Jürgen Roth: Mist, Murks, Mumpitz

Bastian Schweinsteiger | Screenshot: ARD


Wer: Jürgen Roth, Schriftsteller, Autor, Satiriker, Medienkritiker
Was: Medien-Kolumne zum Auftakt der FIFA-WM der Männer in Katar
Wann: 26.11.2022, 18:10 Uhr, radioeins-Medienmagazin und im rbb24 Inforadio, 27.11.2022, 09:20 Uhr/13:20 Uhr

(Original-Rechtschreibung des Autors)


„Eine WM, die an Absurdität kaum mehr zu überbieten ist“, hatte das scharfsichtige WELT-Fernsehen zwei Tage vor Turnierbeginn erspäht und anschließend dem Chefredakteur des Fußballmagazins 11 Freunde, Philipp Köster, das Wort erteilt. Der nannte – zu Recht und gleichwohl ennuyierend erwartbar – Katar den „größten Sündenfall, in dem so alles zusammenkommt, was man am modernen Fußball haßt“, und erklärte, „daß wir ein ethisches Geländer brauchen“. Die bereits von Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber her bekannten „ethischen Leitplanken“ waren dann aber dem allzeit fröhlichen ZDF mit dem Startschuß zunächst mal schnuppe, die recht hypokritische Debatte unter dem Titel „Schauen oder nicht?“ schien ad acta gelegt.

Notorisch gutgelaunt ward da über die katarische „Wohlfühloase“ des in einer pittoresken Wüste aufgeschlagenen DFB-Trosses herumgeschnattert, zumal über den „vollen Fokus“ im Team und den „gewissen Spirit“. Was denn nun der gewisse, also schwer greifbare, daher wohl eher unzuverlässige Spirit im Zentrum des so vollen wie tollen Fokus sei, versuchten die berühmten ZDF-Experten Per Mertesacker und Christoph „kraß“ Kramer im sportstudio live, in dieser, so Kramer, „schönen Sendung“, tagelang nimmermüd’ zu erläutern. Kramer plädierte in „absoluter“ Überzeugung „für den Geist, für den Spirit, für den Glauben“, der fälschlicherweise als Intellektueller gehandelte, mit einer enormen Portion an Geistlosigkeit ausgestattete Mertesacker legte nach: „Ich hoffe, daß der Geist auch wieder entbrannt wird“ – der sich im Feuer der Leidenschaft verzehrende Geist von Brasilien 2014 vermutlich.

Bevor der jedoch späterhin im Spiel gegen Japan um die siebzigste Minute herum plötzlich erlöschen würde, forderte Mertesacker wie einst Björn Engholm, der gefallene Heilsbringer der SPD, „ein Stück weit Euphorie“; es müsse „positive Energie entstehen“ (und keinesfalls negative Ladung); es komme darauf an, „sehr viel Energie zu geben“ (und nicht zu verschleudern), damit das unverzichtbare, von jedermann im Munde durch die Gegend getragene „Mindset“ (früher: die Einstellung) stimme, inklusive „Setup“ selbstverständlich; worauf Christoph Kramer jedenfalls schon mal bei den Tunesiern magische Fähigkeiten entdeckte: „Sie setzen Kräfte ein, die sie nicht kennen.“ Sapperlot!

Was macht eigentlich einen TV-Fußballexperten aus – außer, daß sein Sitzfleisch, um das stundenlange Herumlungern in einem häßlichen Sessel durchzuhalten, gut trainiert sein sollte? Daß er möglichst schludrig Phrasen herausschleudert, die um schwarze Sinnlöcher rotieren? Ja, „’nen Fehler kannste immer haben“, wie es Christoph Kramer ausdrückt, aber warum muß die Fehlerschneekanone Mertesacker gnadenlos einen Rumpelsatz nach dem anderen hinausballern? Wird er dafür bezahlt? „Sie sagen: Ihr könnt uns nichts haben.“ – „Da steht so ’ne gewisse Nervosität.“ – „Das sind Spieler, die horchen auf erst mal“, Spieler, „die ein gutes Turnier gestartet sind“. – „Jetzt hat er sich auch mal den Mut genommen“, er, “der jetzt ’ne zentrale Figur einnehmen soll“. Allein, „im Endeffekt war er nicht effektiv genug“. Ab in die Geisteistonne! möcht’ man da rüpelhaft ausrufen. Nein, es tut mir leid. Das unablässige besinnungslose Gequatsche, das unermüdliche Anhäufen von Sprachgespreizt- und -dummheiten,

„Das mag ich nicht. Das ist nicht gut. Das ist ganz, ganz schlecht.“ (Bastian Schweinsteiger)

Es ist Mist, Murks, Mumpitz. Die Sprache hätte anderes verdient: Selbstreflexion, Abwägung, Formbewußtsein. Statt dessen hackt etwa die Jahrhundertkommentatorin Claudia Neumann wahrlich jeder ihrer Sentenzen die bestimmten und die unbestimmten Artikel – sowie zuweilen die Prädikate – ab:

„Abschneiden bei dieser Weltmeisterschaft wird auch seine Zukunft bestimmen.“
„Mexikanische Kader ganz gut mit der Begrifflichkeit Reife umschrieben.“
„Ja, einzige schon Gelbverwarnte auf dem Platz.“

Eine durchgängige Tortur – die zu allem Überfluß mit einem nicht endenden Brimborium und Ballyhoo rund um eine Binde garniert wurde, mit einem Narrentreiben, dessen Protagonisten in erdrückender Einhelligkeit nichts anderes dokumentierten, als daß am – unterdessen hypermoralischen – deutschen Wesen wieder mal die Welt genesen soll. „Medien“ schreibt sich nun „Mission“, weil sie allesamt die von Ulrike Schmauch, Dozentin an der Fachhochschule Frankfurt, entwickelte menschheitsrettende „Regenbogenkompetenz“ verinnerlicht haben – was in Per Mertesackers Ermahnung gipfelte, wir mögen „die Binde im Herzen tragen“.

Der kundige rhetorische Abgrätscher Bastian Schweinsteiger hielt fest:
„Wir haben heute wieder die nackte Wahrheit gesehen.“

… gesehen und gehört – und nicht nur am vergangenen Mittwoch, sondern an jedem Tag einer bematschten Woche. Die Wahrheit, sie wäre leicht auszusprechen: Es stünde den in dieser Fernsehmaschinerie herumfuhrwerkenden Damen und Herren nicht übel zu Gesicht, öfter mal die Hände vor die Münder zu halten und, so Lea Wagner von der ARD, „’n bißchen Köpfe auszuschalten“. Es käme einer Geste der Solidarität gegenüber den malträtierten Zuschauern gleich. Nichts bräuchte die Sportwelt dringender als Ruhe, als das temporäre Schweigen. Beziehungsweise: Was sagte Olaf Thon im ARD-Morgenmagazin anläßlich der Frage, ob walisische Fans im Stadion Regenbogenhüte tragen dürfen? „Ist das wichtig?“ antwortete er, und das war der bislang treffendste O-Ton während einer haarsträubenden WM am in der Sonne des Fortschritts glitzernden Golf.






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