Daniel Bouhs [00:00:00] Kommen wir zu unserem Block in eigener Sache, was da heißt: Wie der rbb mit Kolleginnen und Kollegen umgeht, die in der heißen Phase des Wahlkampfes selbst politisch irgendwie in Erscheinung treten. Über die beiden Fälle hat das Portal „Übermedien“ berichtet mit der Schlagzeile „Wegen Wahlkampf-Engagements: Marion Brasch muss pausieren, Jörg Thadeusz nicht“.
Jörg Wagner [00:00:22] Marion Brasch hatte sich in einer Anzeige mit anderen Kulturschaffenden für den Linken-Politiker Klaus Lederer eingesetzt. Von Jörg Thadeusz ist wiederum in einem Magazin des Berliner Landesverbands der FDP ein Text über das „Frei sein“ erschienen. Man muss sagen: kein Wahlaufruf, aber eben doch im Wahlkampf in einem Parteiblatt erschienen, das auch als „Magazin vor der Wahl“ verteilt wird.
Daniel Bouhs [00:00:45] Also zwei unterschiedliche Fälle. Der rbb sagt aber auch: In beiden Fällen wurde eine Grenze überschritten. Marion Brasch muss dafür pausieren. Jörg Thadeusz soll aber weiterhin die geplante, noch vor der Wahl angesetzte Ausgabe seiner „Thadeusz und die Beobachter“ im rbb-Fernsehen moderieren und dort dann auch in eigener Sache Stellung nehmen. Für den rbb ist das eine Form von Transparenz, die man Marion Brasch in dem Fall bei uns bei radioeins nicht zubilligt.
Jörg Wagner [00:01:12] Im Netz, aber auch in der Presse und in Onlineveröffentlichungen wird das Thema heiß diskutiert, in dem einige eine Ungleichbehandlung sehen. Immer wieder fällt der Satz: Alle sind gleich, aber einige sind gleicher. „Tagesspiegel“-Medienjournalist Joachim Huber fordert in einem Kommentar „Bildschirmpause für Thadeusz“. Der hat sich wiederum gegenüber „Übermedien“ erklärt. Unter anderem: Er habe besagten Text Anfang Juli geschrieben und ihm sei nicht bewusst gewesen, dass der Text „problematisch nah am Wahltermin“ veröffentlicht werden würde.
Daniel Bouhs [00:01:43] Mit über die beiden Fälle entschieden in der Geschäftsleitung des rbb hat unser Chefredakteur David Biesinger, mit dem wir jetzt live verbunden sind. Herr Biesinger, die Aussage von Jörg Thadeusz, er habe den Text Anfang Juli geschrieben und nicht damit gerechnet, dass er problematisch nah am Wahltermin veröffentlicht werden würde, das ist gewissermaßen naiv, oder?
David Biesinger [00:02:03] Guten Abend, erst einmal Herr Bouhs und Herr Wagner! Er hat, glaube ich, sehr transparent einfach seine Haltung zu dem ganzen Verfahren offengelegt. Und er hatte ja auch gegenüber dem rbb eingeräumt, dass sein Vorgehen nicht in Ordnung war, dass es ein Verstoß gegen die Geschäftsordnung des rbb ist und damit würde ich ganz gerne nochmal anfangen, weil die Hörerinnen und Hörer sollten, glaube ich, schon wissen, was ist die Grundlage für die Bewertung.
Die Grundlage für die Bewertung ist, dass sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des rbb, die sich in Wahlkämpfen aktiv beteiligen, dann nicht on-air wiederfinden dürfen, nicht auftreten dürfen. Insofern haben wir eigentlich eine klare Regelung und wir haben auch in beiden Fällen, die Sie zitiert haben, festgestellt, dass es eine Grenzüberschreitung war. Und beide haben auch – Frau Brasch und Herr Thadeusz – das auch so gesehen und eingeräumt.
Sie haben es selber in Ihrer Antwort gesagt, in Ihrer Anmoderation gesagt: Es sind zwei unterschiedliche Fälle. Und zwar sind sie unterschiedlich in der Art und Weise des Vorfalls. Wobei, da sehe ich den Unterschied sehr, sehr gering an. Und jetzt ist die Frage, Ist es eine Ungleichbehandlung oder nicht? Ich schicke mal voraus: Ich kann nachvollziehen, dass man sich, wenn man sich mit der Materie nicht sehr, sehr detailliert beschäftigt, von einer Ungleichbehandlung sprechen kann. Ich glaube auch, dass wir in einer Situation sind, wo man sich entscheiden muss, sind wir in einer Schraubenfabrik und entscheiden eins zu eins in jedem einzelnen Fall oder gucken wir uns jeden einzelnen Fall sehr detailliert an? Und ich glaube, im Journalismus sind wir gut beraten, wenn wir uns jeden einzelnen Fall sehr detailliert angucken.
