LOVEMOBIL – authentischer als authentisch?

Szenenfoto „LOVEMOBIL“ | © Christoph Rohrscheidt

Was: muPRO-Schaltgespräch über den Fall LOVEMOBIL
Wer:
* Susanne Binninger, Vorsitzende AG Dok, Dozentin, Autorin, Regisseurin und Produzentin von Dokumentarfilmen und dokumentarischen Formaten
* Jörg Wagner, Freier Medienjournalist
* Daniel Bouhs, Freier Medienjournalist
Wann: rec.: 26.03.2021, 14:00 Uhr; veröffentlicht am 27.03.2021, 18:11 Uhr im radioeins-Medienmagazin (rbb) und in einer gekürzten Fassung im rbb Inforadio am 28.03.2021, 10:44/17:44 Uhr


Was: muPRO-Schaltgespräch über den Fall LOVEMOBIL
Wer:
* Timo Großpietsch, NDR-Redakteur
* Stephan Lamby, Dokfilmer, ECO Media
* Jörg Wagner, Freier Medienjournalist
* Daniel Bouhs, Freier Medienjournalist
Wann: Live am 27.03.2021, 18:28 Uhr im radioeins-Medienmagazin (rbb) und in einer gekürzten Fassung im rbb Inforadio am 28.03.2021, 10:44/17:44 Uhr

Vgl.: Interview mit Elke Lehren­krauss auf artechock.de, 30.03.2021

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden


(wörtliches Transkript, Hörverständnisfehler vorbehalten)

[00:00:02]
O-Ton: Dieser Film galt als spektakulär. Selten war ein Film so nah an der Prostitution. – This bus is your place. What you make out of it is your business. – Wie hat die Regisseurin das geschafft? – Ich fühl‘ mich da so ein bisschen hintergangen und verarscht. – Das stimmt alles von vorne bis hinten nicht.

[00:00:21]
Jörg Wagner: Sie hörten einen Auszug aus der Reportage „LOVEMOBIL: Dokumentarfilm über Prostitution gefälscht? des Funk-YouTube-Kanals STRG_F in der Verantwortung des Norddeutschen Rundfunks. Der NDR hat also darüber selbst öffentlich gemacht, dass der mit ihm koproduzierte Dokumentarfilm über Prostituierte in einem niedersächsischen Landstrich größtenteils nicht echt war.

[00:00:43]
Daniel Bouhs: Wie sehr trifft dieser Vorgang die Dokumentarfilm Szene? Wie steht es überhaupt um Authentizität in diesem besonderen Genre? Und welche Folgen könnten und sollten vielleicht auch gezogen werden? Darüber konnten wir vor der Sendung reden mit Susanne Binninger.

[00:01:00]
Jörg Wagner: Sie ist Vorsitzende der AG Dok, also dem Verein dieser Szene. Sie lehrt aber auch das Genre, unter anderem hier in Potsdam-Babelsberg und vor allem ist sie auch selbst Regisseurin und Produzentin von Dokumentarfilmen und dokumentarischen Formaten. Hallo Frau Binninger!

[00:01:14]
Susanne Binninger: Hallo, guten Tag!

[00:01:16]
Daniel Bouhs: Frau Binninger, helfen Sie uns doch erst einmal mit einer Definition aus, bitte. Was ist der Unterschied einer Dokumentation, einer Doku und eines Dokumentarfilms?

[00:01:26]
Susanne Binninger: Wir bewegen uns da sozusagen direkt ins Mark der Debatte. Diese Unterscheidung ist nicht so leicht zu treffen. Wir würden hinzufügen zu Dokumentarfilm, künstlerischer Dokumentarfilm bzw. Autorenfilm. Wenn wir diese Kategorien mit hineinnehmen, dann kann man unterscheiden zwischen Dokumentationen und eben diesem Genre, das eine klare Autoren Haltung erfordert, indem es erlaubt und auch möglich ist, künstlerische Stilmittel einzusetzen, so wie Elke Lehrenkrauss das auch gemacht hat. Und der Hauptunterschied ist, dass dieses Kriterium, das wir an journalistische Berichterstattung anlegen und anlegen müssen, nämlich das der unbedingten Nachprüfbarkeit, des Faktenchecks usw. – das gehört eher in den Bereich der Dokumentationen. Der künstlerische Dokumentarfilm kann durchaus subjektiv sein und er kann mit künstlerischen Mitteln arbeiten.

[00:02:22]
Jörg Wagner: Und wie oft haben Sie bei Ihren Dokumentarfilmen schon Schauspieler oder Darstellerinnen eingesetzt statt echte Charaktere?

[00:02:28]
Susanne Binninger: Ich habe dieses Mittel noch nie benutzt. Und wenn, dann würde ich wie die meisten meiner Kollegen dieses Verfahren natürlich kenntlich machen. In unserem Berufsverband wird ein Großteil der Kolleginnen sagen, dass sie sauber arbeiten in dem Sinne, dass sie tatsächliche Charaktere einsetzen, dass sie lange recherchieren, dass sie Verabredungen treffen mit den Menschen, die sie porträtieren und dass sie sich darum bemühen, sie realistisch darzustellen und authentisch darzustellen. Natürlich …

[00:03:02]
Jörg Wagner: Das heißt, die Enthüllungen um LOVEMOBIL hat Sie geschockt?

[00:03:05]
Susanne Binninger: Die Enthü… also die „Enthüllung“ ist jetzt auch schon so ein sensationslüsternes Wort. Aber diese Debatte, die sich daran aufhängt, ist absolut notwendig und trifft uns als Dokumentarfilm-Verband, wie auch als Dokumentarfilm-Macher*innen absolut ins Mark. Weil hier geht es um … um ein zentrales Kriterium, das unsere Arbeit kennzeichnet und auch wie ich finde, qualitätsvoll macht. Und das ist das der Glaubwürdigkeit. Glaubwürdigkeit heißt aber nicht, dass wir es anstreben, 1:1 Abbildungen von Wirklichkeit herzustellen. Das ist, denke ich, seit Anbeginn der Dokumentarfilm-Geschichte klar, dass es keine 1:1 Abbildung von Wirklichkeit gibt und dass wir die auch nicht anstreben. Aber dennoch ist Glaubwürdigkeit ein so hohes Gut, dass wir mit diesem Vertrauen, das dazu nötig ist, von allen Seiten, also Vertrauen in Filmemacherinnen vonseiten der Redaktionen, Vertrauen in Redaktionen, in Festivals. Diese ganze Kette Vertrauen, das wir brauchen, um überhaupt Menschen filmen zu können. Das darf man nicht missbrauchen und das ist hier passiert. Und deswegen beschäftigen wir uns sehr stark mit dieser Debatte. Und deswegen trifft sie uns so.

[00:04:16]
Daniel Bouhs: Hören wir mal, wie die Autorin, also auch Regisseurin, des LOVEMOBILs sich rechtfertigt. Da sind letztlich zwei Aussagen interessant. Aus STRG_F. Reden wir zuerst über diese Aussage hier:

[00:04:27]
Elke Lehrenkrauss: Ich kann mir auf jeden Fall nicht vorwerfen, die Realität verfälscht zu haben, weil diese Realität, die ich in dem Film geschaffen habe, ist eine viel authentischere Realität, als dass ich sie mit einem Direct Cinema hätte herstellen können.

