Jörg Wagner [00:00:00] Zurück zum Anfang der Woche, als ProSieben mit einem Interview überraschte.
O-Ton [00:00:05] „Ich glaube, in dem Jahr ist alles drin und ich, wir werden unser Bestes geben.“ – „Davon gehen wir aus. Wir bedanken uns, dass Sie heute erst einmal hier bei uns Station gemacht haben, um mit uns über die Zukunft, über sich und alles Weitere zu sprechen. Das war toll. Wir sagen Dankeschön an dieser Stelle vor allem an Sie, Annalena Baerbock. Wir sind nur zu zweit. Wir klatschen dann.“ – „Ha, ha, ha, ha ha, ha, ha, ha, ha, ha! – „Vielen Dank!“ – „Herzlichen Dank! Alles Gute.“ – „Ja. Gleichfalls. Wir bedanken uns natürlich bei Ihnen zu Hause. Ganz herzlichen Dank fürs Zuschauen. Und jetzt kommt auch wirklich CHERNOBYL. Schauen Sie das unbedingt. Machen Sie es gut. Auf bald. Tschüss.“
Daniel Bouhs [00:00:37] Das war das Klatschen von Katrin Bauerfeind und Thilo Mischke. Die beiden haben am Anfang dieser Woche die Grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock interviewt. Ein bisschen journalistisch verabschiedet. Für meinen Geschmack war das schwierig mit dem Klatschen, aber doch etwas Neues, auch Interessantes gab’s in diesem Interview. Ich finde, das ist durchaus sehenswert. Eine Dreiviertelstunde lang zur Primetime um 20:15 Uhr zweifellos ein Coup und ungewöhnlich für ProSieben, sich derart in der Bundespolitik zu engagieren.
Jörg Wagner [00:01:07] Wobei wir ja zunehmend beobachten können, wie sich privat-kommerzielle Sender wieder für Informationsprogramm interessieren. Bei ProSieben haben ja – man erinnert sich – Joko und Klaas haben dort 15 Minuten Sendezeit der Situation der Geflüchteten im griechischen Auffanglager Moria gewidmet. Pflege ist #NichtSelbstverständlich war vor drei Wochen eine weitere Aktion und fast sieben Stunden sendete ProSieben die Bilder der Bodycam, die eine Krankenpflegerin bei ihrem Dienst getragen hat.
Daniel Bouhs [00:01:36] Und auch RTL rüstet wieder journalistisch auf, wenn man dieses militärische Bild verwenden möchte. Es wird ein Format „Klima vor Acht geben“. Das hat man der ARD so ein bisschen weggenommen, nachdem es da entsprechend auch aktivistische Forderungen gab. Jan Hofer, der frühere Chef-Sprecher der Tagesschau, soll eine von zwei neuen Informationssendungen bei RTL präsentieren.
Jörg Wagner [00:01:59] Medienpolitisch läuft diese Entwicklung unter der Vokabel „Public Value“. Und über diesen gesellschaftlichen Mehrwert reden wir jetzt mit Annette Kümmel, lange Zeit Cheflobbyistin der Sendergruppe ProSiebenSat.1. Inzwischen steht „Chief Sustainability Officer“ – also Sie stehen für Nachhaltigkeit, Frau Kümmel – das steht auf Ihrer Visitenkarte. Und Sie sind Vorstandsvorsitzende des Privatfunkverbandes VAUNET. Hallo, Frau Kümmel!
Annette Kümmel [00:02:26] Hallo Herr Bouhs, hallo Herr Wagner, ich freue mich, bei Ihnen zu sein.
Jörg Wagner [00:02:28] Was erleben wir denn da gerade bei RTL und ProSieben? Ist das ein Angriff auf ARD und ZDF oder rächen Sie sich einfach nur und kopieren ARD und ZDF, weil die öffentlich-rechtlichen auch kommerzielle Formate bei Ihnen wiederum kopieren?
Annette Kümmel [00:02:42] Spannende Frage. Nein, ganz ehrlich Public Value ist schon seit vielen Jahren auch immer in den Privaten Medienunternehmen verankert. Wir auch auf Verbandsseite versuchen, das immer wieder deutlich zu machen. Und dass es eben keine neue Entwicklung ist, zeigt, glaube ich, auch der Medienstaatsvertrag, also dass Public Value besonders auffindbar sein soll, ist nach den Diskussionsprozessen des Medienstaatsvertrags sicher keine Entwicklung der Programmierung 2020 …
Jörg Wagner [00:03:10] … Also dann können wir das Interview sofort beenden, wenn das nichts Neues ist. Haben wir uns da verguckt?
