Claudia Fischer [00:00:00] Ich bin Claudia Fischer. Ich komme aus Bielefeld, ich bin freie Journalistin, habe 20 Jahre für Radio und Fernsehen gearbeitet, bin jetzt seit acht Jahren raus aus dem Metier, bin jetzt eher schreibend unterwegs für Online-Medien und ich habe Medienpädagogik studiert. Das heißt, ich habe immer zu der journalistischen Arbeit auch schon geschult und Vorträge gegeben. Und das jetzt seit 15, 16 Jahren vermehrt in diesem Bereich „Journalismus und Trauma“. Und in dem Zuge war ich jetzt auch hier.
Daniel Bouhs [00:00:25] Du hast schon gesagt, Dein Thema hier ist Trauma, Traumatisierung. Und wie gehen Journalistinnen und Journalisten damit um? In Nordrhein-Westfalen ein sehr einschneidendes Ereignis in dieser Hinsicht war die Katastrophe Loveparade. Vielleicht an diesem Ballspiele einmal konkret In welcher Situation sind die Kolleginnen und Kollegen da? Und wie ist der WDR in dem Fall damit umgegangen?
Claudia Fischer [00:00:48] Die Loveparade war insofern ein einschneidender Sonderfall in der Medienberichterstattung in Deutschland, weil das eine Situation war, wo die Medien ja massiv vor Ort waren, während etwas passierte. Das heißt, wenn wir irgendwo an irgendeiner Realschule eine Schießerei haben oder wenn eine Flutkatastrophe ist, dann sind nicht gerade die Ü-Wagen da zufällig. Das war bei der Loveparade aber so. Es gab ein abgegrenztes Gebiet. Es war eine Riesenparty. 1Live, die Jugendwelle vom WDR, hatte da viele Ü-Wagen vor Ort, viele Reporterinnen vor Ort, die alle zum Feiern da hingekommen waren. Die aufgetakelt waren. Die bunte Brillen auf hatten, die Haare schön gestylt hatten, in schicken T-Shirts, weil sie halt repräsentieren mussten für die 1Liver damals vom Radio, ganz besonders, weil sie auch gefilmt wurden. Der WDR hat das Ganze auch übertragen. Es war ja nun eine Riesenparty im Sendegebiet. Und dann plötzlich passiert so eine Katastrophe, eine Massenpanik. Menschen sterben. Es dauert, bis die Reporterinnen und Reporter vor Ort das überhaupt kapieren, was da passiert ist. Und die wissen dann ja auch nix. Sondern die stehen auf ihrem Ü-Wagen und die Polizei hat irgendwann gesagt: Wir müssen jetzt die Musik stoppen. Wir müssen jetzt Durchsagen machen. Und die Redaktionen zuhause wussten viel mehr über Pressemitteilungen, über Pressekonferenzen oder sonst was als die, die in diesem Gebiet eingeschlossen waren. Und trotzdem war es natürlich so, dass sie einfach vor Ort waren. Das heißt, die gesamte ARD hat gesagt: Super! Wir haben einen Ü-Wagen, wir schalten da jetzt mal hin. Was können eure Reporter denn liefern? Und die konnten eigentlich gar nichts liefern, außer eben die Situation zu beschreiben und das, was sie aus der Redaktion erzählt bekommen hatten über die Anzahl von Verletzten und Toten und so, kamen aber ansonsten ja nicht weg und hatten das große Dilemma, dass sie auch noch in diesen Party-Klamotten da standen, also in bunt, in gestylt, mit guter Laune und so. Und das war für viele eine ganz besonders große Belastung, dass sie das Gefühl hatten, völlig unangemessen angezogen zu sein und plötzlich eine Fernsehkamera da zu haben, die sie filmt. Und das macht was mit der Psyche, mit dem Stresslevel, mit dem Unwohlsein-Gefühl. Also ich muss ja über etwas reden, was ich nicht weiß und dann auch noch völlig unangemessen gekleidet, komplett unvorbereitet. Ich bin eine Party-Reporterin. Wieso muss ich jetzt über Tod und Verderben reden? Und diese Überforderung hat viele wirklich nachhaltig auch beeindruckt und geschädigt. Und da hat der WDR dann auch sehr schnell das wirklich auch erkannt und denen eine psychologische Betreuung zur Verfügung gestellt.
Jörg Wagner [00:03:04] Die sieht wie aus? Was passiert dann in der Nachversorgung?
