David Bernet: Also, mein Name ist David Bernet. Ich bin Dokumentarfilmer/Autor und Regisseur und bin im Vorstand der AG Dok tätig und kümmere mich hauptsächlich um das Thema Honorarfragen.
Jörg Wagner: … und Sie werden nicht müde, immer wieder zu wiederholen, mehr Dokumentarfilme, mehr Dokumentationen in die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten zu bringen. Der Befund aber ist ja, dass die Anstalten sagen, wir haben genug Dokumentarfilme. Letzten Endes aber zu immer sinkenderen Kosten. Und das ist Ihr Kritikpunkt.
David Bernet: Das eine ist: Das öffentlich-rechtliche System ist unter Legitimationsdruck immer schon gewesen. Und im Moment in besonderer Form. Das Beispiel Schweiz ist der krasse Fall, wo es sichtbar wird, was geschehen kann, wenn man plötzlich eine Mehrheit hätte der Bevölkerung, die sagt: So wollen wir nicht mehr. Und in dieser Legitimation spielen wir eine große Rolle. Also, wir sind immer da als Dokumentarfilm, um für die Ansprachen, die Reden, die gehalten werden, um zu zeigen, was der Wert des öffentlich-echtlichen Systems ist, sind wir immer da, werden zitiert als die „DNA“ sogar des öffentlich-rechtlichen Systems. Tatsächlich spielt man keine so große Rolle. Wir adressieren diesen Widerspruch. Im Programm. Also wenn [die] ARD sagt, 12 Stücke haben wir pro Jahr im Sommerloch und ihr seid wahnsinnig wichtig, dann stimmt da irgendetwas nicht in der Gewichtung, würde ich sagen. Das andere ist, dass tatsächlich die Budgets gesunken sind der Dokumentarfilm-Redaktionen zu deren Schaden, weil die wollen das ja. Wir sind auf einer Linie, was die Dokumentarfilmmacher innerhalb der Sender angeht und was wir wollen. Wir glauben an unser Genre. Wir glauben daran, dass wir Debatten und Themen in die Öffentlichkeit bringen können, die sonst nicht stattfinden können. Also, nicht im Tagesjournalismus, nicht in Talkshows, sondern eben über unsere Art und Weise, die Welt aufzumachen und dieser Wert wird nicht aberkannt, sondern das wird ja auch immer zitiert. Und in dem Moment, wo man zu wenig Budgets hat, haben wir eine Situation, wo die Dokumentarfilm-Schaffenden – und ich habe heute vor allem über die Regisseurinnen, Regisseure und Autorinnen und Autoren gesprochen – dass die zu wenig verdienen, um wirklich ihre Produkte korrekt von der Qualität her in einer anspruchsvollen Form herzustellen bzw. auch ein professionelles Leben zu finanzieren und eine Karriere zu entwickeln.
Jörg Wagner: Können Sie noch mal ganz kurz ein Beispiel nennen, was ein Durchschnitts-Dokumentarfilmer so erst mal an Geld mitbringen muss und gleichzeitig aber auch über welche Strecke er letzten Endes sein eigenes Leben finanzieren muss.
David Bernet: Dokumentarfilmer entwickeln ihre eigenen Stoffe. Das heißt, da wird schon mal investiert. Da wurde jetzt reagiert. Es gibt neuerdings interessanterweise von der ARD und von Arte auch kurz angekündigte Millionenbeträge, die in Entwicklung jetzt investiert werden sollen von neuen Stücken. Das heißt, da wird uns geholfen in der Entwicklung, was ein Risiko [war], das wir bisher selbst getragen haben. Und richtig Geld gibt es natürlich erst ab Produktionsbeginn. Und da sind die Beträge so klein, dass in vielen Fällen, die wir ja auch eruiert haben in unseren verschiedenen Studien, die Leute nicht in der Lage sind, mit ihrem Honorar die Produktionszeit zu überstehen. Das heißt, sie fangen an, ihren Job irgendwann zu subventionieren mit Nebenjobs. Das ist eine Entprofessionalisierung, die hier im Gange ist. Die ist schleichend über die letzten Jahre immer dramatischer geworden. Jetzt ist der Punkt, wo wir sagen, es geht nicht mehr. Beziehungsweise kann man die Frage auch anders stellen, wollt ihr wirklich sagen, wir wollen Dokumentarfilme, er ist die „DNA des öffentlich-rechtlichen Systems“ und diese Produkte werden unter nichtprofessionellen Bedingungen hergestellt? Reicht das wirklich? Ist es das? Ich würde sagen, nein, das ist es nicht. Professionalisierung in unserem Bereich heißt auch, besserer Film, heißt auch vielleicht, dann auf lange Sicht mehr Akzeptanz, größerer Erfolg, mehr Wettbewerbsfähigkeit auch international. Das hat zu tun dann mit, was für einen Status hat deutsches Filmschaffen in der Welt und so weiter.
