Der Berliner Verlag auf Schlinger- oder Erfolgskurs?

Berliner Verlag | Foto: © Jörg Wagner


Wer:
* Hannah Knuth, „Die ZEIT“, Autorin
* Daniel Bouhs, Freier Medienjournalist
* Jörg Wagner, Freier Medienjournalist
Was: muPRO-Schaltgespräch über Recherchen von Hannah Knuth zur „Berliner Zeitung“
Wann: 20.11.2021, 18:21 Uhr, im radioeins-Medienmagazin am 20.11.2021 und in einer gekürzten Fassung im rbb Inforadio, 21.11.2021, 19:43 Uhr



(wörtliches Transkript, Hörverständnisfehler vorbehalten)

Jörg Wagner [00:00:04] So, jetzt sind wir erst mal telefonisch verbunden, ich hoffe, das macht jetzt keinen großen Unterschied, qualitativ ist das ein kleiner Abfall zur eben gehörten Leitung nach Belarus. Aber Daniel Bouhs?

Daniel Bouhs [00:00:18] Ja. Mich interessiert erst mal Jörg, ob du eigentlich inzwischen auf TikTok bist?

Jörg Wagner [00:00:24] Das überrascht mich jetzt in diesem Zusammenhang mit unserem Thema, was wir jetzt vorhaben. Aber ich kann ja nicht überall sein. Ich war bei Google+. Ich war bei Pinterest. Ich war … also, nein.

Daniel Bouhs [00:00:33] Nein. Also ich kann Dir sagen, dass ich da gelegentlich durchaus ja mich durchswipe. Und ich folge dort unter anderem auch einem Amerikaner, der seit etwa 20 Jahren in Berlin lebt. Er macht Comedy, ist aber auch Journalist. Andrew Bulkeley hat im vorigen Jahr 2020 bei der „Berliner Zeitung“ – und hier kommen wir zum Thema – das englischsprachige Angebot aufgebaut …

Jörg Wagner [00:00:56] … mit dem die Verleger-Familie Friedrich eine neue Zielgruppe adressieren wollte eigentlich.

Daniel Bouhs [00:00:59] Genau. Aber dann postete Bulkeley diesen Clip:

Andrew Bulkeley [00:01:02] Also, ich habe vor ein paar Wochen gesagt, ich sei Journalist bei einer Berliner Tageszeitung, aber ich muss jetzt ein kleines Update geben. Betriebsbedingte Kündigung, Baby! Jetzt bin ich Lebenskünstler.

Daniel Bouhs [00:01:15] Englischsprachige Texte erscheinen praktisch keine mehr. Der letzte im Oktober, wenn ich das richtig gesehen habe. Ein offensichtlich für die „Berliner Zeitung“ gescheitertes Experiment. Wobei es ja gut ist, dass experimentiert wird. Und die „Berliner Zeitung“ ist schon seit zwei Jahren im Besitz der Verleger-Familie Friedrich.

Jörg Wagner [00:01:33] Und jetzt kommen wir zu dem Thema eigentlich: Wie geht es der „Berliner Zeitung“ und dem „Berliner Verlag“ heute? Und genau diese Frage hat sich auch eine Kollegin der „ZEIT“ gestellt, die wie der „Tagesspiegel“ in der „Holtzbrinck“-Gruppe erscheint. Hannah Knuth hat in der aktuellen „ZEIT“ einen Text veröffentlicht, die Eigentümer Holger Friedrich zeigt und den Titel trägt „Ihr Erlöser. Oder ihr Untergang“. Zwei Jahre nach der Übernahme gäbe es viel Probleme und einen mysteriösen, anonymen Autor.

Daniel Bouhs [00:02:00] Klingt also alles nicht besonders vorteilhaft. Wir sind auf jeden Fall jetzt verbunden mit Hannah Knuth. Hallo!

Hannah Knuth [00:02:05] Hallo, guten Abend!

Daniel Bouhs [00:02:07] Was hat es denn mit diesem mysteriösen, anonymen Autor auf sich?

Hannah Knuth [00:02:11] Hinter diesem anonymen Autor steckt nach meinen Informationen der Eigentümer Holger Friedrich selbst, der in diesem Jahr einmal im Sommer und einmal im Winter, also im Herbst jetzt, zwei meinungsstarke Stücke geschrieben hat. Er hat aber nicht seinen eigenen Autorennamen darüber geschrieben, sondern nennt sich „ein Bewohner dieser Stadt“.

