Holger Friedrich: „Wir laden die Welt ein.“

Holger Friedrich | Foto: © Jörg Wagner

Was: Interview am Rande der Veranstaltung MTM extra
Wer:
* Holger Friedrich, Berliner Verlag, Verleger und Unternehmer
* Daniel Bouhs, Freier Medienjournalist
* Jörg Wagner, Freier Medienjournalist
Wo: Berlin, Vertretung des Freistaates Thüringen beim Bund – MTM extra – Medientage Mitteldeutschland
Wann: 05.03.2020, 17:57 Uhr | veröffentlicht in Auszügen im radioeins-Medienmagazin, 07.03.2020 und im Inforadio, 08.03.2020, 10:44/17:44 Uhr, sowie vollständig im Medienmagazin-PodCast

Vgl.:
* MTM extra, Vortrag über die Digitalstrategie des Berliner Verlags
* Interview Frederik, Bombosch,

Frederik Bombosch | Foto: © Jörg Wagner

Wer:
* Frederik Bombosch, Journalist und Betriebsratsvorsitzender, Berliner Verlag
* Daniel Bouhs, Freier Medienjournalist
Was: Interview zur aktuellen Situation im Berliner Verlag
Wann: rec.: 05.03.2019, Berlin | veröffentlicht in Auszügen im radioeins-Medienmagazin, 07.03.2020 und im Inforadio, 08.03.2020, 10:44/17:44 Uhr



(wörtliches Transkript, Hörverständnisfehler vorbehalten)

Interview mit Holger Friedrich

[0:00:00]
Jörg Wagner: Wie hat sich die Auflage, Papier und Digital in den letzten vier Monaten entwickelt?

[0:00:16]
Holger Friedrich: Ich weiß es jetzt nicht konkret, ich weiß aber, dass wir bestimmte, nennen wir es mal Kosmetikmaßnahmen, die wohl üblich sind in der Branche, bei uns rausgenommen haben, wo offensichtlich also Verrechnungen passierten oder wo man Auflagenkosmetik gemacht hat. Das haben wir alles gestoppt. Insofern haben wir jetzt eine harte Auflage. Und soweit ich die Zahlen tagtäglich sehe – und ich habe sie hier auf dem Mobile – sind die Zahlen stabil, was die Printauflage betrifft. Also das, was – aus was für Gründen auch immer – rauswandert, wird durch neue Abos ausgeglichen. Da fühlen wir uns also relativ wohl. Und bei den elektronischen Sachen sehen wir momentan nur das, was auf den nativen Apps ausgesteuert oder in Anspruch genommen wird. Und da haben wir ein durchschnittliches Wachstum von Woche zu Woche von zwischen sieben bis zehn Prozent. Also es sieht erstmal positiv aus. Wir haben aber noch nicht, weil wir ja noch die Systeme untendrunter umstellen, noch nicht den Schritt gemacht, den wir dann Ende März machen wollen, wo wir dann also entsprechenden Content aussteuern, der dann auch kapitalisiert werden kann. Insofern kommt die Frage jetzt realistisch vier, sechs Wochen zu früh. Aber wir haben keinen Auflagenschwund, wenn das der Hintergrund der Frage war.

[0:01:08]
Daniel Bouhs: Wenn wir über die geschäftliche Entwicklung reden, Sie haben eben vorgestellt, dass der Berliner Verlag das Magazin EISERN jetzt an den Start bringt. Was hat es damit auf sich? Wie passt das in Ihre Strategie?

[0:01:19]
Holger Friedrich: Na ja, wenn Sie die Headline des Charts gesehen haben, man muss die Regeln beherrschen, wenn man sie brechen will. Das heißt, dass ist eine kleine Fingerübung, ob wir in der Lage sind, ein Highend-Magazin zu entwerfen, zu produzieren und dann auch zu verkaufen, zu einem Thema, was uns inhaltlich sehr, sehr nah ist, was auch zur Zielgruppe passt. Und wir haben also weltbekannte Designer und Texter gebeten und doch leidenschaftliche Schreiber für den 1. FC Union ein Fanmagazin zu machen, was in Chelsea genauso oder in Liverpool genauso überleben würde wie in München oder in Madrid. Ich glaube, der Ansatz hat erstmal funktioniert. Es ist so etwas wie ein Pilot. Ob wir strukturell in der Lage sind, solche Qualitäten zu produzieren und zwar in klassischen Medien Print, das ist der Hintergrund gewesen. Also bei den Technikern sagt man dazu Machbarkeitsstudie. Und die ist dann auch noch wirtschaftlich erfolgreich. Hoffentlich. Das werden wir wissen am 14.03. wird’s das das erste Mal in der Alten Försterei geben, wenn’s gegen Bayern München geht und ganz bestimmt gewinnen wir.

