[0:00] Jörg Wagner: Sprechen wir über Cyberkriminalität. Auch Gangs und Kartelle nutzen ja das Netz z. B. für Drogen- und Waffengeschäfte. Stichwort Darknet. Aber auch im ganz normalen sichtbaren und im zivilen Bereich wie bei “facebook”, “twitter” und “instagram” ist man dort unterwegs. Und da wird es dann auch für das Medienmagazin interessant. Deswegen begrüße ich Julia Jaroschewski und Sonja Peteranderl zugeschaltet, die beiden Auslandsjournalistinnen, die wir hier schon öfter, aber aus Brasilien geschaltet hatten, ganz speziell aus den Favelas. Jetzt geht es aber um Euer Buch. Es gibt nämlich in dem kürzlich erschienen Buch “Cyberkrimonologie – Kriminologie für das digitale Zeitalter” erschienen im Springer-Verlag für Sozialwissenschaften, der jetzt nur noch kurz “Springer VS” heißt, ein Kapitel von Euch mit der Überschrift: “Wired Drug War”. Wie hoch verdrahtet ist denn dieser Wired Krieg, der Krieg übers Internet bei “facebook”, “twitter” und “instagram” und vielleicht auch noch mehr?
[0:55] Sonja Peteranderl: Das Internet hat sich in den letzten Jahren zu einem sehr wichtigen Schauplatz des Drogenkriegs entwickelt. Es ist so, dass Gangs und Kartelle einerseits mit Waffen und Drogen protzen, andererseits Videos zum Beispiel auf Youtube veröffentlichen, in dem sie ihre Rivalen foltern. Das heißt, das Internet oder soziale Netzwerke verwandeln sich in eine PR-Plattform, mit der die kriminellen Organisationen ihre eigenen Botschaften verbreiten können. Und das ist so, dass sie eben auch neue Plattformen für sich entdecken, also gerade ist das “TikTok”, also zumindest … zum Beispiel junge Mitglieder des Sinaloa-Kartells [Mexiko] filmen da ihre Drogenlieferungen wie Fentanyl, zeigen sozusagen diese Pakete oder wie sie Drogen abpacken oder präsentieren ihre neuen Waffen.
[1:42] Julia Jaroschewski: Ja, man muss natürlich sagen, dass gerade in Südamerika auch die Gangs und Kartelle schon lange online sind und waren. Die haben in Brasilien “orkut” benutzt. Sie haben den “microsoft messenger” sehr gerne eingesetzt, um sich zu vernetzen, um ihre logistik zu organisieren und haben das natürlich über die vergangenen Jahre stark professionalisiert, weil es ja unglaublich viele verschiedene Messenger gibt, mit unglaublich vielen guten Verschlüsselungen, was dazu geführt hat, dass einfach sich auch länderübergreifend besser vernetzt werden konnte. Und ein wichtiger Faktor ist auch, dass Kartelle und Gangs ja nicht nur offline … also sozusagen außerhalb der Gefängnisse irgendwie auch agieren, sondern auch in geschlossenen Räumen. Und von dort aus kann man natürlich auch ganz wunderbar über soziale Medien kommunizieren.
[2:26] Jörg Wagner: Nun habt Ihr mit Eurer Lateinamerika-Expertise sicherlich den Fokus auch bewusst gewählt in dieser Region, aber ist das tatsächlich ein lateinamerikanisches Thema oder global? Gibt es da bestimmte Hotspots?
[1:51] Julia Jaroschewski: Das ist natürlich ein globales Thema, aber warum Lateinamerika bei uns eine wichtige Rolle spielt, ist, weil wir einerseits, den Fokus haben als Produzenten-Regionen, also gerade Südamerika und Brasilien, sind starke Produzentenländer. Also da wird aus Südamerika Richtung Europa und in die USA verschifft, auf der anderen Seite haben wir auf dem südamerikanischen Kontinent Brasilien als Konsumenten-Land auch und die Bevölkerungsgruppen, beispielsweise in Brasilien, aber auch in Mexiko sind sehr stark internetaffin. Das heißt, sie sind seit Anbeginn immer auch in sozialen Medien aktiv gewesen. Und wenn man genau diese beiden Aspekt zusammenbringt, ja wir haben einerseits Produzenten-Regionen von Drogen, wir haben eine starke Kriminalität, wir haben Waffenhandel, wir haben Menschenhandel und wir haben gleichzeitig eine Bevölkerung, die sehr stark online ist. Wenn man das beides zusammenbringt, entwickelt sich natürlich dieser neue Fokus so insbesondere bei unserem Thema.