Und es gibt für mich einen wesentlichen Unterschied und deswegen geht es mir nicht um Ungleichbehandlung. Ich sehe auch keine Ungleichbehandlung, weil mir auch beide Kolleginnen und Kollegen in ihrer Art und Weise, in ihrer Kompetenz und mit ihren Sendungen gleich wichtig sind. Wo sehe ich den Unterschied? Frau Brasch hätte vor der [Wahl] noch eine ganze Woche ihre Sendung bei radioeins moderiert, jeden Tag einmal. Bei Jörg Thadeusz reden wir von einer einzelnen Sendung. Und in dieser einzelnen Sendung sind ausschließlich andere Journalistinnen und Journalisten zu Gast. Dieses Format „Thadeusz und die Beobachter“ steht wie kein anderes für kontroversen Austausch, für Meinungsvielfalt, für unterschiedliche Blickwinkel. Und da geht es wie an keiner anderen Stelle wunderbar, diesen Vorfall transparent zu machen, darüber zu diskutieren. Jörg Thadeusz wird da auch nochmal dazu Stellung nehmen und wird sich sicherlich auch den Fragen seiner Kolleginnen und Kollegen stellen müssen. Also wir können an dieser Stelle mit Jörg Thadeusz in dieser Einsendung eine ganz andere Form von Transparenz herstellen, wie wir es in fünf aufeinander folgenden Sendungen machen können. Aber…
Daniel Bouhs [00:04:45] …aber wir merken es – wenn ich Sie kurz unterbrechen darf – wir merken es ja schon gerade, dass es doch einige Zeit in Anspruch nimmt, um diese Besonderheiten jetzt herauszustellen. Nach außen hin wirkt es doch schon so, als würde es gegenüber Jörg Thadeusz eine besondere Milde geben, oder?
David Biesinger [00:05:01] Ich sehe da keine besondere Milde dran.
Daniel Bouhs [00:05:03] Na ja, er darf moderieren.
David Biesinger [00:05:04] Auch wir uns mit ihm auseinandergesetzt haben in den letzten Tagen: keine besondere Milde. Sondern den Unterschied habe ich jetzt nochmal klar benannt. Das war auch relativ schnell benannt. Ich hab nur die ganze Geschichte davor nochmal erzählt. Der Unterschied ist, dass es eine einzelne Sendung ist, die ausschließlich mit anderen Journalistinnen und Journalisten besetzt ist und wir dort genau diesen Vorfall ja zum Thema machen werden. Und ich glaube, es ist auch gut, in der Berichterstattung jetzt vor der Wahl genau unser Handeln einfach an der Stelle zu thematisieren.
Jörg Wagner [00:05:37] Nun ist das ja bei Jörg Thadeusz leider ein Wiederholungsfall. Hören wir mal vier Jahre zurück:
O-Ton: [00:05:41] Ich darf mich Ihnen vorstellen. Mein Name ist Jörg Thadeusz. Ich arbeite hauptsächlich für den Rundfunk Berlin-Brandenburg und fahre im Moment mit den Spitzenpolitikern der kandidierenden Partei im Auto. „Fahrbereitschaft“, gucken Sie sich das bitte an. Das war ein kleine Programmhinweis, Frau Bundeskanzlerin. – Was machen Sie? Ich habe Sie nicht ganz verstanden. Sie fahren…? – Ich fahre Auto mit Leuten wie Christian Lindner. Ich… „Fahrbereitschaft“ heißt das Ganze. Statt den Service des Bundestages in Anspruch zu nehmen, machen wir das im Fernsehen. – Ach so. – Wir dürfen aber mit Ihnen nicht fahren, weil sie nur mit den … – Aber man muss kein Lied singen oder so während man fährt? – Hätten Sie das gerne, hätten Sie das gerne gemacht? – Nee, nee, nee.
Jörg Wagner [00:06:16] Der rbb sah damals den Paragraphen 28 eindeutig verletzt, der auch außerhalb von Wahlkämpfen gilt.
Daniel Bouhs [00:06:22] Ich zitiere mal kurz: „Bei öffentlichen Auftritten der Aktionen für eine politische Partei oder sonstige Gruppierung darf weder direkt noch indirekt auf die Zugehörigkeit zum rbb hingewiesen oder ein entsprechender Hinweis veranlasst oder zugelassen werden.“
Jörg Wagner [00:06:36] Dieser Auftritt wurde missbilligt. Auch damals keine Bildschirmpause. Jetzt eine neue Verletzung des Paragrafen 28, etwas anders gelagert.
