Dr. Willi Steul [00:00:00] “Es ist enorm wichtig, dass die afghanischen Menschen über das, was auf der Loja Dschirga im Juni passiert, in diesem Startwert Prozess informiert werden, damit sie überhaupt wissen, was ist. Wir kennen die Statistiken, die demographischen Werte der letzten Jahre nicht, aber ich schätze, dass wir zwischen 80 und 90 Prozent nicht schrifftkundige Menschen haben in Afghanistan. Das heißt, die kann man nur über Radio und Fernsehen erreichen. Sehen Sie das nicht als ein ganz großes Manko an, dass das, was Sie tun, den Afghanen gar nicht zu vermitteln ist im Moment?“
Dr. Mohammed Amin Farhang [00:00:38] „Ja, da gibt es natürlich viele Mängel und Lücken. Die Radiosendungen werden überall jetzt in Afghanistan empfangen, aber das Fernsehen ist beschränkt auf Kabul. Und dann gibt es lokale Fernsehstationen auf dem Lande. Auf der anderen Seite hat sich dieses Transistorradio in Afghanistan durchgesetzt. Das findet man überall. Und wenn jetzt über die Loja Dschirga, über die Vorbereitungen und über die Demokratisierungsversuche in Afghanistan berichtet werden, dann werden viele Leute das hören. Es gibt aber, ich muss sagen, an Hand oder wegen der Pressefreiheit in Afghanistan unterschiedliche Berichterstattungen. Es gibt natürlich in Afghanistan unterschiedliche politische Strömungen und jeder dieser Strömung versucht dieses Ereignis, also die Abhaltung der Loja Dschirga, nach seinem Geschmack zu schildern. Aber das ist eben Demokratie. Und die Menschen, wenn sie das hören, die werden selbst eine Meinung bilden. Die Afghanen sind zu 80 Prozent oder 90 Prozent vielleicht Analphabeten. Aber das bedeutet nicht, dass die politisch nicht was wissen, weil sie durch diesen Krieg, durch diese Ereignisse in den letzten 24 Jahren auch viel politisch gelernt haben.”
Jörg Wagner [00:02:05] Das war der afghanische Minister für Wiederaufbau damals, Dr. Mohammed Armin Farhang, der in den 60er Jahren in Deutschland studierte und sich hier in dem Ausschnitt 2002 den Fragen unter anderem von Willi Steul stellte. Willi Steul ist uns jetzt, fast 20 Jahre später, zugeschaltet. Sie haben als Ethnologe mit afghanischen Themen promoviert, waren auch vor Ihrem beruflichen Höhepunkt als Deutschlandradio-Intendant unter anderem Sonderkorrespondent der ARD in Afghanistan in der Zeit der sowjetischen Besatzung. Herr Steul, angesichts der aktuellen Lage haben die Medien eine Mitschuld an dem politischen Chaos zurzeit in Afghanistan?
Dr. Willi Steul [00:02:41] Mitschuld wäre völlig überzogen, völlig übertrieben. Aber dass wir hier im Westen, dass wir hier in Europa immer nur teilinformiert waren. Wir waren informiert über aktuelle Ereignisse. Es gibt bis heute keine festen Korrespondenten in Afghanistan, mit der Ausnahme: Also die Deutsche Welle hat wunderbare Mitarbeiter in Afghanistan, die ihnen auch für ihre Paschtu- und Dari- Redaktionen zuliefern, also für die Programme in den afghanischen Landessprachen. Aber wir sind relativ wenig informiert über das, was in Afghanistan passierte in den letzten 10, 15, 20 Jahren.
Jörg Wagner [00:03:15] Das haben Sie mir bereits 2008 attestiert. Hören wir mal, was im Medienmagazin im September von Ihnen da schon als Kritik gekommen ist:
Dr. Willi Steul [00:03:24] “Die Medien sind immer nur auch ein Spiegel der Gesellschaft. Gerade Deutschland hat keinen echten außenpolitischen Blick. Unsere Bevölkerung ist sehr nach innen gerichtet. Wir haben auch Berichterstattungsmoden. Sie wissen als Kollegen, als Journalist genauso wie ich, dass wir plötzlich wochenlang über ein Land und seine Verhältnisse … und plötzlich sind wir beim anderen. Und diese kontinuierliche, über Hintergründe, soziale Verhältnisse, differenzierte Entwicklungen zu berichten, ist außerordentlich schwer. Wir sind auch im Aufbau, in der Organisation unserer Medien in Deutschland sehr auf das aktuelle Spotereignis ausgerichtet. Da ist selbstverständlich: Der verletzte deutsche oder getötete deutsche Soldat steht im Mittelpunkt und nichts anderes zählt dann mehr. Als ich Korrespondent in Afghanistan war für die ARD hatte ich es insofern leicht, denn es gab keinen vernünftigen Telefonverbindungen. Ich war einmal vier Monate lang völlig incommunicado, weil ich mit Mudschahidin im Land unterwegs war – mein Vorteil war damals sprach ich die Sprache noch – mit den Mudschahedin in dem Land unterwegs war. Das waren andere Arbeitsbedingungen und da war der Hintergrund wesentlicher als die aktuelle Spotberichterstattung.”