[3:36] Sonja Peteranderl: Und in Mexiko ist es zum Beispiel so, dass das Land über mehrere große Kartelle, die sehr stark professionalisiert sind, verfügt und natürlich auch sehr viel Geld haben und die in der Vergangenheit natürlich auch im großen Stil Regierungssoldaten entweder bestochen oder tatsächlich angeworben haben oder auch Hacker zum Beispiel dazu gezwungen haben, Jobs für sie zu erledigen. Das heißt, das ist nicht so, dass sie sich die ganze Expertise selber drauf schaffen müssen, sondern sie können tatsächlich auch spezialisierte IT-Einheiten oder -Experten rekrutieren.
[4:09] Jörg Wagner: Inwieweit hat denn die Corona-Krise diesen Effekt noch verstärkt? Also dieses Konzentrieren auf Cyber-Kriminalität?
[4:18] Sonja Peteranderl: Was man sehen kann, ist also, dass die Gangs sowohl in Zentralamerika, aber zum Beispiel auch in Mexiko und in Brasilien soziale Netzwerke nutzen, um PR zu machen in ihrem Sinne. Das heißt, sie verbreiten entweder über Messenger beziehungsweise auch über “twitter”, über andere Kanäle Anweisungen an die Bevölkerung zu Hause zu bleiben und bedrohen die Leute auch, dass sie Maßnahmen ergreifen werden, also wenn die Bewohner sich sozusagen dem widersetzen. Das heißt, sie demonstrieren damit noch mal ihre Stärke, also auch im Kontrast zum Staat und sie zeigen auch zum Beispiel in Videos, wie sie Lebensmittelpakete oder Desinfektionsmittel verteilen. Das heißt, das sind so ganz starke Image-Kampagnen, die digital unterstützt werden.
[5:06] Julia Jaroschewski: Wenn wir da einmal noch darauf schauen, sozusagen auf die Struktur irgendwie auch der politischen Organisation, ist es ja so, dass gerade in Rio beispielsweise auch in den Favelas, die Polizei und auch die Politik versucht hat, im Endeffekt die Corona-Regeln durchzusetzen, also zu sagen: wir haben relativ schnell einen lockdown gehabt. Die Menschen müssen Masken tragen. Sie sollen Abstandsregeln einhalten. Sie dürfen nicht mehr arbeiten gehen. Was im Endeffekt aber erstmal zu der Situation geführt hat, das insbesondere in den Favelas beispielsweise die Menschen, ihre Jobs verloren haben und damit viel stärker auf beengten Raum, in ihrem kleinen Wohnung gesessen haben und der Kontakt viel größer war. Man hatte also Infektionsherde in den Favelas von vornherein und die Menschen haben sich gar nicht an die Regeln gehalten. Durch die starke Vernetzung eben auch der Gangs und Kartelle mit ihren – ja ich sage mal jetzt – ihren Bewohnern in den entsprechenden Favelas hat es dazu geführt, dass sie ihre Macht eben besser ausbauen konnten, weil sie tatsächlich direkt kommuniziert haben über soziale Medien ja. Das heißt, die Kartelle und die Gangs haben einen viel stärkeren politischen Einfluss gehabt, als die Politik vom Staat es hätte haben können und haben eben Online-Kanäle genutzt. Da wurden ganz stark über “whatsapp” beispielsweise, über “Telegram”-Messenger wurden wirklich täglich Audios geschickt oder bestimmte kleine Fotos oder Schildchen, auf denen drauf stand: So ab heute abend 20 Uhr könnt Ihr nicht mehr rausgehen. Bitte setzt eure Masken auf. Es sind auch keine Restaurants mehr erlaubt, es sind keine Bars mehr erlaubt und wer sich dem widersetzt, dem werden wir schon unsere Kontrolle zeigen.
[6:34] Jörg Wagner: Aber was bedeutet das für Euch als Journalistinnen? Wie recherchiert man konkret also diese kriminellen Trends und Profile, ohne dass man selber dabei gesehen wird?
[6:45] Sonja Peteranderl: Also, da muss man natürlich unterscheiden zwischen Plattformen, die öffentlich zugänglich sind und Plattformen, die geschlossen sind. Früher war es so, dass die mexikanischen Kartelle zum Beispiel ihre Drohungen unter Blogs … also in Blog-Einträge geschrieben haben oder auch Plattformen wie Blogs oder öffentliche “twitter”-Kanäle dazu genutzt haben, um ihre Botschaften und Videos zum Beispiel zu verbreiten. Das ist natürlich was anderes, wenn es um geschlossenere Gruppen wie “whatsapp” oder so geht. Das ist es dann schwieriger, hinein zu gucken. Und auch bei “facebook” ist einfach so, dass man sich natürlich verschiedene Profile zulegt, mit dem man recherchiert, wenn man sich nicht unbedingt mit seinem persönlichen Profil mit denen vernetzen möchte, weil es zum Beispiel auch neue Formen gibt, wie digitales Kidnapping. Das heißt, Gangs und Kartelle nutzen natürlich dann zum Beispiel auch “facebook” selbst als Informationsquelle, um relevante Informationen zum Umfeld oder Aufenthaltsort oder möglichen Schwachstellen von Journalisten raus zu recherchieren oder natürlich auch von ganz normalen Bürgern.
