Martin Stadelmaier [00:00:00] Zunächst mal ist der Begriff „presseähnlich“ der Versuch, Schutzbereiche zu definieren. Das heißt, zu sagen: Was soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht machen? Und er soll nicht ein presseähnliches, zeitungsähnliches Angebot im Netz unterbreiten. Dies wird dann, wie viele andere Rechtsbegriffe auch in der Bundesrepublik durch konkrete Ansehung und durch konkrete Rechtsprechung auch ausgefüllt. Und vielleicht finden wir zwischen den öffentlich-rechtlichen und den Verlegern auch noch einen Weg, der erlaubt, die Dinge gütlich voneinander zu trennen und zu besprechen. Wir haben solche Vorbilder in der Vergangenheit. Beim Bildschirmtext gab es zum Beispiel einen gemeinsamen Ausschuss zwischen den öffentlich-rechtlichen und den Verlegern. Und ich könnte mir vorstellen, dass man auf ähnliche Regularien, Regelungsmechanismen auch hier zurückgreift, um die Situation zu befrieden. Und ich glaube, nach wenigen Jahren wird sich das so sortiert haben, dass niemand mehr darüber reden wird.
Jörg Wagner [00:01:02] Wir müssen aber weiterhin darüber reden. Das war Martin Stadelmaier, der Chef der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz im Jahre 2008 im Medienmagazin. Es gab immer wieder Versuche, tatsächlich sich gütlich zu einigen. Das wird jetzt noch mal verschärft werden im neuen Reformmedienstaatsvertrag. Und das will ich alles besprechen mit Juliane Leopold. Sie ist Chefredakteurin Digitales, ARD-aktuell verantwortlich für alles, was mit der Marke tagesschau unter anderem im Netz geschieht. Was sind denn, Juliane, heute schon die Regelungen? Was müssen Sie beim Gestalten der App bzw. bei tagesschau.de beachten?
Juliane Leopold [00:01:34] Zunächst mal ist es so, dass uns eben sehr wohl bewusst ist, dass wir besondere Spielregeln haben, weil wir in einem regulierten Markt unterwegs sind, im Unterschied zu unseren Mitbewerbern. Ein großes Thema ist für uns, dass Bild und Ton sehr stark in den Vordergrund gerückt werden. Das kann man gut daran erkennen, wenn man die tagesschau-App öffnet. In der ersten Ansicht sieht man immer Kurz-Videos, die dann eben auch Nachrichten erzählen, aber erst mal eben ein Video sind. Und erst auf der zweiten Ebene kann man sich dann vertiefen, indem man auch zu Artikeln vordringt.
Jörg Wagner [00:02:04] Nun gab es gerade, was die tagesschau-App anbelangt, in den letzten Jahren gerichtliche Auseinandersetzungen. Da hat man zum Beispiel vor Gericht die tagesschau-App ausgedruckt, also dutzende Seiten und hat dem Richter überzeugend darlegen können: Sehen Sie doch, das ist doch Zeitung! Nun ist das ja nicht der normale Weg, dass man die tagesschau-App ausdruckt, auch nicht tagesschau.de. Ist das nicht tatsächlich so, dass der Begriff „Presseähnlichkeit“ überhaupt nicht mehr taugt in so einer Auseinandersetzung, weil selbst die Presse im Netz nicht mehr presseähnlich ist?
