Jörg Wagner: [00:00:00] radioeins mit dem Medienmagazin im Zimmer des Programmdirektors des rbb, Dr. Jan Schulte-Kellinghaus. Vielen Dank, dass wir direkt in einem Abstandesinterview aktuelle Fragen stellen können. Denn Sie sind heute an die Öffentlichkeit gegangen über den Rundfunkrat und dann auch einer Belegschaftversammlung mit einer interessanten Zahl, dass der rbb nämlich 30 Millionen künftig einsparen muss. Welche Überlegungen stecken dahinter? Diese Summe, wie setzt sie sich zusammen?
Jan Schulte-Kellinghaus: [00:00:27] Es sind schlicht finanzielle Zwänge. Es ist so, dass ja seit 2009 der Rundfunkbeitrag nicht mehr erhöht worden ist. Und als es umgestellt worden ist von Rundfunkgebühren auf -beiträge hatte der rbb ein kleines Plus, was er sich zurücklegen konnte. Und damit haben wir das überbrücken können, dass es keine Steigerung des Rundfunkbeitrags gab. Diese Reserve ist aber jetzt aufgebraucht. Und die 18,36 Euro – falls wir sie kriegen, das ist ja jetzt noch in der Abstimmung in den Landtagen – selbst wenn wir sie kriegen, reicht das nicht, um das Programm in dem Maße aufrecht zu erhalten, wie wir es jetzt im Augenblick tun. Denn wenn wir das Programm so weitermachen wollen, wie wir es jetzt tun, wären mindestens 19 Euro Rundfunkbeitrag erforderlich. Das hat die KEF nicht so gesehen. Und da wird ja jetzt auch in den Länderparlamenten intensiv diskutiert. Und das bedeutet: Wir müssen uns auf 18,36 Euro einstellen. Und das bedeutet, dass wir als rbb pro Jahr 30 Millionen sparen müssen.
Daniel Bouhs: [00:01:33] Wenn wir das richtig verstanden haben, wird der rbb komplett neu strukturiert. Da ist dann die Rede von sogenannten „Contentboxen“, in denen wiederum „Units“ arbeiten, die für verschiedene Programmteile in mehreren Formaten zuarbeiten. Das wird ja letztlich alles passieren, um – das berühmte Stichwort – Synergien zu heben. Glauben Sie, Sie können damit den größten Teil auffangen? Was müssen Sie am Ende dann tatsächlich auch konkret im Programm sparen?
Jan Schulte-Kellinghaus: [00:02:01] Ja, wir haben ja diese beiden Herausforderungen: Wir müssen sparen. Und die zweite Herausforderung ist ja, dass wir viel mehr im Digitalen machen müssen, dass wir im Linearen sehr erfolgreich sind, Radio und Fernsehen, aber wir natürlich sehen, dass die nachwachsenden Generationen digitale Angebote haben wollen, die wir ja auch noch machen müssen. Also, deshalb müssen wir uns umorganisieren und können keinen Stein auf dem anderen lassen. Die Idee der Contentboxen ist tatsächlich, dass man Synergien schafft, dass die Redaktionen viel stärker als bisher zusammenarbeiten, gemeinsam Projekte machen, gemeinsame Ideen haben, die sie dann auch gemeinsam ausstrahlen. Und das ist der Weg, effizienter zu arbeiten, hoffentlich die Kreativität zu steigern, weil mehr Menschen sich Gedanken machen, wie gehen wir so ein Thema an, aber dann auch noch Geld übrig zu haben, um neue digitale Formate zu machen.
Daniel Bouhs: [00:02:53] Das Programm müssen Sie dafür dann aber inzwischen auch antasten. Oder können Sie das am Ende durch diese Umstrukturierungen, durch die Synergien bewahren, beschützen?
Jan Schulte-Kellinghaus: [00:03:02] Nee, leider nicht. Schon jetzt müssen wir kräftig am Programm sparen. Der rbb muss, wie gesagt, insgesamt 30 Millionen einsparen. Und Gott sei Dank haben wir uns auch in der Geschäftsleitung darauf geeinigt, dass beim Programm zuletzt gespart wird. Aber trotzdem müssen wir 5,5 Millionen im nächsten Jahr auch im Programm des rbb sparen. Das tun wir an verschiedenen Stellen im Kulturradio – das war ja schon ein großes Thema – werden wir das machen. Wir werden es auch in der Fernsehunterhaltung in größeren Zusammenhängen machen…
Jörg Wagner: [00:03:34] … machen Sie das mal bitte konkret: Wo wird’s der Zuschauer merken, dass da weniger Budget ist?
