätig, hab‘ immer für die ARD berichtet, für die Tagesschau und die Tagesthemen bei ARD aktuell beim rbb und war vom Sender sechs Jahre ins ARD-Hauptstadtstudio als Fernsehkorrespondent entsendet. Jetzt wieder zurück. Freu mich.

[0:26] Jörg Wagner: Gleich in verantwortungsvolle Position. Das heißt auch mit einem gewissen Grad an Gestaltungswillen, auch wenn man bedenken muss, dass Sie ja eine Tradition fortschreiben, also dass man jetzt hier nicht ein total neues Magazin machen kann. Es nennt sich „Magazin aus Berlin“. Kontraste 50 Jahre alt. Wie würden Sie denn rückblickend für sich und für ihr Team die Epochen von Kontraste skizzieren? Und wo ist Kontraste heute?

[0:53] Matthias Deiß: Also, Kontraste ist ja mit dem klaren Slogan „ein Ost-West-Magazin“ angetreten vor 50 Jahren. Und das war ganz klar auch die Aufgabe hier Frontstadt Berlin, Alliierte Zone mitten in der DDR sozusagen von feindlichen Mächten umgeben. Das hat diese Sendung geprägt bis zur Wiedervereinigung. Und das war auch ein Alleinstellungsmerkmal, das Kontraste unter den anderen Politikmagazinen hat, eine ganz klare Positionierung zu sagen: Wir schauen auf das, was in der DDR passiert. Wir schauen auf die Grenze. Wir schauen auf den Kalten Krieg. Wir schauen auf die Ost-West-Problematik und haben damit auch ein historisches Alleinstellungsmerkmal. Es gab noch ein zweites Alleinstellungsmerkmal: die Zugänge, die Kontraste gehabt hat in die DDR, besonders um die Wendezeit und vor der Wendezeit. Das ist ein großer historischer Verdienst dieser Redaktion und dieser Sendung, der Kontraste auch nicht mehr zu nehmen ist. Wir waren damals diejenigen, die unter großem journalistischen Aufwand, aber auch erheblichem Risiko Kameras in den Osten geschmuggelt haben. Und die ersten Bilder senden konnten von den immer größer werdenden Demonstrationen, den Montagsdemonstrationen der Bürgerbewegung in der DDR, die ja später zum Zusammenbruch der DDR geführt hat.
[2:20] Kontraste hat daran einen Anteil gehabt an der Wende. Diese Redaktion, diese Sendung hat durch die Wende, durch ihre mutige Berichterstattung ein Stück weit die Wende mitbewirkt und sie hat sie dann selbst geschafft. Sie hat sich nach der Wende neuen Themen zugewendet. Das war für die Redaktion genau für die gesamte Republik eine richtige historische Zäsur, die damals gesetzt wurde und genau wie die Republik musste sich auch Kontraste an die neuen Verhältnisse gewöhnen, musste sich umstellen, musste sich anderen Themenkomplexen widmen. Zunächst haben wir das gemacht mit der Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit, aber dann kamen ganz andere große Themen. Und da hat Kontraste auch glänzen können: die Spendenaffäre um Helmut Kohl, der Berliner Bankenskandal, Rechtsextremismus und der große Themenkomplex Bundeswehr zum Beispiel, ganz aktuell aber auch der Terroranschlag vom Breitscheidplatz und die Versäumnisse der Sicherheitsbehörden. Ich sage, über 50 Jahre gesehen Kontraste hat sich thematisch nie einschränken lassen und trotzdem immer Schwerpunkte gesetzt. Und das wollen wir auch in Zukunft tun und dabei auch neue Schwerpunkte setzen.

[3:35] Jörg Wagner: Es gibt insgesamt sechs Politik-Magazine in der ARD. Davon laufen drei am Donnerstag und drei dienstags immer im Wechsel eine halbe Stunde. Haben Sie das Gefühl, dass die Reduktion der Sendezeit und die Form, wie die ARD mit den Politik-Magazinen umgeht der wahren Bedeutung von recherchiertem Journalismus gerecht wird? Oder können Sie sich da als neuer Leiter von Kontraste auch in Zukunft mehr Relevanz durch mehr Sendezeit oder andere Sendeplätze vorstellen?