Claudia Fischer [00:03:06] Da kommen dann … in diesem Fall war das eine Therapeutin, die speziell mit Medienleuten arbeitet. Die kam und hat einfach Gespräche geführt, hat sich angehört, was die Leute erlebt haben, hat mit denen daran gearbeitet, hat Selbstschutztechniken mit denen eingeübt. Ich war nicht dabei. Ich weiß das nur von außen. Und ich weiß, wie diese Therapeutin arbeitet. Das heißt, die hat einfach erst mal auch zugehört und hat Ventile geboten und hat ihnen Anleitungen mit nach Hause gegeben, mit Schuldgefühlen klarzukommen, mit, ja … mit ihren Reaktionen klarzukommen, mit Schlaflosigkeit und was sich dann da so auch alles entwickeln kann und hat damit die Leute ein ganzes Stück weit begleitet, solange, bis es ihnen wieder besser ging und sie wieder normal arbeiten konnten.
Daniel Bouhs [00:03:47] Aktuell ist natürlich das Hochwasser, viele sagen auch die Flut in der Eifel vor allen Dingen, Rheinland-Pfalz, NRW waren stark betroffen. Dort sind ja Journalistinnen und Journalisten vor allen Dingen dann hingeschickt worden und haben … sind auf Leute gestoßen, die die Betroffenen sind, die also auch eine Traumatisierung erfahren haben sicherlich viele von denen. Was ist da die Herausforderung, wenn man das wirklich, ich sage mal, ethisch sauber machen möchte?
Claudia Fischer [00:04:18] Ja, man ist halt einfach auch da wieder nicht vorbereitet mit dem, was einem entgegenkommt. Man hat ein Bild, ja, man fährt da hin und denkt: Okay, die Leute haben jetzt irgendwie ganz viel verloren. Und denen geht jetzt das Haus verloren und die müssen jetzt irgendwie ihre Sachen wieder zusammen räumen. Und die müssen ganz hart körperlich arbeiten und macht sich vielleicht nicht klar, dass diese Leute vorher auch in einer Todesangstsituation waren oder dass diese Leute vielleicht in einer einer Phase der Verarbeitung waren. Man nennt das Leugnen, das ist so eine Phase, wenn man ein schweres Ereignis verarbeiten muss, indem man der Außenwelt immer sagt: Nö, ist ja alles kein Problem. Ja, war jetzt schlimm mit dem Haus, aber wir kriegen das wieder hin. Und das ist aber eine Phase und die geht auch wieder vorbei. Das heißt, man kommt in eine Situation, die man nicht einschätzen kann und wo man nicht weiß, wie viel kann ich denn eigentlich geben auf das, was mir entgegenschlägt? Als der Mensch, der heute wütend ist, schämt sich vielleicht morgen dafür, wütend zu sein, weil das nur eine Phase war. Und wenn ich vor 10 Minuten hier gewesen wäre, wäre der vielleicht noch in der Leugnen-Phase gewesen. Und das macht Interviews schwierig. Das macht Faktenvermittlung schwierig. Diese Leute sind einfach keine guten Zeugen für das, was geschehen ist, sondern es sind immer nur Momentaufnahmen, die dann aber von den Medien aufgegriffen werden und gesendet werden. Alle da draußen denken: Ah, so geht es den Leuten da gerade. Aber vielleicht geht es da in einer Stunde schon ganz anders. Und das ist ein großes Dilemma, wo man viel wissen muss über diese Verarbeitungsphasen, um das gut und verantwortlich zu machen.
Jörg Wagner [00:05:37] Aber die Alternative kann ja nicht heißen, die fünf Phasen abzuwarten, wo die Analyse bei den Betroffenen einsetzt, sondern das Bedürfnis ist ja da, über dieses Ereignis zu berichten. Was empfiehlst Du denn in diesem Fall da?
