[00:00:00]
Werner Lange: Herr Professor Plog, Sie sagten neulich in einem Interview, die öffentlich-rechtlichen Anstalten haben sich alles vor Gericht erstreiten müssen, die Politik habe ein anderes Interesse. Haben Sie da geahnt, dass ARD und ZDF einerseits und mangelnde Einigkeit der Politik andererseits wegen des Geldes wieder vor dem Bundesverfassungsgericht landen werden?
[00:00:23]
Jobst Plog: Ja, das war schon absehbar, glaube ich. Die Politik reagiert natürlich auf ein Urteil aus Karlsruhe. Aber nach ein paar Jahren sind die Akteure andere und das Urteil ist nicht mehr wirklich in Erinnerung. Und dann fängt die ganze Geschichte offenbar nochmal von vorne an. Ich glaube, dieser Fall ist klar einordenbar. Und die Politik täte gut daran, sich in Erinnerung zu rufen, wie das letzte Urteil ausgesehen hat.
[00:00:53]
Werner Lange: Der Rechtsbegriff „Rundfunkfreiheit“, der beinhaltet, dass gesellschaftlich getragener Rundfunk frei berichten kann, ein Recht auf angemessene Finanzierung hat und sich modern entwickeln kann … geht schon sehr weit. Ist es da aber nicht auch verständlich, dass die Politik da auch mitreden möchte?
[00:01:13]
Jobst Plog: Das ist verständlich, denn die Bestands- und Entwicklungsgarantie, die das Verfassungsgericht für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk garantiert hat, muss man in dem Rahmen sehen, indem sie dann doch auch wiederum relativiert ist. Dieser Rahmen ist, den Auftrag der Rundfunkanstalten, also die konkrete Ausgestaltung, was dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk übertragen wird, ist durchaus auch eine politische Frage. Und an diesem Auftrag müssten die Politiker arbeiten. Dann geben sie diesen Auftrag den Rundfunkanstalten vor und die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs soll dann eine angemessene und politisch nicht mehr definierte Gebühr errechnen. Das heißt, der Auftrag kann vorgegeben werden. Er muss diskutiert werden. Die Rundfunkanstalten haben ihn dann umzusetzen und wie sie ihn umsetzen, finanziell kann von der KEF kontrolliert werden. Das ist zugleich die Begrenzung der … des politischen Einflusses. Das Bundesverfassungsgericht hat es für möglich gehalten, dass unter ganz besonderen Umständen, also große krisenhafte Erscheinungen, die Politik ausnahmsweise auch von einer KEF-Empfehlung abweichen darf. Dies aber muss sehr sorgfältig begründet werden und als Ausnahme klar definiert werden. Das ist in diesem Fall beim Scheitern der letzten Gebührenrunde nicht geschehen.
[00:02:49]
Werner Lange: Einige Abgeordnete, immerhin vom Volk gewählt und demokratisch legitimiert dadurch, sagten, als es um den künftigen Beitragssatz für ARD und ZDF ging, sie hätten es ihren Wählern versprochen, dass nicht mehr gezahlt werden muss.
[00:03:02]
Jobst Plog: Das ist kein zulässiges Argument. Man kann sich nur im Rahmen der Rechtsordnung bewegen. Man kann den Wählern nicht etwas versprechen, was damit nicht in Übereinstimmung steht. Man muss sich, auch wenn man mit einer solchen Erklärung gewählt ist, richten nach den rechtlichen Maßstäben. Rundfunk ist ein hohes Gut. Der gesellschaftlich verantwortete Rundfunk ist zu schützen, auch von der Politik. Und von daher gesehen, kann ein solches Versprechen nicht wirklich eine relevante, andere Sicht begründen.
[00:03:40]
Werner Lange: Sie sind gefragter Medien-Kenner und können jetzt ohne Amt frei sprechen, müssen nirgends Mehrheiten auf ihre Seite ziehen. Die Sender werden oft kritisiert. Sehen Sie nicht auch Kritikpunkte? Reformverlangen mit Berechtigung?