Juliane Leopold [00:02:41] Also, das ist exakt so, wie ich es sehe. Ich glaube, wir haben es mit einem sehr antiquierten Begriff und einen sehr schwierigen Begriff zu tun. Meiner Auffassung nach ist das, was Nachrichten im Netz sind, ist nicht „presseähnlich“, sondern es ist in der Regel „internetadäquat“. Also es findet statt in einer Mischung aus Formaten. Das sind Texte. Das sind Töne. Das sind Bilder. Das sind Infografiken. Weil das eben die adäquate Form ist, Information und Nachrichten im Web rüberzubringen. Es ist eben nicht eine Zeitung, die als PDF irgendwo hochgeladen wird. Und es ist eben aber auch nicht nur ein Video, was sozusagen hochgeladen wird. Was wir wissen aus vielen Befragungen, aus Nutzungsforschungen – jetzt zuletzt gab es eine ARD/ZDF-Onlinestudie noch mal dazu – ist, dass dann aber auch Text – und das ist wirklich relevant in dieser Debatte – eine wichtige Rolle spielt für Informationsvermittlung online. Also wir wissen das auch, dass uns Nutzerinnen und Nutzer immer wieder sagen: Für mich ist qualitativ gute Nachrichten-Nutzung im Web eine, bei der ich mir zum Beispiel schnell einen Überblick verschaffen kann. Und das passiert in der Regel über das Lesen. Es passiert nicht über das Anschauen von Videos oder das Hören von Audios. Das sind Mischformen, die dann auch stattfinden. Aber gerade dieser Kern der Information, der schnelle Überblick vielleicht gerade am Morgen, der findet übers Lesen statt. Und was mich sehr besorgt ist, dass wir über dieses Verbeißen in diesen Begriff der „Presseähnlichkeit“ in eine Situation kommen, die den Blick verstellt auf die Nutzungsbedürfnisse, die sich eben auch über Text abspielen. Und aus meiner Sicht ist es so: Wir haben Auftrag, Leute gut zu informieren, adäquat zu informieren. Und das heißt, wir müssen sie auch mit Text informieren. Der Begriff „presseähnlich“ ist auch so absurd, weil es ja kein Äquivalent „rundfunkähnlich“ gibt. Also es gibt einen großen Verlag in Deutschland, der sei außerordentlich erfolgreich mit Podcasts. Gönn‘ ich den Kolleginnen und Kollegen auch herzlich. Nur es würde niemand auf die Idee kommen, diesen Verlag als Rundfunkanstalt zu bezeichnen, als rundfunkähnlich zu bezeichnen. Es kommt übrigens auch niemand auf die Idee, die Mitbewerber aus dem privaten Umfeld, die zum Beispiel t-online heißen, als „presseähnlich“ zu bezeichnen, obwohl sie ja auch in diesen Mischformen agieren. Dieser Begriff ist ein, ich sag jetzt mal zugespitzt, ein Kampfbegriff in der Auseinandersetzung zwischen einigen Verlagen und den Öffentlich-rechtlichen.
Jörg Wagner [00:05:10] Wenn ich die Verleger richtig verstanden habe in den letzten Jahren, geht es auch gar nicht darum, dass die tagesschau zum Beispiel nicht Text machen darf, sondern dass sie monieren, dass das Zeilen ohne Ende sind. Das hat die Medienpolitik zu Recht nicht definiert. Damals hätte man ja sagen können: Alles, was über 30 Zeichen ist, ist „presseähnlich“. Das fanden die damals schon Quatsch. Es ist die Anmutung, die kritisiert wird, dass man eben tatsächlich im Internet ein vergleichbares Konkurrenzangebot macht, was auf der einen Seite beitragsfinanziert ist und auf der anderen Seite, sich am Markt refinanzieren muss. Und das scheint mir plausibel, dass man da Regelungen finden muss, um ein friedliches Nebeneinanderexistieren zu gewährleisten. In jedem Zweifel. Aber was würden sich denn nun für Bedingungen herausstellen, wenn der neue Reformstaatsvertrag in Kraft treten würde, so wie es im Entwurf vorgesehen ist? Was müssten Sie neu beachten?
Juliane Leopold [00:06:06] Also zunächst mal ist mir wichtig zu sagen: Ich kann jetzt nur für mein Angebot sprechen. Wir haben uns diesen Entwurf angeguckt und wir haben geschaut, was er bedeuten würde für unser tagesschau.de-Angebot, sowohl im Web, in der App als auch im Social Media Bereich. Also ich spreche heute nicht – das wäre es total vermessen – für die gesamten ARD- und ihre Telemedienangebote. Was für uns momentan sehr wichtig ist, ist, dass wir bei dem Thema „Sendungsbezug“ und das ist ein Punkt, der uns eben unterscheidet als regulierten Anbieter von Verlagen. Wir müssen diese Sendungsbezüge herstellen …
Jörg Wagner [00:06:38] Aber das gilt ja bisher schon, glaube ich, dass man nachweisen muss, dass das, was man quasi im Netz „abgedruckt“ hat, auch in den Sendungen vorkam.