Claudia Fischer [00:05:49] Einfach wachsam dafür zu sein, dass ich in der Berichterstattung Gefühle nicht als Fakten verkaufe, sondern dass ich erst einmal ergebnisoffen auf diese Menschen zugehe. Erst einmal gucken, wirklich, was ist da wirklich? Und mir dann gut überlegen, was kann diese Person an Erkenntnisinteresse mit auf den Sender bringen? Also geht es jetzt hier darum, nur eine Betroffenheit zu zeigen? Dann ist eigentlich jede Reaktion völlig in Ordnung. Aber wenn diese Person dann total wütend ist und sagt und die Politiker haben hier ganz viel versäumt und das melde ich zurück in die Redaktion und die packen das in die Nachrichten, dann haben wir ein Faktum verkündet, was erstmal überhaupt keine Grundlage hat. Oder wenn jemand sagt: In meinem Nachbarhaus, die sind alle tot. Das muss ja gar nicht stimmen. Sind vielleicht einfach nur nicht da. Und es hat sich ein Gerücht verbreitet im Ort, das heißt besonders sorgfältig in solchen Situationen darauf zu achten, dass ich mir die Fakten immer nochmal bestätigen lasse und wirklich nachfrage bei Versicherungen, bei der Polizei, bei dem Ortsvorsteher. Wieviel Verletzte hat es denn wirklich gegeben? Und das sehr kritisch beobachte und nicht Emotionen als Fakten und für wahr nehme, sondern es verschiebt sich einfach auch eine Wahrnehmung in einer Stresssituation in so einer der traumatisierenden Situation.
Daniel Bouhs [00:06:54] Die Frage ist ja letztlich, wenn man in eine Situation reinkommt, in der Menschen zum Teil auch verstört sind und teilweise alles verloren haben, was sie im wahrsten Sinne des Wortes hatten. Wie geht man dann damit journalistisch um? Wie führt man ein Interview in einer solchen Situation möglichst richtig?
Claudia Fischer [00:07:13] Also es gibt Forschungsergebnisse dazu, was Fragen anrichten können. Und wenn wir in einer akuten Situation sind, wo Menschen etwas gerade erst kurz überstanden haben, dann ist die beste Frage, ist bisher das Forschungsergebnis: What happened to you? Was ist dir passiert? Das ist die offene Frage, die keinerlei Dinge vorgibt, sondern wo die Person das erzählen kann, was für sie im Moment am präsentesten ist. Das ist die gesündeste Form. Ich habe ein Interview gesehen nach den Bombenanschlägen in London im Fernsehen. Das war furchtbar, weil dieser Mann saß vor dieser Fernsehkamera und die Reporterin hat immer wieder gefragt: Wie war das denn da unten im Tunnel, als es gebrannt hat? Und dann sah man richtig, wie er seine Augen zumachte, in sich ging, nach unten guckte und gesagt: Das war alles voll Feuer und voll Rauch. Und ich habe keine Luft mehr gekriegt und so weiter. Und dann wieder aufwacht, die Augen wieder aufmacht, sie wieder anguckt, seine Umgebung wieder wahrnimmt und etwas anderes weiter erzählt und die sagt dann wieder: Aber als Sie in dem Tunnel waren … und er macht wieder dicht. Also sie hat ihn immer wieder in diese traumatisierende Situation geschickt, was eine schwere Verletzung ist, die sie da begangen hat. Natürlich wollen wir alle wissen, was in diesem Tunnel war, aber wir dürfen die Leute damit nicht immer wieder malträtieren und damit überfordern. Und das bringt auch den Zuschauern nichts. Da hat auch da draußen keiner was von. Im Gegenteil, damit traumatisieren wir unser Publikum unter Umständen auch noch. Und wir erwecken Mitleid mit diesem Mann, der sich dann später gegen die Journalistin richtet. Wie könnt ihr so was tun? Wie könnt ihr diese Frage immer wieder stellen? Das heißt, das, was wir tun müssen, tun sollten als Journalisten ist eigentlich die positiven Fragen zu stellen. Wie hast du es überstanden? Was hat dir geholfen, als du da unten im Tunnel warst? Wie bist du rausgekommen? Den Blick auf das, auf das Geschaffte, auf das Erreichte, auf das Positive lenken. Das ist eigentlich die Aufgabe. Und die Geschichte ist genauso spannend. Ich muss nicht nur auf das Leid gucken, sondern ich kann eben auch drauf gucken. Das Zweite ist, dass in traumatisierenden Situationen die Menschen meistens eine … eine Erfahrung von Kontrollverlust machen. Egal ob das jetzt eine Flutkatastrophe, eine Vergewaltigung, ein Überfall, ein Verkehrsunfall ist. Ich habe die Kontrolle verloren über alles. Das heißt, wenn ich mit ihnen in Ruhe darüber reden will, muss ich ihnen möglichst viel Kontrolle zurückgeben. Das heißt, die bestimmen, wo das Interview stattfindet, wann das Interview stattfindet, wo sie sitzen möchten im Raum und nicht ich für mein bestes Bild. Und wenn ich meinetwegen mit einem Vergewaltigungsopfer rede, dann gehe ich nicht mit der Person dahin, wo die Vergewaltigung war. Das ist toll fürs Fernsehen. Guck mal hier in diesem Tunnel. Für die Person ist das eine Konfrontationstherapie, da machen Leute lange Auswirkungen …
Daniel Bouhs [00:09:40] Aber es gab jetzt diverse Filme, Missbrauchsaufarbeitung in der katholischen Kirche. Da hat man Menschen Jahrzehnte, nachdem ihnen dieses Leid … und das waren ja vor allen Dingen auch Vergewaltigungen und ich sage mal Formen, die dann auch sehr nahe kommen, wieder in diese Situation, in dieselben Räume, sozusagen die Hinterzimmer einzelner Kirchen oder Gemeindehäuser … naja, geschickt ist relativ. Es hieß immer wieder auch im Sprechertext: Die Leute wollten da auch wieder hin. Ist das richtig, die Leute, ich sag mal, dazu zu verleiten, in den man sich fragt und sie fragt: Können Sie sich vorstellen für uns, um der Öffentlichkeit so das plastisch sozusagen fast zu machen, da nochmal hinzugehen? Ist das richtig, sowas zu tun?