Jan Schulte-Kellinghaus: [00:03:40] Na, das hoffe ich ja, dass wir es schaffen, dass er es nicht so merken wird. Also, der Zuschauer des rbb-Fernsehens, der wird es bei der „Abendshow“ merken. Die ist ja zurzeit jeden Freitag um 22 Uhr. Da werden wir kräftig am Budget sparen. Das heißt, denen steht nur noch die Hälfte des Budgets zur Verfügung. Ob das bedeutet, dass sie nur noch die Hälfte der Sendungen machen können oder ob es ihnen gelingt, durch eine andere Gestaltung Geld einzusparen, das müssen wir jetzt diskutieren, weil bisher haben wir nur – ohne mit den Kolleginnen und Kollegen zu reden – in der Geschäftsleitung festgelegt, wo sind unsere großen Sparlinien, was denken wir ist verkraftbar für den rbb und für die Zuschauerinnen und Zuschauer und Hörerinnen und Hörer. Und jetzt müssen wir mit den Kolleginnen und Kollegen hingehen und uns überlegen, wie wir das umsetzen.
Jörg Wagner: [00:04:29] Ist Satire nicht mehr so viel wert im rbb?
Jan Schulte-Kellinghaus: [00:04:33] (lacht) Doch. Klar. Aber die Frage ist ja immer, was steht gegen was. Also, was ist unser [Kern]? Unser Kern ist regionale Information. Unser Kern sind auch die Dinge, die wir dem Ersten zuliefern. Natürlich gehört auch Unterhaltung und auch Satire gehört zu unserem Auftrag, weil wir ja ein Vollprogramm sind. Aber am Ende können Sie mich das an jeder Stelle fragen, an der ich den Rotstift ansetzen muss, ist das nicht so viel …
Jörg Wagner: [00:04:56] … darauf bin ich vorbereitet. Zum Beispiel …
Jan Schulte-Kellinghaus: [00:04:58] … ist das jetzt nichts mehr wert? Das ist uns sehr viel wert, Satire. Also, deshalb haben wir ja Herrn Krömer jetzt wieder – Gott sei Dank! – zum rbb geholt. Deshalb haben wir Dieter Nuhr und haben die Folgenanzahl von „nuhr im Ersten“ erhöht. Also, das Thema Satire ist uns wichtig, aber wir können nicht mehr überall gleich stark bleiben.
Jörg Wagner: [00:05:17] Das wäre nämlich meine Frage gewesen: Sie müssen nicht nur in der Fernsehunterhaltung sparen. Die „Abendschau“ wird betroffen sein und so weiter und so fort. Sondern Sie gehen auch an die Hörfunkprogramme ran, die nicht in der Regel so teuer sind. Warum nehmen Sie nochmal beim Radio raus, wo sowieso schon alle am … ich sage mal … am effizienten Arbeiten sind. Da ist vom ORB bis heute, vom SFB bis heute so viel effizienter geworden, dass man sich fragt, ob man da noch lebende Menschen zum Schluss hat im Radio.
Jan Schulte-Kellinghaus: [00:05:46] Beim Radio werden wir im nächsten Jahr, dann aber eben auch dauerhaft die nächsten Jahre anderthalb Millionen Euro sparen. Eine Million bei rbb Kultur, das ist das, was schon bekannt ist. Das haben wir ja schon vor anderthalb Jahren annonciert und haben jetzt das Programm soweit umgestellt. Auf der einen Seite haben wir es modernisiert und auf der anderen Seite mussten wir eben auch Dinge da weglassen, weil wir sie uns jetzt nicht mehr leisten konnten. Und 500.000 Euro, das heißt also 100.000 Euro für jedes der Radioprogramme: radioeins, Fritz, Antenne Brandenburg, 88,8 und Inforadio – das klingt viel, ist aber, wenn man weiß, dass so eine Welle zwischen vier und fünf Millionen Budget hat, sind 100.000 Euro doof, aber noch verkraftbar. Wie das in der einzelnen Welle umgesetzt wird, das müssen wir jetzt in den nächsten Wochen besprechen.
Daniel Bouhs: [00:06:39] Ihr früherer Sender, der NDR, hatte ja auch größere Sparmaßnahmen beschlossen. Da hat man sich für eine Ampel entschieden: grüne Formate, die geschützt werden, das ist die regionale Information, die Primetime, gelbe Formate, bei denen gekürzt wird und rote Formate, einige, die komplett gestrichen wurden. Rote Formate gibt es beim rbb gar nicht, oder? Also, dass Sie jetzt sagen offensiv, wir müssen Dinge komplett einstellen, ist nicht zu hören, oder?
Jan Schulte-Kellinghaus: [00:07:04] Doch. Wir stellen auch Dinge komplett ein, zum Beispiel eine Doku-Reihe „Die Wahrheit über…“ werden wir einstellen. Die werden wir im nächsten Jahr nicht mehr haben. Und wenn wir so heftig bei der „Abendshow“ kürzen, heißt das natürlich auch im Mengengerüst, dass es da schlicht weniger Sendungen geben wird. Also, das wird man schon an vielen Stellen merken. Das ist so.