Jörg Wagner [00:04:37] Nun sind wir auch da über ein Jahrzehnt jetzt inzwischen weiter. Was, wenn Sie die Berichte jetzt verfolgen aus Afghanistan, wissen wir wirklich, was da abläuft gerade?
Dr. Willi Steul [00:04:49] Also ich glaube, es gibt Kollegen, die es wissen, und es gibt glänzende Kollegen. Also ich denke, gerade Christoph Reuter ist ein Kollege vom „Spiegel“, der hat in der jetzigen Ausgabe des „Spiegels“ die Titelgeschichte geschrieben. Und die ist brillant. Die ist brillant nicht nur, – als Journalist kann ich meinen Hut davor ziehen von der Art, wie er schreibt – sondern auch von seinem Wissen. Aber das ist ein Mann, der hat Islamwissenschaften studiert. Der ist im Nahen Osten zu Hause. Der besucht seit Jahren immer wieder Afghanistan und nur mit so viel Hintergrundwissen und auch dem … ein Magazin „Spiegel“ hat natürlich auch das Geld, um jemanden zu bezahlen, der da wochenlang recherchiert an einem Beitrag. Da sieht man, was Journalisten leisten können. Aber sie müssen auch Vorwissen haben zu der Kultur und den Verhältnissen eines Landes. Und das ist nicht sehr verbreitet bei uns.
Jörg Wagner [00:05:40] Wir werden Christoph Reuter im Medienmagazin-Podcast auch mit einem Interview aus dem Jahre 2008 hören über seine Arbeitsbedingungen, die er damals in einem Interview für das Medienmagazin zusammenfasste, damals noch für den „stern“. Aber gehen wir nochmal zurück zum neuesten „Spiegel“. Da gibt es auch ein Interview mit dem Bundesaußenminister Heiko Maas. Er sagt: „Der Grund für den Afghanistaneinsatz waren die Anschläge vom 11.September 2001. Die NATO-Mission sollte sicherstellen, dass vom afghanischen Boden aus keine terroristischen Anschläge mehr verübt werden.“ Sie kennen ja nicht nur die jetzige Phase, sondern Sie waren wie erwähnt ja auch schon bei der sowjetischen Intervention in Afghanistan. Ist denn dieser Kriegsgrund jetzt plötzlich nicht mehr vorhanden, wie Biden und auch der Außenminister Blinken sagt? Oder was sind die wahren Hintergründe für dieses Chaos zurzeit in Afghanistan?
Dr. Willi Steul [00:06:34] Also die al-Qaida, die Verbindung der al-Qaida zu dem Regime sind mit dem Sturz der Taliban abgebrochen. In Afghanistan gibt es keine, wie damals, keine Ausbildungscamps und Ausbildungslager mehr für den internationalen Terrorismus. Aber al-Qaida gibt es noch in Afghanistan, so wie die Taliban nie wirklich weg waren. Sie waren von der Macht vertrieben. Aber in vielen Teilen des Landes natürlich noch mit ihren Sympathisanten unterwegs. Das von Afghanistan jetzt wieder unmittelbar eine terroristische Bedrohung für die Welt ausgeht, das glaube ich zunächst einmal nicht. Denn die Taliban haben ja auch gelernt, dass das der Grund war für die Intervention der internationalen Truppen. Wobei, das war immer zweigleisig. Ein Ziel war die Zerstörung des internationalen, von Afghanistan ausgehenden internationalen Terrorismus. Da muss man sagen, das ist gelungen. Das zweite Ziel: Darin hat sich die Weltgemeinschaft absolut verhoben. Das war das sogenannte Nation-Building. Man versuchte in Afghanistan eine Demokratie zu errichten, auch mit unseren Werten. Und ich kann nur sagen, das war für mich von vornherein absehbar, dass dies nicht funktionieren wird.