Juliane Leopold [00:06:47] Richtig. Ich war ja auch noch nicht fertig mit meinem Punkt. Wir sind eine Gemeinschaftseinrichtung der ARD und wir dürfen deswegen Sendungsbezüge auch landesrundfunkanstaltübergreifend herstellen. Ich kann das gerne erläutern. Also, es ist für uns zum Beispiel sehr wichtig, wenn wir in den in Morgen kommen, in den Nachrichtenmorgen kommen und wir haben eine Entwicklung gehabt über Nacht in den USA, die ja dann Tag hat, also nehmen wir mal, wir haben eine Präsidentschaftsdebatte dort und es gibt ein, sagen wir mal in Begleitung diese … dieser Debatte durch Hörfunker , die dann in den frühen Hörfunkwellen der ARD laufen, dass wir auf diese Hörfunkskripte zum Beispiel auch zugreifen können und sie auch auswerten können für die Morgenversorgung von Nachrichten von Nutzenden. Das geht momentan, weil wir eben einen übergreifenden Sendungsbezug herstellen können. Es wird nicht mehr gehen in dem Entwurf, weil wir dort beschränkt sind auf eigene Sendungen. Und die tagesschau hat eigene Sendungen in der Nacht. Im Unterschied zu manch‘ anderen Landesrundfunkanstalten oder zu manch‘ anderen Websites von Rundfunkanstalten.
Jörg Wagner [00:07:48] Aber sie speist sich nicht aus den Korrespondentenberichten der Hörfunker.
Juliane Leopold [00:07:52] So ist es. Sie speist sich dann aus sozusagen kurzen Tönen, kurzen, kurzen Wortbeiträgen. Wir haben das mal ausgemessen. Also wir kriegen über diese Beschränkung auf den eigenen Bereich von Sendungen in der strengsten Auslegung, also wenn man’s ganz streng auslegt, nur auf eigene tagesschauen, eine Reduzierung unseres Angebots von bis zu zwei Dritteln am Morgen. Das heißt, in der jetzigen Entwurfsfassung dieses Vertrags werden wir ein Nachrichtenangebot sein, was langsamer ist, was flacher ist und was einfach schlechter ist am Morgen.
Jörg Wagner [00:08:28] Gerade in der Primetime, wo man also eigentlich nach dem Aufwachen wissen will, ist die Welt noch die alte? Ja.
Juliane Leopold [00:08:34] Steht die Welt noch? Genau. Steht die Welt noch? Wie lief’s? Wer hat sich wie geschlagen? Und bei allem Verständnis, Jörg, die Punkte, die Sie erwähnt haben, mit dem Thema der sozusagen Chancengleichheit oder der Fairness, wir kommen in eine Situation, wo gerade eine Primetime am Morgen davon geprägt sein wird, dass diejenigen, die ihre 18,36 € bezahlen, ein flacheres Angebot vorfinden, ein langsameres Angebot vorfinden und ein schlechteres Angebot vorfinden und das nicht verstehen werden. Und sie werden es auch nicht diesem Vertrag zuschreiben. Sie werden es erst mal, uns zu schreiben. Und das ist keine gute Situation. Ich für meinen Teil möchte nicht in eine Welt kommen, wo wir eine Zweiklassengesellschaft haben von Information und von Nachrichten.
Jörg Wagner [00:09:16] Nun bin ich auch jemand, der in einer Krise auch Chancen sieht. Ist es da nicht möglich, dass der Hörfunk-Korrespondent, der bisher tatsächlich nur Radio machte und bei NDR Info oder sonst wo auftauchte, beim Inforadio hier im rbb, dass der gleichzeitig eine Kamera laufen lässt und dass man dann in der tagesschau, also solche Berichte dann in der Nacht, ich sage mal, unkonventionell, wie es ja auch in der Corona-Zeit war, dann auch plötzlich mit der Handykamera zeigt und dass sich auch das Publikum daran gewöhnen wird, dass nicht immer gleich ein ganzer Ü-Wagen irgendwo steht?
