[00:00:00] Jörg Wagner: Versuchen wir noch mal kurz aufzuarbeiten, was in den letzten Jahren passiert ist. Die ZDF-Journalistin Birte Meier, bisher als sogenannte Festfreie für das Investigativ-Magazin Frontal 21 tätig, bemerkte, dass ihre männlichen Kollegen für dieselbe Arbeit besser bezahlt werden. Seit 2015 geht sie juristisch gegen ihren Arbeitgeber ZDF vor und fordert unter dem Thema Lohngerechtigkeit eine vergleichbare Bezahlung. Das ZDF ist der Auffassung, dass hier mit unterschiedlichem Maß Tätigkeiten verglichen werden, weil auch Dienstjahre mit eine Rolle spielen. Ungünstig für die Kollegin: Gehälter und Honorare von Kollegen sind nicht wirklich transparent und daher nicht gerichtsfest nachzuweisen. 2017 unterlag Birte Meier vor dem Arbeitsgericht. Habe ich das … und damit herzlich willkommen Prof. Nora Markard, sie ist Juristin an der Uni Münster und Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Freiheitsrechte, die inzwischen Birte Meier berät … ist denn das in Kürze von mir richtig zusammengefasst worden?
[00:01:00] Prof. Dr. Nora Markard: Ja, genau das ist richtig zusammengefasst worden. Sie haben jetzt schon die Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin angesprochen, 2017. Es gab da noch die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg 20 …9, also jetzt hier, im Februar. Entschuldigung. Und jetzt waren wir eben schon leider daran gewöhnt, dass es sehr, sehr schwierig ist, das Recht auf Entgeltgleichheit in Deutschland durchzusetzen. Und umso mehr haben wir uns dann gefreut über den wirklich großen Sieg vor dem Bundesarbeitsgericht.
[00:01:28] Jörg Wagner: … [das Urteil], das in dieser Woche verkündet wurde. Vielleicht können Sie das ganz kurz mal aufdröseln, was das konkret nun für Kollegin Meier bedeutet?
[00:01:37] Prof. Dr. Nora Markard: Ja, also das geht hier erst einmal um das neue Gesetz, das erlassen worden ist, um das Problem der Entgelt-Ungleichheit anzugehen. Frauen, die zum Beispiel den Verdacht haben, dass die Männer möglicherweise mehr verdienen, haben bei der Frage, ob sie sich auf ihr Recht, gleich bezahlt zu werden, berufen können, mit drei Hürden zu tun. Das erste, die erste Hürde ist Sie wissen meistens gar nicht, was die Kollegen verdienen. Die zweite Hürde ist sie müssen dann beweisen, dass das Geschlechtsdiskriminierung ist, wenn die mehr verdienen. Und das Dritte ist natürlich immer, dass es die Gefahr von Sanktionen durch den Arbeitgeber gibt, obwohl das eigentlich verboten ist. Und das Entgelttransparenzgesetz, was jetzt neu in Kraft getreten ist, auch eben während dieses Prozesses erst in Kraft getreten ist, das widmet sich quasi dieser ersten Hürde, nämlich zu wissen, was die Kollegen eigentlich verdienen. Und da gibt es ja oft so Schweigeklauseln in den Verträgen und so weiter.
[00:02:24] Daniel Bouhs: Ich finde es ja immer bemerkenswert, wenn jemand, gerade auch Freiberuflerin oder Freiberufler, so einen langen juristischen Weg auf sich nehmen. Das waren ja drei Etappen grob. Dann heißt es auch gleich: Das ist dann ein Grundsatzurteil. Inwiefern lässt sich das, was die Kollegen für sich persönlich erstritten hat, denn auf die vielen sogenannten festenfreien Mitarbeitenden bei den öffentlich-rechtlichen Sendern übertragen, die unter einen Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Beschäftigte fallen?
