Clemens Bratzler [00:00:00] Mein Name ist Clemens Bratzler, ich bin seit zwei Jahren Programmdirektor beim SWR, dort zuständig für Information, Fiktion, Dokumentation, Sport, Service und Unterhaltung. Vertrete den SWR in der ARD-Video-Programm-Konferenz und bin deswegen auch an der ARD-Strategie und am ARD-Programm beteiligt und für die SWR-Zulieferungen verantwortlich.
Jörg Wagner [00:00:21] Was war so Ihr letztes Highlight, was Sie eigenhändig auf’s Kiel geschoben haben?
Clemens Bratzler [00:00:25] Also ein besonderes Highlight war „Ich bin Sophie Scholl“. Das Projekt läuft ja noch, weil ich mit diesem Erfolg dieses Instagram-Projekts nicht gerechnet habe. Wir waren total angefixt, dass das eine gute Sache wird und dass das ein spannendes Experiment ist, hatten vorher getippt, wie viele Leute wir damit erreichen. Und ich habe gesagt, wenn wir 200.000 Follower:innen haben, wäre es super. Wir sind bei über 800.000, hatten streckenweise über 900.000 und die Resonanz ist gigantisch. Das war und ist ein tolles Projekt.
Daniel Bouhs [00:00:57] Wir reden in diesem Gespräch ja über den nonfiktionalen Bereich und das ist ja für alle Sender so eine Art Zerreißprobe, weil sie ja einerseits das klassische Geschäft weiterführen wollen, weil das auch noch nach wie vor bei den älteren Zuschauerinnen und Zuschauern ja ein Magnet ist. Und gleichzeitig wollen Sie auf die diversen Plattformen gehen. „Sophie Scholl“ haben Sie erwähnt, ein Instagram-Projekt, das auch aufwendig produziert wurde, nicht einfach nur mit einem Smartphone und einer Person. Da stand ja ein ganzes Team dahinter, wie man das von Filmsets her auch kennt. Wie meistern Sie denn diese Zerreißprobe, die ja dann auch heißt: Man muss einzelne Dinge auch beispielsweise bei Dokus vielleicht lassen, damit man die Mittel hat, auch Neues auszuprobieren.
Clemens Bratzler [00:01:40] Das ist ein echtes Umdenken für uns und ist eine Herausforderung. Das eine ist, dass unsere Mittel begrenzt sind und wir mehr Plattformen bedienen müssen. Und es funktioniert eben nicht so, dass ein und derselbe Inhalt auf allen Plattformen gleich gut läuft. Das kann in Einzelfällen funktionieren, ist aber nicht die Regel. Das heißt, wir müssen plattformspezifisch arbeiten und dann auch an der einen Stelle weniger machen, wenn wir an der anderen mehr machen. Und das wird ja dann häufig auch kritisiert. Also insofern ist das echt eine Herausforderung für uns. Wir merken auch, dass bestimmte Formate wie zum Beispiel Magazine im Informationsbereich, in der nonlinearen Welt in der Regel nicht funktionieren. Man kann einzelne Beiträge distribuieren auf Social Media oder YouTube, aber in der Mediathek werden solche Magazine nicht nachgefragt oder auch Talkshows, auch viele Unterhaltungssendungen sind eher klassisch linear und …
Daniel Bouhs [00:02:36] … die Sie aber gleichwohl ja weiter im Programm haben …
Clemens Bratzler [00:02:39] Ja, wobei wir …
Daniel Bouhs [00:02:39] … auch im SWR Fernsehen.
Clemens Bratzler [00:02:40] Wir machen, aber wir reduzieren und wir diskutieren. Und das ist die Gratwanderung. Uns sind alle gleich wichtig. Wir haben in der Vergangenheit vielleicht unsere Ressourcen ungerecht verteilt, dass wir sie im Fernsehbereich größtenteils für die ältere Zielgruppe eingesetzt haben. Irgendwann kam dann „funk“ dazu. Ist ja auch ein großer Erfolg. Aber das kann nicht alles sein, sondern wir müssen die Mittel umverteilen. Das bedeutet aber auch, dass das Stammpublikum hier und da auf Dinge verzichten muss. Und da geht es um Reduktion von Schlagzahl, dass man weniger Ausgaben von bestimmten Unterhaltungssendungen macht. Aber wir überprüfen zum Beispiel im SWR gerade jetzt, haben wir eine Arbeitsgruppe, die mal alle Unterhaltungssendungen, die wir im Regionalen machen, nebeneinanderlegen soll und priorisieren soll, welche müssen wir unbedingt erhalten, welche sind nice to have und welche brauchen wir nicht mehr? Und wir werden am Ende dieses Prozesses uns von bestimmten Formaten dann auch verabschieden. Also das läuft … dieser Prozess. Und auch in der ARD-Programmstrategie haben wir ja jetzt zum Beispiel im Unterhaltungsbereich bestimmte Mindestmengen im Linearen zum Beispiel 20 Samstagabendshows pro Jahr. Das ist das, was abgefordert wird. Momentan sind es noch mehr und es werden sicherlich mit der Zeit auch noch weniger werden.