Juliane Leopold [00:09:50] Das ist ja eine Welt, in der wir schon lange unterwegs sind, auch gut unterwegs sind grundsätzlich, dass Korrespondentinnen, Korrespondenten unglaublich flexibel sind, unglaublich auch dynamisch reagieren können auf Situationen. Gleichzeitig muss man sich klar machen, wir haben unglaublich viel lineare Fläche auch zu bespielen in der ARD und – ich kann jetzt wieder nur als tagesschau sprechen – wir sind nicht immer Herren dieser linearen Fläche. Also die Nachtsendungen zum Beispiel der tagesschau laufen im Ersten und was im Ersten läuft, wie das Sendeschema dort aussieht, das bestimmt ja nicht die tagesschau. Und wenn es darum geht – und das ist das Versprechen einer linearen tagesschau – schnell im Überblick, dir das Wichtigste in diesem Moment zu nennen, ist es vielleicht nicht der ausführliche Korrespondententext und die Analyse oder der Korrespondentenaufsager und die Analyse vom Parteitag. Und wenn man in dem Beispiel auch bleibt, ist natürlich ein Aufsager im Fernsehen immer kürzer als zum Beispiel ein Radiotranskript, was einfach ein bisschen ausführlicher sein darf. Und ich bin auch optimistisch, dass wir Wege finden werden müssen, um Qualität zu halten. Aber zunächst mal lässt es mich ziemlich ratlos zurück, wie wir in die neue Situation kommen und wie wir sie meistern werden, denn wir sind ja in einer Zangenbewegung. Also wir haben einerseits diese Reduzierung der Möglichkeiten, Sendungsbezüge herzustellen, auch für die Gemeinschaftseinrichtungen wie uns, was ziemlich irre ist, weil wir leben auch von diesen Bezügen. Also wir sind die Plattform der ARD, was Information angeht, auch im Linearen. Und wir kriegen Einschränkungen der Linearität, denn wir wissen ja noch nicht, wie es weitergeht mit den Spartenkanälen. Also tagesschau24 ist ja auch vielleicht bekannt im Vertrag zumindest oder im Entwurf nicht fraglich gestellt, aber zumindest ist es so, dass es in einem Bouquet kommt mit anderen linearen Spartenkanälen, die …
Jörg Wagner [00:11:38] Also wie Phoenix und ZDFinfo.
Juliane Leopold [00:11:40] Ganz genau. Von denen einfach nicht klar ist, was davon bleiben kann und bleiben soll, auch im Linearen. Und das nimmt so ein bisschen den Handlungsspielraum. Also wenn ich nicht mehr Herr bin meiner eigenen linearen Sendungsfläche, weil es sie vielleicht gar nicht mehr habe – und ich muss aber lineare Sendungsfläche haben, um überhaupt digital handeln zu können – dann kriege ich Probleme. Ich will das auch noch an einem anderen Beispiel ausführen. Weil vorhin die Frage war: Was ist denn jetzt das Neue? Das Neue ist auch das erst mal Social Media und Drittplattformen mit betrachtet werden. Wir sind auf Social Media nicht das Gleiche, wie wir linear sind als tagesschau. Aus guten Gründen. Wir erreichen völlig andere Zielgruppen. Wir möchten auch völlig andere Zielgruppen dort erreichen. Wir finden, das ist auch unsere Verantwortung, die dort zu erreichen. Denn wir wissen alle, Social Media sehr sicher der Hort der perfekten Informationswelt, sondern da tummeln sich auch ganz schön viele Desinformationsquellen und wir sind ziemlich stolz darauf, dass wir die Fahne hochhalten als diejenigen, die dagegen auch was tun und die dagegen ankämpfen. Indem wir aber die tagesschau dort auch anders präsentieren oder unsere Marke anders präsentieren. Es ist für uns recht relevant. Wollte ein Beispiel erwähnen, an dem klar wird, wie irre eben dieser strenge lineare Sendungsbezug ist, wenn man erfolgreich auf Drittplattformen unterwegs sein will. Und wenn die Politik auch möchte, dass es seriöse öffentlich-rechtliche Anbieter gibt, die auf Drittplattformen Desinformation was entgegensetzen. Wir haben dort ein Format, das heißt „Die Community Frage“. „Die Community-Frage“ ist genau das. Sie ist eine Antwort auf Fragen, die uns die Community stellt mit unseren journalistischen Mitteln. Und es ist nicht ein Format, was wir im Linearen abspielen, weil der klassische tagesschau-Zuschauer einer „20:00 Uhr“ überhaupt nicht wüsste, was er mit einer „Community-Frage“ anfangen soll. Und das ist auch okay so, ja? Also wir brauchen diese Mehrfüßigkeit und wir brauchen diese Flexibilität, um adäquat – das ist wirklich meine tiefe Überzeugung – auf das wachsende Desinformationszeitalter reagieren zu können.
