[0:00] Jörg Wagner: Prof. Christian Schertz, es ist zehn Jahre her, seitdem in Winnenden Tote zu beklagen waren durch einen Amok-Fall. Bereits sieben Jahre vorher gab es in Erfurt einen ähnlichen Fall. Der Unterschied damals: Die klassischen Medien haben berichtet in Erfurt und die Social Media gab es noch gar nicht. Wie ist für Sie dieser Einschnitt am 11. März 2009 spürbar gewesen als Anwalt, der zu tun hat tatsächlich mit Persönlichkeitsschutzrecht?
[0:27] Prof. Dr. Christian Schertz: Das war der erste Fall oder das war eine Zäsur in der Praxis von Medien insofern, als erstmals Bilder aus sozialen Netzwerken von Opfern, aber auch dem Täter veröffentlicht worden sind. Das heißt, die Medien haben sich relativ umfassend in sozialen Netzwerken bedient und eben Opfer-Bilder veröffentlicht. Und dass es dann eigentlich die Praxis – nicht nur in Deutschland geworden. Es waren immer spektakuläre Attentate, Unglücksfälle – gab, leider die Opfer-Bilder im Netz zu finden waren, weil die Opfer eben zu Lebzeiten das ins Netz gestellt hatten und dann eben die Medien ohne großen Aufwand diese Bilder veröffentlichen konnten. Ich erinnere an den Absturz der Germanwings, wo auch viele Opfer dann auf den Titelseiten der Medien zu finden waren und das waren oftmals Bilder aus sozialen Netzwerken. Ich habe selber den Unterschied dadurch festgestellt, als ich vor 20 Jahren … hatte ich einen Fall, bei dem es um die Veröffentlichung von dem Bild einer Verstorbenen ging. Und dort mussten die Medien erst in die Schule eindringen, um das Bild aus dem Jahrgangsheft herauszureißen, um es veröffentlichen zu können. Wenige Jahre später nach Winnenden habe ich einen ebenso tragischen Fall begleiten müssen als Presse-Anwalt, wo die Eltern mich baten, die Veröffentlichung von Bildern ihrer Tochter in den Medien zu verhindern und auch zu stoppen. Und dort hatten sich die Medien tatsächlich in den sozialen Netzwerken bedient, weil diese Verstorbene eben Bilder von sich zuvor ins Netz gestellt hatte. Insofern hat sich natürlich seit Winnenden die Praxis geändert. Die Medien müssen nicht mehr irgendwohin gehen. Sie gehen ins Internet und finden zumeist sehr viele Informationen, Daten und Bilder über die Opfer von Straftaten, Unglücksfällen, Attentaten etc.
[2:11] Jörg Wagner: Ich kann mich erinnern, bei dieser Buchverfilmung von Böll “Die verlorene Ehre der Katharina Blum” gab es auch einen Reporter, der ans Krankenbett ging und um ein Foto bat. Und wenn dieses Foto dann herausgegeben wird im Trauerfall, ist man dann möglicherweise auch nicht mehr so zurechnungsfähig, um die Folgen abschätzen zu können. Wodurch unterscheidet sich denn dieses, als “Witwenschüttler” auch bekannte Verfahren von dem, dass man sich einfach im Internet bedient, weil die Fotos sind ja sozusagen auch in der Öffentlichkeit. Sie sind freigegeben im vollen Bewusstsein, dass weltweit darauf zugegriffen werden kann und Medien ja dann sozusagen denken, was einmal öffentlich ist, multiplizieren wir nur nochmal, weil wir sind ja auch öffentlich.