Jörg Wagner [00:03:59] Ich bin noch nicht ganz überzeugt davon, dass bestimmte Formate in Mediatheken oder on-demand-Plattformen nicht funktionieren, weil sie eine andere Erzählweise brauchen oder weil sie sagten, Magazin-Elemente werden dort nicht nachgefragt. Das kann ja auch daran liegen, dass man gar nicht weiß, dass man die da Nachgucken kann in dem Sinne. Also wenn ich zum Beispiel einen Magazinbeitrag sehen will über eine Sprengung eines Sendemastes, gehe ich zuerst auf YouTube, weil ich weiß, da ist es garantiert. Da muss ich nicht lange suchen und dann gucke ich nicht in der Mediathek nach, ob es da vielleicht auch noch irgendwo denselben Beitrag gibt. Ist das nicht vielleicht so, dass die ARD-Mediathek nicht genügend vielleicht Öffentlichkeitsarbeit macht, was man, wo, wann, wie sehen kann und dass das auch leicht zugänglich, navigierbar ist? Dass da eher das Problem ist und nicht in der Art und Weise wie ästhetisch formatiert wird?
Clemens Bratzler [00:04:46] Also ich glaube beides. Beides stimmt. Also, dass wir da Nachholbedarf haben bei dem Punkt, wie wir die Sachen distribuieren, wie wir eine Suchfunktion gestalten, das ist uns völlig klar. Also da arbeiten wir dran. Der SWR ist ja technischer Federführer der Mediathek. Und wir wissen, das Team um Benjamin Fischer in Mainz sitzend, arbeitet hart daran, die Plattform schrittweise zu verbessern. Das ist als Nutzer immer schnell gefordert und oft technisch schwer gemacht. Da gebe ich Ihnen völlig recht. Aber wir untersuchen ja sehr genau, wie Nutzerinnen und Nutzer sich verhalten und welche Inhalte sie, wo suchen. Und die Mediathek ist eine Nutzungssituation – wir nennen das auch so ein bisschen lean-back-Situation – man möchte dort Inhalte, die eine bestimmte Länge haben, für die man sich dann entscheidet, sei es ein Spielfilm, eine Serie oder eben auch eine längere Produktion. Und wir merken, so Dinge unterhalb von, sagen wir mal, 20 Minuten entsprechen nicht dieser Situation. Viele rufen ja die Mediathek über den Smart-TV ab von der Couch zu Hause. Das ist eine andere Situation als YouTube zum Beispiel, wo zum einen natürlich die Plattform super funktioniert, die Suchfunktion sicherlich gut funktioniert und wo man aber auch kleinteiliger unterwegs ist. Also wo ich mir auch dann die Sendemast-Sprengung anschaue oder einen Nachrichten-Beitrag zum Thema, das mich interessiert. Solche Inhalte funktionieren dort und deswegen platzieren wir sie auch dort und die sind entsprechend nicht der Nutzungssituation in der Mediathek. Also, ich glaube, es gibt eben unterschiedliche Situationen, wo Menschen unsere Inhalte nutzen. Und dann ist das Bedürfnis ein anderes. Ich sage auch nicht, dass Magazine gar nicht funktionieren. Wie gesagt, die einzelnen Beiträge zum Beispiel auf YouTube funktionieren oft sehr gut oder wenn wir Teile davon auch in Social verwenden. Was aber nachweislich nicht ein Bedürfnis ist, ist sich bewusst – also von einer Minderheit abgesehen – in der Mediathek ein multi-thematisches Magazin anzugucken, was wie eine Wundertüte daherkommt. Es gibt eher eine bewusste Entscheidung für eine Doku zu sagen: Mit dem Thema Wirecard, was auch immer, möchte ich mich jetzt intensiv beschäftigen. Und dann weiß ich, jetzt kriege ich 45 Minuten da etwas geboten.
Jörg Wagner [00:06:52] Da hilft auch nicht, das zu filetieren, sozusagen unter dem Stichwort „die Dekonstruktion des Linearen“ einzelne Elemente aus so einem multi-thematischen Magazin herauszuschneiden, das neu zu etikettieren? Und dann, wenn man jetzt, ich sage mal, „Beinbruch“ eingibt als medizinisches Thema, kriegt man dann aus allen Landesrundfunkanstalten, die besten Beiträge dazu, vom Knie bis hin zum … was weiß ich, komplizierten Bruch.
Clemens Bratzler [00:07:17] Ja, die Suchfunktion das ist ein ganz wichtiger Punkt. Und wenn Sie tatsächlich so ein Beispiel haben … wir bieten das ja auch an. Also es ist ja nicht so, dass wir diese Inhalte nicht in die Mediathek stellen. Wir werden auch was die Magazinbeiträge angeht, versuchen, das jetzt zu optimieren. Zum Beispiel diese Investigativ-Dokus, die die politischen Magazine künftig machen sollen, werden dann quasi in direkter Nachbarschaft mit den Magazinbeiträgen zu finden sein, so dass man vielleicht sagt: Ach, da gibt es doch ein Sieben-Minuten-Stück. Das möchte ich mir auch angucken. Dem Mediatheksnutzer wird nichts vorenthalten. Aber das ist dann eher so ein Mitnahmeeffekt. Oder wenn ich ganz gezielt zu einem Thema etwas nutze und die meiste Nutzungssituation ist aber eher geprägt von: Ich möchte jetzt etwas streamen und suche, ob ich ein dokumentarisches, ein Unterhaltungs- oder ein fiktionales Angebot finde, was mir gefällt,
Daniel Bouhs [00:08:13] Wenn wir über die inhaltliche Machart reden, auch da verschiebt sich ja einiges. Nehmen wir die Dokumentation und Doku-Reihen. Da hat der SWR, wenn man sich Zahlen in der Mediathek, aber vor allen Dingen auch nach wie vor auf YouTube anguckt, ja auch größere Erfolge. Sie haben Polizistinnen und Polizisten in Mainz begleitet.