Jörg Wagner [00:02:33] Nun hat die Deutsche Presseagentur (dpa) in dieser Woche die Meldung verbreitet: „Berliner Verlag rechnet mit ausgeglichenem Betriebsergebnis.“ Für das vierte Quartal bestehe mit einem erwarteten Umsatz von 11,7 Millionen Euro erstmals der Ausblick auf ein ausgeglichenes Betriebsergebnis nach Abschreibungen und Zinsen. Wie der „Berliner Verlag“ selbst mitgeteilt habe. Das klingt doch eigentlich danach, Hannah Knuth, dass der Verlag, der ja sehr angeschlagen war, durch eine Odyssee über „Gruner + Jahr“, „Holtzbrinck“ – Ihrem Mutterhaus, dem Finanzinvestor Montgomery, Neven DuMont! bis hin zu den Friedrichs, die Wende doch irgendwie geschafft hat, oder?

Hannah Knuth [00:03:12] Wir haben die Nachricht auch bekommen am Dienstag als Antwort auf einen Fragenkatalog, den wir dem Verlag zugekommen haben lassen. Und ich … natürlich, also ich habe mir ja vor allem in erster Linie die „Berliner Zeitung“ angeguckt für das Stück, das jetzt in der „ZEIT“ erschienen ist. Friedrich hat in diesem Jahr aber das Berliner Anzeigenblatt verkauft, und auch die Plattform „berlin.de“ ist mittlerweile wieder in der Hand vom Land Berlin. Insofern ist da sicher Geld auch reingekommen, das nun auch dazu beiträgt, dass es Aussicht auf ein solches Betriebsergebnis gibt.

Daniel Bouhs [00:03:49] Sie schreiben ja in Ihrem Text, Sie haben es gesagt, es geht vor allen Dingen um die „Berliner Zeitung“ und auch eher sozusagen publizistisch, journalistisch: Was ist da redaktionell los? von einem Klima der Angst teilweise. Also dass es auch eine gewisse Reibung oder auch Distanz geben soll, wenn ich es sozusagen mal zusammenfasse, zwischen den Leuten, die teilweise das Blatt machen und der Geschäftsleitung, der Chefredaktion. Nun kennen wir das als Journalisten/Journalistin ja, auch wenn man so eine Geschichte recherchiert: Wie ist die Stimmung in einem Unternehmen? Was tut sich da? Dann kann es sein, dass sich einem da gar nicht das ganze Bild zeigt, vor allem, wenn die Geschäftsleitung oder die Inhaber weitgehend schweigen bei der Recherche. Die Belegschaft weiß ja auch nicht immer alles. Insofern haben wir natürlich auch versucht, mit Holger Friedrich ins Gespräch zu kommen als Erst-Quelle. Du Jörg hast sogar mit ihm gesprochen. Aber?

Jörg Wagner [00:04:39] Das war natürlich ein vertrauliches Gespräch, was in solchen Fällen nicht unüblich ist. Darin haben wir ausgelotet, welche Möglichkeiten eine Radiosendung bietet, hier fair, offen und auch sachlich einen Beitrag zur Wahrheitsfindung zu leisten. Letztlich ging dieser Prozess der Meinungsbildung so über zwei, drei Tage. Holger Friedrich möchte sich hier zur Zeit im Medienmagazin noch nicht äußern. Noch nicht. Wir bleiben da diesbezüglich optimistisch.

Daniel Bouhs [00:05:06] Hannah Knuth, Sie haben ja mit Menschen im Verlag gesprochen und mit Menschen, die den Verlag inzwischen verlassen haben aus unterschiedlichsten Gründen. Mit wem genau, wissen wir nicht. Stichwort: Quellenschutz. Da ist ja auch viel anonym unterwegs. Was haben Ihnen denn diese Kolleginnen und Kollegen erzählt?