[00:04:41]
Daniel Bouhs: Also die Regisseurin sagt, sie habe eine viel authentischere Realität geschaffen, als sie das sonst auch hätte tun können. Würden Sie da mitgehen, Frau Binninger?

[00:04:50]
Susanne Binninger: Nein. Ich wusste, dass Sie diese Aussage, die tatsächlich die zentrale Aussage ist in dieser ganzen Reportage … ich wusste, dass Sie die jetzt einspielen werden. Also als erstes kann man natürlich sagen, kann es diesen Komparativ überhaupt geben? Was ist denn authentischer als authentisch? Was sie damit sagen will, vermutlich, ist, dass sie eine Verdichtung, Fiktionalisierung geschaffen hat, die dem Bild, das sie von Prostitution erzählen wollte, näher kommt. Das hat sie mit Fiktionalisierung gemacht. Das hat nur mit Dokumentarfilm nicht mehr so wahnsinnig viel zu tun. Sie hat glaubhaft, wie ich finde, versichert, dass sie sehr, sehr lange recherchiert hat und sich aus bestimmten Gründen dann für ein Genre-Wechsel entschieden hat. Also weg vom beobachtenden Dokumentarfilm hin zu einer hybriden Form. Das finde ich legitim, vor allem wenn sowas wie angeführt wird wie Schutz von Protagonistinnen. Angeblich war eine Protagonistin, also eine Sexarbeiterin schwanger und zum Schutz dieser Frau und auch des Kindes, das mit diesem Bild der Mutter leben muss, hat sie sich dann entschieden, diese Frau nicht zu drehen. Das finde ich eigentlich sehr lauter.

[00:06:01]
Jörg Wagner: Das können wir uns mal kurz anhören. Wir haben sie hier authentisch auch aus dieser Reportage.

[00:06:05]
Elke Lehrenkrauss: Mit mehreren Frauen hatten wir engen Kontakt und mit einer standen dann Dreharbeiten auch an und es war so, dass sie dann schwanger geworden ist und sozusagen in ein anderes Leben gegangen ist. Und für mich als Regisseurin dann natürlich die Frage war, drehe ich jetzt mit ihr oder kann das dann in später .. weil ich wusste auch nicht, was mit diesem Film passiert, ob der irgendwie lange im NDR zur Verfügung steht, habe ich dann die Entscheidung getroffen, dass ich mit ihr nicht weiter drehen kann, einfach zum Schutz ihrer Person, ihres Kindes und allem. Und warum habe ich den Film nicht als Mischform oder bzw. ja, warum hab ich diese Momente nicht gekennzeichnet? Das habe ich versäumt. Ich habe versäumt, diese Momente zu kennzeichnen, da ich auch unter einem großen Druck stand, diesen Film fertig zu stellen.

[00:07:06]
Jörg Wagner: Können Sie nachvollziehen, dass eine Regisseurin dem Druck, so wird es ja hier letztlich insinuiert, nicht standhalten kann? Und dann, sagen wir mal kreativ wird?

[00:07:15]
Susanne Binninger: Das sind jetzt mehrere Debatten, die ein bisschen ineinandergreifen. Also ich möchte nochmal klar sagen, dass das nicht nur ein Versäumnis ist. Also sie hätte ihre Verantwortung wahrnehmen müssen und ihr Vorgehen kenntlich machen müssen. Also das ist nicht zu entschuldigen und auch nicht zu entschuldigen mit Debatten auf systemische Mängel. Nichtsdestotrotz gehören diese Debatten dazu. Also ich kann durchaus nachvollziehen, dass die Regisseurin als Nachwuchs-Regisseurin und vor allem als ihre eigene Produzentin unter einem erheblichen Druck stand. Wir als AG Dok, das ist eine unserer Aufgaben, thematisieren seit Jahren die Produktionsbedingungen, unter denen Dokumentarfilme entstehen müssen. Und diese Bedingungen sind teilweise prekär, selbstausbeuterisch. Und der Druck, der auf Nachwuchs-Regisseur*innen lastet, die in diesem Markt reüssieren wollen und müssen, der ist enorm. Der ist einerseits finanzieller Natur, aber andererseits wissen Nachwuchs Leute auch, dass sie unbedingt reüssieren müssen. Sie müssen einen Film machen, der Aufmerksamkeit erregt, möglicherweise einen Preis bekommt. Und natürlich existieren Vorstellungen von solchen Filmen und dann versucht man auch, diesen Vorstellungen gerecht zu werden.

[00:08:30]
Daniel Bouhs: Interessant ist doch, dass weder in der Redaktion im NDR Misstrauen hochkam, als auch in den vielen Jurys, die LOVEMOBIL ausgezeichnet haben, die Produktion am Ende nicht hinterfragt wurde, obwohl so ein – nennen wir es mal – journalistischer Jackpot doch sehr ungewöhnlich ist, dass Kameras an solchen auch intimen Szenen, dass sie da ran dürfen, dass das auch noch filmisch richtig perfekt rüberkommt. Nicht etwa mit verpixelten, versteckten Kameras. Sind wir inzwischen Perfektion gewohnt, vielleicht auch durch den immer stärkeren Wettbewerb mit NETFLIX und Co.

[00:09:07]
Susanne Binninger: Es gibt da zwei Aspekte. Wir sind Perfektion gewöhnt und Dokumentarfilme, wenn sie reüssieren wollen, glauben manchmal, dass sie diese Standards erfüllen müssen im Sinne einer Spielfilm-Dramaturgie und einer Spielfilm-Visualisierung. Die meisten Kolleginnen und Kollegen, die ich gesprochen habe, sehen, wie ich in diesem Film die Inszenierung. Alle Fachleute, ich glaube, es gibt kaum Fachleute, die sagen würden das ist beobachtend, dokumentarisch gedreht. Man sieht an den Kameraeinstellungen, zum Beispiel Schuss, Gegenschuss, Kamera, weiß schon immer, wo das Geschehen stattfindet, auch am Licht. Man sieht die Inszenierung. Ich glaube, dass die meisten sich vermutlich mit der Idee begnügt haben, dass hier eine Strategie, eine dokumentarische Strategie vorgenommen wurde, die da heißt Menschen spielen sich selbst. Das heißt, man bietet ihnen eine Bühne. Aber reale Prostituierte spielen ihren realen Alltag. Aber ich glaube, viele haben sich blenden lassen von diesem tabuisierten Thema. Wenn man die Lobeshymnen liest, jetzt nach der Enthüllung, die auf diesen Film gesungen wurden, dann ist immer von der Nähe die Rede, von der unglaublichen Nähe zu den Protagonistinnen, von der Authentizität, von Einblicke in verborgenem Welt usw.. Und das ist natürlich sehr verräterisch. Weil hier wurde genau ein Bild bedient, das man hat von: Wie könnte ein Dokumentarfilm aussehen? Man hat aber auch ein Bild von Prostitution bedient und das in einer Spielfilmhaften Manier.