O-Ton [00:08:32] Die Nachtdienste sind für mich persönlich immer am spannendsten. Dann ist natürlich der Adrenalinspiegel immer hoch. – Wenn Sie jetzt nicht gehen – Sie kriegen Ihre Jacke jetzt nicht – landen Sie bei uns im Gewahrsam. – Im Beruf ist der Tod für uns fast alltäglicher Begleiter. Ich hab‘ Tod als Thema quasi erst kennengelernt in meinem Beruf.
Daniel Bouhs [00:08:54] Es gibt – die läuft auch gerade – eine Serie „SOS“ [Großstadtklinik], wie dort auch Pflegekräfte und Ärzte arbeiten in einem Klinikum in Stuttgart.
O-Ton [00:09:04] Natürlich habe ich Angst, etwas falsch zu machen. Also, ich glaube, das ist ganz menschlich. – Fühle den Puls der SOS-Großstadt-Klinik! – Die Verantwortung haben wir zu jeder Minute. – Das ist einfach kein ganz normaler Beruf. Das ist schon ein großer Bestandteil meines Lebens. – ARD-Mediathek.
Daniel Bouhs [00:09:25] Was mir persönlich dabei auffällt ist, das ist ja ein Trend aus der Zielgruppe für die Zielgruppe erzählt. Also die Perspektive ändert sich, da kommt nicht der Reporter und recherchiert, sondern der Stoff lebt sozusagen im eigentlichen Milieu, um das es geht. Wie gehen Sie denn mit dem Trend um, der dann damit einher geht, dass dort sozusagen die kritische, die ganz klassisch auch mit Kritikern oder sogenannten Expertinnen/Experten besetzen Ebene angeht, dass die aus dieser Machart letztlich ja rausfliegt, die wird ja verdrängt dadurch. Wird das Angebot dadurch, sagen wir mal, vielleicht auch unjournalistischer?
Clemens Bratzler [00:10:02] Wir diskutieren das sehr intensiv zusammen. Also Sie sprachen das Beispiel „Nachtstreife“ an, wo wir über sechs Folgen Mainzer Polizistinnen/Polizisten letztlich beobachten und aus deren Perspektive den Alltag darstellen und gar nicht kommentieren. Und natürlich gab es die Frage: Es gibt auch so viel Kritik auch am Verhalten der Polizei. Es gibt so viel Hintergrundinformationen, die wir auch noch liefern müssten. Das kommt da nicht vor. Das war eine Diskussion. Wir haben aber am Ende gesagt, für diese Doku entscheiden wir uns für diese Perspektive. Es wäre schlimm, wenn wir nur noch so was machen würden. Machen wir aber nicht, sondern das Thema Polizei findet auch nach wie vor in anderen Dokus statt. Wir haben dann auch zeitgleich eine Sendung gemacht, die sich kritisch auch zum Beispiel mit Polizeigewalt beschäftigt. Also ich glaube, man muss davon wegkommen, dass man sagt: Ich versuche in dieser einen Doku das quasi von allen Perspektiven aufzuzeigen, weil wir auch von jüngeren Nutzerinnen/Nutzern oft hören, wir wollen erst mal sehen, wie sieht der Alltag aus. Wir wollen unser eigenes Bild uns machen. Wenn wir dann interessiert sind, liefert uns die anderen Informationen. Und auch das ist ein Weg, den wir beschreiten, zu sagen, wir haben zum Beispiel so eine Doku-Serie und wer dann mehr wissen will, bekommt zum Beispiel im Netz ergänzend auch noch andere Hintergrundinformationen. Also wir haben diesen Anspruch nach wie vor. Man darf ihn nur nicht in jeder einzelnen Sendung komplett von uns, glaube ich, verlangen, weil dann könnte man keinem gerecht werden.
Daniel Bouhs [00:11:28] Haben Sie eigentlich schon Erfahrungen, ob diese – man sagt ja dann – authentischere Machart bei Doku-Serien tatsächlich auch kompatibel ist? Das ist ja auch Ziel der Programmreform, Programme zu schaffen, die sowohl in der Mediathek mit den Macharten dort gut laufen als auch im klassischen Programm, ob das vom klassischen, damit ja auch älteren Publikum angenommen wird? Also geht diese Wette, man produziert etwas eigentlich fürs Netzgemachte mit den Erzählweisen? Geht diese Wette auf, dass das dann auch im klassischen Fernsehen weiter funktioniert?