[00:03:55]
Jobst Plog: Man muss da unterscheiden. Es gibt zunächst die Fragen, die man nicht bei den Rundfunkanstalten ansiedeln darf, weil sie aus eigenem Antrieb dort nicht erfolgreich Änderungen vorschlagen können. Wenn Sie einmal daran denken, an die immer wiederkehrende Debatte um die Existenz der kleinen Rundfunkanstalten Radio Bremen und den Saarländischen Rundfunk. Die gibt es nicht, weil ein Intendant ein Haus besetzt hat und Mitarbeiter angestellt hat, sondern die Rundfunkanstalten gibt es, weil Gesetze in den Ländern sie geschaffen haben und die Aufgabenstellung einschließlich der Zahl der Programme in aller Regel definiert haben. Man kann den Rundfunkanstalten hier nicht anlasten, dass sie einen gesetzlichen Auftrag umsetzen. Es gibt andere Dinge, wo man sicherlich sagen könnte: Was könnt ihr arbeitsteilig anders organisieren, um den Aufwand zu senken? Denken Sie daran, dass ARD und ZDF bei großen Sportereignissen gelegentlich mit derselben Mannschaft weitgehend arbeiten im Produktionsbereich. Solche Dinge kann man von den Rundfunkanstalten verlangen. Und die Rundfunkanstalten müssen sich an dieser Stelle immer wieder auch etwas einfallen lassen. Aber die bloße Zahl der Programme ist fast immer politisch vorgegeben worden. Ich kann Ihnen noch ein Beispiel aus dem NDR nennen. Wir hatten ja mehrfach die Kündigung des NDR-Staatsvertrages aus politischen Gründen. Einmal, als Niedersachsen die Kündigung mit Schleswig-Holstein durchsetzen wollte, war der Kompromiss am Ende der, dass der Gesetzgeber drei neue Landesprogramm geschaffen hat.
[00:06:16]
Das heißt, zu dem existierenden Programm kamen politisch noch drei hinzu. Ein weiteres Beispiel: Die Gründung von Arte geht nicht auf eine Idee von ARD und ZDF zurück, sondern sie ist entstanden bei einem deutsch-französischen Gipfel zwischen Kohl und François Mitterrand. Abgesehen davon, dass ich es eine vernünftige Idee fand, aber es ist eine Idee, die von außen gekommen ist. Und die Rundfunkanstalten und die Länder haben sie dann umgesetzt. Und auch da kann man nicht sagen: Die Rundfunkanstalten haben sich nochmal ein zusätzliches Programm ausgedacht. Keines der Programme der ARD, keinem fehlt eine gesetzliche Basis.
[00:06:18]
Werner Lange: Die Diskussionen, die es zurzeit gibt, gehen eher so dahin, die Finanzen in ganz bestimmte Länder zu lenken. Aber auch das ist eigentlich ein Eingriff in die Autonomie der Sender. Wie kann man die Politik und die Sender zusammenbringen, sodass die Einheiten, die geschaffen worden sind für die Politik, für Sport und so was alles, dass die beiden sich nicht gegenseitig immer nur Vorwürfe machen, sondern sehen Sie da irgendeine Möglichkeit, dass die Interessen gebündelt zwischen Politik und Sender in eine Richtung gehen können?
[00:06:50]
Jobst Plog: Schwer, denn der Rundfunk schafft hochbezahlte Arbeitsplätze und diese Arbeitsplätze sind das Interesse der Länder. Das sehen Sie auch in der Filmförderung. Warum gibt es jeweils auch in kleinen Ländern eine eigene Filmförderung? Die Leute hoffen, dass es Standorteffekte gibt, die sich wirtschaftlich in den Ländern rechnen. Wenn man also jetzt mit den Ländern darüber redet, wo wird etwas zusätzlich aufgebaut, dann hat das wirtschaftlich nur Sinn, wenn man irgendwo etwas abbaut. Etwa ARD aktuell in Hamburg. Sie können nicht ernsthaft mit den Vertragsländern des NDR darüber reden, wie man diesen Standort teilt oder woanders neu aufbaut. Das ist eine unsinnige Diskussion. Ich glaube, man müsste mal einen Vorschlag machen, der abkommt von einem Verweis jeweils auf die Rundfunkanstalten als auch einen Verweis nur auf die Länder. Eine Idee wäre es aus meiner Sicht, wenn man hochrangig beispielsweise vom Bundespräsidenten initiiert, eine Art Enquete-Kommission mit einem hohen Sachverstand bilden würde, die sich Überlegungen machen würde: Wenn man heute den Rundfunk neu erfinden würde auf der grünen Wiese, wie sähe das aus? Dann hätten sie ein Idealbild. Und ich kann Ihnen sagen, dieses Bild könnte man sofort den Ländern vorhalten, aber auch den Rundfunkanstalten. Und Sie hätten in keinem Fall einen schnellen und einfachen Konsens über diese Musterlösung, die man sich immer theoretisch überlegen kann, die aber mit der Realität meist sehr wenig zu tun hat.
