[0:01] Ja, hallo, vielen Dank für die Einladung. Wie die meisten von Ihnen wahrscheinlich wissen, sitzt die Süddeutsche Zeitung in München. Und weil ich mich bemühe, meinen ökologischen Fußabdruck möglichst klein zu halten, bin ich heute Morgen mit dem Zug von München nach Wien gefahren. Das hat den Nachteil, dass das ziemlich lange dauert und ich also heute sehr früh aufgestiegen … aufgestanden bin. Es hat aber den Vorteil, wenn man einmal drin sitzt im Zug, ist das ganz entspannt. Ich saß am Fenster und hab’ die Landschaft an mir vorbeiziehen lassen. Ich hab’ den Simssee gesehen und den Wallersee und den Chiemsee. Und als wir dann bei Salzburg waren, auch die Burg und in St. Pölten den Klangturm. Was ich die ganze Zeit über aber nicht gesehen habe, war der Zug, in dem ich saß. Warum erzähle ich Ihnen das? Das ist ja eigentlich eine Binse. Ich glaube, weil in der Geschichte eigentlich schon alles drin steckt, was wir übers Führen in digitalen Zeiten wissen müssen. Das ist nämlich wie der Versuch, den eigenen Zug beim Fahren zu beobachten. Und das ist nahezu unmöglich.
[1:12] Alle, die sich aufschwingen und Ratschläge über den digitalen Wandel aussprechen, leiden unter einem Problem. Sie – also wir – wissen es einfach nicht genau. Wir machen das alle zum ersten Mal. Es gibt immer noch kaum Vorbilder dafür, wie man Offline- und Online-Redaktionen gut verbindet und da, wo man sich nicht auf Lehrbücher berufen kann oder irgendwelche “Ja, das haben wir schon immer so gemacht”-Tradition, da entstehen Reibungen, da werden auch Fehler gemacht und da entstehen Unsicherheiten. Deshalb ist die zweite Sache, die ich Ihnen über’s Führen in digitalen Zeiten sagen kann, diese: Wir müssen lernen mit unseren eigenen Unsicherheiten umzugehen. Wir müssen aushalten, dass es keine einfachen Antworten gibt. Ich gebe zu, das kann sich ziemlich schrecklich anfühlen. Einige von uns reagieren darauf mit Schockstarre, wieder andere mit Wut, die nicht selten zu einem eher irrationalen Umgang mit den neuen Gegebenheiten führt.
[2:20] Aber klar, es gibt auch sehr viele Kollegen, die sich offen und konstruktiv mit dem Neuen beschäftigen. Diejenigen, die verstehen wollen, wie die Gesetzmäßigkeiten des Journalismus sich im Internet entwickeln und die wissen wollen, wie es sich anfühlt ohne Deadlines einer Druckerei, aber dafür mit dem permanenten Diktat der Geschwindigkeit arbeiten zu … diejenigen, die wissen wollen, wie es sich anfühlt, wirklich permanent vermessen zu werden und die aus diesen Zahlen ihre Schlüsse ziehen wollen, um ihre Arbeit besser zu machen.
[2:55] Wenn wir die Herausforderungen der Digitalisierung bewältigen wollen, dann können wir – wir Chefredakteure – uns heute nicht mehr alleine mit Inhalten beschäftigen. Bitte verstehen Sie mich da nicht falsch. Inhalte, gute Inhalte sind selbstverständlich die Basis für alles. Und das sage ich als Chefredakteurin eines Hauses, das die Panama-Papers veröffentlicht hat, das die Heimat des guten Leitartikels und der herausragenden Reportage ist. Darauf sind wir stolz und das müssen wir fördern. Aber wenn wir nicht auch über Verbreitungswege und funktionierende Geschäftsmodelle nachdenken, ist auch der beste Inhalt in Gefahr und dieser Gefahr müssen wir uns aktiv stellen.
[3:41] Gegenwärtige Medien, die Journalismus besser machen wollen, denken ausgehend von Nutzer-Interessen. Da bin ich heute sicher nicht die Erste, die ihm das erzählt. Aber ohne die Aufmerksamkeit der Leserinnen und Leser ist auch der schönste Text wirkungslos. Zukunftsweisende Publizistik erfüllt also nicht nur höchste Ansprüche an Sprache, inhaltliche Tiefe und Verständlichkeit, sondern sie kümmert sich auch darum, diese den neuen Gegebenheiten anzupassen.
[4:12] In diesem Veränderungsprozess stecken gerade nahezu alle Verlage, wir als SZ, als Süddeutsche Zeitung werden, dabei wie alle großen Player im Markt gerne besonders kritisch beäugt. Ich musste über mich selbst mal lesen, ich gelte als taffe und manchmal harsche Managerin, die publizistisch aber kaum in Erscheinung trete. Ich hab’ mich, als ich das gelesen habe, schon sehr gewundert, welches überkommene Bild von Publizistik da zu Tage tritt. Als zähle beim Fußball nur die Stürmerin, die die Tore schießt und als hätten Trainerstab und Management überhaupt keinen Erfolg, keinen Einfluss auf den Erfolg einer Mannschaft.
[4:54] Neben unsere Inhalte, den wegweisenden Leitartikel, das kluge Essay, die große Reportage und die schlaue Analyse, treten deshalb Fähigkeiten, die heute eine mindestens ebenso große Rolle spielen sollten: Nachwuchsarbeit, der Aufbau und die Förderung junger Kolleginnen und Kollegen, das Formen und Führen eines Teams, Formatentwicklung, die Auseinandersetzung mit neuen Geschäftsmodellen und mit einer neuen Generation von LeserInnen und NutzerInnen.