[00:02:52] Prof. Dr. Nora Markard: Ja, die arbeitnehmerähnlich Beschäftigten – das ist eben so eine Unterscheidung, die gibt es in Deutschland. Die ist aber jetzt europarechtlich eigentlich nicht relevant. Und diese Regelungen, über die wir jetzt sprechen, die setzen alle europarechtlichen Vorgaben zum Antidiskriminierungsrecht um. Darauf hat sich das Bundesarbeitsgericht auch gestützt. Und quasi der große Durchbruch ist jetzt, dass sich arbeitnehmerähnliche Beschäftigte, wie diese ganzen Festfreien – das ZDF und auch andere Anstalten im öffentlichen Rundfunk und so weiter haben ganz, ganz viele nicht quasi Arbeitnehmer*innen, sondern dann eben Festfreie, die oft auch unbefristet beschäftigt sind – die können sich jetzt alle darauf berufen. Und wenn man jetzt z. B. das ZDF sich wieder anschaut, der Gleichstellungsbericht erfasst z. B. diese Festfreien gar nicht. Da gibt es noch größere Lohnintransparenz als bei den Festangestellten. Und jetzt können die sich erstmals eben auf diesen Auskunftsanspruch nach dem Entgelttransparenzgesetz berufen und zumindest diesen Mittelwert, also den Median der Gehälter der Kollegen, die die gleiche Arbeit machen, im anderen Geschlecht den erfragen.
[00:03:53] Jörg Wagner: Helfen Sie mir weiter, ohne jetzt auch eine gerichtliche Beurteilung vorwegzunehmen. Aber wenn es jetzt erst sozusagen möglich ist, transparent Einblick in Gehälter zu nehmen, wieso sind Sie sich so sicher, zusammen mit Birte Meier, hier ungerecht bezahlt worden zu sein?
[00:04:09] Prof. Dr. Nora Markard: Ja, das ist natürlich der Vorteil, wenn man mit einer Investigativejournalistin als Klägerin zusammenarbeitet. Die hat natürlich sehr viele Informationen informell in Erfahrung gebracht. Das Problem ist, mit informellen Informationen kann man seine Klage nicht beziffern. Man muss ja immer sagen, was man eigentlich genau haben will. Und deswegen hatte sie ursprünglich eben auf Auskunft und dann eben in der zweiten Stufe, wenn sie die Auskunft hat, dann auf entsprechende gleiche Bezahlung geklagt. Und der Entgelttransparenzgesetz-Auskunftsanspruch, der ist ja dann erst nachträglich dazugekommen. Und dass wir auch sicher sind, dass sie zu Unrecht ungleich bezahlt wird, das liegt daran, dass die Begründungen, die das ZDF da so vorgebracht hat, einfach vorne und hinten nicht zusammenpassen. Das haut immer hin, wenn man sich eine Person anguckt. Wenn man aber dann die anderen Männer dazu nimmt, dann sieht man: Wieso? Aber Moment mal, der ist doch auch schon länger da. Warum hat der denn irgendwie so … und das passt doch gar nicht und der ist schon fünf Jahre länger und nur sechs Monate. Warum verdienen die beide viel mehr? Das müsste doch eigentlich abnehmen und so. Also das sind … da ergibt sich sozusagen kein transparentes Bild, sondern es kommt eigentlich immer nur raus: Die verdienen alle mehr. Und es ist eigentlich nicht so richtig nachvollziehbar, nach welchem System das angeblich gehen soll.
[00:05:23] Daniel Bouhs: Ein Punkt, den Sie auch noch kritisiert haben – Stichwort Sanktionen des Arbeitgebers – war, Birte Meier wird jetzt versetzt von Frontal 21 in Berlin zur Zentrale des ZDF in Mainz. Nun muss man aber ja auch sagen, Birte Meier war, man kann das ja auch verstehen nach all dem Kampf, den sie so neben ihrer eigentlichen Arbeit durchfechten musste, auch ein paar Monate freiwillig gar nicht im Dienst, sondern mit einem Stipendium in den USA. Und im Arbeitsvertrag hatte das ZDF stets den „Dienstsitz Mainz“ festgehalten. Ein Sprecher sagt dann auch vom ZDF, „Frau Meier“ habe „einen Vertrag als Redakteurin mit dem ZDF am Einsatzort Mainz. Der Einsatz ihrer bisherigen Redaktion war nur befristet vereinbart. Nachdem sie auf eigenen Wunsch auf die Dauer von sechs Monaten freigestellt worden“ sei, habe „das ZDF einen Einsatz in der profilierten Investigativdoku-Redaktion ZDF Zoom“ ihr „angeboten. Dieses Angebot“ habe „Frau Meier nicht angenommen. Das ZDF“ werde „ihr daher bis auf weiteres Aufträge im Programm Bereich, Info, Gesellschaft und Leben anbieten“, womit auch vermutlich ja eher Dokus gemeint sind. Ist denn zumindest hier der Alarmismus nicht auch ein bisschen konstruiert?