Hannah Knuth [00:05:22] Also vielleicht, um das gleich einmal vorweg zu sagen, ist mir natürlich auch der Hinweis wichtig, dass die Menschen, mit denen ich gesprochen habe, nicht nur solche sind, die den Glauben an Holger Friedrich verloren haben, sondern ich auch mit Mitarbeitern gesprochen habe, die noch an ihn glauben, oder auch mit Menschen, die ihn beruflich gut kennen. Das ist natürlich immer wichtig bei solchen Geschichten, dass man, wie Sie gerade gesagt haben, versucht, eben ein Rundumblick zu bekommen. Was mein Eindruck war nach mehreren Wochen der Recherche ist, dass viele Redakteurinnen und Redakteure relativ verzweifelt sind. Also das kann man schon so sagen. Es gibt viele, die den Glauben an die Vision, so es denn eine gibt, von Holger Friedrich verloren haben und die nicht mehr erkennen, was … wohin ihr Blatt steuern soll, was sie eigentlich machen, mit wem und für wen sie schreiben. Und insofern war das doch eine Redaktion, die ja etwas verstört war in ihrem Zustand. Also das hängt auch mit vielen Veränderungen zusammen, die Friedrich über die letzten Jahre gemacht hat. Also es gibt beispielsweise keinen Chefredakteursposten mehr. Er hat die Redaktionen in unterschiedliche Gesellschaften zerlegt und viele fragen sich eben, wo das hingehen soll. Und ich habe eben eine Redaktion erlebt, die … ja die total unsicher ist, in dem, was sie eigentlich tut.

Daniel Bouhs [00:07:02] Sie haben ja gesagt, dass Sie da viele Wochen recherchiert haben, mit vielen Menschen gesprochen haben. Ich habe mich auch ein bisschen umgehört, sicher nicht so intensiv wie Sie, um das sozusagen ein bisschen abzuklopfen, was da anonym unterwegs ist. Ein Kollege sagte über Ihren Text süffisant: Da steht noch gar nicht alles drin. Also nach dem Motto: Da gibt es noch ganz andere, schlimme Geschichten. Jemand anderes war dann aber doch eher auch von einigen Änderungen in der Redaktion, im Verlag angetan, weil man sich so von unnötigem Ballast, gewissermaßen trenne, also auch Freiraum für Neues habe. Vor allem scheint aber ja auch eine Schwierigkeit, dieser Clash der Kulturen zu sein. Friedrich als Eigentümer, der vor allem aus der IT- und Berater-Welt kommt, mit einem gewissen Mindset sozusagen unterwegs ist hier und etablierte Journalistinnen und Journalisten dort. Er hat ja auch, das war bei Kress zu lesen, einem Branchendienst, schon vor einer ganzen Weile im Prinzip Volontärsseminare besucht, sich also mit Journalismus beschäftigt, was ja eigentlich ein guter Ansatz ist, sich diesem Milieu auch zu nähern. Was haben Sie denn bei Ihren Gesprächen gespürt? Gibt es da inzwischen, sagen wir mal, so ein bisschen was wie eine kulturelle Annäherung auch nach zwei Jahren?

Hannah Knuth [00:08:11] Kaum. Und ich glaube, das trägt auch sehr dazu bei, dass es gerade diese Stimmung in der „Berliner Zeitung“ gibt, also selbst Menschen, die eng mit ihm arbeiten, beschreiben einen Eigentümer und Verleger, der so richtig kein Verständnis für das hat, was er eigentlich verkauft, also den Journalismus, der kein Gespür dafür hat, was eine gute Geschichte ist, der auch gar nicht versteht, mit welchem Aufwand bestimmte Recherchen betrieben werden müssen, bevor man etwas in die Zeitung schreiben kann. Und das hängt sicher … oder das ist sicher einer der Gründe, warum die sich gegenseitig so richtig nicht verstehen. Also als Friedrich kam vor zwei Jahren, war man ja in großen Teilen skeptisch, weil man eben über Jahre Erfahrungen gemacht hatte mit Eigentümerwechseln, aber im Prinzip hoffnungsvoll. Da stand jemand, der sich sehr erfolgreich mit Digitalisierung beschäftigt hatte, der aus Ost-Berlin kam, also auch ein Ost-Berliner zurück zur Ost-„Berliner Zeitung“. Und man hatte natürlich gehofft, dass er vielleicht das bringen kann, was andere Häuser – Sie sprachen das eben an – die Verlage, die vorher da in Verantwortung waren, eben nicht geschafft haben. Und insofern war das natürlich ein Experiment, weil von Anfang an klar war, die kommen aus unterschiedlichen Welten, aber es war keins, was von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Und wenn man jetzt, zwei Jahre später auf dieses Haus guckt, dann sieht man doch, dass sich diese Kontraste eigentlich verschärft haben. Also klar, Friedrich hat Kurse in Leipzig an der Uni belegt aber, das ist, nachdem wie das die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschreiben, keine … keine … also hat zu keiner großen Veränderung geführt im Umgang mit der Arbeit, die die dort machen. Ich denke, das zeigt sich auch ganz gut in der Art und Weise, wie Friedrich bis heute in die redaktionellen Belange oder in den redaktionellen Alltag eingreift. Das ist ja eigentlich, was total untypisches. Also für jedes Qualitätsmedium gilt die Trennung von verlegerischen Interessen und journalistischen Inhalten als hohes Gut, damit man eben Unabhängigkeit bewahrt und frei ist vom Einfluss der Eigentümer. Und dass die „Berliner Zeitung“ nun einen Eigentümer hat, der quasi anonym in ihrem Blatt publiziert, glaube ich, beschreibt ganz gut, wie unterschiedlich die Redakteurinnen und Redakteure oder die Redaktion und der Holger Friedrich auf das gucken, was sie eigentlich gemeinsam verkaufen wollen, nämlich unabhängigen Qualitätsjournalismus.