[5:25] Je schwieriger für uns alle das Geld verdienen wird, desto mehr sind wir gezwungen, uns mit Workflows, Prozessen und ihrer Optimierung zu beschäftigen. In der Welt des Fußballs entspricht das der Erfindung der Taktik. Heute sind Trainer gefragt, die nicht einfach nur: “Ja, geht’s halt raus und spielt Fußball” sagen, sondern ein Plan fassen und ein System etablieren. Das war und ist eher ungewohnt für viele Kolleginnen und Kollegen. Es gibt nicht viele Branchen – jetzt komme ich zum Zitat – in dem so viele Exzentriker und Individualisten versammelt sind wie in unserer. Viele von uns hängen den Glauben an nur im Chaos gedeihe wahre Kreativität und empfinden solche Themen als profan und lästig. Dabei wissen wir doch eigentlich alle, wie die Digitalisierung das traditionelle Geschäftsmodell von Verlagen zerstört. Ebenso wissen wir, wie schnell Entwicklungszyklen heute sind und wie dynamisch der Markt ist, in dem wir uns bewegen. Wir müssen uns der Frage stellen, wie unsere Häuser profitabel bleiben, wie wir Bestandsleser binden und mit neuen Ansätzen neue Leserinnen und Leser gewinnen. Wir müssen dafür sorgen, unsere Häuser fit für das Heute zu machen, damit sie überhaupt noch ein Morgen haben, denn dass es noch ein Morgen gibt, ist keine Selbstverständlichkeit. Wir müssen dafür arbeiten und nur so bewahren wir übrigens auch unsere Unabhängigkeit.
[6:53] Wenn es um andere Branchen geht, sind wir stets schnell dabei mit Analysen und Handlungsempfehlungen. Geht es aber um uns selbst, dann schlägt oft die eingangs erwähnte Unsicherheit durch. Der müssen wir uns stellen. Wir müssen die Sorgen der Kolleginnen und Kollegen ernst nehmen und sie gemeinsam in Hoffnung verwandeln. Denn Hoffnung heißt: Wir haben eine gestaltbare Zukunft und dafür lohnt es sich zu kämpfen. Auch bei einem Widerspruch.
[7:20] Wenn die Journalisten Erfolg mit unseren Inhalten haben wollen, sollten wir in der Konzeption neuer Produkte, egal ob analog oder digital, viel stärker noch in den Austausch gehen mit User Researchern, Produktmanagern, Designer – und ja – auch Kollegen aus den Anzeigenabteilung und dem Lesermarkt. Das heißt selbstverständlich nicht, dass wir unsere redaktionelle Unabhängigkeit aufgeben und uns den Wünschen der Werbekunden beugen. Es ist aber doch auch kein Zeichen von Unabhängigkeit, sich dem Austausch mit anderen Disziplinen zu verweigern. Ich glaube, wir sind verpflichtet, von vornherein mit zu bedenken, ob die dahinterliegenden Geschäftsmodelle tragen. Dazu müssen wir uns von gewohnten Hierarchien und linearen Top-Down-Strukturen verabschieden. Das läuft auf ein Leben in der Matrix heraus und ist für die Redakteure eine Herausforderung, die es – seien wir doch mal ehrlich – lange eher gewohnt waren, sowas wie Alleinherrscher in ihren Häusern zu sein.
[8:20] Die zweite Ebene des Nachdenkens betrifft nicht die Organisation, sondern uns selbst und deshalb ist die Beschäftigung mit ihr nochmal anstrengender. Hier geht es um solche Fragen wie: Welche Werte möchte ich vorleben und welche Haltung sollen meine Mitarbeiter spüren? Bin ich selbst eigentlich bereit, mich zu verändern? Erkläre ich den Wandel und unsere Strategien mit dem umzugehen und vor allem verkörpere ich selbst glaubhaft das, was ich von den Kolleginnen und Kollegen einfordere? Deshalb stehe ich jetzt hier und spreche über Führung in den digitalen Zeiten, trotz aller Ungewissheiten, Denn je instabiler das Umfeld ist, desto stärker brauchen wir alle Orientierung. Das gilt für die Gesellschaft, aber das gilt natürlich auch für unsere Redaktion. Machen wir uns nichts vor, unser Umfeld ist extrem unsicher und deshalb ist die Frage essenziell, wie wir heute in den Redaktionen kommunizieren, wie wir Sicherheit vermitteln in unsicheren Zeiten und wie wir inspirieren, auch ohne dass wir den Masterplan für das Geldverdienen mit Journalismus in der Schublade haben.
[9:27] Führen im digitalen Zeitalter ist komplexer geworden, weil wir gezwungen sind, uns schneller zu verändern, weil uns Einnahmen und Leser nicht mehr sicher sind und weil die Geschäftsmodelle haben, die wir mindestens anpassen müssen, damit sie heute und vor allem morgen noch funktionieren und weil die Mitarbeiter haben, für die diese Veränderung anstrengend sind und gegen die sie sich auch manchmal wehren. Dass wir uns diesen Herausforderungen stellen, dass wir also vielmehr echte Führungskräfte sind als früher, ist deshalb absolut notwendig und davon hängt unser Überleben ab. Und ja, das heißt auch, dass wir manchmal miteinander diskutieren müssen. Und auch das macht eine gegenwärtige Zeitung wie die SZ aus, dass wir nicht nur herausragende Inhalte in allen denkbaren Formaten erstellen können, sondern dass wir auf anständige Art und Weise miteinander für den Erfolg dieser Zeitung streiten. Eigentlich war es ja noch nie so einfach, unsere Geschichten beeindruckend aufzubereiten und zu erzählen. Und noch nie gab es so viel technische Unterstützung dafür, diese Geschichten auch zu verbreiten. Lassen Sie uns also diese Chancen nutzen. Danke.