Daniel Bouhs [00:06:44] Ja, und zuletzt gab es ja auch Kritik an der journalistischen Gesprächsführung von Thadeusz. Nach einem Gespräch mit der Forscherin Maja Göpel erklärte der Programmausschuss des Rundfunkrates, dass die Sendung der Relevanz des Themas, in dem Fall Klimawandel, leider nicht gerecht geworden sei. Die Diskussion sei suboptimal verlaufen. Wenn man das alles zusammennimmt, eine etwas provokante Frage an den Chefredakteur: Ist Jörg Thadeusz im Programm so was wie too big to fail?
David Biesinger [00:07:10] Na ja, jetzt vermischen sich aber viele Dinge auf einmal. Also die eine von Ihnen gerade zitierte Sendung ist völlig für mich eine andere Geschichte als die Sache aus 2017. Dass jemand stärkere und schwächere Sendungen hat, ist für mich eine andere Frage als den Fall, den wir jetzt haben mit der Kolumne für die FDP-Wahlkampfzeitung und den Fall aus 2017. Und das sage ich auch ganz offen: Das ist das, was mich auch am meisten ärgert, dass es sich wiederholt hat. Aber das kläre ich dann doch gerne mit ihm direkt und nicht übers Radio.
Jörg Wagner [00:07:39] Ja. Aber Jörg Thadeusz warf im Prinzip ja auch jetzt kürzlich – vielleicht erinnern Sie sich – bei einer Veranstaltung des Grimme-Instituts am 27. Mai 2021 dem rbb indirekt vor, dass das politische Spektrum im rbb eine Schlagseite habe:
O-Ton: [00:07:55] Ich glaube nicht, dass wir zur Neutralität verpflichtet sind, aber das würde uns bei der ARD auch niemand vorwerfen, sondern es wäre, wenn ich jetzt beim rbb jemanden kennen würde, der mit der CDU sympathisiert, könnte ich wahrscheinlich den Namen nennen. Weil es gibt’s nicht. Es ist einfach … Wir sind – und deswegen verlieren wir auch an Vertrauen – wir haben einen bestimmten Blick auf die Wirklichkeit. Der ist geprägt durch eine bestimmte urbane Elite, die der Meinung ist, sie dürfte die ganze Zeit andere Leute schulmeistern. Und deswegen wird es mir in der Sendung oder in den Sendungen, die ich mache, nicht langweilig, weil ich versuche, mich auch – ich bin ja selbst borniert – mich selbst herauszufordern und bin dann froh, wenn das gelingt.
Jörg Wagner [00:08:34] Vielleicht ist ja das Problem, Herr Biesinger, dass sich Jörg Thadeusz als einsamer Gegenpol zur politischen Einseitigkeit des rbb fühlt?
David Biesinger [00:08:42] Das weiß ich nicht. Das müssten Sie ihn fragen und nicht mich. Ich kann nur sagen, dass diese Aussage, die er beim Grimme-Institut gemacht hat, ich überhaupt nicht nachvollziehen kann. Ich nehme eine große Bandbreite an Haltungen und Meinungen in unserem Haus wahr. Ich glaube, dass die Berichterstattung jetzt vor der Wahl genau das auch zeigt. Wir stehen für Unabhängigkeit, für Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit. Und letztlich ist der Punkt, mit dem wir jetzt von außen kritisiert werden, nämlich ist das eine Ungleichbehandlung oder nicht, diesen Punkt kann ich ein Stück weit nachvollziehen, weil die Sachen sehr, sehr nahe beieinander liegen. Es gibt für mich einen Unterschied, weil Jörg Thadeusz eben nur diese eine Sendung machen wird, die in besonderer Weise für eben kontroverse Meinungsvielfalt steht. Daran jetzt alles andere aufzuhängen, fände ich auch im Umgang mit dem Kollegen ehrlich gesagt nicht sonderlich redlich.
Daniel Bouhs [00:09:30] Kann er sich dann noch sowas wie einen Ausrutscher leisten?
David Biesinger [00:09:34] Na, zweimal reicht eigentlich, oder?
Daniel Bouhs [00:09:36] … sagt David Biesinger, unser Chefredakteur. Wir werden sicher auch nach der Wahl nochmal gemeinsam analysieren, wie Wahlkampf-Berichterstattung gelaufen ist und was man zum Beispiel auch für jüngeres Publikum gemacht hat. Erst einmal vielen Dank für den Moment und für Ihre Zeit, auch am Samstag.
David Biesinger [00:09:50] Sehr gerne.