Annette Kümmel [00:03:14] Nein, es ist nur – und da haben Sie Recht – es ist natürlich nochmal stärker geworden. Ich glaube, gerade die Pandemie hat deutlich gemacht, wie wichtig es ist, dass wir im Zeitalter von Desinformation, von Fake News auch jüngere Zuschauer mit Informationsinhalten und vor allem mit demokratiestiftenden Inhalten versorgen. Und mittlerweile ist Public Value wirklich im Selbstverständnis der Privaten Medienunternehmen verankert und nicht im Sinne einer Konkurrenz zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sondern ich sehe uns da durchaus als duale Allianz eben im Gegengewicht zur sozial-medialen Desinformation und Public Value auch nicht nur was Nachrichten und Information anbetrifft, sondern auch Content zu Klimaschutz, zu Diversität, Anti-Rassismus oder auch Gesundheit. Das ist mittlerweile auch zur Stärke der Privaten Rundfunkunternehmen oder Medienunternehmen geworden.
Daniel Bouhs [00:04:04] Ihr Konzern, ProSiebenSat.1 habe Zitat: „… in den letzten Jahren versucht zu überleben, ohne eine Strategie für seinen Mediengeschäft zu haben.“ Das sagte Mediaset-Finanzchef Marco Giordani dem Nachrichtenmagazin Spiegel. Mediaset ist ja beteiligt an ProSiebenSat.1. Bekommen Ihre italienischen Investoren nicht mit, dass Sie eine Art neue Strategie haben? Oder lässt sich mit Informationen einfach kein Geld verdienen? Und Ihnen geht es eher um medienpolitische Effekte, etwa eine gute Platzierung auf den Startbildschirmen von Smart-TV und Setop-Boxen im Gegenzug dazu, dass eben auch Privatsender wie ProSieben sich nun gesellschaftlich nochmals spürbar stärker engagieren?
Annette Kümmel [00:04:42] Nein, es geht ja heute auch gar nicht nur um ProSiebenSat.1, sondern wirklich um die Branche. Und Sie sprechen das an, was ich eben eingangs sagte, nämlich den Medienstaatsvertrag und besondere Auffindbarkeiten für Public Value. Und wir programmieren nicht für die Medienanstalten. Wir programmieren nicht für Startbildschirme, sondern wir programmieren für eine junge Zielgruppe. Und das ist die Stärke der Privaten Medienunternehmen. Wir erreichen mit all unseren Sendern, ob das die Radio-Mitglieder sind oder auch die Fernseh-Mitglieder, Millionen von Unique Usern, aber eben auch Zuschauern. Und diese Reichweite wollen wir alle im Sinne der Gesellschaft nutzen und da zur Bildung von Meinungen und Wertvorstellungen beitragen. Sowohl im Informationsbereich, aber auch im Unterhaltungsbereich. Schauen Sie sich an Germany’s Next Topmodel mit der aktuellen Kampagne gegen Cybermobbing oder auch Let’s Dance, die als, muss man sagen, herausragendes Format für Diversität auch stehen. Wir verzichten auf einen erhobenen Zeigefinger und wir vermitteln Informationen und Werte, so dass sie beim jungen Publikum ankommen.
Daniel Bouhs [00:05:44] Vielleicht ist das auch eher ein zwangsläufiger neuer Kurs. Der Wettbewerb mit Filmen und Serien gerade aus den USA ist mit Netflix, Amazon Prime, Disney plus immer härter auch in Deutschland. Da bleibt für Sie doch nur, Fernsehen wieder zu einem Erlebnis zu machen. Mit Shows auch viel live und eben auch mit Informationen, oder?
Annette Kümmel [00:06:02] Also auf jeden Fall mit lokalen Formaten, also lokal im Sinne von Formaten hier für unsere Zielgruppe und für das Zielpublikum und vor allem Formate mit Relevanz. Und das ist das Schöne. Sie haben es eingangs auch erwähnt: Die Aufmerksamkeit sowohl des ProSieben-Interviews als auch Joko-und-Klaas-Sendungen oder auch die von RTL. Wir spüren ganz deutlich, dass die Zuschauer diese Relevanz eben auch finden und zwar 360 Grad dort, wo unsere Zuschauer*innen und Nutzer*innen unterwegs sind, nämlich im Fernsehen, auf Social Media oder auch in den Streaming-Portalen oder auch in den neuen Audio-Angeboten. Und da folgen wir dem Nutzer und folgen dem Nutzer und folgen einer ganz klaren Haltung, die die Medienunternehmen eben verinnerlicht haben und eben in Public-Value-Formaten umsetzen.
Jörg Wagner [00:06:58] Ihnen darf man die Frage stellen: Folgen Sie auch dem Geld? Denn Sie sind ja kommerzielle Unternehmen. Weil mit Information ist es, glaube ich, schwierig Geld zu verdienen, oder?
Annette Kümmel [00:07:09] Also wir wir sind Wirtschaftsunternehmen und refinanzieren uns. Das wissen Sie, über Werbung und nicht über Gebühren und insofern …
Jörg Wagner [00:07:17] … deswegen frage ich ja nach dem Geld, genau.