[00:10:47]
Jörg Wagner: Aber ich will noch mal ein bisschen zuspitzen, weil sie sagten, Ihre Kollegen haben das erkannt, dass am Licht, am Schuss, am Gegenschuss, dass da inszeniert ist. Vielleicht, weil auch der Dokumentarfilm herkömmlicher Bauart nicht ganz frei ist von Inszenierung. Also wenn man z.B. jemanden bittet, man hat nur eine Kamera, nochmal so zu tun, als würde er zuhören, während eine Frage gestellt wird, dann baut man die Kamera um und dann ist das natürlich ein unterbrochenes Interview und manchmal werden Hände gezeigt, die dazwischen geschnitten werden. Wenn man also auch ein Interview zeigt, was man selber tatsächlich schneiden muss, damit das nicht auffällt im Bild, da wird dann Licht gesetzt. Dann wird dann ein Protagonist zwei, drei, vier, fünfmal irgendwie eine Straße lang gebeten, weil man ihn auch im … vielleicht im Erzählertext zeigen will. Also da wird ja schon inszeniert und man hat sich vielleicht daran gewöhnt, dass man trotzdem nicht das Dokumentarische beschädigt. Aber hier ist eine Grenze überschritten worden vielleicht.

[00:11:42]
Susanne Binninger: Na nicht nur vielleicht. Natürlich ist hier eine Grenze überschritten worden. Aber natürlich müssen wir festhalten, dass Dokumentarfilm keine 1:1-Abbildung der Realität ist. Dokumentarfilm ist keine Überwachungskamera, sonst wären Dokumentarfilme Filme, wie Alice Agneskirchner das heute formuliert hat: Man stellt eine Kamera in die Küche und hat am nächsten Tag einen Film. So funktioniert Dokumentarfilm nicht. Dokumentarfilm ist ein schöpferischer Umgang mit Realität und ein Dokumentarfilm ist ein gemachtes Werk und unterliegt bestimmten Gesetzmäßigkeiten. Und Montage ist eines der wesentlichen Gesetzmäßigkeiten von Film. Ich glaube, dieses Verständnis muss man voraussetzen und danach bestimmen die künstlerischen Mittel sozusagen den Grad der Authentizität oder auch nicht. Und hier ist die Grenze überschritten worden, weil es keine Kennzeichnung gibt. Es gibt keine Kennzeichnung, welche Mittel eingesetzt wurden, und es gibt nicht einmal eine … eine Kommunikation zwischen den Protagonistinnen und der Regisseurin. Die Protagonistinnen haben offenbar geglaubt oder wurden in dem Glauben gecastet, dass sie in einer Art Spielfilmhaften Arrangement mitwirken. Und das ist eine absolut rote Linie. [74.3s]

[00:12:57]
Daniel Bouhs: Müssten Sender bei der Beauftragung und vielleicht auch bei der Abnahme vertraglich festhalten, welchen Begriff von Authentizität erwartet wird, eben ausdrücklich nicht, dass gespielt wird, von wem auch immer. Wie kann, um am Ende die große Frage der Zukunft dann auch zu stellen: Wie kann Qualitätskontrolle aussehen in diesem Genre? Und wie sollte das besser nicht der Fall sein?

[00:13:19]
Susanne Binninger: Mich stört in diesem Zusammenhang das Wort “Kontrolle”, weil ich glaube, es geht überhaupt nicht darum, Kontrolle auszuüben oder noch mehr Kontrolle auszuüben. Wenn überhaupt, dann geht es darum, wie man Qualität sichern kann. Und das setzt einen Dialog voraus, den der NDR jetzt begonnen hat. Das setzt einen Dialog voraus über Standards, über Kommunikation, über Herstellungsweisen, wie Dokumentarfilme überhaupt entstehen und wie sie weiterhin entstehen können. Wenn man jetzt quasi das Risiko wieder auf die Macher*innen abwälzt und sagt Ihr müsst jetzt qua Vertrag unterschreiben, dass alles in Anführungsstrichen echt ist, dann haben wir ein Klima geschaffen, in dem wir keine künstlerischen Dokumentarfilme mehr herstellen können. Was wir brauchen, ist Transparenz. Wir brauchen Dialog und Transparenz über filmische Mittel. Und es muss aber auch möglich sein, diesen Dialog angstfrei zu führen. Und es muss möglich sein, diese Filme in Produktionsverhältnissen herzustellen, die diese Arbeit ermöglichen. Wenn man möchte, dass man einen beobachtenden Dokumentarfilm im Prostituierten-Milieu dreht, dann muss man dafür sorgen, dass es eine bezahlte Entwicklung gibt. Das ist eine Recherche gibt, die lange genug sein kann und auch bezahlt ist, um ein seriöses Produkt herzustellen. Und dann muss man mit einem offenen Ergebnis rechnen. Ein Grundproblem ist ja, dass im Dokumentarfilm, um einen Auftrag zu bekommen oder um eine Filmförderung zu bekommen, dass wir scripten müssen. Wir müssen projizieren, wir müssen beschreiben, was wir drehen werden. Wir müssen Protagonisten anführen. Wir müssen im Grunde schon wissen, was sie sagen werden. Wir müssen die Dramaturgie beschreiben. Wir müssen die Handlungen beschreiben. Alles im Vorfeld. Das heißt, es ist alles andere als ergebnisoffen und eigentlich war Dokumentarfilm mal ein ergebnisoffenes Verfahren. Das heißt, man hat Fragen gestellt, statt schon immer vorneweg Antworten zu liefern. Und solche Filme, finde ich, braucht die Gesellschaft, die brauchen wir heute. Und das ist auch ein Kernauftrag von öffentlich-rechtlichen Sendern. Und dahin müssten wir wieder kommen. Als wir müssen über diese Standards sprechen, aber wir müssen auch über Produktionsbedingungen sprechen.

[00:15:34]
Jörg Wagner: … meint Susanne Binninger, selbst Regisseurin und Autorin dokumentarischer Projekte, dokumentarfilmischer Projekte und eine der Vorsitzenden der AG Dok, des Branchenverbands dieser Szene. Herzlichen Dank.

[00:15:45]
Susanne Binninger: Ich danke.

(wörtliches Transkript, Hörverständnisfehler vorbehalten)

[00:00:00]
Jörg Wagner: Und wir sprechen jetzt weiter: Wie viel Inszenierung verträgt die Realität? Angefragt, aber keine Reaktion haben wir bekommen in der Sache LOVEMOBIL von der Regisseurin. Ihr Kameramann, der ja bei allem dabeigewesen sein muss und optisch exzellente Arbeit geleistet hat, möchte derzeit nicht sprechen.

[00:00:17]
Daniel Bouhs: Dafür freuen wir uns umso mehr, dass wir jetzt reden können mit Timo Großpietsch, dem Redakteur von LOVEMOBIL im NDR. Hallo, Timo!

[00:00:25]
Timo Großpietsch: Moin, moin! Vielen Dank, dass wir miteinander reden und nicht übereinander.

[00:00:28]
Daniel Bouhs: Das ist …

Timo Großpietsch: Das ist doch bei euch im Radio wunderbar.

[00:00:31]
Daniel Bouhs: Genau.

[00:00:31]
Jörg Wagner: Das ist unser Markenzeichen.