[4:05] Matthias Deiß: Also, ich sehe in der ARD – und so habe ich es bei allen erlebt – ich war ja auch im Hauptstadtstudio viel mit ARD weit unterwegs. Ich sehe in der ARD eine hohe Wertschätzung für die Politmagazine insgesamt, für investigative Recherche insgesamt und das sehe ich auch als unseren Auftrag, diese Sendefläche, die wir immer noch ohne Einschränkung zur Verfügung gestellt bekommen, diese 30 Minuten jedes Mal neu zu füllen. Ich möchte erstmal nicht an eine Ausweitung der Sendefläche arbeiten, sondern an einer Profilschärfung unserer Sendung. Kontraste ist das Magazin aus Berlin. Das ist unser Claim. Wir sind das einzige ARD-Politmagazin, das hier in Berlin produziert wird, in der Stadt der Kontraste, in der Stadt der Brüche, aber auch in der Hauptstadt. Und das möchte ich wieder mehr herausstellen: Übrigens in einer bundespolitisch extrem bewegten Zeit. Wir haben so viele Fraktionen im Bundestag wie noch nie zuvor. Wir haben die AfD im Parlament. Es sind aufgeregte Zeiten. Es wird mit Halbwahrheiten agiert. Da sind politische Magazine meines Erachtens so wichtig wie nie zuvor, doppelt hinzugucken, dreimal hinzugucken, die andere Seite zu betrachten, alle Argumente abzuwägen, dem Zuschauer zu erklären, was da wirklich passiert, hinter die Fassade zu gucken. Gegen fake news. „Alternative Fakten“ ist ja gerade zum Unwort des Jahres ernannt worden. Das ist doch ein Sendeauftrag, dem wir uns stellen müssen und zeitgleich, wenn wir mehr erklären, wenn wir auch uns aktuellen Themen, die es zu erklären gilt, zuwenden, haben wir – das ist meine feste überzeugung – auf der anderen Seite mehr Zeit uns gleichzeitig auch langfristigere investigativen Recherchen zuzuwenden. Und diesen Auftrag, den wir bis jetzt immer hatten, werden wir auch nie aus den Augen verlieren.

[6:10] Jörg Wagner: Es ist gerade nicht nur modern, sondern auch gegeben, dass man sich Verbündete sucht in der Recherchearbeit. Die Häuser in der ARD bilden große Recherche-Arbeitsgruppen. Wie sieht’s hier beim rbb aus? Ist das sozusagen das Urbrot von Kontraste? Oder können Sie auch auf Ressourcen zum Beispiel vom Inforadio zurückgreifen oder von anderen Redaktionen?

[6:30] Matthias Deiß: Also, mir ist es ganz, ganz wichtig, dass wir unsere Durchschlagskraft erhöhen. Dadurch, dass wir uns vernetzen in der ARD, aber eben auch im rbb. Wir haben eine hervorragende Partner-Abteilung „Investigatives und Hintergrund“, mit der wir jetzt schon gut zusammenarbeiten. Da werden Recherche-Teams gegründet. Da wird gegenseitig an Redaktionskonferenzen teilgenommen. Da werden Themen gemeinsam besprochen. Da werden Themen gemeinsam recherchiert und da werden Themen gemeinsam ausgespielt. Das möchte ich noch weiter verstärken. Ich glaube, wenn wir es in Zukunft schaffen, unsere Recherchen noch breiter in die Durchdringung zu bringen über alle Medien, aber auch über eben Kontraste hinaus, das heißt Morgenmagazin, Mittagsmagazin, das ja auch hier beim RBB jetzt produziert wird, die Tagesschau, aber eben auch die rbb-Formate, dann sind wir auf dem richtigen Weg. Ganz wichtig ist mir dabei, dass wir das auch im Netz tun in Zukunft stärker, als wir es vielleicht in der Vergangenheit getan haben. Und das sind auch die ersten Veränderungen, die ich mir jetzt für die erste Zeit vorgenommen habe.