Annette Kümmel [00:07:19] Genau. Und insofern achten wir immer auf die Reichweite, weil durch die Reichweite natürlich die Refinanzierung garantiert ist. Und das gelingt uns auch und gerade bei Joko und Klaas. Sie hatten angesprochen auch nicht selbstverständlich die sieben Stunden Doku haben wir ohne Werbung ausgestrahlt, aber dank zweier starker Partner, die tatsächlich auch als Werbekunden dort rein investiert haben.
Jörg Wagner [00:07:43] Kurioserweise hat ja Ihre Sendergruppe mal einen eigenen Nachrichtensender gehabt – die Älteren erinnern sich – N24, verkauft dann an Springer. Unter der Marke Welt läuft dieses Projekt ja weiter und sitzt aber auch nicht mehr am Potsdamer Platz, wo N24 gesessen hat, sondern auch aus dem Springer-Neubau, also bei Springer direkt. Im vergangenen Jahr war gemunkelt worden, ProSiebenSat.1 könnte wieder einen Nachrichtensender gründen. Ist das realistisch? Wissen Sie mehr?
Annette Kümmel [00:08:12] Also die Kollegen sind gerade von Welt/N24 ganz aktuell ins neue Studio umgezogen und in sofern …
Daniel Bouhs [00:08:20] Das ist tatsächlich heute, also die haben tatsächlich heute den neuen Betrieb aufgenommen.
Annette Kümmel [00:08:24] … einen herzlichen Glückwunsch an die Kollegen. Ich kann Ihnen sagen ein News Channel ist bei uns aktuell kein Thema. Wir schließen aber generell nie etwas aus, weil wir natürlich den Marktgegebenheiten folgen. Aber es gibt sehr spannende Nachrichtensender bei den Privaten Medien. Da ist n-TV, da ist Welt/N24 und Sie finden in den meisten oder in fast allen wirklichen Medienunternehmen des VAUNET auch bei den Radios Informationsangebote, die den Markt sehr gut abdecken und widerspiegeln.
Jörg Wagner [00:08:56] Dass Sie nichts ausschließen, ist ja eine allgemeine Antwort. Die stimmt ja immer. Aber gibt es Pläne?
Annette Kümmel [00:09:02] Es gibt aktuell keine Pläne.
Daniel Bouhs [00:09:04] Wenn man sich die Programme von ARD und ZDF ansieht derzeit, dann sind die immer wieder voll mit Trailern, die auch medienpolitische Botschaften letztlich ausstrahlen. Die arbeiten ja an einer Reform des Öffentlich-Rechtlichen. Da geht es um das Korrespondenten-Netz und eben den Public Value, sage ich jetzt mal, das was die Öffentlich-Rechtlichen für die Gesellschaft leisten. Planen Sie, also jetzt hier auch angesprochen als Vorstandsvorsitzender von VAUNET, den Privatsenderverband eine Public-Value-Kampagne, um auch Flagge zu zeigen und ARD und ZDF vielleicht gerade jetzt auch etwas streitig zu machen? Da gibt’s ja immer stärker z. B. ja auch medienpolitisch die Forderung nach einem echten öffentlich-rechtlichen Nachrichtensender. Das dürfte ja Ihre Pläne so ein bisschen gefährden, oder?
Annette Kümmel [00:09:46] Also wenn Sie meinen FAZ-Beitrag zur Debatte um die Duale Rundfunkordnung oder Medienordnung gelesen haben, dann sehen Sie ganz deutlich – und ich hab’s vorhin auch gesagt – wir verstehen uns … oder ich möchte beide Seiten des Dualen Mediensystems als Allianz verstanden wissen, als inhaltliche Allianz. Und dazu tragen wir als Private Medien unseren Beitrag bei und erreichen unsere Zielgruppe. Die öffentlich-rechtlichen Kollegen erreichen andere Zielgruppen. Ich glaube, wir bedienen an vielen Stellen unterschiedliche Marktsegmente und insofern ist da Platz für uns beide. Worum es uns in der gesamte Debatte Medienpolitik geht, ist natürlich, die Finanzierungsmöglichkeiten und die Wirtschaftlichkeit der Privaten Medien auch abzusichern. Und da führen wir sicher eine Streitdebatte. Aber die hat. Nichts mit unseren Programmierungen zu tun, denn das ist das Selbstverständnis unserer Seite des Dualen Rundfunks.
Jörg Wagner [00:10:41] … meint Annette Kümmel, Vorstandsvorsitzende des Privatsenderverbandes VAUNET und Chief Sustainability Officer der ProSiebenSat.1 Gruppe. Danke für Ihre Zeit.
Annette Kümmel [00:10:53] Ich danke Ihnen.
Daniel Bouhs [00:10:54] Und wir klatschen jetzt nicht. Das soll aber keine Geringschätzung sein. Schönes Wochenende, Frau Kümmel.
Annette Kümmel [00:10:58] Danke, Ihnen auch.