Patricia Schlesinger zum Ausbau von „tagesschau24“

Patricia Schlesinger | Foto © Jörg Wagner


Wer:
* Patricia Schlesinger, ARD-Vorsitzende, rbb-Intendantin
* Daniel Bouhs, Freier Medienjournalist
* Jörg Wagner, Freier Medienjournalist
Wann: rec. 18.02.2022, 17:00 Uhr, veröffentlicht im radioeins-Medienmagazin am 19.02.2022 um 18:05 Uhr und im rbb Inforadio, 20.02.2022, 10:43 Uhr
Wo: rbb Berlin, Masurenallee, Intendanz



(wörtliches Transkript, Hörverständnisfehler vorbehalten)

tagesschau24 [00:00:03] Und jetzt, gerade vor einer halben Stunde hat dieses Hauptsturmfeld mit den ganz großen Orkanböen eben auch die Oder erreicht. Deshalb eben auch 120 Kilometer pro Stunde auch eine Orkanböe der Stärke 12 im Großraum Berlin und dann eben auch in Frankfurt an der Oder jetzt im Umfeld dort auch eine erste Orkanböe. – Vielen Dank! Frank Böttcher, Extremwetter-Experte, der uns auch die ganze Nacht über hier im Stream ja begleitet. Wir bleiben für Sie auf dem Laufenden und halten Sie natürlich auch auf dem Laufenden.

Jörg Wagner [00:00:37] „tagesschau24“ in der Nacht zum Samstag.

Daniel Bouhs [00:00:39] Ja, diesen Kanal will die ARD jetzt ausbauen, wie es heißt zu einer Art „CNN“, wenn auch nicht in der Lautstärke eines US-amerikanischen Nachrichtensenders.

Jörg Wagner [00:00:48] Und man befürchtet geradezu, wenn man die medial verstärkten Stimmen über russische Militärmanöver an der ukrainischen Grenze hört, dass „tagesschau24“ nach der Sondersendung zur letzten Orkan-Nacht doch schneller als geplant, die nächste News-Breaking-Lage bekommt. Denn das ist das Ziel des neuen ARD-Beschlusses zum Kanal „tagesschau24“: umfassende und schnelle Versorgung während plötzlicher Nachrichtenlagen. Darüber sprachen wir am Freitagnachmittag mit Patricia Schlesinger, der Intendantin des rbb und seit Jahresbeginn für voraussichtlich zwei Jahre Vorsitzende der ARD.

Daniel Bouhs [00:01:26] Wir fragten sie: Der ARD war es dann doch offensichtlich etwas peinlich, wie träge sie bei einigen Großereignissen war, beim Brand der Notre Dame oder beim sogenannten Sturm aufs US-Kapitol vor gut einem Jahr?

Patricia Schlesinger [00:01:39] Wissen Sie, man kann immer alles verbessern. Und wenn wir in diesem Land eines nicht hatten bisher, ist ein Nachrichtenkanal der Öffentlich-Rechtlichen. Und ich sage auch: Die ARD hat alles dazu. Alles ist da. Und wenn wir das jetzt richtig betriebswirtschaftlich organisieren, vernetzt organisieren, kooperieren, können wir das leisten und zwar ohne Mehrbedarf leisten. Und ich glaube, dieses Land verdient einen Nachrichtenkanal, der den Namen verdient. In den großen Lagen. Das heißt, wenn Notre Dame brennt oder wenn der Sturm aufs Kapitol stattfindet. Aber auch wenn in … ich sage mal in Bayern ein Tal vollläuft oder wenn in Köln eine Brücke einstürzt oder in Berlin sich Menschen auf die Straße kleben, ist es richtig, den Menschen Informationen darüber zu liefern. Wir haben eigentlich alles, was wir dazu brauchen, inklusive verteilter Rollen in der ARD. Wir haben in Frankfurt, haben wir Wirtschaft, wir haben das Wetter. Wir haben den Sport beim WDR. Wir haben die Kultur in Weimar demnächst. Wir haben in Hamburg die Nachrichten, also wir sind da gut aufgestellt und können gemeinschaftlich kooperativ so etwas stemmen. Und dazu haben wir uns jetzt verpflichtet. Ich freue mich darauf.

Jörg Wagner [00:02:51] Warum hatte denn die ARD bisher „tagesschau24“ nicht als Nachrichtenkanal verstanden?

Patricia Schlesinger [00:02:56] Es ist ein Nachrichtenkanal, er ist ja solcher auch genehmigt, Teil unseres Auftrags, was wichtig ist. Wir haben ihn nur bisher nicht so ausgebaut.

Jörg Wagner [00:03:04] Gibt es da Gründe?

Patricia Schlesinger [00:03:06] Man muss irgendwann mal eine Entscheidung treffen, eine Entscheidung treffen, weil etwas richtig und wichtig und vielleicht auch angesagt ist. Und in diesen Zeiten, in diesen Zeiten, wo so viel Verunsicherung herrscht, sowohl was die großen politischen Fragen angeht, auch aus gesellschaftlichen Gründen – wir haben so viele Fragen zu beantworten – glaube ich, sind wir gut beraten, der Gesellschaft einen Nachrichtenkanal anzubieten, der tatsächlich dieses Wort verdient. Rund um die Uhr möglichst bald.