Claudia Fischer [00:10:25] Ich würde es sehr sensibel machen und sehr vorsichtig. Und auch erst, wenn ich einen guten Kontakt im Vorfeld schon habe, dann kann man das durchaus fragen. Ich hab’s eher andersherum erlebt, nämlich dass mich Leute anrufen und sagen: Ich möchte da nochmal hin und ohne dich komme ich da nicht rein. Das ist ein Kinderheim, die lassen mich nicht nochmal da rein. Aber mit einer Kamera dürften wir vielleicht. Kannst du das ermöglichen? Und ich denke, das ist ein gutes Gefühl oder ein Austarieren davon, tue ich denen damit einen Gefallen? Brauchen die das für ihren eigenen Heilungsprozess? Was eigentlich gar nicht meine Aufgabe ist. Aber können wir hier einen guten Deal miteinander machen? Dass ich dich begleiten kann? Und ich würde zum Beispiel auch immer sagen: Wir begleiten dich zwar, aber du hast hinterher das Recht zu sagen, dass wir es nicht senden, sondern wir filmen das erstmal. Aber wenn du hinterher sagst, du möchtest das nicht, ist das in Ordnung. Genauso wie es z. B. mit Tränen ist. Also wenn Leute anfangen zu weinen. Die einen wollen, dass die Kamera ausgemacht wird, andere sagen ich will das Leute sehen, wie ich leide, weil ich will, dass die Täter sich das angucken und wissen, was sie mir angetan haben. Und das ist der Punkt. Regie zurückgeben an die Betroffenen. Das passiert inzwischen schon oft. Wichtig ist, dass wir es transparent machen. Wenn wir es nicht dazu sagen, dann hat das Publikum das Gefühl, wie können die sowas tun, mit denen da wieder hingehen? Sondern das Publikum muss auch wissen, wer hat das jetzt hier eigentlich initiiert?
Jörg Wagner [00:11:39] Regie auch während des Gesprächs. Ich kann mich erinnern, Natascha Kampusch im Österreichischen Fernsehen mitten im Interview: Natascha, wollen Sie darüber sprechen? Also, sich nochmal rückversichern, natürlich auch fürs Publikum, dass hier nicht ein Staatsanwalt sitzt, sondern dass es ein freiwilliges Gespräch, ist aber auch für die Betroffene dann selber. Also dass man immer wieder die Bereitschaft abfordert: Übernehmen Sie Regie. Sie können alles erzählen, aber nur, wenn Sie es wollen.
Claudia Fischer [00:12:01] Es ist eine sehr gute Beobachtung, dieses erste Interview mit Natascha Kampusch. Als sie nach dieser Befreiung, wo sie mit diesem Kopftuch vor der Kamera sitzt. Fast jede Frage wird vom Reporter eingeleitet mit: Ist es in Ordnung, wenn ich Sie frage, dass …. Und dann sagt sie auch jedes Mal: Ja und fängt dann erst anzusprechen. Das ist genau eine der Techniken. Also immer wieder einen kleinen Vertrag machen, dass es in Ordnung ist und vorher mit ihr klären, dass sie auch Nein sagen darf und sagen darf: Nee, das ist jetzt nicht okay.