[00:00:32]
Daniel Bouhs: Wir hören aber ja, dass das NDR-Fernsehen das nächste Woche Mittwochabend auch tun möchte. Wir kennen uns ja flüchtig über den NDR, daher bleibe ich hier auch beim Du. Ganz authentisch, wenn man so will. Und die Aufregung, die ist ja so groß, weil nicht klargemacht wurde, dass viele Protagonistinnen und Protagonisten gespielt waren – auf Basis journalistischer Recherchen zwar, aber eben gespielt. Die Regisseurin hat eingeräumt, dass sie versäumt habe, das gegenüber dem NDR – also Dir – transparent zu machen. Es gibt aber auch Stimmen, die meinen, da hättet ihr selbst drauf kommen müssen. Im heute erschienenen Podcast der Kollegen von „Übermedien“ sagte Sabine Rollberg – lange Dokumentarfilmredakteurin vom WDR und von Arte und zudem Ausbilderin gewissermaßen der LOVEMOBIL-Regisseurin – das auch ganz deutlich:

[00:01:20]
O-Ton Sabine Rollberg: Also, ich finde es ein Versäumnis der Redaktion, diese Insertierung nicht gemacht zu haben, weil ein Blinder mit dem Krückstock sieht, dass das inszeniert ist. Und alle Festivals, die diesen Film ausgezeichnet haben, haben auch die hybride Form gelobt oder die Inszenierung in der Jury-Begründung. Und es wurde zwei Jahre in der Branche natürlich auch drüber diskutiert, weil Leute das gesehen haben. Da hat Frau Lehrenkrauss natürlich auch wieder den Fehler gemacht, dass sie sich ein bisschen in diese Lüge verstrickt hat und es dann nochmal bestätigt hat. (…) Das sind Verfehlungen, das sind moralische Verfehlungen. Aber ich finde, man löst die mediativ im Gespräch, aber man setzt niemanden auf den Scheiterhaufen.

[00:02:06]
Daniel Bouhs: Das also die Sicht auf die Dinge von Sabine Rollberg im Gespräch mit „Übermedien“. Und auch AG-Dok-Vorsitzende Susanne Binninger hat uns ja eben erzählt, man habe dem Film als Profi ansehen können, dass er inszeniert gewesen sei – Stichwort Kameraführung, Stichwort Licht. Dennoch ist jetzt die Aufregung groß und niemand will etwas bemerkt haben. Timo, das kratzt letztlich auch an Deiner Ehre als Redakteur. Was ist da passiert?

[00:02:29]
Timo Großpietsch: Also, es war an einem Abend, wo ich einen Wink mit einem Zaunpfahl bekam, dass an diesem Film was nicht stimmt. Dann habe ich umgehend versucht, mit Elke Lehrenkrauss Kontakt aufzunehmen. Und dann kam schon Salamischeibchen-Taktik-mäßig dann doch irgendwann zutage, dass hier wirklich massiv etwas nicht stimmt. Ich habe mir Elke wirklich vier oder fünf Jahre in einem sehr engen Vertrauensverhältnis zusammengearbeitet. Und ich persönlich bin wirklich enttäuscht und natürlich auch geschockt von mir, dass ich das nicht gemerkt habe, vielleicht auch zwischenmenschlich nicht. Ja, und das ist natürlich für mich auch ein dickes Ei gewesen. Also ich war da wirklich erst einmal so ein bisschen wirklich geschockt, dass ich es nicht gesehen habe. Ich glaube aber bis heute, dass es möglich ist. Da draußen sind so gute, viele Kollegen und Kolleginnen, die wahnsinnig gute Handwerker*innen sind. Und auch ich mache ja seit 15 Jahren Dokumentarfilme und selber Kamera. Und ich halte es für möglich, dass man so einen Film mit echten Menschen drehen kann – auch wenn dann vielleicht nicht jede Szene beobachtend ist. Also, die Diskussion, ob es beobachtend sein muss oder nicht, das ist wirklich eine andere. Wir haben es hier mit einer Fiktion zu tun. Und das konnte ich selbst fast nicht glauben.

[00:03:46]
Daniel Bouhs: Also, obwohl sozusagen mit der Kamera in solch intimen Szenen mit einer so perfekten Bildführung, Bildsprache zum Beispiel? Also, es ist eigentlich doch ungewöhnlich. Will man es vielleicht nicht sehen, weil die Geschichte – ich sage mal überspitzt – so geil war?

[00:04:00]
Timo Großpietsch: Ja, da muss ich natürlich drüber grinsen. Das ist bei „Strg_F“ ja auch so ein bisschen so, dass man das Gefühl hat, der Redakteur kam, freute sich über eine geile Sexgeschichte und ging dann wieder. Entschuldigung, dann kennt man mich vielleicht nicht. Aber ich bin seit drei, vier Jahren jetzt Dokumentarfilm-Redakteur. Ich bin, seitdem ich denken kann an der Uni dem Dokumentarfilm verbunden und teile auch in den meisten Sachen Frau Binningers Haltung und Meinung zum Dokumentarischen. Aber dass ich das hätte erkennen müssen, das wissen viele jetzt am Ende natürlich besser. Und die äußern es auch. Ich habe es schlicht und einfach nicht gesehen und es wurde mir verschwiegen. Punkt.

[00:04:40]
Jörg Wagner: Sie sind also getäuscht worden. Und um die Runde hier komplett zu machen: Wir begrüßen auch Stephan Lamby, Gründer der Produktionsgesellschaft EcoMedia und Dokfilmer. Hallo, Herr Lamby!

[00:04:49]
Stephan Lamby: Hallo, grüße Sie!

[00:04:50]
Jörg Wagner: Herr Lamby, Sie haben selbst etliche auch preisgekrönte Dokumentarfilme erstellt, vor allem zum politischen Betrieb, jüngst „Im Wahn – Trump und die amerikanische Katastrophe“. Ihre Firma schlägt auch viele Filme, wenn auch vor allem wiederum Dokumentationen bei fast allen öffentlich-rechtlichen Sendern um. Wie sehr beschädigt hat der aktuelle Vorgang Ihr Genre?

[00:05:14]
Stephan Lamby: Erheblich! Also, es gibt ein Grundvertrauen zwischen uns Machern und dem Publikum. Und es besteht darin, dass wir sagen, dass wir behaupten, dass wir echte Menschen in echten Situationen zeigen und dass das Publikum sich darauf verlassen kann. Dieses Grundvertrauen ist gestört.

[00:05:31]
Jörg Wagner: Haben Sie es gesehen vorher oder sind Sie im Nachhinein natürlich auch schlau und sagen: Ja, man hätte es erkennen können, aber ich habe mich auch blenden lassen?

[00:05:38]
Stephan Lamby: Also die Frage ist berechtigt. Ich kann sie deshalb nicht korrekt beantworten, weil ich – Bitte um Entschuldigung – den Film vor diesem ganzen Ärger nicht gesehen habe. Ich habe ihn mir danach angeschaut. Dann sind mir natürlich Sachen aufgefallen, aber ich möchte jetzt nicht zu denen gehören, die nachher sagen „Ach, das hätte man doch wissen müssen“. Natürlich fällt die Inszenierung auf. Die Täuschung, also dass da Darstellerinnen eingesetzt wurden, ist viel schwerer zu erkennen und – das wurde ja schon vielfach in der Sendung gesagt – ist natürlich nicht zu entschuldigen.

[00:06:10]
Daniel Bouhs: In der „Süddeutschen Zeitung“ haben Sie ja angedeutet, dass es auch Zweifel in Jurys gab, aber dann doch nichts passiert ist. Man habe das quasi weggewischt. Präzisieren Sie das doch bitte: Wer hatte Zweifel? Und warum hat sich das Misstrauen gegenüber LOVEMOBIL nicht durchgesetzt?