[2:54] Prof. Dr. Christian Schertz: Der Umstand, dass jemand von sich ein Bild auf seine Facebookseite stellt, ist rechtlich für die Frage, was passiert mit dem Bild später, wenn mir was passiert in einem Unglücksfall völlig irrelevant. Das heißt, ich willige doch damit, dass ich Fotos von mir auf meine Facebookseite stelle, nicht ein, dass man, wenn mir was passiert, diese Zeit-Bilder auch in einer Boulevardpresse veröffentlichen kann. Das ist eindeutig und durchentschieden. Die Gerichte sagen, du musst trotzdem denjenigen fragen oder die Betroffenen fragen, die das Bild, die die Bildrechte haben, ob sie dieses Bild, was im Netz ist, im Falle eines Unglücksfalls für einen Bericht veröffentlichen dürfen. Und das ist eindeutig nicht zulässig, wenn man nicht fragt. Insofern ist die Praxis der Medien, sich im Internet zu bedienen, um Opfer-Bilder zu bekommen, rechtswidrig. Diese Bilder dürfen ohne Zustimmung nicht veröffentlicht werden und da ist die Rechtslage klar und eindeutig.
[3:41] Jörg Wagner: Also, es gibt sozusagen mehrere Formen der Öffentlichkeit, ist das richtig?
[3:45] Prof. Dr. Christian Schertz: Selbstverständlich. Es gibt eben … das ist die so genannte Selbstbestimmung. Ich entscheide darüber, was mit meinem Bild passiert. Das Recht am eigenen Bild gestattet es jedem von uns zu entscheiden, ob mein Foto veröffentlicht wird und wann. Es gibt Ausnahmen bei Personen der Zeitgeschichte. Aber grundsätzlich muss ich gefragt werden, wenn mein Foto in einer Zeitung gedruckt wird. Der Umstand, dass ich auf meiner eigenen Facebook-Seite mein Foto poste, ist keine Einwilligung in die Veröffentlichung in einer Boulevardzeitung. Das heißt, hier müsste extra gefragt werden. Die Rechtslage – wir nennen das Zweckübertragungslehre – nur weil ich ein Foto ins Netz stelle, willige ich nicht gleichzeitig ein, dass das Foto anderweitig veröffentlicht werden darf. Insofern ist das keine Selbstbegebung in dem Sinne: Ich gebe einmal mein Foto ins Netz und dann kann ich das nicht mehr zurückholen bzw. ich kann nichts dagegen tun, dass es im Falle, dass mir was passiert von Boulevardmedien veröffentlicht wird. Doch ich kann was dagegen tun, weil wie gesagt, das faktische ins Netz stellen auf meine eigenen Facebookseite, in sozialen Netzwerken ist ja eine Entscheidung, dass ich es hier tue, aber ich willige damit noch nicht automatisch ein, dass es in einem anderen Zusammenhang veröffentlicht werden darf.
[4:53] Jörg Wagner: Inwieweit spielt denn auch noch das Urheberrecht hinein, das ja das Recht am eigenen Bild möglicherweise aus juristischer Sicht noch mal interessant macht?
[5:02] Prof. Dr. Christian Schertz: Ja, Sie haben völlig recht. An dem Foto bestehen zwei rechtliche Besitzstände: Das Recht am eigenen Bild des Abgebildeten. Der muss gefragt werden, wenn es in der Zeitung veröffentlicht werden soll und auch noch das Urheberrecht an dem Bild. Also, auch der Urheber muss gefragt werden. Nicht selten ist das der Betroffene selber, weil er das Foto von sich hat machen lassen. Aber jedenfalls hat ja irgendeiner das Foto hergestellt und der hat ein Recht an diesem Foto. Und auch da gilt: Nur, weil ich dieses Recht insofern freigebe, dass ich es ins Netz stelle, ist damit noch nicht das Recht übertragen, dass es in einer Print-Ausgabe einer Boulevardzeitung gedruckt werden darf. Das ist eindeutig. Das heißt, die Rechtsverletzung, wenn nicht gefragt wird, ist doppelt. Es sind die Urheberrechte an dem Foto verletzt für den Fotografen und das Recht des Abgebildeten, wenn er nicht gefragt worden ist.