Jörg Wagner [00:12:27] Das Oberthema Trauma ist ja ein grober Begriff. Ab wann kann man wirklich vom Trauma sprechen?
Claudia Fischer [00:12:33] Also Trauma an sich heißt einfach erstmal nur Verletzung. Und eine Verletzung kann einfach verheilen und dann habe ich sie nach ein paar Wochen überstanden. Oder sie kann mich nachhaltig beeinträchtigen. Das ist dann eine Traumatisierung. Und auf die Traumatisierung kann man sehr unterschiedlich reagieren. Da gibt’s Diagnosekriterien, die kann ich jetzt hier nicht so alle aufzählen. Die werden aber von Ärzten auch mit bestimmten Diagnoseinstrumenten erfasst. Wir reden eigentlich viel zu früh von Traumata, wenn wir Menschen haben, die was Schlimmes erlebt haben. Eigentlich ist ein Trauma nichts anderes als Stress in einer sehr extremen Form. Und der Level dieses Stresses und die Reaktion dieses Stresses, das ist eben die Frage: Bilde ich ein Trauma aus, bilde ich eine Traumatisierung aus oder tue ich das nicht? Und dann gibt es unterschiedliche Anlässe auch. Das heißt, es gibt ganz kurzfristige Traumata wie ein Blitzeinschlag oder eine Vergewaltigung, die einmalig ist. Und es gibt langfristige Dinge, die passieren. Also sowas wie langjähriger Kindesmissbrauch oder Folter oder Krieg, die mich lang nachhaltig schädigen. Und das sind alles medizinische Unterschiede. Das heißt aber nicht, dass jeder, der was Schlimmes erlebt hat, sofort ein Trauma haben muss, sondern es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, damit umzugehen. Und das hängt sehr von den persönlichen Kriterien ab. Also wie lang ist dieses Trauma, diese traumatisierende Situation für mich gewesen? Was bringe ich schon mit an möglichen Faktoren, die es für mich besser machen? Also habe ich eine stabile Psyche? Bin ich schon vorbelastet durch andere Ereignisse oder so? Und das kann ich dann entsprechend … also da muss ich wirklich dann entsprechend individuell gucken, was hat diese Person jetzt noch mitgenommen? Und vielleicht ist es gar nicht schlimm, dass sie ein bestimmtes Ereignis nie vergessen wird. Das steht oft in den Überschriften in der Zeitung. Person X wird dieses Erlebnis nie vergessen. Ja und? Ich vergesse einen Autounfall auch nicht. Das heißt aber nicht, dass ich darunter leide, dass ich das nicht gemacht habe. Und wir schreiben da häufig, weil wir das Ereignis so schlimm finden als Medien fest, dass diese Leute ein Leben lang darunter leiden werden. Das muss aber gar nicht so sein. Die können da vielleicht auch ganz gut mit umgehen. Nach ein paar Jahren
Daniel Bouhs [00:14:26] Du hast ja hier z. B. den Kolleginnen und Kollegen auch geraten, dass man ein Thema, ich sage es mal, auf Wiedervorlage legt. Und wenn das Ereignis vorbei ist, wenn es eine Form der Bewältigung auch gegeben hat, wieder zu kommen, da sind wir auch wieder bei dem Stichwort Verantwortung. Warum ist das so wichtig vielleicht auch fürs Publikum, an den letztlich Gesprächspartnern, an den Betroffenen, am Ende auch dranzubleiben?
Claudia Fischer [00:14:51] Das ist für meine eigene Psyche wichtig, weil ich wissen will, wie es der Person später weiter geht. Und das ist auch fürs Publikum wichtig. Also wir kriegen in den Redaktionen nach solchen Ereignissen, wenn wir einzelne Menschen porträtiert haben oft Briefe, die dann nach drei Monaten oder so sagen: Was ist denn jetzt geworden aus dieser Mutter, mit diesem Kind? Haben die denn jetzt inzwischen ein neues Zuhause oder auch bei Gerichtsberichterstattung z. B. wenn es um Verbrechen gegangen ist, wie geht es den Leuten denn heute? Und das ist ganz wichtig, um zu zeigen: Das sind Prozesse. Das wird auch wieder besser. Eine Kollegin heute im Seminar hat gesagt, so in diesem Flutgebiet zu sein und noch vier Wochen zu sehen, die Leute haben plötzlich wieder einen Fußboden, eine Haustür, Fenster im Haus ist etwas, was meinen eigenen Heilungsprozess auch nach vorne bringt, weil ich sonst immer das Bild dieser schrecklichen, kaputten Häuser im Kopf behalte. Aber zu sehen, dass das auch wieder heilt, ist eine ganz wichtige journalistische Aufgabe für die gesamte Community, also für uns als Journalisten, für die Leute vor Ort, aber eben auch für die Zuhörerinnen und Zuschauer, die wir bedienen, im Medium zu zeigen.: Das ist alles nicht für ewig, sondern da gibt es immer Entwicklungen und die werden auch wieder gut.