Jörg Wagner [00:13:36] Es gab jetzt … kurz … wenn ich unterbrechen darf, damit wir es nicht einfach vergessen, am 17. Oktober die Meldung, dass die tagesschau jetzt mit der Marke „tagesschau“ auch auf Twitch sein wird. Was ist denn da die Idee dahinter? Das ist ja eher so eine Gamerplattform. Der rbb hat zwar dort auch ein Talk-Format, aber das ist … Talk ist schon noch mal was anderes als tagesschau, oder?
Juliane Leopold [00:13:58] Absolut. Also für uns ist es so, dass wir … ja immer wieder experimentieren, auch mit neuen Plattformen. Wir beobachten sehr genau, was sich wie entwickelt. Und wir beobachten sehr genau, wo sich junge Menschen gerade informieren, wo sie Nachrichten konsumieren. Und was wir momentan beobachten ist, dass zum einen das natürlich … das normale … ich sag mal, Suchverhalten zunimmt, also Suchen von Informationen über Suchmaschinen. Aber was auch zunimmt, ist das Suchen über SearchGPT und über Social Search. Und dann kommen eben Drittplattformen auch wie Twitch ins Spiel oder Streamingplattformen wie Twitch ins Spiel, wo sich sozusagen Nachrichten nicht in die erste Reihe stellen, aber eben auch en passant konsumiert werden. Also es hat auch was damit zu tun, wie sich parasoziale Interaktion dort abbildet, wie Menschen interagieren mit Influencern, mit Streamern, auf die sie vertrauen. Und wir wären eben gerne auch Teil dieses Orchesters. Wir wären einfach gerne da mit der Marke, um denjenigen, die sich für uns interessieren, auch ein Angebot machen zu können. Und zwar dort, wo sie sind. Wir glauben nicht mehr, dass junge Menschen sozusagen aufwachsen, um in eine 20:00-Uhr-Sozialisierung zu kommen. Es wäre toll, wenn das passiert, aber wir sehen es nicht. Wir sehen nicht, dass diese jungen Zielgruppen sich dann gezielt der Linearität zuwenden, sondern sie bleiben im Digitalen. Sie bleiben im Internet.
Jörg Wagner [00:15:21] Kommen wir mal wieder zurück auf die sogenannte „Presseähnlichkeit“ oder die „Textlastigkeit“, wie auch Verleger jetzt argumentieren. Die Öffentlich-rechtlichen: ARD, ZDF, Deutschlandradio hatten in dieser Woche eine Initiative platziert, nämlich die Selbstverpflichtung bei textlichen Angeboten. Da waren Sie mit dabei bei der Erarbeitung dieser Selbstverpflichtung. Was genau wäre denn leistbar und machbar? Denn ich nehme an, dass in dieser Selbstverpflichtung jetzt nicht das Unmachbare aufgegriffen wurde, sondern es ist ein Angebot an die Verleger, außerhalb des Reformstaatsvertrags vielleicht doch eine gütliche Einigung zu finden …
Juliane Leopold [00:15:59] Ganz genau.
Jörg Wagner [00:16:00] … eine Woche bevor die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten dort vielleicht zur Entscheidung kommen. Was beinhaltet diese Selbstverpflichtung?
Juliane Leopold [00:16:08] Ich kann gerne darauf eingehen, was uns oder was mich umgetrieben hat, die Gedanken, die mich umgetrieben haben bei meiner Mitarbeit. Das war, sicht gut zu überlegen, was sind denn diese Dinge, die ich auch kenne aus den Ges prächen, die man führt auch mit Kolleginnen und Kollegen aus der Verlagswelt, die wir unter Schmerzen auch aufgeben können, aber die uns nicht im Kern des Auftrags berühren, was zum Beispiel die Breaking-News-Fähigkeit angeht. Also ein Albtraum ist für uns zumindest eine Situation, wie sie sich jetzt auch möglicherweise darstellt, dass wir in einer Breaking-News-Lage zwar noch eine Eilmeldung absetzen können digital, aber dann warten müssen, bis linear gesendet wird, bevor wir zum Beispiel ein Liveblog aufsetzen. Dann kommen wir wirklich ins „linear first“ zurück. Und dann kommen wir in eine Welt, die uns abschneidet von sozusagen moderner, adäquater Nachrichtennutzung. Aber was können wir tun, um zu zeigen, dass wir einen guten Willen haben, auch diese Fairness herzustellen? Wir können zum Beispiel auf Teaser-Texte verzichten.