Clemens Bratzler [00:12:00] Wir machen positive und negative Erfahrungen. Das ist sehr unterschiedlich und man braucht teilweise auch ein bisschen langen Atem. Ich nehme mal ein Beispiel, was nicht von uns stammt, aber „Feuer und Flamme“ beim WDR ist ja auch eine sehr ungewöhnliche Docutainment-Serie, nennt man es vielleicht …
Daniel Bouhs [00:12:16] Da werden Feuerwehren begleitet …
Clemens Bratzler [00:12:17] Genau, wo ja auch im Prinzip aus der Perspektive der Feuerwehr, bei den Einsätzen mit aufwendiger Kameratechnik, man ist nah dabei auch komplett O-Ton-erzählt ohne Sprechertext. Eine ungewöhnliche Machart. In der Mediathek mittlerweile ein großer Renner. Im WDR-Fernsehen inzwischen auch erfolgreich, aber es hat lange gedauert. Es war am Anfang überhaupt nicht so und das zeigt, dass das Fernsehpublikum häufig ja so seinen Ritualen und gewohnten Erzählweisen nachhängt und man auch Geduld braucht, damit sich auch dieses Publikum auf etwas anderes einlässt. Da hat das funktioniert, aber erst in den späteren Staffeln. Wir haben es bei der „Nachtstreife“ gemerkt, dass wir da im Fernsehen nicht die Reichweiten hatten, die wir uns erhofft haben. Oder jetzt auch bei „Großstadtklinik“, was wir um 21 Uhr montags senden. Nach einem gut laufenden Gesundheitsmagazin dachten wir, das passt, sehen wir schon, dass dieses ältere Publikum, was da ist, dann mit dieser Erzählart fremdelt. Und das müssen wir aushalten. Man wird sehen, ob sich da auch Sehgewohnheiten verändern, aber man kann, glaube ich, nicht immer den Kompromiss suchen, der dann irgendwie allen gerecht wird. Insofern nehmen wir dann auch eine schlechtere Quote im Linearen in Kauf.
Jörg Wagner [00:13:27] Nun ist ja diese Entwicklung, wie sich Dokumentarfilme oder dokumentarische Formate gestalten, ja sehr stark auch technikgetrieben. Also dieses rundum mit Kameras beobachten, Jahrtausendwende mit Big Brother, jetzt ein anderes Format, also gar nicht so sehr dokumentarisch, aber dann doch irgendwie authentischer. Sehen Sie noch andere Dokumentar-Trends, die …? Also Drohnen ohne Ende sind natürlich eingesetzt worden mittlerweile. Aber was ist so der nächste heiße „Scheiß“ auf dem Gebiet des Dokumentarfilms, was sich da möglicherweise auch in Mediatheken testen lassen kann?
Clemens Bratzler [00:14:01] Also es gibt, glaube ich, so zwei Trends. Das eine ist, was Sie so skizzieren, ist ja diese High-End-Doku, also wirklich optisch opulent mit aufwendigster Kameratechnik umgesetzt, was gerade bei historischen Dokus, also dort, wo Inszenierung auch eine Rolle spielt und das ist aber – finde ich oft auch – darüber diskutiert: Dokumentation soll authentisch sein, also wenn ich eine historische Doku mache, kann ich natürlich oder muss ich zum Teil auch Reenactment machen. Also ich glaube, dass …
Jörg Wagner [00:14:32] … also Szenen nachstellen …
Clemens Bratzler [00:14:34] … Szenen nachstellen bei Dokudramen …
Jörg Wagner [00:14:34] …, weil es damals einfach noch keinen Film gab.
Clemens Bratzler [00:14:35] Also, das ist schon ein Trend. Und es ist natürlich immer die Grenze da erreicht, wo man dann das Gefühl hat, hier wird nicht mehr die Wirklichkeit dargestellt, sondern eine fernsehgerecht verdichtete Wirklichkeit. Das ist echt … finde ich eine Gratwanderung, weil …
Jörg Wagner [00:14:51] Stichwort „Lovemobil“.
Clemens Bratzler [00:14:53] „Lovemobil“ ist ja ein Skandal gewesen, wo im Prinzip die Dokumentarfilmerin dann nachträglich zugegeben hat, dass alle Protagonistinnen/Protagonisten gar nicht authentisch waren, weil man natürlich … erst mal waren alle angefixt und dachten, so nah dran zu sein an so einer Prostitutionsszene, wie sie da entlang von Landstraßen irgendwo in Niedersachsen gibt, das haben wir noch nie gesehen. Ja, das war leider nicht echt, also einerseits fiktionale Sehgewohnheiten dann gerne auch im Dokumentarischen verlängert zu bekommen, ich glaube, da gibt es eine Grenze. Deswegen glaube ich, ist schon der Trend eher das, was wir sehen, die … diese wirklich wieder stärker begleitende, sich Zeit nehmende Dokumentation, wo man über … also nicht immer verdichtet, sondern wo man auch länger mit der Kamera dabei ist. Ich finde den Erfolg der Doku-Serie über Kevin Kühnert zeigt das ja, wo man über sechs Folgen einen Politiker beobachtet. Klar, da findet auch Inszenierung statt. Wahrscheinlich inszeniert er sich auch selbst, aber man nimmt sich viel Zeit.
Jörg Wagner [00:15:50] Mit Sicherheit.
Clemens Bratzler [00:15:50] Ja mit Sicherheit. Aber man nimmt sich sehr viel Zeit.
O-Ton [00:15:53] Er will eine SPD, die anders ist. Kevin Kühnert, Kanzlerkandidat. – Damit diese Partei wieder das ausstrahlt, was sie verdient auszustrahlen. Kevin Kühnert, Juso-Vorsitzender. Kevin Kühnert. Kevin Kühnert, Kevin Kühnert. Wir haben ein Interesse daran, dass hier noch was übrig bleibt von diesem Laden. Verdammt noch mal!
