Jasmin Tabatabai: Dringende Korrektur des Systems

Jasmin Tabatabai | Foto: © Jörg Wagner
Jasmin Tabatabai | Foto: © Jörg Wagner

Was: Interview zur #metoo-Debatte
Wer: Jasmin Tabatabai, Schauspielerin, Musikerin, ProQuote Film
Wo: Berlin, Kino International
Wann: 31.01.2018, 11:51 Uhr

Vgl.:
* „Neue Vorwürfe gegen Dieter Wedel“, Die Zeit, 24.01.2018, 16:00 Uhr



[00:00] Jasmin Tabatabai: Mein Name ist Jasmin Tabatabai. Ich durfte heute hier für ProQuote Film für das Gewerk der Schauspielerinnen sprechen. Ich bin aber nicht im Vorstand, sondern ich bin einfach sozusagen Aktivistin und Lobbyistin für die Sache. Ich weiß, dass ProQuote Film zusammen mit der Deutschen Filmakademie, dem BKM [Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien] und dem BFFS [Bundesverband Schauspiel] – da wird im Moment sehr hart daran gearbeitet, eine branchenübergreifende Beschwerdestelle einzurichten, damit endlich Frauen, die betroffen sind von sexueller Diskriminierung oder Belästigung, sich an eine Stelle offiziell wenden können und dort wahrscheinlich sogar anonym um Hilfe bitten dürfen. Und ich glaube, das ist längst überfällig. Und das ist etwas, was sehr wichtig ist, weil bis jetzt – also eigentlich will der Gesetzgeber das ja von jedem Betrieb in Deutschland. Das war aber in der Filmbranche bis jetzt einfach nicht eingerichtet, weil bei uns arbeitet man ja ein paar Wochen für eine Firma, dann wechselt man. Dann ist diese Firma schon längst wieder aufgelöst und so weiter. Also, ich denke, das ist ein überfälliger Schritt, der auch viel bringen wird.

[01:06] Jörg Wagner: Der Saarländische Rundfunk hat eine Task-Force gegründet, um einen Vorfall von Dieter Wedel aus Anfang der 80er Jahre aufzuklären. Ist das möglicherweise die Spitze eines Eisberges? Wie ist Ihre Erfahrung? Müssen wir damit rechnen, dass bis in die jüngste Gegenwart sich die Fälle jetzt durch die Aufarbeitung häufen werden, die ans Licht der Öffentlichkeit gelangen?

[01:28] Jasmin Tabatabai: Sie haben den Fall, den Sie angesprochen haben – ich glaube, die Schauspielerin heißt Gemsch. Kann das sein? – Also, das war ja in dem ZEIT-Dossier sehr, sehr gut recherchiert und auch durchaus differenziert dargestellt – hat schon eine ganz spezielle Dimension. Denn, so wie ich das gelesen habe, wurden ja die Dreharbeiten unterbrochen aufgrund einer Verletzung, die dieser Schauspielerin vonseiten des Regisseurs zugeführt wurde. Und das heißt ja – das weiß jeder, der in der Filmbranche arbeitet – wenn Dreharbeiten unterbrochen werden, das ist Worst-Case-Szenario. Dann weiß die Versicherung Bescheid. Dann weiß der Sender Bescheid und dann weiß auch die Produktionsfirma Bescheid. Und wenn allem Anschein nach – und so wie es ja irgendwie recherchiert und berichtet wurde – wurde dann entschieden, dass man das unter den Teppich kehrt den Fall, dass die Schauspielerin ausgetauscht wird und der Regisseur weitermachen kann. Und dann ist als nächstes dann sozusagen das mit der nächsten Schauspielerin auch passiert. Das ist auch – also ich finde, das hat schon eine spezielle Dimension und muss, finde ich schon, auch wenn es vierzig Jahre her ist, lückenlos aufgeklärt sein. Und warum? Weil es doch in aller Deutlichkeit zeigt, in was für einem System wir uns bewegen und wie die Filmbranche – ich glaube, auch nicht die Filmbranche alleine, wie sie strukturiert ist, weil, wenn das möglich ist, dass so etwas unter den Tisch fällt, unter den Teppich gekehrt wird und so eine krasse Benachteiligung von Opfern stattgefunden hat, das muss, also dann kann ich wirklich nur sagen, dann muss dieses System wirklich dringend korrigiert und aufgebrochen werden. Und das sollte auf jeden Fall untersucht werden, offengelegt werden. Soweit ich das mitbekommen habe, ist das ja auch in Planung.

[03:16] Jörg Wagner: Ist das aus Ihrer Perspektive – ich weiß, das ist eine sehr spekulative Frage – eher ein Einzelphänomen? Oder ist das, was unter dem Stichwort „Besetzungscouch“ immer ein offenes Geheimnis war, möglicherweise nur eine Verharmlosung dessen, was tagtäglich passiert?

[03:35] Jasmin Tabatabai: Also, ganz klar ist das jetzt nicht Alltagspraxis. Also ich würde sagen, das ist jetzt nicht … wir leben in einer … also wir arbeiten alle in einer sehr sexistischen Branche. Aber dass – Entschuldigung – dass Vergewaltigung und Gewalt gegen Frauen an der Tagesordnung ist, ist natürlich Quatsch. Genauso wie es Quatsch ist, dass es alle gewusst haben, dass diese Vorwürfe, diese speziellen Vorwürfe im Raum stehen. Alle … das stimmt einfach nicht. Na, und weil sonst würden auch einige Leute, mich inklusive, sich fernhalten von solchen Personen, mit denen nicht zusammenarbeiten. Das sind Straftaten, die da im Raum stehen, die vorgeworfen werden. Das ist überhaupt nicht witzig. Ich finde es sehr gut, dass jetzt zum ersten Mal, seit ich mich erinnern kann, wird den Opfern auch zugehört, wird es nicht gleich wieder niedergebrüllt, wird nicht irgendwie gesagt: Ach das ist jetzt irgendwie alles Schnee von gestern, oder so. Das ist das Wertvolle an dieser metoo-Debatte. Und ich glaube schon, dass da noch einiges rauskommt. Aber diese Dimensionen und also so richtig straffällige Sachen sind jetzt natürlich nicht an der Tagesordnung. Es ist nicht Sodom und Gomorra. Und es haben auch nicht alle gewusst, ja. Und … also das in aller Klarheit, muss ich sagen, weil es doch jetzt auch ein bisschen so gehandelt wird, dass jetzt alle Leute, die mit diesem Regisseur gearbeitet haben, als Mitwisser gehandelt werden. Das ist natürlich Quatsch.

(wörtliches Transkript)








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