[5:45] Jörg Wagner: Nun sieht man sehr häufig, dass Redaktionen dann Bilder verpixeln, also die Opfer oder Täter unkenntlich machen. Ist das ein zulässiges Mittel, um dann doch ein Foto abdrucken zu können?
[5:56] Prof. Dr. Christian Schertz: Das war früher der schwarze Augenbalken, der genauso wenig geholfen hat, wie zumeist die Verpixelung. Das ist der Versuch von Medien, die Identifizierbarkeit, das Bildnis zu verhindern, dass der Betroffene nicht sagt, ihr zeigt mein Bildnis. Da sagen die: Wir haben es ja verpixelt. Du bist ja gar nicht zu erkennen. Aber meistens ist die Erkennbarkeit des Abgebildeten trotzdem gegeben. Es reicht nämlich beim Recht am eigenen Bild aus, dass Angehörige, das Umfeld dich erkennt. Und da reicht die Verpixelung der Augen oder auch der Nase nicht aus, dass eine Erkennbarkeit gänzlich ausgeschlossen wird. Also, wir haben ganz viele Fälle, wo wir erfolgreich gegen die Veröffentlichung von Bildern trotz Verpixelung vorgegangen sind. Nicht selten steht dann der Name drunter oder der Name steht zumindest abgekürzt drunter oder steht drunter, wo der Betroffene wohnt. Also, es ergibt sich eben zumeist aus dem Umstand der Veröffentlichung, aus dem Umfeld der Veröffentlichung oder aus der Abbildung selbst trotz Verpixelung die Erkennbarkeit. Und die Erkennbarkeit ist halt das Kriterium, ab wann das Recht am eigenen Bild verletzt worden ist. Also, die Verpixelung ist meines Erachtens meistens wenig hilfreich, Rechtsverfolgung zu verhindern.
[7:01] Jörg Wagner: Nun gibt es ja den Umstand, dass man mittlerweile auch sowas wie “digitale Friedhöfe” schafft bzw. Facebookseiten umwidmet in Gedenkseiten oder auch in dem man gerade in der Zeit der höchsten Betroffenheit, Möglichkeit gibt, für andere Abschied zu nehmen. Dann entstehen sogenannte Opfer-Galerien. Ist das etwas, was Sie juristisch als sehr schwierig bewerten, weil es … das wird ja alles gemacht, damit die Öffentlichkeit das sieht und nicht damit sie es nicht sieht, dass da Journalisten sich auch ermuntert fühlen zu sagen, naja aber die wollen doch, dass man mit ihnen zusammen trauert. Ist das so eine Grauzone, wo man dann doch vielleicht sagen kann, also hier kann man das Verständnis und das Einverständnis zudem noch von Angehörigen voraussetzen, weil sie ja wollen, dass die Gesichter der Betroffenen öffentlich werden?