Jörg Wagner: Wo sehen Sie die Lösung? Also, dass man umverteilt innerhalb des öffentlich-rechtlichen Systems, weniger Sportrechte? Dafür mehr in den Dokumentar-Bereich? Sind Sie für eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags? Wie soll das kommen?
David Bernet: Wir haben ja heute schon gehört, von einem der Staatssekretäre im Rahmen dieser Veranstaltung, der sagte, das, was ihr da mehr braucht und wir sagen, … was man mehr braucht, sind Peanuts.
Jörg Wagner: Also, umgerechnet auf den Rundfunkbeitrag sind das Centbeträge.
David Bernet: Es sind Cent-Beträge, genau, das war die Aussage heute. Wir sagen, wenn man jetzt von einem kreativen Dokumentarfilm, was ich heute ausgeführt habe, spricht, kann man mit 30-, 40-tausend Euro mehr im Budget bereits für eine ordentliche Finanzierung von Regie und Buch sorgen. Das sind keine riesigen Beträge angesichts dessen, wieviel Filme wirklich hergestellt werden.
Jörg Wagner: Aber auch da wollen Sie mehr: Mehr mehr Sendeplätze.
David Bernet: Ja, weil gleichzeitig schießen ja Dokumentarfilme-Festivals aus dem Boden. Wir werden ständig eingeladen mit unseren Filmen irgendwo hin. Diese Festivals haben jedes Jahr Besucherrekorde. Der Punkt ist, dass die Leute wissen schon, Sie können im öffentlich-rechtlichen Fernsehen auf ARD/ZDF solche Filme nicht sehen. Sie verzichten auch auf diese Sender und gehen stattdessen ins Kino, um solche Filme zu gucken. Nur das Kino ernährt uns nicht. Das sind dann doch zu kleine Beträge. Festivals, die zahlen nicht für die Filme. Die zeigen sie nur. Und das heißt, das ist kein wirklicher Satz. Das hat was zu tun, wenn man jeden Abend lieber Krimis sendet um 20 Uhr 15 und das Publikum daran gewöhnt hat, dann ist es nicht einfach dann mit einem Dokumentarfilm zu kommen und zu sagen, statt Krimi gibts jetzt Dokfilm. Ist natürlich eine andere Form von Konsum. Ist ein bisschen anstrengender. Die Themen sind meistens ernst. Man muss sich einfühlen in komplexere Charaktere, als man das im Krimi muss, können muss. Es hat etwas zu tun mit Gewöhnung. Wenn man den Dokumentarfilm verbannt vom Bildschirm, dann entwöhnt man natürlich auch die Zuschauer bzw. die Zuschauer wissen schon, sie kriegen das nicht, sie gehen ins Netz und schauen sich das von Netflix an, wo übrigens Dokumentarfilm gut läuft. Überhaupt international spricht man von einem Boom tatsächlich. Interessant ist ja, dass der MDR jetzt angekündigt hat, dass sie pro Woche ein Programmplatz freigeräumt haben Montagabend, glaube ich, 22 Uhr, wo sie Dokumentationen, Dokumentarfilm zeigen wollen. Das heißt, jede Woche einen. Das sind nicht zwölf. Das sind 52 pro Jahr. Das ist ein Riesenschritt. Interessant wäre es natürlich mit welchen Budget sind diese Filme ausgestattet? Sind das nur Lizenz-Käufe? Oder ist es wirklich … sind das Produktionen, die neu sind und die dem Filmschaffen in Deutschland dienen? Aber grundsätzlich heißt das, der Schritt wird schon gewagt, zu versuchen, die Dokumentation, den Dokumentarfilm wieder ans Publikum zu bringen.