[00:08:36]
Werner Lange: Ja, da sind wir sozusagen mittendrin in diesem Streit von Politikern. Was möchte ich eigentlich mit Rundfunk erreichen? Und auch von Anstalten, die sagen: Auch bei uns funktioniert das nicht richtig, weil die Politik da ist oder weil die Gesellschaft eben so ist, wie sie ist. Von Politikern aus dem Osten gab es auch Unmut darüber, wie der Osten behandelt wird. In der ARD oder auch beim ZDF. Über das, was den Osten ausmacht, wird verzerrt berichtet und gemeinsame Aufgaben werden weiterhin zu 90 Prozent oder zu über 90 Prozent vom Westen her gelenkt. Sie haben als Intendant in Hamburg gesessen. Hat es Versäumnisse gegeben, an die die ARD jetzt ran muss? Gemeinschaftseinrichtungen Richtung Osten als Stichwort?
[00:09:22 ]
Jobst Plog: Also das ist natürlich immer ein Problem, wenn Sie denken, dass bestehende Gemeinschaftseinrichtungen ja in der Regel gut funktionieren und neue nicht hinzukommen. Die Verlegungsdebatte ist mit den alten Akteuren sehr schwer zu führen. Was den Osten anbelangt und die ARD, so muss man zunächst auch mal die Fälle vielleicht doch unterscheiden. Wissen Sie, der Beitritt Mecklenburg-Vorpommerns zum Norddeutschen Rundfunk ist letztlich völlig problemlos verlaufen. Und wenn Sie die Zuschauer heute in Mecklenburg-Vorpommern nach der Akzeptanz des NDR fragen, so liegt die Akzeptanz in Mecklenburg-Vorpommern im Vergleich am höchsten im NDR-Sendegebiet. Das heißt, hier haben wir offenbar einen landsmannschaftlich zusammengehörigen Teil der Bevölkerung zusammengeführt. Wir haben das modernste Funkhaus, das es im NDR-Sendegebiet gibt, dort aufgebaut.
[00:10:23]
Wir haben mit der Digitalisierung in Schwerin angefangen, im Funkhaus, und das war das Muster für den Rest des NDR. Wir haben die Mitarbeiter sehr, sehr weitgehend übernommen. Dennoch: Wir haben nicht vom NDR eine Gemeinschaftseinrichtung dorthin verlagert. Bei der einzigen neuen Gemeinschaftseinrichtung gab es die Debatte, ob der Kinderkanal zum Mitteldeutschen Rundfunk oder damals zum ORB nach Potsdam kam. Der NDR hat die Entscheidung für den Mitteldeutschen Rundfunk unterstützt. Es ist richtig, dass zentrale, weitere Standorte nicht aufgebaut sind. Aber ich glaube, das ist nicht das Kernproblem. Das Kernproblem scheint mir zu sein, dass es spezifische landsmannschaftliche Aspekte insbesondere auch in Sachsen gibt, die in der Gesamtkonstruktion nicht ausreichend gespiegelt werden. Für den Mitteldeutschen Rundfunk kann man aus meiner Kenntnis sicherlich nicht bestreiten, dass an einige, auch Unterhaltungsformate bewusst angeknüpft worden ist in der Zeit nach der Wende, um auch sowas wie Identität zu erhalten. Wir haben sogar das Sandmännchen zunächst nicht übernehmen wollen, aber nach einer Protestaktion in Rostock haben wir auch das Sandmännchen wieder ins Programm getan. Also es gibt kleine Schritte, aber die Diskussion „Findet sich der Osten stark genug wieder?“ diese Diskussion gibt es in der Tat und man muss sie ernst nehmen, wenn Menschen sich nicht mitgenommen fühlen. Das muss man immer ernst nehmen, denn wir senden für die Menschen. Auf der anderen Seite, wenn man die Politik sich ansieht und den staatlichen Einfluss, dann muss man sehen, dass mir gelegentlich es auch so erscheint, als ob es kein ausreichendes Verständnis gäbe für die verfassungsrechtlich garantierte Unabhängigkeit des Rundfunks von der Politik. Sondern – wie auch in anderen osteuropäischen Ländern – gibt es gelegentlich den Eindruck, als ob das klassische Muster einer vollkommen unabhängigen Medienlandschaft unabhängig von der Politik auch dort, wo es gesellschaftliche Kontrolle gibt, dass diese Tradition nicht überall ausreichend verstanden wird.