Clemens Bratzler [00:16:13] Drei Jahre an der Umsetzung und dann für den Zuschauer, der Zuschauerin auch über sechs Folgen. Und man kriegt einen Einblick, der einen noch mal einen ganz anderen gibt, als wenn ich das verdichtete. Und ich glaube diese auch Echtzeit-Experimente, sowas sehe ich schon noch als weiteren Trend an. Und eben das Erzählen aus anderen Perspektiven heraus. Themen aus einer Zielgruppe heraus erzählen. Das müssen nicht immer nur Polizistinnen/Polizisten sein, die sozusagen selbst auch ihre Perspektive darstellen und das möglichst unkommentiert und nicht bewertet.
Daniel Bouhs [00:16:52] Kommen wir – Sie haben die Kühnert-Dokumentationsreihe – oder Porträtreihe ist es ja eigentlich eher – angesprochen, die vom Norddeutschen Rundfunk kam. Dort konnte man etwas sehen und Sie sind ja für die Mediathek – also der SWR ist ja Federführer in der ARD, was die Mediathek angeht – damit auch zuständig. Es stand der erste Teil der Kühnert-Reihe – es waren, glaube ich, sechs Teile – …
Clemens Bratzler [00:17:14] Hm.
Daniel Bouhs [00:17:14] … auf YouTube und nicht mehr die ganze Serie, sondern am Ende gab es dann einen Hinweis: Wenn Ihr die weiteren Folgen sehen wollt: Hier klicken weiter in die ARD-Mediathek. Das ist die sogenannte Rückführungsstrategie. Also die ARD bemüht sich, Leute von YouTube, wo man massig Material rein geschoben hat früher, auf die eigene Plattform zu holen, die mehr sein soll inzwischen als ein digitaler Videorekorder, sag ich jetzt mal, also eine Plattform, um Programm nachzuschauen. Hegen Sie tatsächlich realistisch die Hoffnung, dass Sie es schaffen, dass Publikum, das man über Jahre daran gewöhnt hat, dass man auf YouTube auch alles findet, auf die eigene Plattform umzulenken am Ende?
Clemens Bratzler [00:17:57] Was heißt „Hegen Sie die Hoffnung“? Ich halte das für essenziell, sich nicht abhängig zu machen von Drittplattformen. Ich gebe zu, dass wir lange Zeit eine andere Strategie gefahren haben …
Daniel Bouhs [00:18:09] War das ein Fehler?
Clemens Bratzler [00:18:11] Würde ich … ja was. Fehler finde ich immer … also …
Daniel Bouhs [00:18:14] So wie die Zeitungen hatten ja … sprechen ja inzwischen auch von einem Geburtsfehler ihrer Geschichte, was das Internet angeht, dass sie jahrelang kostenlosen Content veröffentlicht haben und jetzt plötzlich dafür Geld wollen im Netz und genauso könnte man ja sagen, war es ein Geburtsfehler, beispielsweise von öffentlich-rechtlichen Anstalten zu sagen: Komm, wir schieben mal unsere ganzen schönen Inhalte auf Plattformen wie YouTube.
Clemens Bratzler [00:18:36] Ich sehe es nicht ganz so schwarz-weiß, weil es tatsächlich, finde ich eine differenzierte Betrachtung ist. Ich denke, zunächst einmal ist unsere Aufgabe, möglichst die gesamte Bevölkerung zu erreichen. Und wenn bestimmte Teile der Bevölkerung sich nur noch oder hauptsächlich auf bestimmten Plattformen bewegen, dann sollten wir ihnen die Chance geben, dass sie unsere wertvollen Inhalte dort finden und wir diese Plattformen nicht privaten Anbietern überlassen. Insofern bin ich nach wie vor auch ein Anhänger derer, die sagen: Ja, wir müssen auch Inhalte durchaus für Drittplattformen produzieren. Wichtig ist, dass erkennbar ist, dass sie von uns sind. Das ist wichtig. Da haben wir am Anfang vielleicht nicht genug Wert daraufgelegt und dass die Leute sehen: Okay, das wird vom Rundfunkbeitrag finanziert. So …
Jörg Wagner [00:19:17] Das war bei „funk“ am Anfang so ein bisschen versteckt, …
Clemens Bratzler [00:19:20] Genau.
Jörg Wagner [00:19:20] … dass das als ARD/ZDF …
Clemens Bratzler [00:19:22] Am Anfang haben wir so gedacht, das ist vielleicht uncool. Inzwischen hat man festgestellt, es wird auch bei jungen Leuten durchaus als Qualitätsmerkmal angesehen und deswegen ändern wir das. Also das finde ich am allerwichtigsten, dass der Inhalt mit uns verbunden wird. So dann … trotzdem wissen wir, eine Drittplattform wie auch YouTube kann jederzeit die Modalitäten, den Algorithmus ändern. Ob die Inhalte dann noch so verbreitet werden oder irgendwie runter priorisiert, das wissen wir, haben wir nicht in der Hand, weshalb wir uns davon nicht abhängig machen können. Deswegen sagen wir, muss trotzdem die Strategie sein, die Erstplattformen unserer eigenen Hand so stark wie möglich zu machen. Das ist schwierig. Und ich würde nicht von einem Fehler reden, aber wir sind spät dran, ja? Wir haben sehr lange gebraucht, bis wir die Mediathek auch in einen Zustand gebracht haben, dass sie wirklich konkurrenzfähig jetzt mehr und mehr wird und YouTube …
Jörg Wagner [00:20:11] Also auch technisch.