[7:50] Julia Jaroschewski: Grundsätzlich muss man aber natürlich sagen, bringt es überhaupt nichts oder sagen wir, ist man weniger erfolgreich, wenn man allein digital und online arbeitet, also gerade in dem Bereich, wo es um organisierte, schwere Kriminalität geht, ist es wichtig und eine Voraussetzung, dass man sich lokal auch auskennt, dass man weiß, wovon man redet, wie die entsprechenden Codewörter sind, wer sind die entsprechenden Drogenkartelle und die lokalen Drogen-Kingpins sozusagen. Das heißt, all das muss man wissen, um dann online auch gezielt recherchieren und arbeiten zu können und da eben nicht auch mit den falschen Menschen zu reden oder aber eben die richtigen aus den ganzen Fake-Profilen herauszufinden, die natürlich auch viel stärker sich jetzt verbreiten.
[8:28] Jörg Wagner: Man kennt diesen Spruch, Verbrecher sind der Polizei immer einen Schritt voraus. Inwieweit stimmt er in diesem Fall und wenn ja, wie groß ist der Schritt?
[8:36] Sonja Peteranderl: In der Frühzeit also des Socialmedia-Booms, also “twitter”, “facebook” und so weiter und so fort, konnte man schon sehen, dass die Gang-Mitglieder da relativ ungestört und auch sehr freizügig unterwegs waren. Das heißt, sie haben sich mit ihren Waffen gezeigt, hatten zum Teil ihre Klarnamen noch verwendet und konnten da ungestört quasi aktiv sein. Dann gab es aber verschiedene take downs. Die Ermittler haben natürlich auch aufgestockt und was dazu geführt hat, dass die Kartellmitglieder vorsichtiger geworden sind mittlerweile.
[9:10] Julia Jaroschewski: Also man muss sagen, natürlich sind die Sicherheitskräfte in Südamerika und auch beispielsweise in Brasilien mittlerweile wirklich stark online. Die recherchieren denen hinterher. Wir haben hier in Europa und in Deutschland nochmal eine andere Situation, weil wir hier viel stärkere Datenschutzrichtlinien haben, ja, wo man als Polizei, jetzt nicht so einfach auf sozialen Medien recherchieren kann: Das ist in Brasilien beispielsweise noch mal anders. Aber grundsätzlich muss man natürlich wissen, dass die ganze Online-Kommunikation, der “digital war”, dass es auch dazu führt, dass Kartelle und Kriminelle grundsätzlich viel besser stärker online vernetzt sind. Das heißt, sie sind grenzüberschreitend miteinander vernetzt. Und da, wenn wir sagen, als Gegenspieler haben wir sozusagen mal die lokale Polizei der einzelnen Länder, die sind nicht so gut organisiert. Also es ist auch nicht so, dass sie mittlerweile in allen Ländern vom Wissen her und vom Gebrauch von Online-Medien soweit aufgestockt haben, dass sie gut miteinander kooperieren könnten. Klar, es gibt Interpol. Es gibt internationale Polizei-Operationen. Trotz alledem stecken dahinter immer sehr viel mehr Rechte und Richtlinien, so dass man potenziell als Krimineller immer schneller sein kann. Man kann sich diverse Burner Phones kaufen, man kann sich sehr viele Profile irgendwie zulegen. Und da kann man einfach schneller miteinander kommunizieren.
[10:20] Sonja Peteranderl: Und es geht eben bei der Digitalisierung nicht nur ums Internet, sondern man sollte nicht vergessen, dass sie versuchen, sozusagen generell mit Technologien zu experimentieren. Vorangetrieben wird es natürlich auch dadurch, dass viele Mitglieder der Drogengangs extrem jung sind. Und das ist halt vor allem diese Generation der digital natives, die dann eben versuchen, erstmal Drohnen-Ladungen zu fliegen oder Drohnen sozusagen als Überwachungskameras zu nutzen aus der Luft und später wird es dann übernommen.