Jörg Wagner [00:15:56] Inwieweit ist das wichtig für das Berufsbild Journalistin und Journalist im Umfeld einer Berichterstattung in Krisensituationen? Man hat ja den Eindruck, wenn man jetzt so oberflächlich drauf sieht, dass Journalisten eher stören und auch als störend empfunden werden. Hilft sowas mit dieser Nachhaltigkeit oder ist das ein Tropfen auf den heißen Stein, dieses Bild zu verändern? Vielleicht auch für Rettungskräfte zu sehen: Da sind ja Partner.
Claudia Fischer [00:16:23] Das hängt sehr vom Verhalten ab vor Ort. Es gibt natürlich viele Medien, die sich da echt einfach unmöglich verhalten. Fotografen, die über kaputte Autos klettern bei einem Verkehrsunfall, um das beste Foto zu kriegen oder so. Da passiert viel Mist. Und da müssen die, die sensibel mit solchen Themen umgehen wollen, leider mitleben, das andere verbrannte Erde hinterlassen. Auf der anderen Seite müssen wir als diejenigen, die es besser machen wollen, uns halt genau überlegen: Warum tun wir das und was bringt das? Was bringt das den Leuten, die hier sind? Was bringt es anderen? Und wenn wir nicht berichtet hätten über die Flutkatastrophe und darüber, was da alles wieder neu aufgebaut werden muss, dann hätte sich niemand aus Schleswig-Holstein oder Hamburg auf den Weg ins Ahrtal gemacht, um einfach zu sagen: Hey, ich habe Gummistiefel und ich helfe jetzt. Also wir organisieren ja eigentlich auch die Hilfe. Wir kanalisieren. Und das ist eine ganz wichtige Aufgabe, die Medien da auch haben, auf solche Missstände aufmerksam zu machen. Ich habe es am Beispiel Afghanistan erklärt. Wenn wir die Bilder dieser Menschen auf diesem Flughafen nicht gesehen hätten, wie wäre dann dieser Truppenabzug verlaufen?
Jörg Wagner [00:17:19] Aber was empfiehlst du, wenn man sich dann plötzlich in so einer Situation als Voyeurist sieht und sagt: Nee, ich kann ja nicht. Ich muss jetzt hier tatsächlich den Spaten selbst in die Hand nehmen. Das ist ja nicht eigentlich die Aufgabe. Was kann man da machen?
Claudia Fischer [00:17:31] Das große journalistische Dilemma: Soll ich helfen oder soll ich interviewen? Ich denke, wichtig ist, wenn ich mir meiner eigenen Aufgabe klar bin: Ich bin jetzt hier, um zu berichten, damit Spendengelder fließen oder damit diese Menschen Hilfe bekommen. Damit aufmerksam gemacht wird auf dieses Leiden, dann weiß ich, das ist meine Rolle und nichts anderes. Es hilft jetzt niemanden, wenn ich hier jemanden verbinde. Ist auch nicht meine … also kann ich auch nicht. Ich bin keine Ersthelferin. Man kann aber auch überlegen, wenn man die Möglichkeit hat, jemandem zu helfen, das zur Geschichte zu machen. Also ich kann ja zum Beispiel auch jemand, der irgendwo sitzt und ein Schock hat, nach einem Ereignis auch nehmen und zu den Sanitätern bringen und dessen Geschichte erzählen. Saß am Rand, am Straßenrand, musste zu den Sanitätern, wurde da so und so und so versorgt. Also ich habe ganz viel Möglichkeiten in meiner Berichterstattung auch am Anfang schon die guten Geschichten und die Heilungsgeschichten und die Rettungsgeschichten zu erzählen, anstatt nur: Hier ist alles kaputt!, zu sagen.
Daniel Bouhs [00:18:24] Über den richtigen Umgang mit auch traumatischen traumatisierenden Erlebnissen im Journalismus haben wir gesprochen mit Claudia Fischer, lange Reporterin für den WDR, inzwischen Expertin für dieses Feld. Vielen Dank!