[00:12:56]
Werner Lange: Das heißt, wenn die Politik Ideen hat, so wir möchten unser Geld auch in unseren Ländern ausgeben, ist das ein Begehren, das zusammen mit der Bevölkerung auch eine Berechtigung hat. Andererseits, das mediale Bedürfnis, das Ganze so zu strukturieren, dass es auch bezahlbar ist. Das steht sich im Wege?
[00:13:16]
Jobst Plog: Ja, das ist eine Antinomie. Sie könnten, wenn Sie so kostengünstig wie möglich die Produktionseinheiten verteilen würden, günstige Lösungen finden, als sie heutzutage politisch erzwungen werden. Das kann man auch für den Norddeutschen Rundfunk sagen. Wir haben beispielsweise eine Talkshow aus Hamburg verlegt nach Niedersachsen, weil das Land Niedersachsen sich nicht angemessen repräsentiert fühlte. Unter dem Druck einer Staatsvertragskündigung oder -androhung sind solche Entscheidungen gefallen. Wirtschaftlich, betriebswirtschaftlich sind sie sicherlich nicht sinnvoll. Wenn sie sich … selbst, wenn sie sich in dem einzelnen Land dann rechnen. Ob das in Niedersachsen einen nennenswerten Standorteffekt hat, wage ich zu bezweifeln. Aber die Länder müssen einvernehmlich wissen, was sie vom Rundfunk wollen. Ob sie wollen, dass er das, was in den Ländern passiert, im Programm spielen oder ob sie wollen, dass die Gemeinschaftseinrichtungen so zerstückelt werden, dass jeder einen Teil davon hat. Das ist automatisch keine betriebswirtschaftlich sinnvolle Lösung.
[00:14:26]
Werner Lange: Naja, ob die Sportkoordination in Köln liegt oder ob die nach Leipzig käme oder nach Berlin käme, das ist ja keine Entscheidung, die so viel – sagen wir – Umbrüche in den Finanzen mit sich bringen würde, sondern das ist …
[00:14:40]
Jobst Plog: Nein, das wäre sicherlich eine Entscheidung, über die man immer debattieren kann. Aber ich sage mal, größere Einheiten bedürfen schon auch der sorgfältigen Betrachtung. Wenn Sie zum Beispiel die Spielfilm-Koordination ansehen, die Degeto, den Filmeinkauf. Das hat natürlich ein bestimmtes Netz auch aufgebaut, nicht nur in Frankfurt und im Umfeld. Es hat früher den Grund gegeben, das in der Nähe des größten deutschen Flughafens aufzubauen und und und. Es gab immer ganz vernünftige Gründe. Richtig ist: Die Verteilung von Standort-Effekten ist passiert, ehe die Neuen Bundesländer hinzutraten. Und danach ist nur eine neue Einrichtung geschaffen worden mit dem Kinderkanal, die dann zwar im Osten angesiedelt ist, aber ein größeres Gedankenspiel: „Was könnte noch, ohne unsinnigen Aufwand in den Osten verlegt werden?“ hat es nicht gegeben.
[00:15:38]
Werner Lange: Im Moment ist in der Diskussion, die Gemeinschaftseinrichtung Kultur, die Kultur aus Deutschland sozusagen zusammenzuführen, um einfach so die Vielfältigkeit zu zeigen. Ist das eine … eine logische oder eine gefühlsmäßige Entscheidung, die dort getroffen worden ist? Und würden Sie als Intendant des Norddeutschen Rundfunks, wenn Sie jetzt noch im Amt wären, das unterstützen?