Daniel Bouhs [00:11:10] Nun muss man sagen, dass es durchaus auch andere Fälle gibt in Verlagen, in denen sozusagen die eigene Zeitung genutzt wird, auch für eigene Interessen. Mathias Döpfner mit einigen Essays zur Medienpolitik oder auch Netzpolitik in der „Welt“ sind da vielleicht ein ganz gutes Beispiel.

Hannah Knuth [00:11:25] Hm.

Daniel Bouhs [00:11:25] Aber aus dem Verlag, dem „Berliner Verlag“, drang offiziell nach Erscheinen Ihres Textes – so war es wiederum beim Branchendienst „turi2“ zu lesen, dass man Ihre Berichterstattung Zitat: „tendenziös, einseitig und unfair“ empfinde. Ein angebotenes Gespräch mit einem leitenden Mitarbeiter hätten Sie nicht rechtzeitig angenommen. Man sei empört und enttäuscht. Wie nehmen Sie das wahr?

Hannah Knuth [00:11:49] Ja, ich … ich kann das … ich kann also … wie soll ich sagen? Es ist natürlich nicht überraschend, dass es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Zeitung gibt, die – wir sprechen ja jetzt gerade von dem Chefredakteur der Wochenendausgabe, über die es in meinem Text ja auch ging – die sich natürlich entsprechend äußern. Mich erreichen seit der Berichterstattung mehrere Nachrichten von Redakteurinnen und Redakteuren aus dem Haus, mit denen ich für die Recherche nie gesprochen hatte und die sich bedanken für diese Berichterstattung und hoffen, dass sich dadurch etwas verändert. In dem Fall der Konfrontation, die Sie ansprachen, das haben wir ja auch richtig gestellt auf „turi2“. Das stimmte so nicht. Wir haben einen Fragenkatalog sowohl an Holger Friedrich als auch an die Geschäftsführung des „Berliner Verlags“ geschickt und mit der Bitte um Beantwortung innerhalb von 24 Stunden, also eine ganz übliche Frist und haben auch angeboten, wie das immer ist, dass man sich freut, wenn man ins Gespräch kommt. Und wir haben aufgrund unseres Redaktionsschlusses, der am Dienstag ist, quasi eine Frist gesetzt zum Vormittag/Mittag, also nach 24 Stunden und haben nichts zurück gehört. Und stattdessen meldete sich quasi mehrere Stunden nach Ablauf dieser Frist dann die Verlagsspitze mit dem Hinweis, man würde auf die Antworten nicht eingehen, aber ein Gespräch anbieten mit dem Kollegen. Und das Gespräch habe ich auch angenommen und um Terminvorschläge gebeten. Für diese Berichterstattung war das jetzt aber zu spät. Das wussten sie ja auch. Wir hatten ja auf die Fristen hingewiesen.

Jörg Wagner [00:13:43] Nun gucken wir noch mal auf Ihren Text. Sie fokussieren sich ja – das haben Sie auch selber eingeräumt – sehr auf die „Berliner Zeitung“. Aber kann man die „Berliner Zeitung“ wirklich ohne den Gesamtkomplex „Berliner Verlag“ sehen? Als geschäftlich hat der Verlag ja einiges getan. Das neue Hochglanzmagazin „Eisern“, also das Fan-Magazin des Fußball-Bundesligisten „Union“, scheint zu laufen, wenn auch nicht von der Medienkritik goutiert wurde, wie jetzt zum Beispiel bei uebermedien.de. Es gibt seit einiger Zeit eine neue Wochenendausgabe – Sie haben sie erwähnt – der „Berliner Zeitung“, die ebenfalls wie ein Magazin wirkt. Und der Verlag entwickelt nach allem, was zu hören ist, auch eine eigene Software, auf die man zum Beispiel beim „Tagesspiegel“ respektvoll sieht, weil sie schneller läuft, effizienter ist, was ja auch letztlich ein Geschäft sein könnte, wenn andere Zeitungshäuser damit arbeiten würden. Gibt es denn für Sie – auch jetzt unter dem Eindruck der Stimmen, die kritisch sind – vielleicht dann doch nicht gute Puzzleteile? Oder ist das alles nicht wirklich erwähnenswert?