Jörg Wagner [00:07:46] Warum nicht?
Dr. Willi Steul [00:07:47] Das hat etwas mit der kulturellen Arroganz des Westens und von uns zu tun. Wir gehen … jetzt spricht natürlich ein bisschen auch der Ethnologe in mir. Aber wir gehen an fremde Völker, deren Kultur wir nicht kennen, mit der Erwartung heran, dass die alle Hurra schreien, wenn wir ihnen unsere Werte bringen. Und das ist natürlich nicht der Fall. Wir haben auch Assoziationen, die uns daran hindern, anders zu denken. Ich gebe Ihnen ein Stichwort. Wenn der durchschnittliche Westeuropäer „Stammesstruktur“ hört, assoziiert er damit finsteres Mittelalter. Es kommt ihm nicht in den Kopf, dass solche Strukturen über Jahrhunderte entstanden sind, um das einigermaßen ordentliche Leben in einem bestimmten kulturellen, geografischen Zusammenhang zu ermöglichen. Wir assoziieren auch mit „Islam“ fast automatisch Handabhacken und das Steinigen von Frauen. Das ist zu undifferenziert. Der Westen ist mit völlig falschen Voraussetzungen nach Afghanistan gegangen und ist daran dann im Nation-Building gescheitert. Es kommen natürlich noch viele andere Dinge dazu. Korruption und und und und und … das kann ich jetzt alles gar nicht ausführen.
Jörg Wagner [00:08:51] Aber vielleicht nochmal tatsächlich meine Eingangsfrage, inwieweit Medien mitschuldig sind, wenn wir fremde Kulturen nicht verstehen ausreichend. Und wenn sich die Wissenschaft auch nicht so stark machen kann in der Beratung, ich sage mal auch, von wesentlichen Entscheidern einer Regierung. Ist dann vielleicht nicht doch etwas faul mit der Art und Weise, wie Medien berichten, dass sie zu sehr immer auf Skandale, auf Todesfälle, auf Katastrophen geeicht sind und dass die Hintergrundberichterstattung völlig untergeht?
Dr. Willi Steul [00:09:23] Ja, wir sind auf das Sensationelle, auf die schnelle News und das wird immer schlimmer mit den sozialen oder wie ich sie nenne asozialen Medien und der Verbreitung der Internet-News-Verbreitung. Es wird immer sensationeller. Das Spektakuläre. Nur die Klicks zählen und der Aufwand, der getrieben werden muss auch in der Rekrutierung von Journalisten, die sich lange vorbereiten auf bestimmte Regionen der Welt. Dafür wird immer weniger Geld in die Hand genommen und investiert. Also ich sehe in der Beziehung in Deutschland nicht viel Initiativen, die das Fördern. Wir haben nicht umsonst … Natürlich in England haben wir eine internationale Berichterstattung, die ist Klassen besser als die, die wir in Deutschland haben, und zwar in allen Medien, sowohl in der BBC als auch im Fernsehen und in den Zeitungen, weil sie auch ein Publikum vorfinden, das mehr an der Welt interessiert ist, als das deutsche Publikum es ist. Und jetzt will ich nochmal ein Wort zur Wissenschaft verlieren. Ich habe als Berater zuletzt noch eine Studie gemacht in den 90er Jahren für die UNO, die Rückführung von Flüchtlingen. Ich war in anderem Zusammenhang in einem Beratungsteam, wo es darum ging, wie geht man um mit Staaten, die die Scharia zum Gesetz erheben. Und da habe ich immer wieder gesehen, dass wir Wissenschaftler uns einig waren und dass die Politik es nicht hören wollte.