Jörg Wagner: Sie haben eine Petition angekündigt. Vielleicht können Sie noch etwas zu dem Inhalt sagen und an wen die sich konkret richtet.
David Bernet: Wir haben … es ist keine Petition in dem Sinne. Es ist eine Kampagne. Weil wir haben … also ich habe heute formuliert, dass wir die letzten Jahre daran gearbeitet haben herauszufinden, was wäre der Bedarf, von – sagen wir mal – einer Mindestgage für einen kreativen Dokumentarfilm. Es werden ja viele Filme gefördert pro Jahr von Förderinstitutionen. Tatsächlich sind die Gagen oft nicht realistisch kalkuliert. Das heißt, die Leute schaffen nicht mal die Produktionszeit zu überstehen damit. Wir haben einen Finanzrahmen definiert und werden den vermitteln an die Förderer und den Förderern sagen, wenn ihr ein Projekt beurteilt, ob es förderfähig ist, förderwürdig ist. Dann müsst ihr auch in die Kalkulation gucken. Das tut ihr eh. Also, wenn da steht: Wir haben ein Projekt, einen Dokumentarfilm, der ist kreativ, der hat große visuelle Wucht und dann steht da: ein Kameramann 150 Euro am Tag, dann wissen die, das kann nichts werden. Das ist kein professionelles Produkt. Wenn da steht, die Regie hat für zwei Jahre 20.000 Euro zur Verfügung, dann ist es auch kein professionelles Produkt: nur das können sie noch nicht erkennen, weil da eben die Maßstäbe fehlen. Was wir jetzt schaffen, sind Maßstäbe, damit das erkennbar ist, was ist ein professionelles Produkt, was nicht. Und die Kampagne, die wir haben, ist im Prinzip ein Plebiszit. Das heißt, wir haben in einer Kommission eruiert, was wäre der Betrag, den man bräuchte, um zwei Jahre lang mindestens so einen Film zu machen.
Jörg Wagner: Nennen Sie die Summe!
David Bernet: Das ist 75-tausend Euro. Das ist im Jahr 37-tausend einhalb. Das ist für Selbstständige nicht wahnsinnig viel Geld, weil wir ja investieren müssen auch in unsere professionelle Infrastruktur. Oder das ist auch sonst nicht wahnsinnig viel Geld. Also wenige Angestellte verdienen so wenig, kann man sagen. In einem Beruf, wo man ja studiert hat, wo man eine künstlerisch-leitende Position hat als Regisseur ist es nicht wahnsinnig viel Geld. Sagen wir mal “Mindestgage”. Das heißt, wir kommunizieren das an alle unsere Kollegen. Die sollen das zeichnen, sollen sagen: Ja, das stimmt. Wir unterstützen das. Wir versuchen das selbst in unseren Verhandlungen so durchzusetzen diese Beträge. Das ist das eine. Weil wir haben eine Vertragsfreiheit. Wir können niemandem vorschreiben, was er oder sie tut
Jörg Wagner: Aber man kann sagen, was sittenwidrig ist zum Beispiel.
David Bernet: Man kann sagen, was sittenwidrig ist genau. Und das andere ist, dass wir diese von wahrscheinlich sehr vielen Kolleginnen und Kollegen unterschriebenen Forderungen oder Empfehlungen, kann man sagen, zu den Förderern tragen. Und von da aus wollen wir auch quasi spiegeln dann, ja was passiert in anderen Genres, TV-Genres, im Dokumentarischen. Wie sieht es da aus? Was müsste da der Rahmen sein? Das sind die folgenden Schritte dann. Aber wir können nicht alles auf einmal machen. Deswegen fangen wir beim Kino-Dokumentarfilm an.