Clemens Bratzler [00:20:13] Auch technisch. YouTube ist natürlich eine Plattform … gut da sitzen weiß nicht, wie viele Techniker, die diese Plattform seit Jahren machen. Das ist natürlich auch … es ist ein unklar … David gegen Goliath, ja? Und natürlich auch ich als Nutzer weiß, das ist die einfachste Geschichte, was zu finden, die Empfehlungen, Dinge zu abonnieren: Das kann man kaum aufholen. Und wir untersuchen im Moment sehr intensiv, für welche Inhalte sind Nutzerinnen/ Nutzer bereit, auch die Plattform zu wechseln und zu uns zu kommen? Und bei Fiktion zum Beispiel und auch hochwertiger Doku sind Sie bereit. Wenn es um einzelne Nachrichten oder Servicebeiträge geht, sind sie nicht zwingend bereit, die Plattform zu wechseln. Und dann wäre es ein Fehler zu sagen, das gibt es dann nur noch in der Mediathek. Also wir werden eine differenzierte Strategie fahren und das Beispiel, was Sie nannten: Eine Folge gibt’s, dann wer weiter sehen will, muss die Plattform wechseln, das ist jetzt genauso ein Versuch zu schauen. Und man sieht auch bei dem Beispiel, dass das funktioniert hat, dass … ich hab‘ die Zahlen nicht im Kopf, aber doch eine erkleckliche Zahl von Nutzerinnen/ Nutzern dann auf die eigene Plattform gewechselt hat. Und wir probieren, wie gesagt, verschiedene Strategien, in verschiedenen Genres gerade aus, weil wir uns nicht komplett abhängig machen werden, aber es wird nicht so schwarz-weiß sein, dass wir sagen, irgendwann gibt es nur noch Inhalte auf den Erstplattformen.
Jörg Wagner [00:21:24] Sie haben jetzt die Millionengrenze geknackt bei den personalisierten Zugängen in die ARD-Mediathek. Ist das etwas, wo Sie sich noch mehr erhoffen? Oder ist das schon, sagen wir mal, ein Pfund, mit dem Sie wuchern können? Und wie wollen Sie, das die Anschlussfrage gleich mit ran – den Zuschauern, den Zuschauern schmackhaft machen, sich dort einzutragen? Weil der Trend geht ja eher dahin, dass man eigentlich nicht erkannt werden will.
Clemens Bratzler [00:21:48] Ja, also erstmal es wächst. Ich glaube, es sind 1,3 Millionen inzwischen. Und wer den Login nutzt, merkt natürlich auch, welche Vorteile er oder sie hat.
Jörg Wagner [00:21:56] Nennen Sie die kurz.
Clemens Bratzler [00:21:57] Na ja, gut, man kann wirklich die Nutzung personalisieren. Man kann dann wirklich Device-unabhängig weiterschauen. Man bekommt jetzt schrittweise auch mehr Inhalte empfohlen, die passen. Es wird im nächsten Jahr eine Möglichkeit geben, regionale Inhalte zu bekommen. Also der Mehrwert wird immer größer und wir arbeiten ja an einem sogenannten ARD-Login. Das heißt, im Prinzip ist die Vision, dass man sich mit dem Login für alle Plattformen anmeldet: Audiothek, Mediathek, also man im Prinzip damit auch plattformübergreifend Inhalte passgenau bekommt. Wir haben da kein kommerzielles Interesse dran. Wir werden die Daten auch – anders als andere Anbieter – in keinster Weise kommerziell nutzen. Aber wir versuchen dem Nutzer zu zeigen: Du kriegst damit ein noch besseres Angebot und ich hoffe, dass da mehr Leute noch von Gebrauch machen. Für uns hat es auch den Effekt, dass wir natürlich stärker auch sehen können. Okay, was interessiert einen Nutzer, der sich für …
Jörg Wagner [00:22:59] … als Marktforschungstool.
Clemens Bratzler [00:23:01] … als Marktforschungstool. Insofern hat es für uns auch einen Wert. Aber in erster Linie glauben wir, dass wir passgenaue Angebote machen. Deswegen machen wir dafür … nicht aktiv Werbung, aber versuchen, Leute zu überzeugen. Und die Wachstumsraten sind auch so, dass es jetzt im Moment erst mal keinen Anlass besteht, daran zu zweifeln, dass das auch viele machen werden.
Jörg Wagner [00:23:20] Sie haben nicht nur tatsächlich die Mediathek inzwischen entdeckt, als Videorekorder nachträglich, um sich das anzugucken, was man verpasst hat oder zeitsouverän zu nutzen, sondern Sie haben auch webonly-Formate drin. Sie wollen das ausbauen und killen damit dem Fernsehen die Prämieren-Funktionen. Das kann man schon so sagen, ne? Also das Fernsehen ist jetzt nicht mehr sozusagen das Leitmedium und hier ziehen wir den Vorhang auf und Ihr seid jetzt alle wie um ein Lagerfeuer geschart dabei, wenn wir euch zum ersten Mal einen Film zeigen.