[0:02:15]
Daniel Bouhs: Sie bauen ja auch … Sie müssen und Sie wollen die Infrastruktur im Haus umbauen, haben da auch einen ziemlichen Zeitdruck dadurch, dass ja das bislang im DuMont-Verlagskonzern lief. Wie läuft die Emanzipation? Sie sagten vorhin, drei Tage sind Sie hinter dem Zeitplan. Laufen also noch einzelne Systeme auf DuMont? Und gleich die Anschlussfrage. Ich lese das ePaper natürlich, da fehlten ein paar Seiten. Was hat es damit auf sich?

[0:02:40]
Holger Friedrich: Also, da weiß ich jetzt nicht, welche Seiten fehlten. Aber Sie müssen jetzt wissen, wenn wir einen Projektplan machen, machen wir immer Best Case, Normal Case und Worst Case. Und wir sind drei Tage hinterm Best Case und insofern weit, weit vom Normal Case und ganz, ganz weit weg vom Worst Case. Also insofern leiden wir auf extrem hohem Niveau. Das zur Einordnung. Zum zweiten. Wir haben gar keinen großen Zeitdruck, weil DuMont gerne möchte, dass wir so lange wie möglich in deren System bleiben, weil wir dafür eine Menge Geld bezahlen und DuMont ja diese Systeme vorhält und wir mit den neuen Systemen ja viel, viel mehr Möglichkeiten haben, die wir dann auch noch deutlich günstiger produzieren können. Insofern haben wir selber ein Interesse daran, so schnell wie möglich voranzukommen, weil wir eben die neuen Themen aussteuern wollen. Und dazu brauchen wir die neuen Systeme. Und deswegen sind wir da so hinterher.

[0:03:23]
Daniel Bouhs: Andersherum gefragt: Wie komplex ist dieses Vorhaben, wie muss man sich das vorstellen, was passiert da?

[0:03:28]
Holger Friedrich: Na, Sie müssen sich vorstellen, dass Sie ein vollständiges Medienhaus haben, mit einer Print-Aussteuerung, mit einer Online-Aussteuerung und wir praktisch nichts von den alten Systeme übernehmen. Nichts. Wir bauen alles neu. Also, was stehen bleibt, ist die Druckmaschine. Alles andere ist neu.

[0:03:40] :
Jörg Wagner: Sie haben anhand der technologischen Entwicklung von Speichersystemen deutlich gemacht, wie das Tempo exponentiell zunimmt und dass Sie in diesem Prozess ja gerade so auf dem Beschleunigungsgang liegen und beklagt, dass man mit der Mitbestimmung der 70er Jahre da nicht vorankommt. Und dass es deswegen, so habe ich das verstanden, in Deutschland auch langsamer geht als in anderen Regionen oder zumindest in der Zeitungs-, in der Printbranche. Was haben Sie damit genau gemeint? Wo sind die Bremsklötze?