[00:06:26]
Stephan Lamby: Also, ich habe – wie man das so tut – recherchiert, habe mit einer Person aus einer Jury gesprochen. Ich will jetzt nicht die Jury und den Namen des Juroren hier oder der Juroren – Plural – kenntlich machen. Das kann auch nicht darum gehen. Es geht ja jetzt um eher prinzipielle Fragen. Aber da wurde mir vergewissert, dass es diese Diskussion um Inszenierung gegeben hat, dass es eine Auseinandersetzung auch gegeben hat, ob dieser Film preiswürdig ist oder nicht. Und diejenigen, die sich davon – also von den Inszenierungen – nicht haben abbringen lassen, haben sich dann durchgesetzt. Und meine Schlussfolgerung ist, dass die Geschichte einfach zu stark war. Und vielleicht hatte man auch Mitleid mit den angeblichen Protagonistinnen und das hat alles andere überstrahlt. Deshalb war man der Meinung, dieser Film ist so gelungen, bietet ein Blick in eine sonst verborgene Welt und zwar einen sehr schönen Blick in eine verborgene Welt, dass das preiswürdig ist. Das heißt, wir müssen alle in der Branche, aber auch die Jurys unsere Kriterien und Arbeitsweisen überprüfen.

[00:07:32]
Daniel Bouhs: Über die Arbeitsweisen reden wir gleich noch. Aber reden wir vielleicht erst einmal über den Realitätsbegriff im Dokumentarfilm. Sabine Rollberg hat in dieser Woche in der „Medienkorrespondenz“ geschrieben, ich zitiere:

[00:07:43]
Zitat Sabine Rollberg: In den Anfangsjahren galten als Dokumentarfilme reine Beobachtungen mit der Kamera. Direct Cinema, die US-Version des Cinema Varieté, verurteilte jede Einflussnahme eines Regisseurs auf das Geschehen, während im französischen Dokumentarfilm Ereignisse auch provoziert werden konnten. Die Frage, wie viel Inszenierung ein Dokumentarfilm verträgt, ist so alt wie das Genre selbst. Unbestritten ist, dass ein Regisseur seine filmischen Mittel transparent machen muss. Der Dokumentarfilm hat sich in den letzten Jahren künstlerisch weg vom rein Beobachtenden entfernt. Damit ist er auch populär geworden. Zahlreiche Festivals für Dokumentarfilme wurden gegründet. Das Publikum schätzte zunehmend die erzählte Wirklichkeit in tollen Bildern, eine spannende Dramaturgie.

[00:08:30]
Daniel Bouhs: Timo, ist das Genre einfach zu diffus inzwischen, damit Geschichten am Ende auch immer stärker, überzeugender werden – vielleicht ja auch im Wettbewerb mit den großen Streamingplattformen, die ja auch einfach nur Hochglanz bieten wollen?

[00:08:44]
Timo Großpietsch: Nein, ich glaube nicht. Ich glaube, Frau Rollberg – Sie zitieren jetzt immer Frau Rollberg, wäre ja schön, wenn wir auch mit ihr sprechen könnten. Frau Rollberg ist ja Beraterin und auch Professorin von Frau Lehrenkrauss gewesen. Und ich denke, auch da gilt es, ihre Rolle zu reflektieren, wie ich es hier auch tue. Da lässt sich nur spekulieren. Ich glaube, dass ein rougher, roher, lückenhafter, fragmentarischer Film über Sexarbeiterinnen auch ein wunderbarer Film über dieses Thema hätte sein können. Und natürlich wären wir immer offen gewesen, über so einen Film zu sprechen. Dass der natürlich jetzt so aussieht, wie er aussieht, war ja auch gar nicht zu erwarten. Also, Frau Lehrenkrauss redet ja auch immer über Druck. Die AG Dok redet über Druck. Nur mal, um die Sachen – ich habe diesen, ja meinen eigenen Film sozusagen einfach mal nachrecherchiert und natürlich geguckt, wie ist es, kam es denn jetzt zu der Entstehungsgeschichte, und die Aktenlage einfach zu dem Sachverhalt geprüft. Und man muss hier sagen, dass wir den Abgabetermin zwei Jahre verlängert haben, um ihr mehr Zeit zu geben. Wir haben Geld nachgeschoben. Ich habe Kommunikationsverläufe schriftlicher Art, die Dankbarkeit ausdrücken ihrerseits, die einen hohen Kommunikationsgehalt haben. Also, wir waren in einem sehr engen Austausch. Und es gab nirgendwo von mir die Aufforderung, einen Film zu machen, der dramaturgisch so perfekt sein soll wie der, der es jetzt geworden ist. Auch – Frau Rollberg sagt ja auch, es hätte ein Treatment gegeben, seitenweise müssen die Autor*innen Treatment schreiben, wo alles genau drinsteht. Das stimmt nicht! Es ist komplett ergebnisoffen. Frau Lehrenkrauss hat von uns den Auftrag bekommen und konnte völlig frei arbeiten. Es hätte auch ein komplett anderer Film dabei rauskommen können. Und es hätte vor allem – und das belastet einen natürlich nochmal oder mich in diesem Fall – sie hätte natürlich auch vor ein, zwei Jahren sagen können: Hey, meine Recherche ist gescheitert. Ich muss ja auch anführen: Alle reden immer von einer Recherche. Es gibt überhaupt keine Beweise für eine Recherche. Es gibt keine Aufzeichnungen, es gibt nichts, wo ich erfahren kann, hat sie wirklich recherchiert? Das ist eine Frage, die es zu stellen gibt oder die man auch mit ihr besprechen könnte…

[00:10:55]
Jörg Wagner: … wir können sie jetzt hier stellen: warum ist das nicht abgefordert worden?

[00:10:58]
Timo Großpietsch: Na ja, man kontrolliert nicht – in der normalen Arbeitsweise ist es natürlich nicht so, dass ich sage: Zeig mal Dein Notizbuch, ob du wirklich…

[00:11:05]
Jörg Wagner: … aber nach Relotius ist das gängige Praxis geworden, z. B. beim „Spiegel“, dass man auch Fotos als Beweise mitliefern muss, mit GPS-Daten, dass man auch wirklich da gewesen ist.

[00:11:15]
Timo Großpietsch: Das ist bei uns momentan nicht der Fall und da können wir am Ende auch gerne drüber diskutieren, ob das jetzt kommen muss. Da können wir auch gerne mit Stephan Lamby drüber sprechen, ob das als Filmemacher das Vertrauensverhältnis ist, was wir haben wollen und müssen bei einer Recherche. Und ich glaube, dass sozusagen dieser Vertrauensverlust, der da passiert ist, dass der jetzt wieder repariert werden muss und nicht zu einer Arbeitsweise führen kann, die eh in so einem schweren Sujet wie Sexarbeit, wie auch immer, ein Überprüfverfahren sozusagen wirklich auch so ein Film natürlich unmachbar machen kann.

[00:11:53]
Jörg Wagner: Herr Lamby, Sie sind angesprochen. Würde das für Sie eine Erschwernis bedeuten, einfach alles zu protokollieren – wo Sie waren, mit wem Sie waren und das auch glaubhaft jederzeit belegen zu können, praktisch wie eine Fußnote zum Film?