Clemens Bratzler [00:23:52] Wobei, das stimmt nicht ganz, weil zum Beispiel der „tatort“ immer noch Premiere …
Jörg Wagner [00:23:58] Ja, aber Sie sägen an dem Ast, an dem linearen Fernseh-Ast. Ist das innerhalb der ARD diskutiert, dass man möglicherweise mit selbst dran schuld ist am Tod des linearen Fernsehens?
Clemens Bratzler [00:24:08] Also es wird darüber diskutiert. Ich sehe es nur nicht so. Also ich betone, wir reden jetzt sehr viel über Mediathek und Nonlineares, weil wir da so einen großen Nachholbedarf haben. Uns ist die Bedeutung des linearen Verbreitungsweges, das gilt ja fürs Radio auch und vielleicht sogar noch stärker, dass wir alleine im SWR-Sendegebiet zum Beispiel mit unseren Radiowellen jeden Tag sieben Millionen Menschen erreichen. Also das ist ein Wert, den wollen wir nicht absägen. Wir müssen nur konstatieren, dass die Gewohnheiten sich beim Fernsehen aber verändern.
Jörg Wagner [00:24:38] Sie müssen nichts zuerst zeigen. Das ist Quatsch. Also da zeitgleich etwas zu zeigen, da sind Sie auch bei den jungen Zuschauern.
Clemens Bratzler [00:24:45] Ja, es gibt ja verschiedene Varianten. Ich weiß nicht, wo der Nachteil jetzt liegt für zum Beispiel ein lineares Publikum, wenn eine Serie schon eine Woche vorher in der Mediathek ist. Man kann ja trotzdem, wenn man sie lieber linear schaut, dort schauen. Also die Frage ist, enthalten wir irgendjemandem etwas vor? Ja, und es gibt nach wie vor …
Jörg Wagner [00:25:04] Der Glanz des Fernsehens wird dadurch geringer, dass man denkt, das ist das Abspielprogramm der Mediathek.
Clemens Bratzler [00:25:09] Und umgekehrt kann man sagen: Die Mediathek darf auch nicht Wiederholungsprogramm des linearen Fernsehen sein.
Jörg Wagner [00:25:14] Nein, zeitgleich zum Beispiel.
Clemens Bratzler [00:25:14] Ja gut, aber was heißt zeitgleich? Also jetzt … nehmen wir zum Beispiel in der … wir haben bei den Mittwochsfilmen, die sind, glaube ich, fünf Tage vorher in der Mediathek und dann findet das Publikum die dort. Das hat sich jetzt bei der linearen Quote in keinster Weise negativ bemerkbar gemacht.
Jörg Wagner [00:25:31] Nein, es geht um das Image, dass man langfristig an dem … an dem …
Clemens Bratzler [00:25:34] Ja, aber die Frage ist ja, das wird immer so ein Paket gedacht. Wir veröffentlichen ja schon zeitnah und aber zum Beispiel es gibt dann eben das komplette Box-Set einer Serie auch komplett für die Mediatheksnutzung. Da warten wir jetzt nicht ab, bis im Fernsehen irgendwann die letzte Folge gelaufen ist.
Jörg Wagner [00:25:48] Bei Netflix passiert das. Die machen … die sind inzwischen klüger geworden und machen so Doppelfolgen. Und dann die nächste Woche geht’s weiter.
Clemens Bratzler [00:25:55] Ja, ich weiß, wenn man es schafft. Also wenn Produkte, sag ich mal, dann es schaffen, dass Leute so heiß drauf sind, dass sie dann auch sagen wir warten Woche für Woche, kann man das machen. Ich würde auch nicht ausschließen, dass wir so Wege gehen. Ich finde nur, also Sie werten es jetzt immer so ein bisschen. Es geht am Ende …
Jörg Wagner [00:26:12] Ich provoziere Sie einfach.
[00:26:13] Ja, Sie provozieren, aber ich empfinde es als Wertung. Ich sehe es so: Wir müssen die Dinge verzahnen. Es wird Dinge geben, die werden wir nur für die Mediathek machen. Es gibt auch nach wie vor Dinge, die eigentlich nur für’s Lineare sind, auch wenn sie vielleicht in der Mediathek zu sehen sind. Es gibt Dinge wie den „tatort“, wo wir sehr viel Wert darauflegen, dass dieses Event Sonntag 20:15 Uhr eines bleibt, wo es keine Vorab-Veröffentlichung gibt. Also ich glaube, es sind abgestufte Antworten und es geht nicht darum, nur noch ein attraktives lineares Programm zu machen. Aber man muss schon auch sehen, wenn sich Nutzungsverhalten ändert, dass bestimmte Dinge möglicherweise auf der einen Plattform besser aufgehoben sind als auf der anderen.
Jörg Wagner [00:26:52] Aber sie ändern sich ja nicht automatisch, sondern weil sie mit dran drehen. Das ist ja das, was ich meine, dass Sie vielleicht die Ursache sind für ein anderes Nutzungsverhalten, wenn sie dem linearen Fernsehen sozusagen den Glanz abgraben.
Clemens Bratzler [00:27:06] Ja, die Frage wäre jetzt, an welcher Stelle graben wir ihm den Glanz ab?
Jörg Wagner [00:27:09] Weil man eben eine Woche vorher schon das kriegt, was man eigentlich eine Woche später auch sehen könnte, weil es keinen Aktualitätendruck gibt.