[7:47] Prof. Dr. Christian Schertz: Also, ich finde diese Praxis dieser digitalen Trauer ohnehin schwierig, weil man das Opfer nämlich nicht mehr fragen kann, ob es das eigentlich will. Man umgeht eigentlich die Selbstbestimmung des Opfers. Und das Recht am eigenen Bild gilt über den Tod hinaus. Da müssen die nahen Angehörigen gefragt werden, ob das Bildnis des Verstorbenen veröffentlicht werden darf. Ob das dann immer geschieht, weiß ich nicht. Ich bezweifle es sogar. Und selbst, wenn es dann so ist, dass sogar die Angehörigen vielleicht selber auf der Facebookseite des Verstorbenen trauern, ist auch das kein Freibrief für die Medien darüber zu berichten. Es ist praktisch ein letztlich dann doch begrenzter Ort. Es gibt eine konkrete Zielgruppe und es ist doch was völlig anderes, als wenn man praktisch ein Foto des verstorbenen Angehörigen auf einer Facebookseite postet oder eben dieses Foto und die Geschichte dieses Menschen dann in der Boulevardpresse erzählt. Also, es ist kein Freibrief und auch rechtlich keine Erlaubnis, dann das veröffentlichen zu dürfen durch Medien. Aber wie gesagt, ich finde die Praxis ohnehin bedenklich, also auch derjenigen, die dann nicht wissen, wie das Opfer eigentlich entschieden hätte, wenn man es gefragt hätte, willst du nach deinem Tod, dass man dein Foto online stellt und trauert. Also, ich selber z. B. würde das nicht wollen. Und ich kenne auch viele, die das nicht wollen. Und ich kenne eigentlich nur Mandanten, die kommen zu mir und sagen: Können Sie bitte dafür sorgen, dass Facebook die Facebookseite meiner verstorbenen Tochter abschaltet. Das kenne ich als Rechtsfall. Und das ist auch das Problem tatsächlich, was passiert mit diesem ganzen digitalen Material, wenn Menschen verstorben sind. Bleibt es für immer im Netz? Und darüber müssen sich auch die Betroffenen selbst immer wieder Gedanken machen, was passiert mit dem, was ich von mir ins Netz stelle. Erstens was passiert grundsätzlich damit und zweitens was passiert, wenn mir vielleicht mal was passiert.
[09:29] Jörg Wagner: Nun gibt es ja sehr stark auch die Haltung junger Menschen: Wenn ich tot bin, bin ich tot. Dann ist mir alles doch irgendwie egal. Aber sie denken dann mitunter ja nicht an die Angehörigen, die ja weiter mit diesem Trauma leben müssen. Was raten sie denn grundsätzlich? Extreme Zurückhaltung? Raus aus den sozialen Netzwerken oder besondere Schutzmechanismen einrichten, dass eben nur bestimmte Menschen diese Fotos sehen können z. B.?
[09:55] Prof. Dr. Christian Schertz: Naja, wir haben insgesamt die Entwicklung – die ist ja fast epochal und daraus hat Zuckerberg mit Facebook ein Milliardengeschäft gemacht – die Menschen wollen offenbar stattfinden. Egal wie. Und deswegen gibt es eben viele auch der jüngeren Generation, die alles von sich im Netz preisgeben, um wahrgenommen zu werden: per Instagram, per Facebook, per Twitter, egal. Ich finde diese Praxis insofern bedenklich, weil man begibt sich in seine eigene Privatsphäre, die eigentlich geschützt ist und stellt das alles online und vergisst dabei zweierlei: A) was passiert dann mit diesem Material, übrigens auch noch zu Lebzeiten und da haben wir ganz viele Fälle, wo wir dann eingreifen müssen, oftmals auch Minderjährige von sich Fotos posten, die dann in der Schule rum geschickt werden und wir dafür die Eltern verhindern müssen, dass diese Bilder noch irgendwie weiterverbreitet werden. Da gibt es leider sehr viel auch traurige Geschichten mit Stalking, Mobbing, ich weiß nicht was. Und das andere ist, was Sie völlig zurecht ansprechen, was ist nach dem Tod? Was ist im Falle eines Unglücksfalls? Ich warne in meinen Vorlesungen, Vorträgen, auch an Schuhen immer wieder davor, ungehindert alles von sich preiszugeben. Und zwar so oder so finde ich es bedenklich und wenn man es tut, sollte man genau überlegen: Man kriegt diese Bilder nicht zurück. Es gibt kein Zurück. Und wenn man es schon tut, sollte man es in einem begrenzten Ort tun. Also z. B. bei Instagram nur in einem privaten Bereich. Das heißt, Sie können das ja so schalten, dass nicht jeder Zugriff drauf hat. Dasselbe gilt auch bei Facebook etc. Aber wie gesagt, ich persönlich stehe dieser ganzen Praxis, alles von sich preiszugeben im Netz, nur um stattzufinden, sehr kritisch gegenüber, weil ich die Folgen von diesem Tun bei mir in der Kanzlei jeden Tag erlebe. Weil nämlich: Das Leben ist leider so, dass es nicht immer gut verläuft. Oder wenn es zu Unglücksfällen oder sonstigen Schicksalsschlägen kommt oder Zäsuren im Leben, ist das, was von mir digital im Netz ist, meistens gefährlich, verheerend, beschädigend, weil dann andere mit diesem Material etwas tun, worauf du selber keinen Zugriff mehr hast.