[00:06:32] Prof. Dr. Nora Markard: Also, ich bin jetzt ein bisschen überrascht, ehrlich gesagt, dass das ZDF sich so ausführlich über interne Details der Versetzung äußert. Die Klägerin hat sich da bisher immer konsequent an ihre Vertraulichkeitsverpflichtungen gehalten. Ich könnte dazu jetzt so einiges sagen. Ich würde mich da aber ganz gerne weiter zurückhalten, weil ich das eigentlich auch richtig finde, dass man jetzt nicht die Einzelheiten diskutiert. Vielleicht nur so viel dazu.
[00:06:53] Jörg Wagner: Aber Sie haben schon von „Schikane“ gesprochen und müssen das ja auch irgendwie begründen.
[00:06:56] Prof. Dr. Nora Markard: Lassen Sie mich zwei, drei Worte dazu sagen. Erst mal kann man sich schon fragen, warum man einer Leistungsträgerin wie Birte Meier, die drei Preise gewonnen hat für die Redaktion eigentlich aus der Redaktion Frontal 21 sozusagen raus versetzen möchte. Das ist ja schon mal die erste Frage, die man stellen kann, und zwar unmittelbar, sozusagen gegen Ende ihres Prozesses gegen das ZDF. Die zweite Frage ist, dieses Stipendium für das Thomas-Mann-Haus, das sie ja von der Bundesregierung bekommen hat – auch zu dem Thema Equal Pay übrigens – ist ja eine große Auszeichnung wiederum für eine Journalistin von Frontal 21. Üblicherweise kann man bei sowas zum Beispiel Blockteilzeit vereinbaren. Das ist alles nicht möglich gewesen. Und stattdessen musste sie sich freistellen lassen. Und dann wurde eben gesagt: Ja, also einerseits soll hier jetzt ein männlicher Kollege aufgebaut werden. Sie soll sich da auch entwickeln in Mainz. Dieses Gespräch, dieses Entwicklungs-Gespräch hat bisher nicht stattgefunden. Und sie könne da auch noch außer Zoom noch andere Sachen natürlich vorschlagen. Aber es soll auf jeden Fall in Mainz sein. Das soll auf jeden Fall in Mainz sein, nicht in Berlin, also in Berlin nicht mehr. Da sage ich mal, da kann man sicherlich schon gewisse Zweifel daran haben, was das soll. Und dieses Angebot hat das … das ZDF hat die Klägerin nach langen Verhandlungen, als sie eben auch schon sehr weit entgegengekommen ist, dann am Ende auch angenommen. Das ZDF konstruiert jetzt aus den Hinweisen, die sie auf ihre Beschäftigung als Festfreie, mit eben freier Wahl des Arbeitsortes gemacht hat, dass sie das nicht angenommen hätte. Und das finde ich schon sehr merkwürdig, dass das jetzt mit so einem … alles plötzlich nicht mehr auf dem Tisch liegen soll.
[00:08:37] Daniel Bouhs: Also Ihre Erfahrung sagt Ihnen schon: Das ist eine klare Sanktion, was da passiert?
[00:08:41] Prof. Dr. Nora Markard: Die Erfahrung sagt, es ist eine klare Sanktion, auch weil im öffentlichen Gerichtsverfahren ja auch einige weitere Dinge angesprochen worden sind. Es gibt eben eine lange Geschichte, dass die Redaktion, dass die Redakteurin seit Einreichung der Klage auf verschiedene Weise von Haus aus unter Druck gesetzt worden ist. Und man muss einfach sagen, bekanntermaßen gibt es solche sozusagen … wird oft Druck ausgeübt auf Arbeitnehmer*innen und auf eben auch arbeitnehmerähnliche Beschäftigte, wenn sie gegen den Arbeitnehmer klagen. Das macht es ja auch so schwierig, das Recht auf Entgeltgleichheit durchzusetzen. Und das verbietet aber das Antidiskriminierungsrecht. Und zwar, weil man weiß, dass so etwas häufig passiert, gibt es eben diese Verbotsvorschrift.