Jörg Wagner: [00:07:24] Sie haben die Zielmarke herausgegeben, linear senden und gleichzeitig sich auf das digitale Zeitalter vorbereiten. Nun hat man den Eindruck, dass der Rundfunk Berlin-Brandenburg demnächst „pbb“ heißt, nämlich Podcast Berlin-Brandenburg. Ist das jetzt nur eine Modewelle oder ist tatsächlich Ihre Vorstellung von Rundfunk für die nächsten 20 Jahre, dass wir uns von der Echtzeitabstrahlung des „Rund“funkens, des Broadcastens entfernen müssen?
Jan Schulte-Kellinghaus: [00:07:52] Also, entfernen müssen – auf jeden Fall. Wir werden es nicht aufgeben. Und das Radio und Fernsehen werden Leitmedien bleiben. Wir wissen nur nicht, wie lange. Und zugleich müssen wir für die Millennials, die mit Podcast und Netflix und Amazon und Sendungen auf Abruf und YouTube aufgewachsen sind, denen müssen wir etwas bieten Und für die müssen wir relevant sein. Denn nicht nur, dass diese auch Rundfunkbeiträge bezahlen, sondern das ist ja unser Anspruch. Wir werden von allen finanziert und gehorchen niemanden. Wir sind parteilos und wir haben keine kommerziellen Interessen. Aber wir sind der Gesellschaft verpflichtet. Und deshalb macht es nur dann Sinn, wenn wir diese Funktion auch erfüllen. Und das heißt, wir müssen alle erreichen. Und wir erreichen im Augenblick über das Lineare zunehmend ein älteres Publikum. Das ist auch völlig in Ordnung. Das ist sehr toll. Aber wir müssen eben auch sehen, dass inzwischen sich das Mediennutzungsverhalten verändert. Und deshalb müssen wir auch für die Anderen Programme anbieten. Und das ist natürlich im Audiobereich – ja – Podcast. Klar, da müssen wir stärker werden, genauso wie wir für die Mediathek wahrscheinlich neue Formen von Dokus produzieren müssen oder neue Formen von Serien produzieren müssen, die in einer klassischen linearen Ausstrahlung wahrscheinlich nicht so erfolgreich wären, aber ein spezielles Mediathekspublikum treffen könnten und für die da sind. Aber daran sieht man unsere Schwierigkeit: der Markt wird differenzierter. Man muss viel speziellere Zielgruppen im Digitalen bedienen und dafür muss man eigentlich das Geld und die Ressourcen haben. Und die versuchen wir jetzt dadurch zu organisieren, dass wir sagen, wir müssen anders zusammenarbeiten und wir müssen viel mehr gemeinsam planen und viel mehr aus unseren Ressourcen machen.
Daniel Bouhs: [00:09:37] Abschließend: Auf der Belegschaftsversammlung hat Intendantin Patricia Schlesinger ein Szenario letztlich in den Raum gestellt, wenn man das alles nicht schaffe, dieser Umbau, die Sparmaßnahmen gleichzeitig zu investieren, dann drohe, dass man in einem zwei- bis dreistündigen Regionalzeitfenster verschwindende, also der rbb auch als großes Programm letztlich vom Markt genommen werden könnte. Wie sehr treibt Sie diese Sorge tatsächlich voran?
Jan Schulte-Kellinghaus: [00:10:05] Nein. Dieser Gedanke lässt mich nicht schlecht schlafen. Also, das ist nicht meine Angst. Aber man kann ja lesen, im Zuge der medienpolitischen Diskussion wird ja immer wieder diskutiert, sind die Öffentlich-Rechtlichen zu groß? Ist es schlimm, dass die 63 Radios betreiben? Die kommerziellem betreiben 265 Radios, weil das Radio ein regionales Medium ist – und da wird immer wieder die Frage gestellt, kann man das nicht zusammenlegen, kann man das nicht kleiner machen und was weiß ich. Und in dem Zuge werden auch immer wieder die Dritten Programme hinterfragt, sind die wirklich erforderlich? Und aus unserer Sicht – wir betrachten uns ja, als der Beitrag zur Demokratie. Wir sind parteilos und nicht kommerziell und sind eine elektronische Kommunikationsplattform. Und das ist mir immer wichtig. Die „Abendschau“ hatte jetzt in diesem Sommer 45 Prozent Marktanteil, „Brandenburg aktuell“ hatte 40 Prozent Marktanteil. Und damit sind wir einfach eine relevante Kommunikationsplattform für die Demokratie. Und das brauchen wir dringend und mehr als je zuvor. Und deshalb, glaube ich, geht es nicht um Abschaffung. Aber es geht darum, dass wir relevant sind und relevant bleiben.
Jörg Wagner: [00:11:16] … meint Dr. Jan Schulte-Kellinghaus. Vielen Dank für das Gespräch und toi, toi, toi, dass diese Synergien durch die Contentboxen möglichst für alle Bereiche befruchtend sind. Dankeschön.
Daniel Bouhs: Danke für Ihre Zeit!
Jan Schulte-Kellinghaus: Dankeschön.