[11:48] Jörg Wagner: Perspektivisch gesehen ändert sich ja der Begriff, die Einstellung, was Privatheit ist, kulturell. Ein berühmtes Beispiel, was ich immer gerne zitiere, ist als ich noch klein war war ein Kuss in der U-Bahn schon “Erregung öffentlichen Ärgernisses”. Heutzutage kann man im Monbijou-Park oben ohne liegen als Frau im Sommer und wird toleriert, inwieweit ist denn möglicherweise das, was Sie als negativ beobachten, ich sag mal, in 20 Jahren Alltag und dann hat sich jeder dran gewöhnt? Also, dass das überall Fotos gibt, dass man veröffentlicht wird. Wenn alle kulturell im Einverständnis agieren, jeder darf alles über einen wissen, dann ist sozusagen auch nicht mehr diese Beklemmung, diese Scham mehr da, dass man gar nicht wahrgenommen wird, weil alle über sich die Bilder ins Netz stellen oder die Gedanken, dass man sozusagen untergeht im Strom der Nacktheit.
[12:40] Prof. Dr. Christian Schertz: Ja, das ist diese Post-Privacy-Doktrin oder dieser Ausspruch: Privatsphäre ist ‘n Ding von gestern. Ich sehe das völlig anders. Ich kenne ganz, ganz viele Menschen – ich würde sogar sagen, das sind die meisten, die wollen ihre Privatsphäre weiter geschützt sehen. Und nur weil die normative Kraft des Faktischen und die gesellschaftliche Entwicklung so ist, dass viele Menschen das nicht mehr so wollen und alles von sich preisgeben, hat der Gesetzgeber, haben wir als Juristen und auch die Gesellschaft und auch die Medien, entschuldigen Sie, verdammt noch mal zu respektieren, dass Privatsphäre nach wie vor ein schützenswertes Gut ist. Und ob sich das so schnell aufgeben und ändern wird, weiß ich nicht. Die Post-Privacy-Doktrin ist ins Stocken geraten. Ich kenne immer mehr auch junge Leute, die nicht mehr alles von sich preisgeben, die Instagram verschlüsseln, die manches gar nicht mehr machen. Ich kenne auch ganz viele, die inzwischen sich aus sozialen Netzwerken zurückgezogen haben, weil sie merken: Naja, es ist auch … das Ding hat zwei Seiten, die Medaille. Du zahlst dafür eben auch oft in großen, hohen Preis. Wenn ich mich bewerbe bei einem Arbeitgeber, wird inzwischen immer recherchiert, was hat der von sich im Netz? Und wenn das irgendwie Kuss-Bilder mit Mitschülern sind oder Mitstudenten, ausgelassene Partys mit Weingläsern an der Hand, ist die Frage, ob man diesen Kandidaten nimmt oder den von dem man nichts im Netz findet, glaube ich, entschieden. Das heißt, die Menschen müssen sich darüber klar sein, sie begeben sich eines Schutzes, den das Grundgesetz für ihn hergibt, nämlich der Schutz der Privatsphäre. Die, die ich jeden Tag hier als Mandanten habe oder auch mit meinem privaten Umfeld, mit denen ich darüber spreche, weil mich das Thema natürlich auch tatsächlich interessiert, wie geht ihr damit um? Die meisten sagen mir, sie wollen das eigentlich nicht, alles von … über sie im Netz zu lesen ist, Fotos von sich preisgeben. Das heißt, es mag sein, dass das eine gesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahre ist, dass das alles nicht mehr so schlimm ist. Ich glaube, aber nicht, dass wir irgendwann in Zeiten