[00:16:00]
Jobst Plog: Es gibt ja in Wahrheit eine solche Einrichtung bisher nicht, sondern die Kultur ist so wie die Länder auch, die ja für Kultur zuständig sind, sie ist nicht zentral organisiert, sondern sie ist dezentral aufgebaut. Und ich glaube, alle Häuser würden es weit von sich weisen, wenn sie die Kultur-Berichterstattung aus ihren Ländern zentral ansiedeln müssten. Also ich kann mir das als eine und auch als einen wirklichen Standort-Effekt nicht vorstellen. Dass es wichtig ist, den kulturellen Beitrag aus dem Osten sichtbar zu machen, für mich unstreitig. Aber das ist und bleibt primär auch Aufgabe der Anstalten, die im Osten angesiedelt sind, die ihre Stimme im Konzert der ARD deutlich machen müssen und natürlich auch verlangen können, dass sie Defizite mit Hilfe der anderen Partner aufarbeiten. Aber die Ansiedlung einer Zentrale ausgerechnet im Kulturbereich scheint mir per se nicht ausreichend begründet.
[00:17:09]
Werner Lange: In der Corona-Krise zeigt jetzt der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Stärke. Die Öffentlichkeit vertraut ihm. Andererseits gibt es so viele Fake News wie nie zuvor. Die Bundesländer wollen bis nächstes Jahr einen Rundfunkstaatsvertrag erarbeiten, um die Sender zukunftstauglich zu machen, wie Sie sagen. Denken Sie, dass die Bundesverfassungsrichter sich in dem jetzigen Verfahren auch dazu äußern werden, wie weit die Rundfunkfreiheit von der Politik zu beachten ist.
[00:17:40]
Jobst Plog: Das wäre in der Tradition des Gerichts und ich glaube, dass das Gericht sich diese Chance nicht nehmen lässt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Urteilen zur Rundfunkfreiheit eine große Kontinuität. Das beginnt mit dem großen Ersten Fernsehurteil zum sogenannten Adenauer Fernsehen und zieht sich durch bis heute. Die Richter haben sehr darauf geachtet, dass sie ihre Rechtsprechung zwar fortentwickeln, aber dass sie im Grundsätzlichen sehr verankert sind auch in den früheren Urteilen. Von daher meine ich, dass das Gericht diese Urteile in der Tendenz bestätigen und die Bestandsgarantie, also die Entwicklungsgarantie insbesondere, die vielleicht doch noch ein Stück konkretisieren wird. Denn in der Tat, das, was man sich noch letztes Mal vorgestellt hat unter der Frage: Was dürfen die Anstalten im Internet? Was ist die Begrenzung zur Presse? … ist auch deswegen schon obsolet geworden aus meiner Sicht, weil die Presse ihrerseits massiv nicht nur in den Internet-Bereich, sondern auch in dem Bild-Bereichen inzwischen einsteigt und auch da sich entwickelt. Also dieses Nebeneinander wird man etwas in die Zukunft weiterleiten müssen. Das glaube ich. Eine systemverträgliche Konkurrenz für beide muss es auch in Zukunft geben. Das war aber immer Anliegen des Bundesverfassungsgerichts. Dass es einen irgendwo gearteten … Kehrtwendung geben wird in der Rechtsprechung, glaube ich nicht.
[00:19:17]
Werner Lange: Also die Orientierung am Gemeinwohl, meinen Sie, ist für das Bundesverfassungsgericht auch in Zukunft eine Richtlinie, wo man nicht von abgehen wird?
[00:19:25]
Jobst Plog: Richtig. Ich denke, das Bundesverfassungsgericht hat sich durch den real existierenden privaten, kommerziellen Rundfunk und Fernsehen … Hörfunk und Fernsehen immer bestätigt gefühlt. Und das, was im Internet im Augenblick passiert, an Shitstorms jeder Art zu Meinungen, die auch nur ein Teil von dem Mainstream abweichen, das ist ja so bemerkenswert, dass das Gericht gut daran täte, sich diesen Bereich genau auch anzusehen im Hinblick auf die Auswirkungen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
[00:20:01]
Werner Lange: Also außer durch Fake News – das hat man in den letzten Monaten auch beobachten können – können auch Algorithmen der großen neuen Internetkonzerne zu realitätsverschobenen Wahrnehmungen führen. Um denen etwas entgegenzusetzen gibt es Ideen, Qualitätsmedien sollten sich vernetzen und verlinken. Denken Sie, dass Sender und Verlage über Eigensinnigkeiten und Egoismen eine Basis für solch ein Ziel finden können?