Hannah Knuth [00:14:46] Ich denke, das ist in jedem Fall erwähnenswert und es ist auch spannend, dass in den nächsten Jahren zu verfolgen. Also, wenn man sich vorstellt, dass Holger Friedrich vor zwei Jahren den Verlag übernommen hat, und in den letzten zwei Jahren ja, so hat er das vergangenes Jahr im Spiegel mal gesagt, sechs bis sieben Millionen investiert hat, dann ist das natürlich was, wo man, glaube ich, jetzt an einen guten Zeitpunkt kommt, an dem man ablesen kann, ob sich das gelohnt hat, also ob die Investitionen zünden. Und das gerade mit Blick auf die Plattform, die er da noch schafft und auf die Frage: von was trennt er sich und was will er intensivieren … also ich hatte es ja angesprochen: Das Anzeigenblatt zum Beispiel hat er verkauft und auch die Plattform „berlin.de“, über die er ja anfangs noch sagte, das sei ja der eigentliche Schatz dieses Deals, das ist jetzt auch wieder zurück. Also es passiert natürlich total viel in diesem Verlag und ich glaube, man sollte ganz vorsichtig sein, den Verlag in irgendeiner Art und Weise abzuschreiben oder ähnliches. Aber in diesem Fall lässt sich natürlich schon viel abzeichnen über die Kultur, die dort herrscht und eben auch über das Grund-Produkt, für das natürlich der „Berliner Verlag“ steht. Und das ist sein Journalismus. Und deshalb war eben auch unser Fokus ganz konkret auf dieses Traditionsblatt und auf die „Berliner Zeitung“ und wie die sich unter ihm entwickelt hat.

Jörg Wagner [00:16:26] Nun haben wir in der 25jährigen Geschichte des Medienmagazins sehr oft die „Berliner Zeitung“ hier im Fokus gehabt. Und ich sage Ihnen mal: Auch unter früheren Besitzern der „Berliner Zeitung“ hätte man ein ähnliches Stimmungsbild aufschreiben können, wie Sie es jetzt getan haben. Das wurde auch gemacht. Ich erwähnte ja vorhin das „ZEIT“-Mutterhaus „Holtzbrinck“, das durch eine Entscheidung des Bundeskartellamts bei der Übernahme der „Berliner Zeitung“ durch „Gruner + Jahr“ aufgefordert wurde, sich vom „Tagesspiegel“ wegen marktbeherrschender Stellung zu trennen, sich dann tatsächlich trennte und dann den ehemaligen „Holtzbrinck“-Manager Pierre Gerckens mit einspannte, der das dann kaufte. Das wurde wiederum vom Bundeskartellamt als Strohmann-Geschäft nicht anerkannt und „Holtzbrinck“ war wieder Besitzer des „Tagesspiegel“ und die „Berliner Zeitung“ schwebte während dieser Zeit der unprofessionellen Kauf-Rückkaufaktion in so einer seltsamen Situation der Besitzlosigkeit und damit in dramatischer Unsicherheit abgeschnitten von nötigen Investitionen. Und da verließen ebenfalls Journalisten das Blatt. Auch da gab es externe und extreme Unzufriedenheit, pardon, extreme Unzufriedenheit und auch Unverständnis. Der Aderlass ging dann unter den Finanzheuschrecken weiter. Verleger Alfred Neven DuMont, der danach den „Berliner Verlag“ kaufte mit dem Motto „Wir lieben Zeitungen“, der ist inzwischen tot und die Nachfolger lieben nun nachweislich nicht mehr Zeitungen. Sind denn die Friedrichs, vor allem Holger Friedrich, als Seiteneinsteiger nicht vielleicht doch die letzte Hoffnung für den „Berliner Verlag“? Oder können Sie sich einen Plan B vorstellen, falls der Atem bzw. in dem Fall ja das Kapital vielleicht dort nicht ausreichen sollte?