leben werden, wo jeden über jeden alles weiß und über sämtliche Fotos von einem in Netzzugriff möglich sind. Wir hatten ja auch gerade diesen Hacker-Skandal mit den Politikern, wo plötzlich die ganzen Daten bei den … allen Medien gelandet sind und immerhin sind diese Daten für die meisten Medien eigentlich gar nicht veröffentlicht worden und mussten auch wieder vernichtet werden usw. Das heißt, eigentlich funktioniert vieles noch ganz gut. Auch Boulevardmedien haben das nicht gemacht. Die haben diese Sachen nicht veröffentlicht. Es gibt also noch Respekt vor Privatsphäre und dem Verbreiten von Daten und Bildern. Oftmal vielleicht auch ohne Willen der Betroffenen. Also, ich glaube nicht, dass wir in 20 Jahren hier da sitzen werden und sagen, ist doch alles egal. Jeder kann doch mich … in meine Wohnung rein gucken, jeder kann doch meine Bikini-Fotos aus dem Urlaub sehen. Wenn es alle machen, ist doch die Schamgrenze ohnehin eine andere geworden. Ich weiß es nicht. Ich fände es übrigens auch bedenklich. Und nicht wünschenswert.
[15:20] Jörg Wagner: Aber warum ist Privatsphäre so wichtig geworden? Ist nicht jemand gesellschaftsfähiger, wenn er zeigt, dass er nichts zu verbergen hat?
[15:28] Prof. Dr. Christian Schertz: Nein, die Privatsphäre ist der einzige Ort, wo man seine Gedanken sammeln kann, wo man Krankheiten ausheilen kann, wo man sich austauschen kann mit nahen Familienangehörigen. Wenn dieser geschützte Ort endgültig uns allen genommen ist, haben wir gar nichts mehr. Wir haben keine Ruhe mehr und keine Möglichkeit in irgendeiner Weise uns zu erholen, zu regenerieren etc. Das heißt, die Privatsphäre als Idee ist nach wie vor genauso wichtig wie im 19. Jahrhundert, woher sie nämlich stammt. Und sollte uns auch nicht genommen werden. Und ich will es für mich beanspruchen und auch die, mit denen ich darüber spreche, wie gesagt, wollen diesen Schutz für sich haben. Etwa auch – wie gesagt: Das Leben ist nicht immer fair – wenn man krank wird, möchte man mit der Krankheit eigentlich in Ruhe gelassen werden. Ich habe wirklich immer wieder Mandanten, die auch im öffentlichen Leben stehen, die sind krank und wollen halt nicht, dass darüber berichtet wird, Aber auch normale Menschen wollen, wenn … man kennt es doch selber, wenn man krank ist, möchte man nicht ständig telefonieren, man möchte seine Ruhe zu Hause haben und sich die Bettdecke über den Kopf ziehen. Das ist Privatsphäre real. Das ist einfach tägliche Privatsphäre. Und die … glaube ich, wenn man diese Beispiele noch mal weiterführen würde, jeder würde sagen, ja klar, da möchte ich meine Ruhe haben und dieser Satz: Da möchte ich meine Ruhe haben, das ist nichts anderes, als Privatsphäre. Insofern ist Privatsphäre nachwievor wichtig. Gerade in dieser aufgeregten Mediengesellschaft, in dieser Empörungsgesellschaft, in dieser Gesellschaft, wo nur noch hate speech, fake news, Mobbing an der Tagesordnung ist, ist dieser geschützte Orte, der einzige Ort, wo man wirklich für diesen ganzen, entschuldigen Sie, medialen Wahnsinn seine Ruhe hat. Und das gilt es unbedingt zu schützen.