[00:20:32]
Jobst Plog: Ich glaube, dass es immer die Gelegenheit gegeben hätte, solche Konsense in Teilbereichen zu entwickeln. Es gibt in der Tat gemeinsame Interesse von privaten Medien, Printmedien und Öffentlich-Rechtlichen. Auch die kritische Betrachtung der Medienwirklichkeit, die man heute anstellen müsste, legt solche Gemeinsamkeiten nahe. Ich persönlich als Leser, als Hörer, als Seher empfinde einen deutlichen Pluralitätsverlust. Und zwar nicht einen Verlust, weil bestimmte Dinge vorgeschrieben würden, sondern weil sie sich unter einem Oberbegriff, den man in die Nähe dessen, was man Political Correctness nennt, bezeichnen könnte, orientieren an bestimmten beengten Meinungsspektrum. Sie haben diese Entwicklung öffentlich im Augenblick breit diskutiert in den Vereinigten Staaten an dem Beispiel der New York Times, wo mehrere Liberalkonservative gekündigt haben, Redakteure, weil sie sich in dem Pluralitätsspektrum der New York Times nicht wiedergefunden haben. Sie haben auch in der Presselandschaft nach meinem Empfinden einen eingeschränkteren, breiten Korridor als früher. Der Unterschied zwischen Kommentaren aus der Ecke “Panorama” und der Ecke “Report München” hat sich deutlich nivelliert. Ich denke, auch wenn Sie sich die Meinungsseite zwischen FAZ bis hin zur taz mit allen Übergängen Frankfurter Rundschau, Süddeutsche ansehen, sehen Sie auch da eine Verengung des Korridors, der nicht angeordnet ist, sondern den, die Journalisten selbst für sich definieren. Und wenn es mal abweichende Meinungen gibt, also bei der New York Times eher liberalkonservative Meinung, aber auch in den deutschen Zeitungen gibt es in den Redaktionen heftige Gegenreaktionen, sodass Kollegen, die dieses Spektrum nicht für sich sehen, häufig sich gezwungen fühlen, ihren Platz zu wechseln. Das ist ein Problem. Ein Verlust an Pluralität ist ein Problem und das müsste man für Presse und Rundfunk gemeinsam diskutieren. Im Rundfunk jedenfalls, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, muss man ein Vergnügen daran haben, dass man die Meinung X vertritt und der Kollege, der neben einem sitzt, vertritt die Meinung Y. Das ist ein Grundbestandteil: das Gebot der Pluralität. Wenn man den Eindruck hat, dass sich dieses Selbstgesetz verengt, finden sich Menschen auch nicht wieder in solchen Systemen und weichen dann in fataler Weise aus ins Internet und artikulieren sich dort oder finden dort Meinungen, die sie in den Medien nicht mehr gespiegelt finden. Das ist eine überaus problematische Entwicklung. Sie kann man vergleichen mit der Entwicklung, dass den politischen Parteien die Wähler abhanden gekommen sind in Teilbereichen. Man kann dann die Schuld bei den Wählern suchen. Man kann die Schuld aber auch woanders suchen.
[00:23:52]
Werner Lange: Wenn man die Schuld bei sich sucht, ist trotzdem die Frage: Wo kommt dann die andere Meinung her? Oder sollte ein Journalist oder ein Medienmacher beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk sich andere Meinungen aneignen, um die dann zu vertreten?
[00:24:07]
Jobst Plog: Nein, ich denke, man kann nicht gegen die Überzeugung von Menschen arbeiten. Aber wenn sie beispielsweise, weil Selbstbefragungen der Volontärsjahrgänge eine vollkommen uniforme Meinungsbildung finden, haben sie Anlass, in der Ausbildung von Journalisten dagegen zusteuern. Nicht um den Einzelnen umzudrehen. Natürlich nicht. Aber das Pluralitätsgebot ist eine Existenzvoraussetzung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Und von daher muss sie auch eingefordert werden.