[0:04:07]
Holger Friedrich: Na also, wir … operativ erleben wir gar keine Bremsklötze, weil die Kollegen vom Betriebsrat, also in den einzelnen Firmen und auch der Gesamtbetriebsrat alles, was wir da machen, also hoch konstruktiv begleiten und knallhart in der Sache. Also ich werde da ab und zu mal vorgeladen. Da müssen wir es erläutern. Und das sind immer sehr, sehr harte Gespräche. Aber die sind in sich fair und immer konstruktiv im Sinne von: Sie sind ganz nah dran an den Informationen. Die Kollegen – wir agieren auch komplett offen – können ihre Punkte einbringen. Und dann gleicht man so die Interessen aus. Und das ist … also was in der Innensicht, was den Berliner Verlag betrifft, finde ich also sehr, sehr erfolgreich. Also ich für meinen Teil muss da einen ganz großen Dank an die Kollegen aussprechen, die sich da einerseits persönlich engagieren und da auch so ihre Rolle sehr, sehr ernst nehmen. Also insofern, die Kritik ist nicht da. Die Kritik kommt eher aus einer anderen Situation, dass wir natürlich, ob das jetzt Ver.di ist oder der Journalistenverband, dass da so Tarif-Logiken diskutiert werden, die eigentlich auf Anwesenheit optimiert sind. Also wenn ich nur lange genug im Verlag bin und regelmäßig da bin, dann steigt mein Gehalt automatisch. Und je älter ich werde, umso mehr steigt das. Und das empfinde ich persönlich aus zwei Perspektiven schwierig. Einerseits diskriminiert es die jungen Kollegen, weil die dann dadurch also weniger Chancen bekommen. Punkt eins. Und Punkt zwei ist, wenn man [ein] nachhaltiges Geschäftsmodell für Journalismus unter modernen, das heißt also, technologisch indizierten Umgebungen gestalten will, dann haben wir andere Arbeitsformen. Die Arbeitsformen sind sehr, sehr viel verteilter, sehr, sehr viel agiler und sehr, sehr viel auf Daten und den Schlussfolgerungen aus Daten, also das heißt, Ergebnissen ausgerichtet. Und das heißt nicht, dass wir Verhalten kontrollieren wollen. Das ist mir, ehrlich gesagt, komplett egal, wo jemand arbeitet, wie er arbeitet. Mir ist es wichtig, dass das Ergebnis des einen Kollegen mit dem Ergebnis der anderen Kollegen zusammen passt und dass diese Passfähigkeit gestaltet und dann im positiven Sinne stimuliert wird. Und dass auch entsprechende Ergebnisströme oder ein sozialer Ausgleich sich daran orientiert. Und da fehlen mir momentan die Vorschläge. Wir haben jetzt, ich weiß nicht, vier oder fünf Gespräche hinter uns gebracht. Wir haben es immer wieder erläutert und sind auch sehr, sehr offen. Wir merken aber, dass die Kollegen an dieser Stelle nicht anschlussfähig sind. Und entweder geben das die Regularien nicht vor und manchmal scheint es auch ein Verständnisthema zu sein.

[0:06:17]
Jörg Wagner: Zur Passgenauigkeit passt genau die Frage mit dem Chefredakteur Herrn Thieme, der jetzt weg ist. Hat da was nicht gepasst?

[0:06:25]
Holger Friedrich: Ich weiß es nicht. Ich hab ihn Donnerstag im Steerco das letzte Mal gesehen. Am Sonntag pingte mich der Spiegel an, ob ich etwas bestätigen könnte, was ich bis zu dem Zeitpunkt selber gar nicht wusste. Fragen Sie den Kollegen bitte. Wir haben ihm alles Gute gewünscht. Ich hege da auch keinen Groll. Ich kann mir gut vorstellen, dass vielleicht die Geschwindigkeit und auch die Massivität der Entwicklung vielleicht für jemanden, der aus’m Frankfurter Haus kommt, dann vielleicht für den Moment auch ein bisschen überwältigend war.

[0:06:52]
Jörg Wagner: Also nicht persönliche Gründe, sondern dann wahrscheinlich doch die Gemengelage …

[0:06:56]
Holger Friedrich: Ich weiß es nicht. Da müssen Sie ihn fragen. Also mir gegenüber hat er sich nicht erklärt. Ich hab’ ihn auch nie wieder gehört, nie wieder gesprochen. Es ist einfach weg gewesen und der Spiegel hat sich gemeldet.

[0:07:03]
Daniel Bouhs: Sie werden sich ja jetzt mit der Frage sicher beschäftigen, wie es da weitergeht sozusagen. Wie wollen Sie einen neuen Chefredakteur, eine neue Chefredakteurin suchen? Und wie können Sie da auch, ich sag mal, so was wie ein Vertrauen, dass das funktionieren kann, zusichern?