Jörg Wagner [00:03:35] Als der Bayerische Rundfunk noch den Vorsitz hatte, hatte die ARD-Pressestelle getwittert aufgrund der Kritik, die sich damals auftürmte, wegen eines Breaking-News-Events, dass die ARD etwas zögerlich abgebildet hat, „tagesschau24“ sei nicht als Nachrichtenkanal beauftragt worden. Das war damals der offizielle Standpunkt. Was hat sich innerhalb der ARD geändert, dass man es nun doch wagt? Ist das die bevorstehende Flexibilisierung des Auftrags, dass es da keinen Gegenwind mehr gibt, möglicherweise. Oder woher kommt der Impuls, es jetzt zu wagen? Gerade jetzt?

Patricia Schlesinger [00:04:09] Der Impuls kommt daher, weil wir es jetzt brauchen, weil wir wirklich so ein Nachrichten-Bedürfnis haben, was wir auch sehen, ein Informationsbedürfnis. Unsere Sondersendungen im Fernsehen wie im Hörfunk sind besonders gut nachgefragt. Das, was wir ins Netz packen, was Information bedeutet und zwar auch auf Instagram, auf Facebook, auf Twitter, überall wo wir informieren, meistens mit dem Label „tagesschau“, ist es erfolgreich. Das heißt, das Informationsbedürfnis der Menschen, jung wie alt, ist groß. Also müssen wir, müssen wir möglichst viel informieren. Das haben wir immer gut getan. „tagesschau“ ist ja nun wirklich die stärkste Nachrichtenmarke Deutschlands, das kann man schon so sagen. Aber wenn wir die Möglichkeit haben, es noch besser zu machen und es betriebswirtschaftlich ordentlich abbilden können, dann kann ich doch nur sagen: Dann würden wir etwas falsch machen, wenn wir es nicht täten. Die Zeit ist da und deswegen haben wir entschieden, es jetzt zu tun. Wissend, dass es nicht nur einfach ist.

Daniel Bouhs [00:05:04] Die Marke „tagesschau24“ lösen Sie tatsächlich aber jetzt erst ein, oder?

Patricia Schlesinger [00:05:09] Jein, „tagesschau24“ war immer gemeint als Nachrichtenkanal. Der veritable Nachrichtenkanal harrte noch der Vollendung. Und das tun wir jetzt. Und die Zeit ist reif dafür. Das ist das, was ich damit sagen möchte. Es wird höchste Zeit und ich glaube, dass die Menschen es annehmen werden und mögen werden. Aber wir wissen auch bei nachrichtengrauen Tagen, also an nachrichtennormalen Tagen, ist ein Nachrichtenkanal wie ein Regenschirm, der in der Ecke steht. Man guckt mal rein und guckt mal kurz, was ist und guckt wieder raus. Wenn aber es einen Anschlag gibt oder es wirklich ein erhöhtes Informationsbedürfnis gibt, zum Beispiel durch eine Pandemie, dann ist natürlich der Nachrichtenkanal das, was die Menschen wollen: das beste aller Werkzeuge. Und das liefern wir jetzt.

Daniel Bouhs [00:05:51] Sie haben es schon erwähnt, dass das ohne zusätzliches Geld passieren soll, was ja auch ein Signal letztlich an die Medienpolitik zum Beispiel ist. Das heißt, es geht um Umschichtungen. Sie kennen ja auch das Geschäft als Korrespondentin aus eigenem Erleben. Es geht jetzt also noch einmal mehr um auch das Stichwort „Arbeitsverdichtung“. Wie viel muss da geleistet werden künftig auch von den Korrespondentinnen und Korrespondenten oder auch den Menschen, die in Hamburg im tagesschau-Haus arbeiten und diesen Kanal ja auch betreiben? Und wo beginnt möglicherweise auch so was wie ein Spiel mit der Qualität?

Patricia Schlesinger [00:06:26] Das ist eine kluge Frage, mit der wir uns auch lange beschäftigt haben. Was heißt das für die Ressourcen in den Häusern, die extrem angespannt jetzt schon sind durch stärkere Vernetzung? Hörfunk-, Fernseh-Korrespondenten? Sie sprachen über Korrespondenten. Hörfunk-, Fernseh-Redakteure, ehemalige Redakteure, die ja auch, oder ehemalige Korrespondenten, die ja auch in den Häusern sitzen? Wir werden alle Ressourcen nutzen. Und Sie, die Sie hier vor mir sitzen, mit ganz kleinem Equipment, wissen, dass es auch mit kleinem Equipment inzwischen möglich ist, also mit kleiner Ausrüstung Bewegtbilder herzustellen, zu drehen von einer Demo, von einer kaputten Brücke oder von einer Überflutung. Und das werden wir nutzen. Wir werden die Bilder nutzen, die es gibt, die Menschen mit kleinem Equipment herstellen. Und wir werden natürlich auch die Feeds, die in Hamburg im Nachrichten-Haus ankommen, nutzen und besprechen.