[00:24:12]
Werner Lange: Ist das nur eine Sache der Anstalten? Oder sollte dort auch der Verwaltungsrat oder der Rundfunkrat ein Wörtchen mitreden?
[00:24:50]
Jobst Plog: Ich finde, Grundprobleme des Journalismus müssen überall diskutiert werden in der Gesellschaft. Das ist ein Thema, das es ja schon gibt in der Gesellschaft. Und darum wird es auch in den Rundfunkanstalten diskutiert werden müssen. Es gibt dafür vielleicht auch gar keine einfachen Lösungen. Aber dass es als Problem auftaucht, das finde ich, muss man öffentlich diskutieren und auch akzeptieren. Da ist ein Problem, wenn Leute ihre Welt nicht mehr erkennen.
[00:25:24]
Werner Lange: Wenn wir nochmal ans Bundesverfassungsgericht denken, an die Rundfunkfreiheit, die dort auch immer wieder eingefordert wird und für die die Verfassungsrichter auch immer eingetreten sind in den Urteilen, können Sie sich vorstellen, dass die Bundesverfassungsrichter sich mit so etwas auch in einem neuen Urteil beschäftigen könnten?
[00:25:41]
Jobst Plog: Ich weiß es nicht. Das ist schwer zu sagen, denn natürlich sind die Richter auch an den Streitgegenstand, an das wirklich streitige Thema gebunden. Aber das Bundesverfassungsgericht hat ja den öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer auch damit begründet, dass ein Markt selbst nicht automatisch Pluralität herstellt und die Meinungen in der Gesellschaft widerspiegelt. Das ist ja eine der Begründungen, warum es öffentlich-rechtlichen Rundfunk geben soll. Eine der Begründungen. Aber es ist eine. Und von daher gesehen kann man sich durchaus vorstellen, dass in einem Obiter Dictum, also in einer beiläufigen Bemerkung so ein Thema angesprochen wird.
[00:26:24]
Werner Lange: Sie haben oft Ihre Kollegen auch dazu gebracht, nach Karlsruhe zu gehen und haben dann auf die Urteile gewartet. Was ist das für ein Gefühl bzw. was tut man in der Zwischenzeit? Sorgt man für eine, sagen wir mal, positive Berichterstattung in … in eine bestimmte Richtung oder was macht man dann als Hierarch?
[00:26:45]
Jobst Plog: Nein, man wartet das Urteil ab. Man stellt sich natürlich sich zunächst darauf ein. Jetzt bleibt eine Finanzierung ab Jahresanfang aus. Das heißt, die Häuser, die eh Sparrunden drehen, müssen ein Stück weiter anziehen, um die Sparziele jetzt zu verändern und einzuhalten. Aber ich glaube, dass man nicht versuchen kann, während dieses Verfahren schwebt, noch darauf nennenswert Einfluss zu haben. Die Position der Anstalten ist gut begründet und wird von der Vielzahl der Bundesländer ja unterstützt diesmal. Es ist nicht ein Streit: der Rundfunk gegen die Länder. Es ist ein Streit des Rundfunks gegen ein Land im Wesentlichen. Und das verändert die Situation nochmal deutlich.
[00:27:37]
Werner Lange: Macht es das für die Richter einfacher oder schwerer?
[00:27:41]
Jobst Plog: Ich glaube, die Rechtsfragen lassen sich nicht numerisch lösen. Sie werden die Position des Landes Sachsen-Anhalt sorgfältig analysieren müssen und dazu ihre Meinung finden. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass das schnell und deutlich passiert.
[00:28:00]
Werner Lange: Denken Sie, das wird noch vor dem Sommer passieren?
[00:28:02]
Jobst Plog: Vor dem Sommer nicht, aber im Laufe dieses Jahres. Karlsruhe lässt sich immer auch ausreichend Zeit, allen Stimmen auch rechtliches Gehör zu geben. Ob die Rundfunkanstalten gut beraten waren, Eilanträge zu stellen, weiß ich nicht.
[00:28:21]
Werner Lange: Vielen Dank.