[0:07:19]
Holger Friedrich: Weiß ich nicht. Also erstens … also es wurde ja, wir wären kopflos oder was auch immer berichtet. Ich kann es nicht bestätigen, weil wir haben ‘ne Chefredakteurin. Auch ‘ne sehr erfahrene, sehr stilistisch … also …

[0:07:28]
Jörg Wagner: Frau Mayer …

[0:07:29]
Holger Friedrich: … Frau Mayer großartig. Also, ich kann nur jedem empfehlen, mal mit Frau Mayer zusammengearbeitet zu haben. Ist sie jetzt eine Blattmacherin, jeden Tag? Ich glaube, nein. Aber da gibt es also wirklich eine weltbeste zweite Ebene. Da arbeiten drei Kollegen Hand in Hand zusammen. Die haben, glaube ich, auch schon seit Jahren, egal, wer Chefredakteur war, immer gut zusammengearbeitet und ich sehe die eigentlich quietschvergnügt über den Flur laufen. Also insofern habe ich eher das Gefühl, dass das gerade sehr, sehr gut läuft. Und wir werden jetzt eins nicht tun, schnell an dieser Stelle agieren, weil die Organisation läuft, läuft sehr gut und wir haben ja gerade eigentlich ‘ne dreifache Belastung. Also wir bauen die Infrastrukturen. Und wir müssen das tägliche Geschäft sicherstellen und dann machen wir noch die Produktentwicklung. Und insofern werden wir jetzt erst mal das ordentlich hinter uns bringen. Dann stellt sich auch nicht mehr die Frage, ob das alles so funktioniert. Und dann ist das vielleicht doch ein sehr attraktiver Job. Es sei hiermit an dieser Stelle gesagt, wir suchen junge, möglichst weibliche und vielleicht mit ‘ner ostkulturellen Prägung Kandidatinnen. Also, das wäre momentan das Suchmuster, wo wir unterwegs sind.

[0:08:25]
Jörg Wagner: Vielleicht eine radioeins-Hörerin, die das jetzt hört, die kann sich dann bei Ihnen bewerben, ganz offiziell?

[0:08:28]
Holger Friedrich: Jederzeit gerne.

[0:08:43] :
Daniel Bouhs: Und Sie haben auch weitere Ausschreibungen ja draußen. Das sind hier Ausschreibungen, sind diverse, sozusagen eine Medienmarke der Zukunft mit aufzubauen und nicht zurückblickend zu sein. Die Ausschreibungen sind auf Englisch. Ist das ein Signal, dass Sie jetzt massiv in den englischsprachigen Markt gehen wollen? Oder ist das nur ein Zufall?

[0:08:49]
Holger Friedrich: Also ein Zufall ist das nicht. Also es wurde ja auch gefragt, ob ich naiv wäre, nein, also, wenn Sie vielleicht genau hinschauen sind die Anzeigen in Deutsch, in Englisch, in Russisch, in Hebräisch, in Arabisch, in Türkisch. Letzte Woche waren sie in Französisch. Und wenn Sie sich die Samstagsausgabe bitte kaufen, wird auch eine schöne Ausgabe, wird es, glaube ich, Spanisch sein. Wir versuchen einfach nur, die Heterogenität, die Internationalität von Berlin abzubilden und nicht so diese deutsch-nationale Eigenperspektive, dass wir irgendwie der Nabel der Welt sind. Sondern wir laden die Welt ein. Und wir würden gerne den Berliner Verlag zu einem sehr, sehr offenen, in die Zukunft ausgerichteten Haus machen. Und insofern sind die Nationen dieser Welt eingeladen.

[0:09:03]
Jörg Wagner: Mandarin ist nicht dabei, haben wir gerade gehört.

[0:09:27]
Holger Friedrich: Noch nicht. Es gibt ein kleines technisches Problem, weil … also alles, was rechtsbündig, ausgesteuert werden muss, da müssen wir noch ein kleines Plugin bauen. Und das haben wir in der Priorisierung Platz drei. Also insofern kommt dann auch noch.

[0:09:39]
Jörg Wagner: Wir werden das mit unserer gewohnten, kritischen Art weiterverfolgen. Holger Friedrich, vielen Dank für das Interview!

[0:09:44]
Holger Friedrich: Sehr gerne.









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