Daniel Bouhs [00:07:17] Was glauben Sie, wie darauf, sagen wir mal, der private Markt reagiert? Wir haben ja in Deutschland, muss man sagen, glücklicherweise den Fall, dass wir auch schon mehrere Nachrichtensender haben: „n-tv“ von der RTL-Gruppe, „Welt“ vom Axel-Springer-Konzern. Dort wird man das doch wohl eher als Angriff auch verstehen, oder? Nehmen Sie das in Kauf?

Patricia Schlesinger [00:07:37] Als RTL die Informationsoffensive vor einigen Monaten angekündigt hat, bin ich gefragt worden, was ich davon halte. Ich habe gesagt, ich finde es ausgezeichnet. Je mehr gute Nachrichten in diesem Land unterwegs sind, umso besser. Dort gucken vielleicht auch andere Menschen als bei uns. Es heißt, je mehr informierte Öffentlichkeit wir haben, ist für eine Demokratie desto besser. Deswegen sage ich: Ich finde es gut, wenn möglichst viele Nachrichten im Angebot sind. Die ersten Reaktionen sind aus der privatwirtschaftlichen Seite, kommerziellen Seite nicht verheerend, sondern ganz im Gegenteil. Ich höre eher: Ja, finden wir gut. Es ist eine Konkurrenz, selbstverständlich. Und wir sehen es auch. Aber, und das will ich in aller Deutlichkeit sagen: Ich bin eine große Anhängerin des Dualen Systems. Ich sage immer: Wir sind eigentlich Qualitätsmedium, aber wir sind nicht das Einzige. Es gibt noch mehr da draußen, und die sind kommerziell organisiert. Das heißt, die müssen Geld verdienen. Das Letzte, was wir wollen, ist das einschränken. Definitiv nein. Wir würden eher zu Kooperationen neigen, und das ist mir ein ernstes Anliegen. Noch mal In diesem Land müssen möglichst viele Menschen gut informiert werden. Das können nicht wir alleine, das machen die anderen auch gut.

Jörg Wagner [00:08:43] Und wie reagieren die Freunde auf dem Lerchenberg in Mainz beim Zweiten Deutschen Fernsehen, die ja auch beteiligt sind an „Phoenix“? Sehen die da irgendwie Probleme? Was wissen Sie?

Patricia Schlesinger [00:08:54] Ich habe keine Probleme in dem Sinn zur Kenntnis genommen. „Phoenix“ bleibt bei der ursprünglichen Beauftragung. „Phoenix“ bleibt das, was es ist.

Daniel Bouhs [00:09:02] Die Vorsitzende des ZDF-Fernsehrates, Thieme hat über Twitter unter anderem verbreitet, dass man sich erhoffe, dass die ARD auch voll zu „Phoenix“ weiter steht. Können Sie das versprechen?

Patricia Schlesinger [00:09:13] Das tut sie. Das kann ich versprechen. Das tut sie. „Phoenix“ hat eine ganz eigene Aufgabe. „Phoenix“ ist Teil unserer DNA. Also es gibt überhaupt keinen Grund, darum zu fürchten.

Jörg Wagner [00:09:21] Aber da gab es in der Vergangenheit natürlich, ich sage mal, wo man selber als Zuschauer und Zuschauerin nicht wusste, schalte ich jetzt „tagesschau24“ ein oder „Phoenix“, weil auf beiden lief plötzlich was und dann lief mal da abwechselnd hin und her. Wird es ein einheitliches Konzept geben, was „Phoenix“ macht und was nicht?

Patricia Schlesinger [00:09:39] Wir haben ein Kooporationspapier entworfen, das auch eine klare Aufgabenteilung vorsieht. Es ist zum Beispiel auch möglich, wenn „Phoenix“ Bilder hat oder einen Korrespondenten hat, dass „tagesschau24“ das übernimmt inklusive des „Phoenix“-Logos. Dasselbe gilt … ich habe vorhin gesagt, wenn ein Tal in Bayern vollläuft, wenn „BR24“ die Bilder hat und vor Ort ist, würde auch das übernommen. Wir arbeiten da vernetzt. Das ist ja das Geheimnis, wieso es auch möglich ist. Mir ist wichtig: Es gibt eine Adresse für Nachrichten und das ist „tagesschau24“. Wo die Bilder herkommen, wo die O-Töne herkommen, ob das jetzt vom „BR24“ oder vom „rbb24“ oder auch tatsächlich von „Phoenix“ kommt, ist dem Zuschauer nicht so wichtig. Wichtig ist: Er hat eine Adresse, wo er weiß, ich werde informiert, egal wo was passiert in der Region, national oder international.

Jörg Wagner [00:10:29] Und eine Bundestagsdebatte ist ja keine Breaking-News-Geschichte, sondern das wird man dann weiter auf „Phoenix“ sehen?

Patricia Schlesinger [00:10:35] Aber sicher, selbstverständlich.






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