[10:47] Jörg Wagner: Die wichtigste Empfehlungen aus Eurer Buchrecherche für die Cyberkriminologen, wo muss unbedingt nachgerüstet werden?
[10:55] Sonja Peteranderl: Naja, es ist halt einfach ein ungleiches Verhältnis, also wenn man sich sozusagen Ressourcen also wie im Fall von Mexiko ansieht, die der Polizei zur Verfügung stehen zur Bekämpfung von Kriminalität und andererseits eben diese Struktur, die Kartelle aufbringen können. Grundsätzlich ist es natürlich immer eine gute Idee, wenn man auch genug Nachwuchs hat auf Ermittlerseite, Nachwuchs, der sich sozusagen auch mit dem Internet oder mit Digitalisierung auskennt und der fit ist. Und das sieht man ja auch bei der deutschen Polizei, das es einfach sehr große Rekrutierungsprobleme gibt, weil die Experten, die sich sozusagen auskennen mit IT, mit Digitalisierung dann vielleicht doch eher in der freien Wirtschaft arbeiten, weil die Gehälter und die Bedingungen viel besser sind und auch vielleicht die Behördenstruktur nicht ganz so attraktiv erscheint.
[11:44] Julia Jaroschewski: Grundsätzlich muss man natürlich sagen, dass unser Datenschutz und unsere Richtlinien hier schon relevant sind und dass wir froh darüber sein können, dass wir das haben, aber tatsächlich ist es so, dass die Ausbildung im Digitalen und wie ja gerade schon gesagt wurde im IT-Bereiche stark noch nachbesserungswürdig ist und grundsätzlich tatsächlich auch die internationale Kooperation würde weiterhelfen.
[12:04] Jörg Wagner: Was kann man als normale Nutzerin, als konventioneller Nutzer tun? Ich meine, ich hab’ schon vorhin heraus gehört, man sollte bei “facebook” nicht unbedingt posten, wann man seine Wohnung verlässt zwecks Urlaub, aber hier geht es ja direkt um Cyberkriminologie im Rauschgift- und Waffenmillieu, das tangiert uns doch eigentlich nicht, oder doch?
[12:59] Sonja Peteranderl: Es kann natürlich sein, dass man schon über Gewaltvideos stolpert, sozusagen per YouTube-Algorithmen oder “facebook” oder wie auch immer, dann könnte man sich als Nutzer natürlich überlegen, ob man die meldet. Trotz automatischer Filtersysteme ist es natürlich so, dass viele Videos also gerade aus Lateinamerika dann doch länger online stehen. Und dass Nutzer dann sozusagen von Videos überrascht werden, bei denen Kartelle ihren Rivalen die Kehle durchsägen oder die ja verbluten lassen.
[13:00] Julia Jaroschewski: Und was man nicht vergessen darf, wenn man sich tatsächlich also jetzt sagen wir mal mal nicht unbedingt in Deutschland aufhält, aber irgendwo in Südamerika und potenziell eine Straftat sieht, sei es jetzt eben nicht nur im Drogenhandel, sondern wirklich einen Mord und das irgendwie kommuniziert, dann sollte man ganz stark aufpassen, wie man das macht, weil natürlich aufgrund der starken Digitalisierung auch die Gangs und die Kartelle dann potenziell nachverfolgen können, wer derjenige war, der das Ganze bei der Polizei angezeigt hat. Das heißt, da sollte man schon ganz stark darauf achten, welche sozialen Medien nutze ich, um anonym eine Straftat zu melden. Und das gibt es tatsächlich. Das gibt es in vielen südamerikanischen Ländern. In Brasilien heißt das “Disque denúncia”, wo man über ganz viele Kanäle sei, es “whatsapp”, “Telegram”, Telefon klassisch, wirklich anonym Straftaten melden kann und damit zur Aufklärung beiträgt und damit sich aber eben auch selbst schützt, indem man das, was passiert ist, potenziell mit Video und Audio weitergibt, aber bei seinem Telefon nicht lokal speichert.
[13:57] Jörg Wagner: Julia Jaroschewski und Sonja Peteranderl, die auch als Auslandsjournalistinnen unter favelawatchblog.com reglmäßig posten, auch ihr Kapitel im Sammelband zu “Cyberkrimonologie – Kriminologie für das digitale Zeitalter”, erschienen bei “Springer VS” kürzlich. Vielen Dank, dass Ihr uns sozusagen akustisch dieses Kapitel ein bisschen näher gebracht habt und dann toi, toi, toi bei Euren weiteren Recherchen!
[14:23] Julia Jaroschewski: Danke.
[14:23] Sonja Peteranderl: Danke.