[00:12:06]
Stephan Lamby: Ich beantworte die Frage um die Ecke. Der Nannen-Preis hat sich gerade geöffnet, allen Medien gegenüber. Wir haben ein wenig gerade damit zu tun. Weil da ein Film von uns vorgeschlagen wurde, bekommen wir eine E-Mail: Wir mögen doch bitte einen Recherchebericht vorlegen. Das finde ich eine gute Idee. Und dieser Recherchebericht, die Fragen, die passen auf eine DIN-A4-Seite. Das kann man, glaube ich, von allen Beteiligten verlangen. Wenn das beim „Spiegel“ nach Relotius üblich ist, finde ich das richtig. Und natürlich kann man auch darüber nachdenken und sollte auch darüber nachdenken, ob man dergleichen auch im Doku-Bereich im Fernsehen einführt. Übrigens – und darüber sprachen wir eben – auch, was die Jurys betrifft, denn die sind ja genauso geleimt worden.

[00:12:53]
Daniel Bouhs: Welche Rolle spielen Preise, Timo? Ich glaube, man kann sehr offen sagen, dass Du Preise auch immer sehr stark nach vorne stellst. Da reicht ein Blick auf Social-Media-Kanäle. Das machen viele, das macht die ganze Branche. Also wie preissüchtig ist die Szene und wie sehr lässt man sich dann vielleicht auch von zu guten Stoffen letztlich blenden?

[00:13:13]
Timo Großpietsch: Ich will noch eins noch ergänzen: Es gibt natürlich ständig E-Mail-Kontakt. Und natürlich gibt es sozusagen per E-Mail Berichte von was sie vor Ort herausgefunden hat, was für Figuren sie gefunden hat, was es gibt. Nur es macht das natürlich nicht überprüfbar. Mit GPS und ob es das wirklich gegeben hat, das müsste man dann wirklich noch ergänzen, weil nur eine Übertragung von Rechercheberichten – wenn jemand wirklich täuschen will, ist das relativ einfach zu täuschen. Auch eine Einverständniserklärung macht es da nicht besser, weil auch die kann man ausfüllen oder ausfüllen lassen – und wie in diesem Fall von Menschen, die gar nicht wussten, dass sie in einem Dokumentarfilm mitspielen, sondern in einer Fiktion. Und da haben die natürlich unterschrieben. Zu Preisen: Klar, sind Preise wichtig, aber – also ich habe noch nie einen Film abgenommen oder versucht zu bauen auf Preise hin. Also wenn ein Film dann irgendwie reüssiert – manche Filme reäussieren, manche nicht – klar, meistens so Themen, die irgendwie so einen sozialen Aspekt haben, häufig gewinnen mehr Preise, aber es ist überhaupt nicht so, dass bei uns – wir freuen uns sehr über Preise, aber es ist nicht, dass wir uns da thematisch, inhaltlich drauf werfen und jetzt das in irgendeiner Weise nach vorne treiben.

[00:14:33]
Jörg Wagner: Nehmen wir doch mal die zwei Gründe, die die Autorin selbst gesagt hat. Ich drehe sie mal um in der Reihenfolge. Zuerst war der Druck da, also hier dann auch was abliefern zu wollen. Das haben wir schon geklärt. Angeblich gab es diesen Druck nicht, aber vielleicht ist es ja auch so – wir haben vorhin von der Vorsitzenden der AG Dok gehört, Dokfilme sind einfach so schlecht bezahlt, dass man dann als Autor, als Autorin ins Risiko geht und dann auch seinen schönen Film nicht kaputtmachen lassen will durch Umstände, die während der Dreharbeiten plötzlich sich auftun. Das ist ja kein neues Thema, aber es rächt sich, dass die Sender viel erwarten für wenig Geld, Timo Großpietsch.

[00:15:10]
Timo Großpietsch: Dass sie viel erwarten für wenig Geld? Ich glaube – die Honorare sind ja auch gerade nach oben verhandelt worden. Da bin ich jetzt auch nicht direkt der Ansprechpartner, um über Honorare zu reden, also ich bin nicht der, der sie verhandelt. Ich kann immer nur versuchen, den Autorinnen und Autoren, die für uns arbeiten, das Bestmögliche zu geben, was der Dokumentarfilm hat. Und natürlich sind wir auch an Budgets gebunden. Und da versuchen wir das Bestmögliche. Aber was mich ein bisschen irritiert in dieser ganzen Geld-Arbeit-Debatte ist, dass man für fünf Jahre Summe X bekommt. Ein Film hat natürlich Recherchetage, hat Drehtage, hat Schnitttage. Wenn man die über vier Jahre oder drei Jahre verteilt, werden es vielleicht ein paar mehr anscheind. Aber es ist ja nicht so, dass man da durchgehend für arbeitet. Darum hinkt häufig diese Rechnung, dass man dieses Geld für Jahre kriegt. Alle anderen Autoren oder andere Autorinnen, die ich kenne, machen parallel natürlich noch andere Arbeiten oder andere Filme.

[00:16:17]
Daniel Bouhs: Es kann ja auch sein, dass die Regisseurin sich übernommen hat. Also dass die Recherche zu aufwendig wurde, vielleicht das mit dem Geld nicht so reichte und dass sie dann am Ende doch auch irgendwie liefern wollte. Aber reden wir vielleicht nochmal ein bisschen größer auch über das Klima, unter welchen Bedingungen und Erwartungshaltungen Dokumentarfilme entstehen, dass eine Regisseurin offenbar ja auch Angst hatte, sich gegenüber der Redaktion zu öffnen und zu riskieren, dass ihr Projekt womöglich als gescheitert gilt. Stephan Lamby, wie nehmen Sie das in der Szene wahr?

[00:16:50]
Stephan Lamby: Also, selbstverständlich gibt es Druck. Es gibt Erwartungsdruck. Es gibt wirtschaftlichen Druck. Über den wirtschaftlichen Druck wurde gerade gesprochen. Was den Erwartungsdruck betrifft, den finde ich im Übrigen völlig in Ordnung. Also wir bewegen uns hier im öffentlichen Raum. Wir sind dem Publikum gegenüber verantwortlich. Dass da Erwartungsdruck ist, ist völlig in Ordnung. Es gibt diesen schönen Spruch in der Politik: Wem es in der Küche zu heiß ist, der sollte nicht Koch werden. So ist es auch bei uns. Was den wirtschaftlichen Druck betrifft: Der ist natürlich völlig ungleich verteilt. Also in der Regel sind die Redakteurinnen und Redakteure fest angestellt. Ich glaube, die haben keinen wirtschaftlichen Druck, also nicht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Und die Autorinnen und Autoren, auch die Produzenten sind in aller Regel frei. Also natürlich ist dieser Druck ungleich verteilt. Das liegt in der Natur der Sache. Das will ich jetzt gar nicht beklagen. Aber das muss man wissen als Redakteur. Und ich merke schon einen Unterschied, ob jemand so wie z.B. Timo Großpietsch selber Filme macht oder gemacht hat zu den Redakteurinnen und Redakteuren, die das nicht tun. Dieser Unterschied äußert sich im Respekt. Und wenn jemand vom Fach ist, wenn jemand selber mal unter diesem Druck gestanden hat, Recherche auch über einen langen Zeitraum möglicherweise in Sackgassen zu leisten – nicht alles ist ja von Erfolg gekrönt -, der weiß um die Nöte von Autorinnen und Autoren. Und der geht dann auch mit den Machern respektvoller um. Insofern finde ich im Prinzip gut, dass es diese ganz strenge, lupenreine Arbeitsteilung nicht gibt, sondern dass diejenigen, die unsere Filme als Macher beurteilen, beurteilen müssen, selber ab und zu in dieser Situation sind.