Hannah Knuth [00:18:01] Hm, also ich fand es sehr eindrücklich. Ich hatte auch im vergangenen Jahr schon zur „Berliner Zeitung“ recherchiert und es lässt sich ganz gut abzeichnen, wie die Hoffnung an ihn, an den erfolgreichen Tech-Mann nach und nach sinkt. Von daher, wenn ich jetzt beschreibe, was ich aus den vergangenen Wochen in den Gesprächen mitbekommen habe, würde ich sagen: Redaktionell ist so richtig viel Hoffnung nicht mehr da. Natürlich ist die Frage, ob das, was er jetzt in den vergangenen zwei Jahren angestoßen hat, auch außerhalb der „Berliner Zeitung“ dazu führt, dass sich die Gesamtlage entspannt und eben auch emotional entspannt. Das wird sich zeigen. Ich glaube, es ist ganz schwierig zu prognostizieren, was er vorhat mit dieser Zeitung. Das sagen auch viele, die ihn gut kennen und die eng mit ihm arbeiten. Also, dass er frustriert sein soll von dem, was … oder von dem wenigen, das sich aus seiner Sicht offenbar bislang hat durchsetzen lassen. Und es gibt aber auch viele, die sagen, dass er noch überhaupt nicht aufgegeben hat. Und zwei Jahre sind jetzt ja auch kein Zeitraum … also in der Tech-Welt ist natürlich was anderes, aber in der Verlagswelt sind zwei Jahre ja nun kein Zeitraum, in dem sich das abschließend beurteilen ließe. Von daher gehöre ich – sicher wie Sie auch – zu denen, die da weiterhin mit Spannung hingucken werden.

Daniel Bouhs [00:19:38] Wir bleiben vor allen Dingen auch gespannt, ob Holger Friedrich vielleicht doch demnächst noch mal die Möglichkeit nutzt, ins Gespräch auch mit uns zu gehen. Und seine Sicht der Dinge darzustellen. Ich glaube, das wäre auch wichtig in dieser Debatte. Hannah Knuth, Sie haben es erwähnt, Sie hatten schon vor einem Jahr über die „Berliner Zeitung“ berichtet, Sie haben es in dieser Woche wieder getan. Wir sind gewissermaßen gespannt über Ihren Text im nächsten Jahr. Also im Jahr drei von Holger Friedrich, sagen aber.

Hannah Knuth [00:20:02] Mal gucken.

Daniel Bouhs [00:20:03] … erstmal vielen Dank für Ihre Zeit.

Jörg Wagner [00:20:04] Ja.

Hannah Knuth [00:20:05] Ja, danke schön

Jörg Wagner [00:20:06] Und vielen Dank, dass Sie sich unseren Fragen gestellt haben. Wunderbar! Danke schön.

Daniel Bouhs [00:20:09] Und lösen wir doch noch auf, wie es dem früheren englischsprachigen Redakteur der „Berliner Zeitung“ geht. Andrew Bulkeley. Oder sagen wir, er macht es wieder selbst in einem seiner TikToks:

Andrew Bulkeley [00:20:21] Es gibt einen Spruch: Be careful what you wish for. Und ich habe das immer geändert in: Be careful what you joke about. Weil jahrelang habe ich immer gesagt: Wenn alle Stricke reißen, wenn nichts mehr geht, kann ich immer bei der „Deutschen Welle“ arbeiten. Das ist so ein Nachrichtensender von der Regierung hier in Berlin und auch in Bonn. Und ja, da arbeite ich jetzt. Ich bin nur teilzeit-freier Mitarbeiter, Fernsehproduzent. Also ich gucke einfach, dass alle Teile zusammenkommen und was richtig geil ist, ich muss niemand fremd anrufen. Also ich hatte ein anderen TikTok gemacht, wo ich gesagt: Ich bin super schüchtern. Das war immer ein Problem als Journalist. Jetzt muss ich nur mit Kollegen reden. Die sind nicht unbedingt alle nett, aber immerhin: Im Moment machts Spaß. Vielleicht sollen wir reden in sechs Monaten.

Daniel Bouhs [00:21:03] Tja, und vielleicht reden wir auch bald mit Andrew Bulkeley – auch wenn wir Fremd-Kontakte für ihn wären – demnächst mal, denn er und ein anderer Kollege, der auch das englischsprachige Angebot gemacht hatte bei der „Berliner Zeitung“ und dort auch nicht mehr ist, sie haben inzwischen auf eigene Faust einen Newsletter gestartet „20 Percent Berlin“ für die 20 Prozent der Berlinerinnen und Berliner, die keinen deutschen Pass haben. Also nicht für Jörg und mich, aber vielleicht für Sie? 20percent.berlin auch die Adresse.






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