[00:09:20] Jörg Wagner: Wir müssen sagen, wir haben auch Birte Meier angefragt. Sie bat um Verständnis – das ist ja Standard bei solchen Prozessen, dass sie während solcher Auseinandersetzungen nicht darüber sprechen wird. Deswegen sprechen Sie als Vertreterin der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Ganz kurze Frage noch. Was haben Sie konkret davon als NGO? Und wie geht’s jetzt weiter?
[00:09:42] Prof. Dr. Nora Markard: Ja, also die Gesellschaft für Freiheitsrechte setzt sich ja ein für die Grund- und Menschenrechte in Deutschland und Europa mit den Mitteln der strategischen Prozessführung. Und das heißt, wir wählen Fälle aus, die ein strukturelles Problem ansprechen. Und im Bereich Entgeltdiskriminierung kennen wir den Gender Pay Gap schon ewig. Immer wieder im März gibt‘s den Equal Pay Day und so weiter. Alle sagen dann, wie schlimm das ist. Aber das Recht auf Entgeltgleichheit wirklich durchzusetzen, ist einfach wahnsinnig schwierig. Man weiß es nicht, worum es geht. Und dann sind eben – und das hat ja auch der Fall der Klägerin leider gezeigt – sind die Beweisanforderungen im deutschen Recht einfach völlig überhöht gegenüber dem, was das Europarecht vorgibt. Und deswegen hoffen wir eben – und das ist vielleicht auch so ein bisschen, wie es weitergeht – hoffen wir noch als letzte Möglichkeit auf eine Entscheidung aus Karlsruhe. Wir haben gegen die Abweisung der Diskriminierungsklage Verfassungsbeschwerde erhoben mit der Begründung, dass hier diese Sache dem EuGH hätte vorgelegt werden müssen, weil der eben seit den 50er Jahren – also die ersten Entscheidungen sind aus den 70er Jahren – das Recht auf Entgeltgleichheit auslegt, im Europarecht und da eben ganz weitgehende Vorgaben gemacht hat, die die Gerichte hier sehenden Auges missachtet haben. Und das geht einfach nicht. Da wird der gesetzliche Richter entzogen. Also dass sozusagen die grundrechtliche … das grundrechtlich Framing. Und insofern warten wir jetzt erst einmal in der Sache Entgelttransparenzgesetz auf die Rückverweisung ans Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg. Das muss jetzt also entscheiden, ob die Voraussetzungen des Auskunftsanspruch gegeben sind. Und aber in der Diskriminierungsklage, muss man leider sagen, hat dieser große Sieg jetzt erst einmal keine Auswirkungen, sondern da müssen wir hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht da einfach nochmal dem anderen Senat des Bundesarbeitsgerichts hinter die Ohren schreibt, dass das Europarecht einfach verbindlich anwendbar ist, auch in antidiskriminierungsrechtlichen Fragen.
[00:11:26] Jörg Wagner: In welchem Jahr können wir hier im Medienmagazin das Urteil diskutieren?
[00:11:30] Prof. Dr. Nora Markard: Ja, das würde ich Ihnen gerne sagen. Wir müssen jetzt erst mal auf die schriftlichen Urteilsgründe des Bundesarbeitsgerichts warten. Und bis dahin wird sicherlich das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg nicht terminieren können. Und das dauert mit Sicherheit noch eine ganze Weile. Und in Karlsruhe wissen wir ja auch, gibt es sehr viele Fälle, da muss man sich leider auch ein bisschen in Geduld üben. Also, wir werden sicherlich noch eine Weile warten müssen, bis es hier weitergeht.
[00:11:50] Jörg Wagner: … meint die Juristin Prof. Nora Markard von der Uni Münster. Und als Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Freiheitsrechte hatte sie den Fall „Birte Meier“ hier für uns erläutert. Vielen Dank!
[00:11:59] Prof. Dr. Nora Markard: Vielen Dank Ihnen!