Jörg Wagner [00:10:48] Nun fällt in Ihre Zeit als Deutschlandradio-Intendant ein politischer Zwischenfall. Bundespräsident Horst Köhler wurde für das Deutschlandradio Kultur nach einem Besuch von Bundeswehr-Truppen in Afghanistan im Mai 2010 während des Rückflugs von Christopher Ricke gefragt:
Christopher Ricke [00:11:03] „In der politischen Debatte wird auch darüber nachgedacht, ob das Mandat, das die Bundeswehr in Afghanistan hat, ausreicht, weil wir uns inzwischen in einem Krieg befinden. Brauchen wir ein klares Bekenntnis zu dieser kriegerischen Auseinandersetzung und vielleicht auch einen neuen politischen Diskurs?“
Bundespräsident Horst Köhler [00:11:20] „Nein, wir brauchen einen politischen Diskurs in der Gesellschaft. Wie es kommt, dass Respekt und Anerkennung zum Teil doch zu vermissen sind, obwohl die Soldaten so eine gute Arbeit machen. (…) Und ich finde es in Ordnung, wenn in Deutschland darüber immer wieder auch skeptisch mit Fragezeichen diskutiert wird. Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu bestehen. Dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren. Zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ bei uns durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern. Alles das soll diskutiert werden und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg.“
Jörg Wagner [00:12:35] Die Verknüpfung von Bundeswehreinsätzen mit Wirtschaftsinteressen wurde stark kritisiert von SPD, Grünen und Linkspartei. Es gab auch Irritationen in der CDU und FDP. Neun Tage nach diesem Radiointerview erklärte Köhler seinen Rücktritt. Wie haben Sie diese Ereignisse in Erinnerung?
Dr. Willi Steul [00:12:51] Der arme Bundespräsident Köhler ist in einem … es war ein völlig normales Interview und hatte in diesem Interview gesagt, dass wir in unserer Außenpolitik auch unsere Interessen außerhalb unserer Grenzen verteidigen müssen. Sätze, die im Weißbuch zur Sicherheits- und Außenpolitik standen. Und das wurde einfach politisch instrumentalisiert durch einen dummen Zufall. Es waren übrigens Studenten in Tübingen, die das problematisiert haben. Das raste durch die Medien und der arme Köhler, der natürlich auch aus anderen Gründen angefasst war, das war für ihn der Anlass zurückzutreten. Ich habe den Fall, das können Sie sich vorstellen, noch präzise in Erinnerung mit dem Kollegen, der das Interview geführt hat und auch von den Aussagen von Köhler, ist überhaupt keine Abstrich zu machen. Das wurde instrumentalisiert und genutzt.
Jörg Wagner [00:13:39] … aber zeigt vielleicht, dass wir, was das Thema Afghanistan betrifft, ja, sagen wir, immer noch so eine gewisse Aufgeregtheit haben. Auch jetzt zum Beispiel gibt es Meldungen, dass [ein] Angehöriger eines DW-Journalisten, eines Journalisten der Deutschen Welle zu Schaden gekommen ist, sogar getötet wurde. Und die Deutsche Welle schweigt. Sie möchte sich zu diesem Ereignis nicht äußern. Ist das etwas, was aus Ihrer Sicht verständlich ist? Dass wir …
Dr. Willi Steul [00:14:07] Der Kollege Limbourg ist ein kluger Mann. Er weiß ganz genau, dass er, wenn er jetzt sozusagen einen Skandal macht und groß trompetet und Afghanistan angreift und die Taliban, das kann nur schlimmer werden. Limbourg und die Deutsche Welle haben eine ganze Zahl, ich weiß nicht, jetzt bestimmt 20, 25 Mitarbeiter, Afghanen, die ihnen in Afghanistan zugearbeitet haben und um die sie nun jetzt natürlich Angst haben müssen. Insofern ist das klug, wenn Kollege Limbourg nicht allzu öffentlich aufschreit.
Jörg Wagner [00:14:40] Welche Aufgabe haben jetzt die Medien zurzeit? Wie sehen Sie die, angesichts der Tatsache, dass eben sich immer mehr Berichte auch häufen, dass Journalisten anderer Medien angegriffen werden, dass einheimische Medien besucht werden mit MPI-verstärkter Wachmannschaft? Das ist ja kein Klima, wo man wirklich Berichterstattung in allen Facetten ermöglichen kann. Also es gibt diesen Spruch: Im Krieg stirbt immer erst die Wahrheit. Haben wir jetzt so eine kriegerische Situation?
Dr. Willi Steul [00:15:09] Naja, es ist eine extreme Krisensituation und wenn ich sehe, die ARD hat keinen eigenen Korrespondenten im Land. Das ZDF übrigens auch nicht. Die ARD berichtet von New Delhi aus mithilfe von Mitarbeitern, von Stringern, die in Afghanistan sind. Das ZDF – und ich finde – beide machen eine gute Berichterstattung, das ZDF mit dem Kollegen Walpot aus der Türkei. Aber die Mitarbeiter in Kabul sind gefährdet und man weiß nicht, wie lange diese Nachrichten überhaupt noch übermittelt werden können und inwieweit sie dann, jetzt im Moment noch nicht, aber später immer stärker kontrolliert werden. Eine halbwegs freie Medienarbeit ist derzeit in Afghanistan nicht zu machen und das wird deutlich schwieriger werden.