[00:18:41]
Jörg Wagner: Ich habe es jetzt nicht ganz verstanden, Herr Lamby. War das jetzt eher, dass Sie ihn verteidigt haben, Timo, oder ist das eher eine Kritik gewesen?

[00:18:47]
Stephan Lamby: Ich habe Timo Großpietsch insofern verteidigt, als ich weiß, dass er selber Filme macht und gute Filme macht. Deshalb ist er eigentlich ein Beispiel für die Personen, von denen ich vermute – ich habe nie mit ihm zusammengearbeitet – dass er respektvoll mit Autorinnen und Autoren umgeht. Ich kenne allerdings auch andere Fälle, wo Personen nicht oder nicht mehr Filme machen, die also eigentlich gar keine direkte, persönliche Erfahrung haben mit dem Filmemachen, um was es eigentlich geht. Und nicht alle, aber doch einige gehen dann irgendwann im Laufe ihres langen Berufsleben nicht mehr mit dem gebotenen Respekt an die Arbeit von freien Autorinnen und Autoren. Das stelle ich fest im Lauf eines langen Lebens.

[00:19:26]
Jörg Wagner: Also, Timo, wenn Sie tatsächlich sich gelinkt fühlen, das nicht selbst bemerken konnten, kann es nicht an Ihrer Empathie gelegen haben, sondern vielleicht daran, dass, wie die Autorin sagt, sie etwas geschaffen hat, ein künstlerisches Produkt, was authentischer ist als die Wirklichkeit. Dass es sozusagen ein Mix aus Dokumentarischem und Inszeniertem ist. Nun gibt es ja solche Formate. Ich kann mich erinnern: Zur 50-jährigen Mondlandung hat Arte nochmal einen Film wiederholt: „Kubrick, Nixon und der Mann im Mond“. Das war gelabelt als Scheindokumentation. Aber ich habe das so erst mal nicht gelesen. Ich hab den Film angemacht und dachte mir: Hä?! Da erzählen plötzlich die Leute die Mondlandung. Der Amerikaner war getürkt. Und dann stellte sich im Laufe dieses Spielfilms – das war letzten Endes keine Dokumentation, sondern eine Scheindokumentation – heraus, dass das einfach nur mal alle Verschwörungstheorien, die es so gab, auf einen Punkt gebracht, in einer Dokumentation zusammengefasst wurde, mit echten, authentischen Personen wie der Witwe von Stanley Kubrick. Vielleicht hat die Autorin auch hier, sagen wir mal, gewittert, dass so etwas möglich sein kann, auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen hier sowas anzubieten?

[00:20:37]
Timo Großpietsch: Da bin ich vielleicht der Falsche, der gefragt wird. Aber Sie sprechen hier von der großen Mondlandung. „This Ain’t Claifornia“ war auch eine große Mockumentary, wo der rbb übrigens durchgehend informiert war, die dann mit einem Disclaimer gesendet wurde, aber im Kino sozusagen auch durch die ganze Szene als Mockumentary nicht erkannt wurde. Das war natürlich sehr interessant, aber klar: Wenn ich über Mondlandung, Marsaufenthalte – wir werden jetzt bald auch einen Film, der aus der Zukunft kommt, machen, der spielt im Jahr 2052 und hat nur ganz minimale dokumentarische Anteile, der Rest ist pure Fiktion – da ist es eindeutig. Aber wenn man ihn jetzt fiktional beurteilen müsste, könnte man ja auch sagen: Na gut, dann hätte LOVEMOBIL nie diesen Erfolg gehabt, weil es dann auch nur – in Anführungszeichen – sehr, wie ja jetzt auch NGOs [sagen], die sich um Sexarbeiterinnen kümmern, ein sehr stereotypes Bild [liefert]. Und da ist natürlich wirklich nochmal eine riesen Gefahr, auch Verantwortung, dass wir da eine Welt beschreiben – diesmal ja fiktional anscheinend, nicht nur anscheinend, sondern sehr sicher, die Frage ist noch wie weit, aber momentan sieht es ja so aus, als wäre nur eine Figur wirklich echt – dann ist das ja auch fiktional gar nicht so gelungen, weil wenn wir da ein sehr stereotypes Bild von Sexarbeit bedienen, dann hilft das ja auch den Betroffenen überhaupt nicht.

[00:21:50]
Stephan Lamby: Also da würde ich gerne mal kurz reingrätschen. Die Beispiele, die Sie zitieren – was die Verschwörungstheorien betrifft, Mondlandung – das sind Filme, die es auf Irritation des Publikums anlegen im Sinne eines kreativen Prozesses. Wunderbar! Tolle Filme! Worüber wir hier reden, ist Fälschung. Täuschung. Ich glaube, das sind doch sehr unterschiedliche Dinge. Die müssten wir auseinanderhalten.

[00:22:13]
Jörg Wagner: Ja, können wir ja gerne machen. Aber vielleicht ist ja – ich sag mal – auch in künstlerisch-aufstrebenden Regie- und Kamera- und Dokumentarfilm-Talenten vielleicht auch das Gefühl da, dass man viel mehr mixen kann, als die strengen Regeln der Filmhochschule erlauben. Vielleicht war das auch so ein Motiv, mit diesem Film letztenendes auch so ein Ei uns hier in die …

[00:22:36]
Stephan Lamby: … ist ja alles wunderbar, nur: Was spricht denn dagegen, die Redaktion darüber in Kenntnis zu setzen und in begleitenden Interviews genau das zu tun? Versetzen Sie sich doch mal in die Rolle derjenigen, die auch recherchieren und die auch nicht zu einem gewünschten Ergebnis kommen und ihre Recherchen und damit die Produktion abbrechen. Sollen die denn jetzt künftig mit Verweis auf den Film LOVEMOBIL auch zu dem – in Anführungszeichen – Stilmittel der Darsteller greifen, darüber das Publikum und die Redaktion nicht in Kenntnis setzen, also den leichteren Weg einschlagen? Also, das ist der Schaden, der jetzt gerade entsteht. Das schadet den aufrechten Autorinnen und Autoren, die ernsthaft recherchieren und dann Produktion gelegentlich abbrechen. Das ist nämlich die reale Konsequenz. Das ist täglich Brot.

[00:23:23]
Daniel Bouhs: Wenn man das mit dem Hörfunk vergleicht: Dort gibt es das Feature, die klar journalistische Recherche, und das Hörspiel, das auch fiktionale Züge haben kann, sich manchmal auch komplett in der Fiktion bewegt. Der Dokumentarfilm hat – so viel haben wir gelernt in der Debatte – auch eine große Bandbreite innerhalb des Genres. Müssen alle Seiten vielleicht klarer machen, welchen Realitätsbegriff man erwartet in der jeweiligen Produktion? Timo, war das vielleicht auch ein Mangel bislang in der Zusammenarbeit?

[00:23:50]
Timo Großpietsch: Aber wie ich jetzt Frau Binninger eben am Anfang eurer Sendung gehört habe, besteht da eigentlich sehr viel Konsens. Und auch mit Stephan Lamby, soweit ich das höre. Eigentlich sind wir uns alle einig. Wir sind hier oder in diesem Fall ich bin einer Fälschung aufgesessen – natürlich noch viele andere, auf die will ich es nicht schieben. Ich muss mich fragen, was ich da besser machen kann, was wir da besser machen können. Aber ich glaube, in der Diskussion muss man einfach gucken, auch was Nachwuchs angeht, dass das Wort Dokumentar in diesen ganzen Begriffen, einfach der Realität und Wahrheit verpflichtet zu sein, das Korsett ist, in dem wir uns bewegen. Und alles andere – ich glaube, die Inszenierungsdiskussion ist eine kleine in diesem Bereich, aber ich glaube, wir müssen uns wieder darauf committen, dass wir hier was Dokumentarisches herstellen, und alles andere gilt es einfach, transparent zu machen.