Jörg Wagner [00:17:04] Das muss man erklären, was das genau ist.
Juliane Leopold [00:17:06] Ja, das kann ich gerne erklären. Also, Teaser-Texte sind diese drei, vier, fünf Zeilen, die einen Artikel zusammenfassen und die auf der ersten Ebene zum Beispiel einer Homepage zu sehen sind, die Nutzerinnen und Nutzer neugierig machen sollen auf das, was sich hinter einem Klick sozusagen verbirgt.
Jörg Wagner [00:17:24] Nicht nur neugierig, sondern auch, damit man schneller aussortieren kann. Ist das etwas, was mich interessiert oder kann das weg?
Juliane Leopold [00:17:31] Das ist … das ist die andere Seite von Neugierde, sozusagen das Aussortieren. Die Teaser sind deswegen so relevant, weil sie auch für Google relevant sind. Sie werden auch durchcrawlt.
Jörg Wagner [00:17:42] Die sogenannten „Snippets“, heißen die da …
Juliane Leopold [00:17:45] Ja genau.
Jörg Wagner [00:17:46] Wo die Verleger auch noch mal zusätzlich Geld wollen, was auch verständlich ist, weil das ja urheberrechtlich geschütztes Material ist.
Juliane Leopold [00:17:52] Genau. Aber das ist zum Beispiel ein Punkt, das ist ein Markt, aus dem man sich entfernen könnte. Aus meiner Sicht. Wo man sagen kann, das überlassen wir den anderen, das überlassen wir den Mitbewerbern, weil sie es auch monetarisieren können und sollen. Ein weiteres Angebot, was es schon gibt, aber was wir einfach noch mal erneuert haben und was wir auch verstärkt haben, ist die Zusammenarbeit bei der Verlinkung auch auf Paid Content. Hier ist es ja so, dass der Gesetzgeber da lange aus guten Gründen gesagt hat, das ist nicht der Job von Öffentlich-rechtlichen, auf Paid Content sozusagen Traffic zu vermitteln. In der Selbstverpflichtung wird es anders aussehen. Da gibt es dann sozusagen ein richtiges Mitwirkungsgebot, auch auf Paid Content zu verlinken, auch auf Verlagswebseite zu verlinken, und zwar auch, wenn es nicht unmittelbar mit der eigenen Recherche-Leistung zu tun hat. Also wenn es den Rechercheverbund gibt, dann liegt es ja sowieso nah, dass man auch auf den Mitbewerber verlinkt, der einfach im Verbund mit steckt.
Jörg Wagner [00:18:48] Wie zum Beispiel in der Vergangenheit mit der Süddeutschen Zeitung.
Juliane Leopold [00:18:51] Ganz genau. Aber eben in der Selbstverpflichtung würde das auch noch weitergehen. Und wir haben ja verstanden … oder ich meine, ich glaube verstanden zu haben, dass das Erlösmodell vieler Verlage sich gewandelt hat von der reinen Reichweite hin zu digitalen Abos. Das ist ein Punkt, wo wir natürlich unterstützen können. Ich will aber auch eins klar machen, weil das auch eine Erzählung ist, die dann manchmal im Raum steht von der anderen Seite. Es ist jetzt nicht so, dass die öffentlich-rechtliche publizistische Leistung dort oder der Traffic, der dort ist, zum Füllhorn wird von Traffic für die Verlage, weil wir nicht marktbeherrschend sind an der Stelle. Der größte Mitbewerber im Nachrichtenumfeld ist bild.de. T-online.de spielt eine sehr, sehr große Rolle, ist sehr, sehr stark gewachsen und der erste öffentlich-rechtliche Anbieter in diesem News-Segment, das sind wir.
Jörg Wagner [00:19:42] Wir wollen spiegel.de nicht vergessen.