Jörg Wagner [00:15:56] Und wie sieht es aus, was haben Sie für Informationen über die einheimischen Medien? Wir haben am Anfang diesen Ausschnitt gehört, dass ein sehr großer Teil der afghanischen Bevölkerung Analphabeten waren. Hat sich die Situation wesentlich verbessert, dass also auch Zeitungen gelesen werden können in dem Umfang, wie es vielleicht nötig ist, dass andere Schrifftmedien wie das Internet vielleicht auch Einzug gehalten haben?
Dr. Willi Steul [00:16:21] Also es gibt Blogger. Es gibt YouTuber. Es gibt ein unabhängiges, ganz interessantes privates Fernsehen: Tolo News. Dort wurde dieses Interview geführt von einer Frau mit einem Talib, mit einem Sprecher der Talib. Das ist diese Moby Group. Das ist Anfang der … ich glaube, das war 2002 oder 2003 wurde die von einem Exil-Afghanen, der zurückgekommen ist nach Kabul, gegründet. Das sind unabhängige Medien. Das waren unabhängige Medien. Es gab einen Internet-Sender Sun TV von Frauen für Frauen. Ganz interessant. Das konnte man auch hier natürlich verfolgen und sehen. Der ist schon zugemacht. Die senden nicht mehr. Und natürlich geht die Angst um. Was passiert jetzt? Die Kolleginnen leben in einer völligen Unsicherheit. Was wird mit uns? Sie müssen um ihr Einkommen fürchten. Sie müssen um ihr Leben fürchten. Journalisten wurden bereits umgebracht. Das ist ein Druck, der ist unglaublich. Und wir werden auch vorsichtig sein müssen. Alle Informationen, die wir aus Afghanistan bekommen, inwieweit die glaubhaft sind. Gelingt es noch, Gegenrecherche zu machen? Gelingt es noch Kollegen wie Christoph Reuter, um ihn noch einmal zu erwähnen, der eine so glänzende Berichterstattung macht, im Land noch zu reisen und unabhängig Gespräche zu führen? Das ist alles völlig unsicher. Und die afghanischen Medien, auch die privaten – es gibt zahllose private Rundfunkanstalten – die werden alle unter erheblichen Druck kommen und dann auch gesteuert werden von den Taliban.
Jörg Wagner [00:17:52] Ich kann mich noch erinnern, es gab frohe Meldungen seinerzeit, dass sich Afghanen mit Satellitenschüsseln ausgestattet haben. Fürchten Sie, dass da möglicherweise Satellitenschüsseln abgebrochen werden? Und dass … ja der Zustand von 2001 wiederhergestellt wird?
Dr. Willi Steul [00:18:10] Also das wäre jetzt das Lesen im Kaffeesatz, zumal die Taliban … es gibt ja drei sozusagen politische Gruppierungen. Es gibt eine Quetta Shura. Es gibt eine in Peschawar. Dann gibt es die, die in Doha sitzen. Wir wissen nicht, wie die Kräfteverhältnisse zwischen diesen drei politischen Strömungen sind. Wir wissen nicht wirklich, welchen Zugriff, welche Kontrolle diese politischen Führungsgremien der Taliban auf die Kampf-Kommandeure im Land haben, ob sie denen überhaupt etwas verbieten können. Wir hören Meldungen aus den Provinzen, wo Frauen auch gejagt werden, wo Frauen nicht mehr aus dem Haus dürfen. Andererseits gibt es die Erklärungen, die von den führenden Taliban jetzt aus Kabul kommen, die ja moderat klingen. Ich gehe davon aus, die Ideologie der Taliban hat sich nicht wirklich geändert, aber die … die Verkaufe hat sich geändert. Und im Moment sind sie klug genug, haben Kreide gefressen, um der Öffentlichkeit, der Weltöffentlichkeit zu sagen: Es wird nicht so schlimm. Ich bin da skeptisch, aber ich wäre überglücklich, wenn man mich vom Gegenteil überzeugen würde.
Jörg Wagner [00:19:15] Dr. Willi Steul, vielen Dank für das Gespräch.