[00:24:44]
Jörg Wagner: Wir können nochmal kurz Susanne Binninger zu Wort kommen lassen. Wir hatten ja das Interview aufgezeichnet und auch jetzt angekündigt, dass wir noch einen Gedanken von ihr spielen wollen. Susanne Binninger:

[00:24:55]
O-Ton Susanne Binninger: Mich stört in diesem Zusammenhang das Wort Kontrolle, weil ich glaube, es geht überhaupt nicht darum, Kontrolle auszuüben oder noch mehr Kontrolle auszuüben. Wenn überhaupt, dann geht es darum, wie man Qualität sichern kann. Und das setzt einen Dialog voraus, den der NDR jetzt begonnen hat. Das setzt einen Dialog voraus über Standards, über Kommunikation, über Herstellungsweisen, wie Dokumentarfilme überhaupt entstehen und wie sie weiterhin entstehen können. Wenn man jetzt quasi das Risiko wieder auf die Macher*innen abwälzt und sagt „Ihr müsst jetzt qua Vertrag unterschreiben, dass alles – in Anführungsstrichen – echt ist“, dann haben wir ein Klima geschaffen, in dem wir keine künstlerischen Dokumentarfilme mehr herstellen können. Was wir brauchen, ist Transparenz. Wir brauchen einen Dialog und Transparenz über filmische Mittel. Und es muss aber auch möglich sein, diesen Dialog angstfrei zu führen. Und es muss möglich sein, diese Filme in Produktionsverhältnissen herzustellen, die diese Arbeit ermöglichen. Wenn man möchte, dass man einen beobachtenden Dokumentarfilm im Prostituierten-Milieu dreht, dann muss man dafür sorgen, dass es eine bezahlte Entwicklung gibt, dass es eine Recherche gibt, die lange genug sein kann und auch bezahlt ist, um ein seriöses Produkt herzustellen. Und dann muss man mit einem offenen Ergebnis rechnen. Ein Grundproblem ist ja, dass im Dokumentarfilm, um einen Auftrag zu bekommen oder um eine Filmförderung zu bekommen, dass wir skripten müssen. Wir müssen projizieren. Wir müssen beschreiben, was wir drehen werden. Wir müssen Protagonisten anführen. Wir müssen im Grunde schon wissen, was sie sagen werden. Wir müssen die Dramaturgie beschreiben. Wir müssen die Handlungen beschreiben. Alles im Vorfeld. Das heißt, es ist alles andere als ergebnisoffen. Und eigentlich war Dokumentarfilm mal ein ergebnisoffenes Verfahren. Das heißt, man hat Fragen gestellt, statt schon im Vorneweg Antworten zu liefern. Und solche Filme, finde ich, braucht die Gesellschaft. Die brauchen wir heute. Und das ist auch ein Kernauftrag von öffentlich-rechtlichen Sendern. Und dahin müssten wir wieder kommen. Also wir müssen über diese Standards sprechen, aber wir müssen auch über Produktionsbedingungen sprechen.

[00:27:10]
Jörg Wagner: Die AG-Dok-Vorsitzende Susanne Binninger zur Frage, wie sich ein zweites LOVEMOBIL verhindern lässt. Timo, noch ganz kurz, eine Minute: Was macht der Norddeutsche Rundfunk, was machen Sie künftig anders? Was ist da zumindest im Gespräch?

[00:27:23]
Timo Großpietsch: Na, es wird jetzt hier momentan geprüft. Ist klar. Zum einen genau das, dass man einmal wirklich – wir sitzen ja eh bei Kalkulationsgesprächen zusammen – einmal noch mal sich verabredet auf die journalistischen Standards, die auch im Dokumentarfilm und auch im künstlerischen Dokumentarfilm gelten. Und ich glaube, da gibt es auch einen Common Sense, auf den man sich da einigen kann. Ich sehe das auch so, dass das Vertrauen nicht wahnsinnig beansprucht werden darf. Aber klar, es kann sein, dass es dazu kommt, dass es Stichproben geben muss bei Protagonistinnen. Dann haben wir es plötzlich mit Anrufen zu tun. Ich weiß nicht, ob das uns allen weiterhilft. Und vor allem: Ich möchte kein ängstlicher Redakteur werden in Zukunft. Ich möchte eigentlich mit dem gleichen Selbstbewusstsein und Tatendrang und großem Vertrauen zu Autorinnen und Autoren weiter gute Filme zusammen machen. Und ich möchte – klar muss ich kritisch gucken, klar muss ich hinterfragen. Das ist doch völlig selbstverständlich. Das ist unser Beruf. Ich bin ausgebildeter Journalist und Dokumentarfilmer. Und ich denke, dass diese Standards immer gelten. Wenn das jetzt erschüttert ist, dann werde ich natürlich eher ängstlich sein. Und wer ängstlich ist, der – also das ist, was Stephan Lamby eben sagte, das ist nicht wirklich hilfreich für unsere Produktionsbedingungen.

[00:28:38]
Daniel Bouhs: Stephan Lamby, vielleicht auch ganz kurz: Inwiefern fürchten Sie jetzt – ich sage es mal in Anführungszeichen – ein Kontrollregime?

[00:28:46]
Stephan Lamby: Fürchte ich nicht. Dazu kenne ich die handelnden Personen in aller Regel zu gut. Ich meine, Timo Großpietsch hat es ja selber gerade auf den Punkt gebracht: Er möchte seine Arbeitsweise im Kern nicht verändern. Wir wollen unsere Arbeitsweise im Kern nicht verändern. Vertrauen ist die Grundlage. Jetzt ist dieses Vertrauen mal – ja – missbraucht worden. Es gibt Möglichkeiten – darüber sprachen wir eben – zu checken. Das sollte man prüfen. Aber das sollte nicht das Grundvertrauen zwischen Redaktion, Produktion und Autor*innen grundlegend verändern. Ich finde, es ist sehr gut, dass wir jetzt diese Genre-Diskussion führen. Ich finde es prima, dass es Mischformen gibt zwischen Dokumentation und Dokumentarfilm. Wir sollten uns alle die Freiheit nehmen, die Grenzen auszuweiten. Allerdings, solange wir das Ganze unter der Bezeichnung „Doku“ führen, gibt es Grenzen. Denn Doku ist ein Gütesiegel und Doku ist ein Unterscheidungsmerkmal. Und das sollten wir weiterhin respektieren.

[00:29:51]
Jörg Wagner: Wir sagen danke für diese Runde und auch für die offenen Worte. Danke, Timo Großpietsch, Dokumentarfilm-Redakteur beim Norddeutschen Rundfunk, und danke dem Dokfilmer Stephan Lamby.

[00:30:00]
Daniel Bouhs: Ja, vielen Dank. Und die Debatte geht weiter. In der kommenden Woche bei „ZAPP“ im NDR-Fernsehen. Empfohlen, wie gesagt, auch der aktuelle Podcast von „Übermedien“.








Print Friendly, PDF & Email