Juliane Leopold [00:19:44] Genau, die sind auch sehr stark dabei in den Top drei bzw. Top vier, je nach Betrachtung. ntv.de ist dabei, übrigens auch ein Fernsehanbieter. Und nur mal so am Rande kein klassisches Verlagsangebot. Und wir kommen dann so je nach Monat vielleicht an der fünf, an der sechs, an der sieben. Aber das ist keine Marktdominanz an der Stelle. Das ist mir auch wichtig zu betonen, weil das in den Debatten manchmal untergeht. Es wird so einen Popanz aufgebaut, der dann einfach nicht, also zumindest nicht meiner Kenntnis der Realität entspricht.
Jörg Wagner [00:20:14] Wie sind denn die Reaktionen der Verleger? Es gibt zwar schon Presseberichte, dass man das sehr skeptisch sieht, aber was wird Ihnen direkt gespiegelt?
Juliane Leopold [00:20:22] Also mir direkt wurde noch nichts gespiegelt. Ich verfolge auch nur die Pressediskussion. Ich kann vielleicht mal einen Moment meinen Hut absetzen in der aktuellen Rolle und ein bisschen da raustreten. Ich begleite diesen Punkt oder diese Debatte ja schon sehr lange, auch akademisch. Also, ich habe Publizistik mal studiert und wir haben am Anfang auch diesen Ton gespielt, der noch ein paar Jährchen auf dem Buckel hat. Dieses Thema ist sehr, sehr alt und meine private Einschätzung dazu ist, dass es für viele Verlage sich gar nicht lohnt, eine Einigung zu finden, weil sie vom Antagonismus leben. Der Antagonismus ist wichtig, denn der Antagonismus ist auflösbar, in dem man eben ja versucht, Gesetze … gesetzgeberische Wege zu finden, um die eigene Position zu stärken. Das ist in anderen Bereichen eben schwieriger. Also das ist vielleicht auch ein Punkt, der auch schon erwähnt wurde an anderer Stelle. Das eigentliche Problem für viele Verlage in Deutschland ist meiner Auffassung nach nicht die öffentlich-rechtliche Publizistik. Es ist die Marktmacht amerikanischer Plattformen. Es ist die Marktmacht von Google. Es ist die Marktmacht von KI, die jetzt rauf drängt für Auffindbarkeit von Informationen, von Nachrichten. Es ist die völlig ungeklärte Situation, was ist, hängt mit Absenderkennung. Was ist mit Urheberrechten, wenn KI auf einmal sozusagen zum Search Agent wird für wertvolle Nachrichten und Informationen. Und das sind alles Punkte, wo ich mir gewünscht hätte, dass Politik die aufgreift, weil sie wirklich in die Zukunft weisen und wo es auch Sinn ergibt, in eine starke Allianz miteinander zu treten als Contentlieferanten für für Plattformen. Und das ist nicht passiert, sondern man hat im Grunde den alten Begriff aufgegriffen. Man hat den alten Konflikt aufgegriffen. Ich kann nur sagen, ich hoffe sehr, dass man ihn löst. Aber ich … mir fehlt ein bisschen auch die Hoffnung, muss ich sagen. Momentan. Also ich bin … ich bin sehr besorgt in der aktuellen Situation und ja, ich habe auch noch keine … keine Glaskugel, wie das wohl ausgehen wird?
Jörg Wagner [00:22:20] Da müssen wir tatsächlich warten bis nächste Woche. 24./25. Oktober ist die Ministerpräsidentenkonferenz in Leipzig und man will sich da dann zum Reformstaatsvertrag zumindest insofern festlegen, dass man Unterschriften drunter setzt. Das muss noch durch die Länderparlamente und dann werden wir Gewissheit haben, ob – so ist der Plan – im Sommer 2025 Neuregelungen zum Beispiel auf die tagesschau zu kommen, was die Präsenz im Internet betrifft. Ich bedanke mich erst mal für dieses Gespräch bei Juliane Leopold. Sie ist ARD-aktuell Chefredakteurin Digitales und war, das muss man dazu sagen, vorher „auf der anderen Seite der Macht“, zum Beispiel bei Buzzfeed und kennt also beide Seiten. Das wollen wir hier nicht unberücksichtigt lassen und weiß also genau, wie in dem Fall das Netz privatkommerziell und öffentlich-rechtlich tickt. Vielen Dank für das Gespräch.
Juliane Leopold [00:23:15] Sehr gerne. Vielen Dank für die Einladung.