Clemens Bratzler [00:27:15] Also ich würde deshalb widersprechen, weil wir die Beobachtung machen, dass es dann oft auch so ist: Es läuft die Woche vorher. Es gibt die erste Presseberichterstattung. Leute fangen an das zu gucken, empfehlen das weiter, ja? Ich habe oft schon meinem Vater, der eher linear guckt, gesagt: Ich habe das gesehen in der Mediathek, wenn das am Mittwoch läuft, schau dir das an. Also ich würde widersprechen, zu sagen, dass das automatisch dem anderen Medium den Glanz nimmt. Das Thema Premiere ist ja ein Unterschied, ob etwas jetzt eine Woche in der Mediathek ist oder ob es altes Zeug ist, was seit drei Jahren irgendwo schon versendet wird. Ich glaube, das kann das Publikum schon unterscheiden. Das Ziel muss eigentlich sein, die beiden Ausspielwege optimal miteinander zu verzahnen und auch die Kraft beider Ausspielwege zu nutzen. Nicht umsonst – Sie sagen es ja – haben andere … Netflix hat in Frankreich eine Sendelizenz beantragt, weil sie wissen, dass das Lineare auch eine Kraft hat. Wir haben beides und es geht, glaube ich, darum, die Wege zu finden: Wie kann man die Inhalte so auf beide Plattformen kriegen, dass die sich gut ergänzen? Und wir probieren da vieles aus. Also es ist im Moment noch nicht gesagt bei allem, wie es dann künftig läuft. Wir experimentieren.
Daniel Bouhs [00:28:23] Vielleicht abschließend. Zwei mal zwei. Mit welchen zwei nonfiktionalen und zwei fiktionalen Inhalten wird denn der SWR 2022 dazu beitragen, dass Menschen im Idealfall die ARD-Mediathek anwählen?
Clemens Bratzler [00:28:37] Ich fange mal mit einem an, der beides ist. Wir werden im März einen großen crossmedialen Themenschwerpunkt „Unser Wasser“ machen zum Kampf um Wasser, gegen Wasserknappheit, Wasserrechte. Ein investigatives Projekt von Daniel Harrich, mit dem wir auch schon „Meister des Todes“ gemacht haben zu Waffengeschäften. Und das ist etwas, auf was ich mich wirklich freue, weil es alles bringt. Es wird eine Doku-Serie für die Mediathek geben. Es wird auch im Social-Media-Bereich Inhalte geben. Es wird Publikumsaktionen geben und es wird eine große fiktionale Erzählung geben, mit wahren Hintergründen prominent besetzt, die linear wie auch in der Mediathek läuft. Und die Hoffnung ist schon in dieser Ballung sozusagen der Formate dann beide Publika, sag ich mal, oder alle Publika auf unterschiedlichen Plattformen für ein Thema zu interessieren, was jetzt nicht so im Vordergrund steht, aber wo es wirklich sehr spannende, auch investigative Erkenntnisse gibt. Das ist sozusagen beides: Fiktion und Nicht-Fiktion, weil das für den SWR tatsächlich auch oft ein Weg ist, Hybrid-Themen umzusetzen. Und ein zweites fiktionales Beispiel ist „Das durchstoßene Herz“ – die erste fiktionale Umsetzung der Flugschaukatastrophe von Rammstein. Ein sehr, sehr aufwendiger Fernsehfilm. Auch ein Wagnis, weil man natürlich immer Angst hat, da in einen Katastrophenfilm irgendwie zu schlittern. Das glaube ich, nach allem, was ich gesehen habe, dass das nicht passiert. Das wird sicherlich auch große … große Aufmerksamkeit nach sich ziehen. Und vielleicht als letztes Beispiel noch eine Doku-Reihe. Ich habe bei Kühnert gesprochen, da wussten wir noch nicht, dass Kühnert so erfolgreich wird. Aber wir haben eine Reihe in mache „100 Tage“, die Jungpolitikerinnen und Jungpolitiker in Berlin jetzt begleitet, 100 Tage nach der Wahl. Sehr dicht, persönlich, beobachtend. Was passiert da auf politischer Ebene, aber auch privat? Und auch das wird hoffentlich in der Mediathek Aufmerksamkeit bekommen.
Clemens Bratzler [00:30:45] Wen haben Sie da begleitet?
Clemens Bratzler [00:30:46] Es ist eine große Spannbreite von Jüngeren und schon etwas Etablierteren. Also der prominenteste ist Lars Klingbeil, der jetzt möglicherweise SPD-Vorsitzender wird. Auf jeden Fall jetzt schon, dann doch in vorderster Front steht, der aber eben bereit war auch, sich in diese Weise jetzt über 100 Tage von uns, von der Kamera beobachten zu lassen. Aber es ist auch Johannes Vogel, der Generalsekretär der FDP von NRW dabei und auch weniger Prominente. Also wir haben eine Mischung gemacht aus schon etwas etablierteren Namen und weniger Etablierten, ja.
Jörg Wagner [00:31:22] Vielen Dank für das Gespräch und toi, toi, toi dann für den weiteren Boost bei der ARD-Mediathek. Vielen Dank!
Daniel Bouhs [00:31:30] Clemens Bratzler, Programmdirektor des SWR und zunehmend natürlich auch jemand, der für digitale Plattformen mit sorgen muss. Danke schön!
Clemens Bratzler [00:31:39] Danke Ihnen für das Interesse. Vielen Dank!