[7:37] Jörg Wagner: Werden Sie ruhig konkret. An was denken Sie da? Dass Sie stärker auf, ich sage mal, auch Tippgeber im Netz setzen oder dass Sie präsenter sind auch zwischen den eigentlichen Ausstrahlungen?

[7:47] Matthias Deiß: Also, Tipps bekommen wir dann, wenn wir noch präsenter sind als je zuvor, wenn die Leute merken, Kontraste das ist die Redaktion, die investigativen Journalismus hochhält, wenden sie sich an uns. Aber für mich ist erst einmal wichtig: Wir arbeiten hier seit meinem ersten Tag an der Einrichtung eines Internet-Studios. Wir wollen in Zukunft die Möglichkeit haben zwischen den Fernsehsendungen – wir haben eine dreiwöchige Sendepause immer, das ist nicht ideal – auf Sendung zu gehen, um eben Themen, die exklusiv sind, sich aber vielleicht nicht mehr halten lassen bis zum Fernsehsendetermin ausspielen zu können. Wir wollen aber auch über dieses Internet-Studio bei Facebook mit unseren Zuschauern in direkten Kontakt treten. Wir wollen unsere Themen erklären. Wir wollen die Fragen der Zuschauer beantworten. Wir wollen in die Diskussionen gehen. Wir wollen an den Zuschauer ran und ihn damit weiter an uns binden. Das ist, glaube ich, ganz ganz wichtig. Das ist heute auch gefordert. Wir müssen ganz einfach sagen – und das wollen wir auch – wir haben sehr kontroverse Themen. Wir wollen mit unseren Recherchen Diskussionen anstoßen. Das tun wir auch, weil die Beiträge sehr angespitzt sind und meinungsstark, aber dann wenn es diese Diskussion gibt, müssen wir uns ihr auch stellen und sie selber führen. Und dazu bin ich in Zukunft bereit. Das heißt, wir werden nach der Sendung im Internet auf Sendung gehen und wir bauen gerade eine kleine Einheit auf, die unsere Recherchen nochmal fürs Netz mit Webvideos noch besser als bisher extra fürs Internet präsentiert. Das heißt, das werden eigene Filmbeiträge. Man kann heute nicht mehr einfach Fernsehbeiträge ins Internet stellen. Das funktioniert nicht. Die müssen fürs Internet und die sozialen Netzwerke extra produziert werden. Das werden wir in Zukunft machen, um auch dort in den sozialen Medien mit unseren Recherchen und dem Namen Kontraste noch präsenter zu sein.

[9:44] Jörg Wagner: Was zu beobachten ist in den letzten 50 Jahren ist, dass die Einbindung des Zuschauers immer wieder mal gelingt. Entweder durch Telefon-Rückkanal oder auch eben jetzt auch durch das Internet. Aber, wer sich dem Diskurs entzieht, ist die Politik, die lieber in den Soft-Talkshows ausweicht, um dort Rede und Antwort zu stehen. Aber sehr oft hört man da, XY hat sich leider auf unsere Anfrage hin nicht zur Verfügung gestellt. Es gibt dann als Ausweich die Möglichkeit, Politiker zu verfolgen bei Veranstaltungen, sie aufzulauern und sie zu konfrontieren. Hoffen Sie, dass auch durch so eine Form der Internet-Präsentation, es gelingen kann auch Politiker wieder zurückzuholen in den Diskurs?

[10:23] Matthias Deiß: Also, ich bin da leider aus eigener Erfahrung relativ skeptisch. Es ist nun mal so, dass wir bei Politikern nicht den besten Ruf haben. Für mich ist es wichtig, journalistisch lauter zu arbeiten. Jeder kriegt die Gelegenheit, sich zu unseren Recherchen zu äußern. Wir fragen die Betroffenen immer an. Aber wir können sie eben nicht zwingen zu antworten. Und wenn sie das nicht tun, werden wir das so benennen, sagen: Wir haben gefragt, aber keine Antwort erhalten. Das kann man dann auch durch eine Konfrontation im Beitrag machen. Aber jeder bekommt die Gelegenheit, sich zu unseren Recherchen zu äußern. Das ist journalistisch lauteres arbeiten. Wer nicht möchte, den können wir nicht zwingen. Und daran ändert das Internet eigentlich wenig.









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